Ein echter deutscher Student
[735] Ein echter deutscher Student. Es war im Jahre 1811. Napoleon stand auf dem Gipfel seiner Macht, und auch in der Universttätsstadt Jena sollte der 15. August, des Allgewaltigen Geburtstag, festlich begangen werden. Schon wochenlang vorher wurde eine Aufforderung an die Studirenden erlassen, sich an der beabsichtigten Feier zu betheiligen.
Da, am Abende des 5. August, schob die Hand eines Studenten ein Papierblatt durch das Gitter des schwarzen Bretes, worauf wörtlich stand wie folgt:
„Antwort auf die Einladung zum Napoleonsfeste!
Welcher unbesonnene Hundsfott konnte sich unterfangen die braven teutsch gesinnten Jünglinge Jena’s einzuladen zur Feyer eines Tages, wo man die Erde mit Trauerflor bedecken und blutige Thränen weinen sollte!
Ja! wär’s seine Todtenfeyer, gern würde jeder brave Bursche Jena’s um seinen Galgen tanzen.“
Ein Commilitone las die kühne Ansprache und war niederträchtig genug, als Denunciant aufzutreten, unter der Namenschiffre Gn. schrieb er sofort einen Brief an den Kirchenrath Dr. Gabler und meldete, was ein Mitstudirender gethan hatte. Gabler verfügte sich augenblicklich zu dem damaligen Prorector, dem Geheimen Hofrathe Dr. J. F. Fuchs, und machte vom Geschehenen Anzeige. Dieser beschied ungesäumt die Pedelle Nitzschke und Täubner sen. und jun. vor sich und ließ von ihnen den gefährlichen Zettel beseitigen.
Sowohl der Brief an den Kirchenrath Gabler, als das Blatt selbst sind noch vorhanden. Sie befinden sich im Besitze des jetzt in Jena Philosophie studirenden Herrn F. W. Braunau, eines Großneffen des Geh. Hofraths Fuchs, der sie durch Erbschaft erhalten und uns von der Existenz des merkwürdigen Schriftstücks unterrichtet hat. Derselbe bewahrt auch noch das Protokoll, welches von dem Vorfalle aufgenommen worden ist. Es berichtet, daß alle vom 5. bis 16. August nach dem Urheher der That angestellten Nachforschungen erfolglos geblieben sind.
Wir erlassen uns und unsern Lesern jedwede Betrachtung über die Gefahr, welcher sich der wackere deutsche Jüngling aussetzte, der es wagte, unter tausend Spionenaugen seine kühnen Worte an öffentlichem Orte anzuheften. Wohl aber erführen wir gern, ob der Brave noch lebt, damit wir ihm aus vollem Herzen unsere Verehrung aussprechen und ihn der heutigen Jugend als ein Vorbild patriotischer Gesinnung und männlichen Muthes bewundernd zeigen könnten. Wer weiß, ob die Zeit nicht nahe ist, wo sie von solchen Vorbildern zu lernen hat!