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Ein gekröntes Opfer

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Textdaten
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Autor: H.
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Titel: Ein gekröntes Opfer
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 772–775
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Maria Antoinette
Autor nach Jg. 1865, Heft 7
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Ein gekröntes Opfer.
Historische Skizze. Von H.

Die kaiserliche Burg zu Wien bot im Innern und Aeußern den Anblick eines ungeheuren steinernen Bienenstocks, als der 16. April des Jahres 1770 herangekommen war. Die große Treppe, welche zu den kaiscrlich königlichen Gemächern führte, war besetzt mit Hatschieren und den Soldaten der ungarischen und deutschen Leibgarde, die sich in zwei Gliedern bis an die Vorzimmer der Empfangssäle aufgestellt hatten. Draußen auf der Gasse und dem Platze wogte eine erregte Menschenmenge hin und her und eilte neugierig herbei, wenn wieder eine Galakutsche vorfuhr und ihres Inhaltes, reich gekleideter Herren oder Damen jedes Alters, sich vor dem Hauptportale entledigte, unter dessen Bogen sechs ungeheuer große Hatschiere gleich Automaten, nur durch ihre Honneurbewegungen ein Lebenszeichen verrathend, postirt waren. – Ebenso lebendig, wie vor der Kaiserburg, ging es innerhalb derselben her. Schon wallte eine glänzend gekleidete, von Juwelen blitzende, mit den wunderlichsten Coiffuren versehene Gesellschaft durch die kaiserlichen Gemächer, welche in einem durch Tausende von Kerzen erzeugten Meere von Lichtschein zu schwimmen schienen. Alle Stände waren vertreten; die Uniform, die Robe des Advocaten, die Soutane des Abbé’s, das kostbare Gewand des Cardinals, des Bischofs – Alles mischte sich mit der eleganten Tracht stutzerhafter Cavaliere und den prächtigen Toiletten schöner, graziöser Damen.

Als die Uhren die sechste Stunde schlugen, fuhr donnernd, mit schnaubenden Rossen, eine kostbare Equipage vor das Portal. Die Läufer öffneten den Schlag. In prachtvoll gesticktem, rothsammtnem Hofkleide, die Kniegürtel, die Agraffen seiner Spitzenmanschetten, die Schuhschnallen, Schleifenhalter, die Knöpfe des Rockes und sein Degengefäß in Brillanten funkelnd – so stieg ein Cavalier aus dem Wagen. Alsbald präsentirten sämmtliche Soldaten und Hatschiere, und die höchsten Officiere gingen dem reichgekleideten Manne entgegen und geleiteten ihn in den Empfangssaal, wo sich die Menge aller der Hohen vor ihm neigte, was er mit tiefer, sehr ceremonieller Verbeugung erwiderte.

„Seine Excellenz der Herr Marquis de Durfort, Envoyé Sr. allerheiligsten Majestät Ludwig’s des Fünfzehnten von Frankreich,“ tönte es durch den Saal; fast zu gleicher Zeit sprangen die Flügelthüren, welche in das Innere des Kaiserschlosses führten, auf, und eine zweite Stimme rief: „Die Kaiserin-Königin! der Kaiser!“

Maria Theresia trat in den Saal, geführt von ihrem Sohne Joseph dem Zweiten. Hinter ihnen folgten die Prinzen und Prinzessinnen des kaiserlichen Hauses. Darauf ward es still im weiten Saale, dann hörte man eine Rede in französischer Sprache, dann wieder eine Antwort darauf, und endlich nahm die Kaiserin die Hand eines jungen Mädchens und führte es dem Marquis Durfort zu.

Das junge, schöne Wesen zitterte und war bleich. Es empfing aus den Händen des Gesandten ein Bildniß, umgeben von Diamanten, welche funkelten und zackige Blitze schossen. Als die junge Dame das Bild ergriff, stammelte sie eine kurze Rede. Dann nahm die Gräfin Trautmannsdorf das Portrait und heftete es mit einer kostbaren Nadel an die Brust der jungen Dame. Nun konnte man sehen, daß es das Conterfei eines stattlichen, dabei gutmüthig und freundlich blickenden Jünglings von sechszehn bis siebzehn Jahren war. Zugleich übergab Durfort ein Schreiben, und damit hatte die Ceremonie ein Ende. Die schöne, junge Prinzessin war Maria Antoinette, Erzherzogin von Oesterreich, welche in diesem Augenblicke verlobt und hingegeben ward an Louis, Herzog von Berri und zukünftigen König Ludwig den Sechszehnten von Frankreich, der in jenem Schreiben seine Freude aussprach.

