Ein gemüthliches Negervölkchen

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Autor: Ernst von Weber
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Titel: Ein gemüthliches Negervölkchen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 242-246
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Kurzbeschreibung:
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Ein gemüthliches Negervölkchen.

Südafrika ist für den Europäer in gewissem Sinne noch immer ein Land der Wunder, mindestens ein Land des Seltsamen und Fremdartigen, und die nicht gerade reichhaltige Literatur über dieses der modernen Cultur noch ziemlich verschlossene Weltgebiet hat in weiteren Leserkreisen bisher kaum Eingang gefunden. Es dürfte daher nicht uninteressant sein, an der Hand eines viel erfahrenen Reisenden[1] Einblick zu thun in einen der eigenthümlichsten Staaten des afrikanischen Erdtheils. Thaba-Nchu ist es, wohin uns unser Gewährsmann führt, die Haupt- und Residenzstadt des Königs Moroka, des Beherrschers der Barolongs. Das von etwa achtundzwanzigtausend Negerunterthanen bewohnte und nur wenige Meilen umfassende Ländchen dieses patriarchalisch waltenden Potentaten liegt wie eine Insel mitten im Oranje-Freistaate, ist aber politisch und administrativ von demselben durchaus unabhängig und nur durch ein Schutz- und Trutzbündniß mit ihm verbunden. Es bietet in seinen seltenen Naturschönheiten und den eigenartigen Lebensgewohnheiten seiner schwarzen Bewohner gar manches Fesselnde und Ungewöhnliche.

„Als die Sonne sich neigte,“ sagt unser Autor gelegentlich seiner Schilderung des Barolong-Landes, ließ ich ausspannen, mein Zelt aufschlagen und ein leckeres Abendessen kochen. Die weite grüne Fläche ringsherum war über und über mit wohlriechenden Kräutern und Sträuchern bedeckt, sodaß man hätte vermeinen können, etwa in einer Apotheke zu sein; so sehr war die ganze Atmosphäre mit stark riechenden, übriges höchst angenehmen Düften angefüllt.

Bei einem Spaziergange nach dem Abendessen ergötzte ich mich an der merkwürdigen Nachtmusik, welche zahllose Frösche von eigenthümlicher Art anstimmten. Ihr Quaken imitirte unglaublich genau das tactgeregelte Castagnettengeklapper andalusischer Tänzerinnen.

Am andern Morgen ging es weiter vorwärts. Die spärlich hier und da erscheinenden kleinen Farmhäuser nahmen nun gar bald ein Ende, und das Grenzwachthaus des Maroka’schen Landes wurde passirt, dem ich natürlich meinen Besuch abstattete, nicht etwa um meinen Reisepaß mit dem Stempel der betschuanischen Duodezmonarchie versehen zu lassen, sondern um Milch und Eier zu kaufen, die mir mit der größten Bereitwilligkeit verabfolgt wurden. Der Grenzwächter war ein langer schmächtiger Neger von intelligentem Gesichtsausdrucke. An den weißgetünchten Wänden seines Lehmhauses waren verschiedene Flinten und eine Guitarre aufgehangen, und nackte, fette, quabbelige Kinder mit weit hervorspringenden Bäuche krabbelten auf dem Fußboden herum und beobachteten mich mit großen verwunderten Augen.

Das Land blieb fortwährend wunderschön grün, denn es war ja Sommerszeit, die Zeit der Regen. Der hohe schwarze Bergstock, von dem Thaba-Nchu seinen Namen hat, und die man schon von Bloemfontein aus sehr deutlich wie eine Mauer am östlichen Horizont aufragen sieht, rückte immer näher und näher und zeigte sich als eine immer bedeutendere, großartige Gebirgsmasse. Am dritten Tage wurden auf den Hügeln zu den Seiten des Weges erst kleinere, dann immer größere und dichtere Ansammlungen von heuschoberähnlichen Negerhütten sichtbar, bis endlich eine unabsehbare Menge von solchen, dicht hingesäet über mehrere Hügelreihen, mir die Ankunft in der großen Negerstadt Thaba-Nchu verkündete.

