Ein gefiederter Frühlingsbote

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Autor: Moritz Kloss
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Titel: Ein gefiederter Frühlingsbote
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 119–120
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein gefiederter Frühlingsbote.
Thierzeichnung von Moritz Kloss.

In Deutschland und der Schweiz, hauptsächlich in Sachsen und Thüringen, pflegt sich im Februar oder, je nach Verlauf des Winters, im März ein Frühlingsbote einzustellen, der in Städten und Dörfern gar wohl bekannt ist und von Jung und Alt als ein lieber Gast freundlich begrüßt wird.

Luftige und muntere Gesellen sind überall willkommen, und so kann es uns nicht Wunder nehmen, daß man dem von uns gemeinten, welchen der berühmte Linné bei seiner großen Naturtaufe mit dem Familiennamen Sturnus vulgaris bedachte, gern das Quartier bereitet und ihn durch hölzerne Sommerwohnungen nach seinem Geschmack in Gärten und an Häusern zu fesseln sucht.

„Die Stahre sind da!“ – ruft ein Nachbar dem anderen freudig zu, wenn sich eines Morgens nach langem harten Winter der gefiederte Frühlingsbote einstellte. Ihr Erscheinen ist dann ein Ereigniß, das man sich von Haus zu Haus weiter erzählt. Es knüpft sich an diese Wiederkehr des Stahres aber nicht blos der liebliche Gedanke an den nun bald einziehenden Frühling; die freudige Erregung der Menschen hat auch ihren unmittelbaren Anknüpfungspunkt an den geselligen und sonstigen angenehmen Eigenschaften des auffälligen Vogels, der seines muntern, papageiartigen Wesens wegen so allgemein populär und beliebt geworden ist.

Denn kaum dürfte es unter unseren einheimischen Vögeln noch einen geben, der so wie der Genannte durch sein Naturell und seine Haushaltung unser Interesse in Anspruch nähme.

Mit seinem schwarzen, durch stahlblauen Schiller und hellbraune Spitzenfleckchen geschmückten Federkleide, mit dem gelben Schnabel und den braunrothen Füßen, verbindet der Stahr überhaupt ein recht angenehmes nettes Aeußere und weiß sich überdem durch seine munteren und drolligen Manieren bestens zu empfehlen. Seiner Größe nach hält er die Mitte zwischen Taube und Sperling.

Im Fliegen ist der Stahr sehr gewandt und flink, im Gehen reckt er stolz seinen kleinen spitzigen Kopf empor und weiß seinen wackelnden Gang durch freundliches Kopfnicken und munteres Umherschauen geschickt zu verbergen. Sitzt er ruhig auf einem Hausgiebel oder auf einem Baumwipfel, so pflegen seine Hinterkopf- und Halsfedern gesträubt zu stehen, was dem Vorderkopf ein um so spitzigeres und listigeres Ansehen gibt.

Daß er in auffallendem Grade gesellig ist und sich gern in der Nähe von Menschenwohnungen aufhält, zeigen unsere Stadt- und Dorfgärten, wo er fast überall gehegt und gepflegt wird. Man sieht seinem munteren Treiben gerne zu, wenn er unruhig und nie geschäftslos bald hier-, bald dorthin fliegt, und bald diese bald jene ihm zugedachte Holzmeste sorgfältig untersucht: ob sie für ihn auch comfortable sei und ein sicheres Domicil gewähre. Für gewöhnlich nistet er in hohlen Bäumen der Wälder und Wiesen, gibt aber den künstlich hergerichteten allbekannten „Stahrkästen“ den Vorzug, um sich darin im Freien förmlich hegen zu lassen. Haben wir an der Stahrmeste die Oeffnung zum Ein- und Ausfliegen größer gemacht, als er sie braucht, um sich hindurchzuzwängen (er zirkelt mit seinem Schnabel vorher ganz sachverständig ab, ob sie größer ist, als ein Thalerstück): so trägt er Bedenken: sich hier sein Nest zu bereiten, denn er denkt sorglich schon an seine Jungen, denen die gierige Nachteule oder die verschmitzte Elster den Garaus machen könnten. Denn das hat man schon beobachtet, daß sich die diebische Elster heranschlich an den Stahrkasten, durch Pochen mit dem Schnabel die jungen Stahre zum Emporrecken der Hälse verlockte und dann einen unbarmherzig herauszerrte, um ihre Mordlust daran zu weiden.