Als das Portrait des Dauphins an dem Busen der edlen, schönen, kaum fünfzehn Lebensjahre zählenden Prinzessin schaukelte, glänzten die Augen der Kaiserin Mutter vor Entzücken. Sie hatte es vollbracht, das große, politische Werk der Verbindung dieser zwei gewaltigen Häuser. Ihre Tochter theilte den ersten Thron Europas mit dem Nachkommen des heiligen Ludwig. Gleich einem elektrischen Strome durchlief dies Gefühl des Glückes, der Bewunderung, von Maria Theresia ausgehend, die versammelte Menge. „Welches Glück! welch eine Größe, welche Zukunft!“ so tönte das

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Maria Antoinette’s Abschied von ihrer Mutter.

Gemurmel durch den Saal. „Welch’ eine Zukunft?“ fragte sich Maria Antoinette. Sie preßte das Portrait an ihr klopfendes Herz. Von ihrem Bruder Joseph geführt, verließ sie den Saal. Gleich dem Rauschen des Baches hallte es jetzt durch den großen Raum dahin; es waren die seidenen Roben der Damen, die zur Beugung sich herablassenden Füße der Herren, bei dem ersten, ehrfurchtsvollen devoten Gruße für Maria Antoinette, Dauphine von Frankreich. Abends war französisches Theater: ein Stück von Marivaux und ein Ballet von Noverre.

Am folgenden Tage die Vorlesung der Entsagungsacte durch den Fürsten Kaunitz. Maria Antoinette hatte keine Heimath mehr als Frankreich. Väterlicher und mütterlicher Hinterlassenschaft zu entsagen, gelobte sie an dem Altare; ihre schöne Hand ruhte auf dem Evangelium, das ihr der Graf Herberstein vorhielt. Frankreich – das Land ihrer Zukunft! Das Land der Pompadour, der Dubarry – vor dem die deutschen, gutmüthigen Scribenten warnten, ihre Hauptstadt Paris – jene glänzende Höhle des Lasters, verlockend, verwirrend, verderbend! –

[774] Mit den Blicken des Triumphes schaute die Kaiserin auf die menschengefüllte Hofkirche nieder, als am 19. April die feierliche Einsegnung stattfand. Erzherzog Ferdinand vertrat die Stelle des Dauphins. Maria Antoinette trug ein Kleid von Silberstoff – sie sagte mit lauter Stimme „Ja“, die Orgel ertönte, die Weihrauchwolken stiegen empor, die Sänger setzten mit voller Stimme ein, und die Kaiserin lag andächtig betend für das Heil der geliebten Tochter auf den Knieen. Welch eine Reihe von Gedankenbildern zieht an dem innern Gesicht Maria Theresia’s vorüber? Eine Angst, ein Zittern ergreift sie. Woher kommen plötzlich diese schwarzen, unheimlichen Gesichte? Ein unentwirrbarer Knäuel von Geschicken und Gefahren aller Art rollt sich vor den Augen der Kaiserin zusammen. O, wer ihr einen Aufschluß gäbe! „Versuchen wir es,“ flüstert sie sich selber zu. Ein Körnlein Gewißheit, ein Tropfen lindernden Balsams für den Schmerz dieser Angst einer mütterlich liebenden Kaiserin! Maria Theresia zittert vor der Stunde der Trennung von ihrem Kinde.

Tiefe Nacht ruht über Wien. Nach dem anstrengenden Feste der kirchlichen Einsegnung ist eine Ruhe eingetreten. Nur die Kaiserin wacht noch. Sie erhebt sich von ihrem Lager, sie schreitet durch das Gemach und öffnet die Thür des Vorzimmers. Leise ruft sie der Kammerfrau, welche sogleich erscheint.

„Ist er da?“ fragt die Kaiserin.

„Schon seit einer Stunde, Majestät,“ lautet die Antwort.