Ich fuhr bis in die Mitte eines weiten Wiesenplatzes, in dessen Nähe einige europäisch gebaute Häuser standen, und ließ hier ausspannen und mein Zelt aufschlagen, auf dessen Spitze ich demonstrativ meine schwarz-weiß-rothe Flagge wehen ließ, die wohl noch niemals in diesem ignorirten Weltwinkel erschienen [244] war. Eine schöne und ganz originelle Aussicht hatte ich ringsum: die zahllosen über die verschiedenen Bergabhänge hingesäeten und die Gipfel krönenden Negerhütten mit ihrem bienenkorbartigen runden Baue und ihren zugespitzten Grasdächern gaben ein ganz reizendes Bild auf dem smaragdgrünen Wiesenteppich ab, der die Grundfarbe der ganzen Landschaft bildete. Dieses Paradies ländlichen Friedens wurde überragt von einer gewaltigen steilen Gebirgsmauer, auf deren höchsten Gipfeln man die Spuren einer fortificatorischen Anlage, Mauern mit Schießscharten erblickte.

Nachdem ich meine Feldwohnung wieder in aller Ordnung hergerichtet, das ist Stühle, den Feldtisch und das Eisenbett auseinandergeklappt und letzteres durch Roßhaarmatratzen, Schakal- und Tigerkarrossen zu einem eleganten weichen Divan umgewandelt hatte, machte ich einen Spaziergang in die Stadt.

Ich sah eine große, in sehr bunte Farben gekleidete Menschenmasse einen Hügel herabwallen, die einen weithin hörbaren Mordspectakel machte. Als ich näher kam, sah ich, daß es lauter tanzende und springende Gruppen waren, die in langer wie zu einer Polonaise geformter Doppelreihe ihre polkaartigen Sprünge mit tactmäßigem Händeklatschen und grellem Unisonogesange begleiteten. Das Schauspiel interessirte mich ungemein und ich begab mich daher in die Mitte der jubelnden, nach offenbarem Augenschein sich unendlich glücklich fühlenden und sich königlich amusirenden Negermasse. Es waren lauter regelmäßige Paare von Männlein und Fräulein, und alle in blühendster Jugend, bis zu ganz kleinen Kindern herab, die mit gleicher Leidenschaft die rhythmischen Bein- und Handbewegungen mitmachten. Die Männer wie die Frauen und Mädchen waren mit halbeuropäischer Kleidung angethan.

Eine große Masse augenscheinlich niedrigern Volkes, meist Frauen und Kinder, und blos mit Fellen von wilden Thieren bekleidet, standen um die Tanzenden herum als passive Zuschauer.

Einzelne der Tänzerinnen hatten rothe und blaue baumwollene Regenschirme in der linken Hand, mit denen sie sehr graziös während des Tanzes in der Luft herumfuchtelten. Das tolle Durcheinanderspringen aller dieser komischen Gestalten war ungemein amusant, und ich konnte mich daran gar nicht satt sehen. Ein Ballet von Störchen, Gänsen, Enten und Krähen würde ungefähr einen ähnlichen Eindruck auf mich hervorgebracht haben. Und der Gesang! Noch heute summt es mir davon in den Ohren. Aber das Schönste waren die fabelhaft vergnügten, freudenseligen Gesichter. Ein Jubel, eine Lust von solcher Innigkeit, eine Ausgelassenheit von solcher Seligkeit, wie man nur eben bei Negern sie finden kann! Bei einer solchen festlichen Gelegenheit – es war nämlich eine Hochzeit – zeigt sich die primitive, einfache, kindliche Natur der Neger in aller ihrer Liebenswürdigkeit. Wahrlich, das waren nicht mehr die verdorbenen, aufgeblasenen, trunksüchtigen und diebischen schwarzen Halunken von den Diamantfeldern, die jedem, der mit ihnen geschäftlich zu thun hatte, einen Ekel vor der schwarzen Race einflößten, – es war die noch reine, unverfälschte und unverzogene, gutmüthige und liebenswürdige kindliche Natur der schwarzen Race, wie sie nur da sich glücklich erhalten hat, wo dieselbe für sich allein und getrennt von den Weißen hat bleiben können.

Die Anwesenheit eines fremden weißen Gesichts konnte natürlich der ausgelassenen Menge nicht unbemerkt bleiben, aber trotz der allgemeinen Losgebundenheit und Aufregung benahmen sich die Leute mit so auffallender Anständigkeit und rücksichtsvollster Höflichkeit gegen mich, daß ich dadurch die allervortheilhafteste Idee von der Höhe ihres Culturstandpunktes erhielt.