Findet der Stahr jedoch das Häuslein nach seinem Sinne, gewährt es ihm Schutz gegen seine Feinde und findet er überdies noch ein rundes Stäbchen zum bequemen Anfliegen an dem Kasten, so ist sein „Hierbleiben!“ beschlossen.

Am frühen Morgen finden wir dann unsern Freund schon wach und mit allerlei Vorkehrungen zur Ordnung seines Hauswesens beschäftigt. Mit seines Gleichen liegt er in der ersten Zeit nicht selten im Streite um den erwählten Heerd; doch tritt unter ihnen bald Verständigung ein. Hartnäckiger ist der Kampf mit dem Spatz, welcher häufig in des Stahres Abwesenheit dessen Wohnung bezieht und wohl gar geschäftig ist, mit Stroh und Federn sich sogleich häuslich einzurichten. Dann entspinnt sich bei der Rückkehr ein oft mehrere Tage andauernder Krieg, an dem sich auch wohl des Spatzen und des Stahres Genossen in Masse betheiligen. Der unverschämte Spatz verfolgt den Stahr bis hoch in die Luft und verbeißt sich mit großer Heftigkeit. Aber er muß gewöhnlich doch den Kürzern ziehen. Es nimmt sich gar komisch aus, wenn dann Herr Sturnus nach kurzem Proceß das mühsam bereitete Bette des Spatzen sammt Bettstroh und Bettfedern zum Fenster hinauswirft, um sich nun nach eigenem Sinne wohnlich einzurichten. Die besiegten Spatzen sitzen dann von Weitem und lassen ärgerlich ihr durchdringendes: „Schelm! Schelm!“ ertönen, wenn eine Ladung Geniste aus dem Stahrneste herausfliegt.

In der ersten Zeit nach seinem Eintreffen zeigt sich der Stahr nur am Morgen in der Nähe seiner erwählten Wohnung; [120] den übrigen Theil des Tages schweift er hinaus, um in größeren Schaaren mit seinen Brüdern auf Hutungen, Wiesen und Feldern seiner Nahrung nachzugehen. Besonders gern besuchen sie die Viehweiden, wo sie bald rasch auf dem Boden herumlaufen und Würmer und Insecten zusammensuchen, bald sogar den Schafen und Kühen auf den Rücken fliegen, um blutsaugende Schmarozerthierchen, wie Zecken, Bremsen und Ungeziefer abzulesen.

Die Lebensweise des Stahres ändert sich schon, wenn die Nist- und Brutzeit herankommt. Dann wird er fein häuslich und verläßt seine Wohnung nur auf kurze Zeit, um Nahrung in den naheliegenden Gärten und Feldern einzusammeln. Melden sich endlich die jungen Schreihälse, so ist er der sorgsamste Vater, der ohne Unterlaß Insecten, Larven, Würmer, Engerlinge, kleine Schnecken und dergleichen Ungeziefer zusammensucht. Merkwürdig ist es, wie der futtertragende Stahr auch seinen Flug ändert. Fast scheint es, als glaube dieser Affe unter den Vögeln, die Würde des Familienvaters auch durch einen gravitätischen Flug ausdrücken zu müssen. Stolz wie der Adler schwebt er dann zu seinem Neste, seinen sonst raschen Flügelschlag hemmend.