„Laß ihn eintreten.“

Die Kammerfrau verläßt das Gemach und kehrt nach einigen Minuten in Begleitung eines ältlichen, schwarzgekleideten Mannes zurück. Die Kaiserin ist mit dem Fremden allein in dem stillen Gemache. Das Aeußere dieses Mannes war wenig empfehlend. Eine fast skeletartige Magerkeit, eine Hakennase, hoch hinaufgezogene Augenbrauen und große, stechende Augen machten die Erscheinung des Doctor Gaßner zu einer unheimlichen. Wer war der Doctor Gaßner? Einer jener Männer, wie sie um 1770 durch ganz Europa verstreut lebten, ein Cagliostro oder St. Germain en miniature. Gaßner heilte durch Handauflegen, hatte Visionen, Inspirationen und war nebenbei kein ungeschickter Arzt. Seine Beziehungen zur Geisterwelt hatten ihn in Conflicte mit verschiedenen geistlichen Kurfürsten gebracht, bis er am Hofe Maria Theresia’n Schutz fand, denn die Kaiserin liebte das Geheimnißvolle. Sie unterhielt sich oft mit dem wunderlichen Manne – heute wollte sie eine ernsthafte Probe seines höhern Wissens.

„Doctor,“ begann die Kaiserin, „wir haben heut die Einsegnung meiner geliebten Erzherzogin mit dem künftigen Gemahl vollzogen.“

„Ich weiß es, Majestät. Ich war in der Hofkirche.“

„Sie haben dem Gottesdienste beigewohnt?“

„Ja. Meine Augen hafteten an der glänzenden Erscheinung der Dauphine. Ich las und studirte in den Lineamenten ihres Gesichtes, das nie so reizend war, wie am heutigen Tage.“

„Das ist es gerade, Doctor, worauf ich kommen will!“ rief die Kaiserin lebhaft, „ich will von Ihnen Etwas über meine Tochter hören.“

„Sie wissen, Majestät, ich gebe meine Ansichten nicht gern von mir,“ sagte der Doctor mit leichtem Stirnrunzeln.

„Weiß es Gott, Doctor! Ihr seid karg genug mit Euren Schätzen. Aber jetzt – jetzt sagt Eure Ansicht. Was habt Ihr aus dem Gesichte Maria Antonia’s gelesen? Denkt, wie bald ich sie verliere, denkt, daß Ihr einer Mutter nichts vorenthalten dürft. Was haltet Ihr von meiner Tochter Zukunft?“

„Glauben Eure Majestät denn so fest an mein Wissen?“

„Ich glaube daran.“

„Hüten Sie sich dann nur vor Dero aufgeklärtem Sohne, dem gnädigsten Kaiser Joseph. Seine Majestät lieben die Schicksalspropheten nicht und lachen über die Geheimnisse der Geisterwelt.“

„Ja – er ist ein Freigeist,“ seufzte die Kaiserin, „aber eben deswegen, damit mein Sohn, Niemand meines Hofes Etwas erfahre, ließ ich Euch, Doctor, zu mir entbieten in der Stille der Nacht. Heut ergriff es mich in der Kirche wie mit Krallen; ich will von Euch erfahren – wissen, was die Aussichten meiner Tochter sind. O, seid nur ein klein wenig offenherzig, was Ihr sprecht – ich will es hinnehmen.“

Der Doctor versank in tiefes Sinnen. Er blickte auf die Erde, dann nach einer Pause hob er den Kopf und sagte zur Kaiserin: „Fragen Sie mich nicht weiter, gnädigste Frau.“

„Um aller Heiligen willen,“ rief Maria Theresia, „Doctor, so schlimm ist es? Ich bitte – ich befehle Euch, mir zu sagen, was Eures Geistes Augen in der Zukunft Buche lesen.“ Sie hatte den hagern Arm des Sehers ergriffen. Die stechenden Augen Gaßner’s umschleierten sich, seine Gestalt schien in dem Halbdunkel des Zimmers zu wachsen. Sanft machte er die Hand der Kaiserin von seinem Arme los, holte tief Athem und sagte dann langsam, mit dumpfer Stimme: „Majestät, die herrlichen Schultern Maria Antoinette’s sind bestimmt, ein schweres Kreuz zu tragen.“ –

In dem Taumel der Feste wird die Angst erstickt. Wer wird auch an Alles glauben, was die erhitzte Phantasie sich vorgaukelt? Großes Fest im Belvedere zu Wien. Hundert Arbeiter haben den vierhundert Schuh langen Saal hergestellt, den siebentausend Wachsfackeln erleuchten, dessen Façade zehntausend Lampions umsäumen, innerhalb dessen sich sechstausend Masken belustigen. Springbrunnen von Wein, Schüsseln voll Leckerbissen – Alles zu Ehren der französischen Heirath. Am folgenden Tage giebt der Marquis von Durfort ein Fest im Lichtensteinischen Garten, und so geht es weiter und weiter mit ängstlicher Hast, wie um nicht nachsinnen zu müssen über den Tag, der endlich doch herannaht, der schmerzlich erregende Tag, der 26. April, der Tag der Trennung.