Man machte mir überall respectvoll Platz, wo ich mich aufstellte, um das afrikanische Ballet besser zu übersehen, und als sich dann die ganze Gesellschaft in einen großen Garten begab, in dem verschiedene Hütten, die Hütten der Eltern der Braut, standen, wurde ich sehr freundlich eingeladen, dahin mit zu folgen. Die Zuschauermasse mußte draußen bleiben, nur die Elite von circa zweihundert Personen wurde eingelassen, und jetzt ging für diese eine große Schmauserei an. Den auf winzigen Rohrsesselchen sitzenden oder einfach auf dem Boden kauernden Gästen wurden in aus Gras geflochtenen Schüsseln Rindfleisch und Brei von Kaffernkorn herumgegeben. Nach diesem folgte sogar noch ein höchst wohlschmeckender Kaffee mit Zucker. Um den fremden Gast zu ehren, forderte der Vater der Braut die Masse auf, das Lied „God save the Queen“, übersetzt in die Betschuanensprache, zu singen. Alle erhoben sich und sangen die englische Nationalhymne mit ganz richtiger Intonation, was mir eine hohe Meinung von den musikalischen Talenten dieses Volksstammes beibrachte. Als ich dann die fröhliche Gesellschaft wieder verließ, fesselte mich ein neues interessantes Schauspiel draußen an der Umzäunung des Gartens.

Hunderte von jungen Mädchen, darunter ein Theil mit ganz allerliebsten Gesichtern, hatten sich dort der aus Zweigen geflochtenen Zaunwand entlang aufgestellt, um wenigstens als Zuschauerinnen bei dem Feste mit gegenwärtig zu sein. Keine einzige davon aber hatte europäische Kleidung, sondern alle trugen das primitive, aus alten Zeiten auf heute überkommene, mir viel interessantere Nationalcostüm der echten Kaffermädchen. Die Hüften umschließt eine kurze weiche, mit der Haarseite nach innen gekehrte Karroß von Schakal- oder Wildkatzenfellen. Busen und Arme (und von welcher entzückenden Plastik waren sie, die jeden Künstler bezaubern würde!) sind ohne Verhüllung, ebenso die Beine bis hoch über die Kniee. Ein Gürtel von zierlichen Perlenfransen umgiebt die schlanke dünne Taille; Arme und Beine, sowie Hals und Brust sind mit buntem Perlenschmuck behangen, und eine kokett, wie ein Husarendolman, über die linke Schulter geworfene Karroß (Pelzmäntelchen von den Fellen wilder Thiere) ist ebenfalls auf der auswendigen braunen Lederseite reichlich mit lang herabhängenden Perlenschnüren und hübsch ornamentalen Perlenstickereien verziert.

Das wollige Haupthaar ist zur unteren Hälfte weggeschoren und der darüber stehen gelassene, an eine Cardinalskappe erinnernde Haarwulst zierlich von einer Perlenschnur umfaßt, wovon wieder eine Menge kleinerer Perlenschnüre lockenartig herabfallen. Diese obere Haarbedeckung des Kopfes wird von den Mädchen fleißig mit wohlriechenden Oelen gesalbt, und so kommt es, daß die hübschen Köpfchen so glänzen und glitzern, als wären Brillanten darüber ausgesäet.

Und was die Hauptsache ist, im großen Durchschnitt hatten alle diese Mädchen so feine und intelligente, ja vornehme Gesichtszüge, daß ich mich in ihrer Gegenwart beinahe so befangen fühlte, als seien es lauter englische oder deutsche Balldamen; wenigstens kam ein ganz eigenthümliches Gefühl der Scham über mich, als ich sie mit meinem goldenen Kneifer auf der Nase eine nach der anderen musterte, und in ihren erstaunten, ernsten, edelgeformten Gesichtern etwas wie zürnende Indignation über meine aufdringliche und ihrerseits ganz unprovocirte Beobachtung zu entdecken glaubte.