Viele unter Grasblättern und Laub versteckte Thierchen finden die Stahre sehr leicht durch das zirkelartige Aufspreizen des langen Schnabels auf, indem sie damit die bergenden Umgebungen aufheben oder geschickt umwenden. Schon aus diesem Grunde gewähren die Feld-, Wiesen- und Gartenbesitzer diesen nützlichen Thieren allerlei Schutz. Der Nutzen durch das Vertilgen der schädlichen Insecten und Würmer ist gar hoch anzuschlagen, und man sieht es dem freundlichen und zutraulichen Thiere, schon seines munteren, papageiartigen und possirlichen Wesens halber, einmal nach, wenn es im Amtseifer etwa eine Hyacinthe oder eine andere zarte Pflanze aus dem Gartenbeete mit herauszieht oder unsere Kirschbäume plündert. Als Insectenvertilger ist der Stahr ein gar nicht unwichtiges Glied im Haushalte der Natur.

Doch er debütirt auch außerdem noch als nicht unbedeutender Gesangskünstler. Freund Sturnus ist ein Vetter der sangfertigen Drosseln, und übernimmt sehr gern als Buffone das Fach der komischen Gesangsrollen. Bekanntlich ahmt dieser sonderbare Kauz fast alle Thierstimmen nach, das Miauen der Katze, wie das Quaken des Frosches. Gewöhnlich um die Morgen- und Abendzeit läßt er seinen Gesang hören, welcher aus einem höchst wunderlichen Tongemenge von schnatternden, schnurrenden, leiernden, wetzenden, gacksenden, giebsenden, quäkenden, seufzenden und sprechenden Lauten besteht, zwischen denen er immer wieder seine Drosselnatur durch ein angenehmes Pfeifen, ähnlich dem des Pirol, zur Geltung bringt. In der Gefangenschaft lernt er deutlich sprechen. Als Merkwürdigkeit erwähnt Tschudi, daß eine Wittwe in St. Gallen einen Stahr besessen habe, der das als Tischgebet täglich vernommene „Unser Vater“ deutlich herzusagen verstand.

Namentlich bei Sonnenuntergang sammeln sich die Stahre aus der Nachbarschaft gern auf einem nahen hohen Baume, etwa auf der Spitze einer italienischen Pappel, auf deren schwanken Zweigen sie sich gern wiegen. Dann machen sie Chorus mit ihrem sonderbaren Geschrei, und es gewährt dem Beobachter besonderes Vergnügen, den lebhaften Wechselgesprächen der klugen Thierchen zu lauschen.

Der Stahr ist ein Strichvogel, der bei uns während des Sommers zwei Mal nistet; 4–6 Junge werden in einer Hecke aufgezogen. Hie und da beraubt man ihn seiner wohlschmeckenden Jungen, die unter verschiedenen fremdländisch klingenden Namen sogar als Delicatessen auf die Tafeln gebracht werden.

So wie die Brütezeit vorüber ist, lassen sich die Stahre nicht mehr in der Nähe ihrer Hegeplätze sehen. Sie schwärmen dann auf den Feldern in großen Schaaren umher, die wie schwarze Wolken unter donnerähnlichem Geräusch sich erheben, wenn man sich ihnen nähert.

Wie stark die Vermehrung dieser Vögel war, sieht man dann an dem jungen Volk, das sich durch ein hellgraues gesprenkeltes Gefieder von dem kohlschwarzen älteren Geschlechte unterscheidet. Kurz vor ihrem Abzüge nach wärmeren Gegenden besuchen die Stahre noch einige Mal ihre freundlichen Wirthe, um Valet zu sagen. Des Morgens und des Abends hört man ihren pfeifenden Ton noch einmal in der Nähe der Stahrmesten. Im October, oft auch erst mit den ersten Schneeflocken, verlassen sie uns still und geräuschlos. Dieselben Stahre, welche unsere Brutkästen in diesem Jahre inne hatten, besetzen sie auch im nächsten Jahre wieder, wenn sie glücklich von ihrer Wanderschaft heimkehrten.