Ein feuchter Morgen, eine matte Sonne. Wiederum ist die große Treppe besetzt mit Menschen, mit stillen, traurigen Zeugen eines Abschieds der Tochter von der Mutter, nicht der Kronprinzessin von der Kaiserin. Auf der letzten Windung der Treppe steht die Fürstin, ihre Arme halten das zitternde Kind umschlungen. „Leb wohl, Toni! leb wohl, tausend – tausend Mal leb wohl! führ’ Dich Gott! denk an uns!“ so flüstert die Kaiserin der Tochter in’s Ohr. Nicht lassen wollen die Beiden von einander, immer wieder schließen sich die Arme um den Hals der geliebten Tochter, immer wieder preßt Maria Antoinette ihr Haupt an die Brust der Mutter. „Schreib recht oft, Toni. Ich werd’ Deine Briefe mit Thränen lesen. Ich schreib’ nicht wie die Sevigné, aber ich lieb’ Dich so unendlich; ich weiß, meine Briefe freuen Dich.“

„Mutter! Mutter!“ schluchzte Maria Antoinette. Dann raffte das junge, schöne Mädchen sich empor, „es muß sein!“ rief sie. Noch einen Druck, noch eine Umarmung. Dann jedem der Geschwister, die dem erschütternden Schauspiele von Weitem zusahen, die Hand zum Abschiede reichend, sagte sie zu Kaiser Joseph: „Dich seh’ ich bald.“

„Gewiß,“ antwortete der junge Kaiser, „ich bin der Erste, der Dich heimsucht.“

Schnell stieg sie die Stufen hinab, unten angelangt wendete sie sich noch ein Mal um, zwei Stufen stieg sie wieder hinauf. „Mutter, wir sehen uns nicht wieder!“ schrie sie laut und wankte zurück. Die Pferde stampften, die Dauphine fühlte sich in den Wagen gehoben, Alles weht mit den Tüchern, zahllose Lebewohls hallen der Scheidenden nach, sie streckt die Arme nach ihrer Mutter aus, ein schneidender, furchtbarer Schmerz zieht durch die Seele – hinweg! hinweg! Der Wagen rollt davon. Maria Theresia blieb auf der Treppe lange in sich gekehrt stehen. Ihre Blicke konnten sich nicht von der Stelle trennen, an welcher sie die entschwundene Tochter zuletzt gesehen hatte. Ihre Kinder umringten sie. Wie aus tiefem Traume erwachend fuhr die Kaiserin auf. Sie stützte sich auf Joseph’s Arm. „Gehen wir,“ flüsterte sie leise. Die kaiserliche Familie ging langsam in das Schloß zurück. Unter dem Thorbogen wendete sich Maria Theresia noch ein Mal um, sie suchte die Stelle, wo ihr geliebtes Kind das letzte Lebewohl gerufen. „Auf ewig,“ murmelte sie. Ihre Lippen bewegten sich leise. Die Kaiserin sprach ein Gebet und trat, das heilige Kreuz schlagend, in die Vorhalle der Burg.

Die Menge verlief sich lautlos. Selbst die zurückmarschirenden Garden, welche beim Abschiede der Erzherzogin Spalier gebildet hatten, schulterten ihre Gewehre, ohne daß ein Commando ertönt war; kein Officier unterbrach die Stille durch lauten Zuruf eines militärischen Befehles. Der Wagen der Dauphine rollte mit seinem lieblichen Inhalte weiter. Ein großer Zug treuer, deutscher Landsleute begleitete die scheidende Prinzessin. Antoinette konnte ihren Schmerz nicht bemeistern. Die Oberhofmeisterin, Frau von Paar, suchte vergebens zu trösten.

Noch war Maria Antoinette in Wien! ist keine Umkehr möglich? Nein, das Band, die Kette der Politik hält sie stark und ewig gefesselt. Immer näher rückt die Grenze, das Weichbild der Stadt, schon eilt der Wagen durch die letzten Vorstädte. „Leb [775] wohl, geliebtes Wien!“ Nur noch der alte, ehrwürdige Dom von St. Stephan ist sichtbar und erglänzt in den Strahlen der Sonne, endlich versinkt auch er, die Häuser sind verschwunden. Die Kutschen rollen auf der Landstraße hin. „Ich werde Wien nie wieder sehen,“ spricht Maria Antoinette ruhig und mit Resignation. Dann schreit sie laut: „Maria Theresia! Maria Theresia!“ und sinkt ermattet in die Kissen des Wagens.




Glänzend begann die neue Laufbahn der Kaiserstochter. Ihr Empfang von der Grenze Frankreichs an bis zur Hauptstadt war eine Kette von Huldigungen, von Triumphen. „Unsere Dauphine“, „der Engel“, „die schöne Maria“, so tönte es von allen Seiten.

Aber inmitten der Freude, aus dem rosigen Nebel, den das Glück um die Sinne Aller ziehen läßt, ragen die Gestalten schon hervor, die einst das irdische Heil Maria Antoinette’s vernichten helfen sollen. Dicht neben ihrem Gatten empfängt sie der alte Ludwig der Fünfzehnte. Die reine, keusche Dauphine liegt in den Armen des Mannes, dessen Laster den Sturz seines Geschlechtes veranlaßten. Dieser Mann fühlt sich beschämt beim Anblick der schuldlosen Jugend Maria Antoinette’s. Dessenungeachtet läßt er seine Maitresse, die Gräfin Dubarry, an einem Tische mit der Tochter Maria Theresia’s speisen! Der Pavillon, in welchem die Neuvermählte zuerst absteigt, ist mit Tapeten behängt. Ein Schauer läuft über den Nacken der Dauphine, als sie die Darstellungen betrachtet: Jason, Kreusa und Medea, das Prototyp unglücklicher Ehen, die Darstellungen des Kindesmordes und hoch über diesen Schauergemälden die Furien in einem Wagen von Drachen gezogen. Das sind die Zierden der Wände des Gemaches, darin Maria Antoinette nach langer Fahrt, nach aufregenden Scenen ausruhen soll.

Straßburg! Gottesdienst in der Kathedrale! vor den Pforten des mächtigen Tempels empfängt die Geistlichkeit, in Pontificalibus, die neue, zukünftige Gebieterin. Beim Aussteigen aus dem Wagen bietet ein schöner, hochgewachsener Mann seine mit kostbaren Ringen bedeckte Hand der Dauphine, um ihr beim Aussteigen behülflich zu sein. Dieser Mann in reicher, prachtvoller Priesterkleidung, in dessen Hand Maria Antoinette die ihrige legte, war Louis de Rohan, Coadjutor, später Cardinal, der unglückliche oder unbesonnene Anstifter des entsetzlichen Handels, der bekannt ist in den Annalen jener Zeit unter den Namen der Halsbandgeschichte.

Keine Wolke zieht über den heiteren Himmel des jungen Ehelebens. Die Scheu, die Zurückhaltung des Gatten weichen bald der zärtlichsten Liebe. Harmlose Freuden in geselligem Kreise, endlich der Einzug in Paris. Zahllose Freudenfeste. Da – steigt die Wolke empor. Ein Feuerwerk zu Ehren des jungen Herrscherpaares. Schlechte Anordnungen bringen einen gewaltigen Tumult hervor, die Menge der Zuschauer drängt sich durcheinander, zerquetscht, zertreten von den Hufen scheuer Pferde, zieht man Hunderte von Leichen aus den wirren Menschenknäueln hervor. Schon bemächtigt sich die Bosheit dieses Ereignisses. Spottlieder tönen überall. Die Feinde der Dauphine regen sich, denn Tugend, Unschuld und Schönheit haben überall ihre Feinde. Die bösartigsten derselben sind im Schooße ihrer eigenen Familie zu finden. Im Finstern schleichen die Intriguen. Jeder Schritt der Dauphine wird mißdeutet, ihr herzliches Lachen ist Frivolität, ihr emsiges Wohlthun Prahlerei, ihr heiterer Scherz Unanständigkeit. Spricht sie freundlich mit einem Cavaliere, so ahnt man verbrecherischen Umgang; ist sie zurückhaltend, so verschreit man sie als stolz. Sie heißt nicht mehr die „schöne Dauphine“, sie heißt die „Rothe“; Frau von Dubarry hat sie so getauft. Der alte König stirbt. Die jungen Herrscher besteigen den Thron. Immer zahlreicher werden die Feinde. Die Krone, welche der König sich zu Rheims auf das Haupt setzt, schneidet einen blutigen Streif in seine Stirne. „Sie drückt mich,“ ruft der König voll Angst. Die Königin Maria Antoinette erbleicht. „Wir sind zu jung, zu regieren. Beten Sie für Ihre unglücklichen Kinder,“ schreibt sie an Maria Theresia.

Wohl drückte diese Krone. Mit ihrer Last stürzte das Unglück des Lebens über die königliche Familie gleich rasenden Wogen her. Das Deficit im Staatshaushalte, die Hungersnoth, zerrüttetes Ansehen, Frivolität im Innern unter den oberen Schichten der Gesellschaft, die Hochzeit des Figaro, die Halsbandgeschichte, der Zusammentritt der Notabeln, Mirabeau, der Sturm der Bastille.

Immer dunkler wird der Himmel. Persönliche Angriffe gegen die Königin werden häufiger. Wo ist die Benennung „himmlische Dauphine“ – „Engel“ – geblieben? Sie heißt nur noch Madame Veto, oder die Bäckerin, oder l’Autrichienne! Allein steht sie in der Fremde. Die theure Mutter, der edle Bruder Joseph, sie sind hinübergegangen in das Land des Friedens. Der wenigen Getreuen, der wahrhaft anhänglichen Seelen werden täglich weniger. Immer mehr hebt die Revolution ihr Haupt. Flucht aus dem entfesselten Paris! Sie wird vereitelt. Von nun an ist jede Schranke gebrochen. Man stürmt die königliche Wohnung; man schleppt die Unglücklichen vor den Richterstuhl der Volksversammlung, Gefangenschaft, Kerker, endlich der Tod!




Maria Antoinette hat alle Leiden, die größten, welche ein Mensch zu ertragen vermag, durchgekostet, den Wermuthbecher bis auf die Neige geleert. Wohl schweifte der trübe Blick der Königin oftmals zurück zu den Hallen der Kaiserburg. „Welch ein Glück! welch eine Größe! welch eine Zukunft!“ so hatte man entzückt gerufen, als das Bild des Dauphins an der Brust Maria Antoinette’s funkelte. Und nun? Sie war gekommen, die schreckliche Gegenwart; dachte sie zurück an Wien, die unglücklichste aller Königinnen, als sie am Morgen des 16. Oct. 1793 den fürchterlichen Karren bestieg? zurück an den rührenden Abschied von der großen, kaiserlichen Mutter? an jene Worte, die sie ausrief in prophetischer Stimmung?

Maria Antoinette hatte Abschied nehmen gelernt. Abschied von der Mutter, von dem Glücke, von der Hoheit, von ihrem Gatten, von ihren Kindern, vom Leben. Unter allen Trennungen war ihr die letzte gewiß die leichteste.

„Lebt wohl, meine Kinder. Ich gehe zu Euerem Vater!“ das waren die letzten Worte der Dulderin, die im Schimmer der kaiserlichen Hofburg, bei dem prunkenden Einzuge in Paris, auf dem Throne Frankreichs selbst nicht größer gewesen, als in dem Augenblicke, wo sie das Schaffot bestieg, als das herniederfallende Eisen ihr Leben durchschnitt und zerriß. Sie war groß in ihrem Elende, heroisch, gewaltig; denn treu hielt zu ihrem bedrohten, dem Tode geweihten Gatten die deutsche Kaisertochter.

Am 17. April 1770 überreichte Abends um sechs Uhr im großen Saale der Burg zu Wien der Gesandte, Marquis von Durfort, der Erzherzogin Marie Antoinette ein Schreiben. Es war der in Ausdrücken des Entzückens abgefaßte Liebesbrief des Dauphins – am 16. Oct. 1793, dreiundzwanzig Jahre später, überreichte Abends sechs Uhr im Cassengebäude des Wohlfahrts-Ausschusses zu Paris ein Mann von schmutzigem Aussehen, eine rothe Jakobinermütze auf dem struppigen Haare, ein Schreiben an den Cassirer. Es war eine Rechnung. Sie lautete:

Kosten

für die Bestattung der Personen, welche, durch das Revolutions-Tribunal zum Tode verurtheilt, gerichtet worden sind.

Den 1. des Monats etc. etc.

(Folgen die Namen der Guillotinirten nebst Kosten der Bestattung.)

Den 16.:

 Die Wittwe Capet (Maria Antoinette).
 Für den Sarg 06 Livres.
 Für die Grube und die Arbeiter 25      „
Joly,
 Todtengräber von la Madelaine,
 de la ville l’Evêque.

Darunter stand:

Zweihundert vier und sechszig Livres sind an den Todtengräber de la Madelaine, Bürger Joly, für gehabte Auslagen und als Entschädigung aus der Nationalcasse zu zahlen.

Jahr II der Republik.

 Herman, Präsident.