Ich ging an eine der hübschesten, deren prächtige brennende Augen mich besonders anzogen, heran und bot ihr fünf Schillinge, wenn sie ihre Gefährtinnen veranlassen wolle, zu meinem Wagen zu kommen und dort nach ihrer Art ein Tänzchen aufzuführen. Sie sah mich mit großen, verwunderten und fast zürnenden Augen an und gab mir das Geld zurück. Offenbar hatte sie mein schlechtes Holländisch gar nicht verstanden. Es gelang mir jedoch später, einen jungen Neger zu finden, der ein wenig englisch sprach; diesem theilte ich meinen Wunsch mit, und er versprach mir, die ganze Gesellschaft der reizenden wilden Schönen würde in einem halben Stündchen zu meinem Camp kommen. Dies geschah denn auch, und nun hatte ich ein paar Stunden lang das Schauspiel eines so prächtigen Ballets neben meinem Wagen, wie ich es sicherlich nicht schöner bei einer Aufführung der „Afrikanerin“ in Berlin oder St. Petersburg hätte sehen können: ein graziöses, ausgelassenes und dabei doch vollständig decentes, rhythmisches Durcheinanderspringen dieser heiteren und anmuthigen Kinder der Wildniß, begleitet von fröhlichem Gesange und Händeklatschen in sehr schnellem, an das Gehämmer einer Dampflocomotive in langsamem Laufe erinnerndem Tacte. Und dieses Schauspiel kostete mir nur einige Ellen von buntem Zeuge, die ich aus einem der europäischen Läden hatte bringen lassen und den feurigsten und schönsten der Tänzerinnen präsentirte. Die graziösen, schlangenförmigen raschen Bewegungen dieser so harmonisch und schön modellirten Mädchen hatten etwas von den elastischen Springen der Tigerkatze, und man hätte glauben mögen, daß eine lange Reihe von elegant aus Ebenholz geschnitzten Statuen, durch einen Zauberring berührt, plötzlich zu einem elektrisirten und jubelnden Leben erwacht seien. Wenn ein europäischer Bildhauer auch vielleicht die Gesichtslinien nicht fehlerfrei gefunden haben würde, so [245] hätte er doch an dem gazellenartig zierlichen Bau und den anmuthigen, weichen Wellenlinien ihres schlanken feinen Körpers unmöglich etwas aussetzen können.

Nach vollendetem Tanze zeigte ich den liebenswürdigen Ballerinas von Thaba-Nchu vor meinem Wagen allerhand Curiositäten und Seltenheiten, namentlich aber meine Sammlung von afrikanischen Photographien. Vorher ließ ich sie mein eigenes Bild beschauen, das von den umstehenden schwarzen Gazellen sofort erkannt wurde, wie mir die nächststehende und kühnste deutlich dadurch zu verstehen gab, daß sie mich mit schelmischem Lächeln an meinem langen Schnurrbarte zupfte und dabei auf das Bild wies. Nun brachte ich mein einen Fuß im Durchmesser großes Vergrößerungsglas heraus, welches die Photographien vollständig bis zur Lebensgröße darstellt. Wie soll ich aber den immensen Jubel beschreiben, welcher unter meinen schönen Zuschauerinnen entstand, als ich einige Dutzend von Photographien von Negermädchen eine nach der anderen hinter das Glas hielt! Es war ein solches reines und kindliches Entzücken ohne Ende, daß ich gewünscht hätte, meine Bildersammlung möchte nie ein Ende nehmen.

Dann kam das Brennglas an die Reihe, womit ich einigen mitanwesenden schwarzen Jungen ein wenig die Haut versengte – zu ihrem panischen Schrecken, aber zur großen Genugthuung der übrigen Gesellschaft – dann meine Uhr, meine Kleider, mein Zelt, mein Bett, mein Spiegel — alles wurde befühlt und betupft und bewundert, am meisten aber das Innere meines Wagens, welcher in seiner wirklich eleganten Ausschmückung den Eindruck eines fahrenden Königspalastes zu machen schien.

Nachdem meine liebenswürdigen Gäste sich an allen diesen fremdartigen Herrlichkeiten recht satt gesehen hatten, sagte ich ihnen gute Nacht und zog mich in meinen Wagen zurück, von dessen Fenstern aus ich noch lange die fröhlichen Gesänge der in langer Procession heimkehrenden ‚Rosen von Südafrika‘ zu mir herüberhallen hörte.

Am nächsten Morgen hatte ich wieder eine drollige Ueberraschung. Als ich meinen Kopf zum Fenster hinaushielt, sah ich meinen Wagen umgeben von ungefähr einem Dutzend junger Mädchen, die mich ehrfurchtsvoll und mit bittenden Geberden ansahen. Mein Hottentott Isaak, den ich befragte, was sie denn von mir wollten, antwortete mir, sie wünschten – man erschrecke nicht! – daß ich ihnen den Dung meiner Ochsen überlassen möchte, und zwar habe eine jede von ihnen die specielle Bitte, ihr allein, mit Ausschluß der andern, diese ehrenvolle Vergünstigung – jedenfalls ein sehr eigenthümliches Monopol – zu gewähren.

Das einzige Brennmaterial im Lande ist nämlich getrockneter Rinderdung, und solchen zu sammeln ist bei einer so dicht zusammengedrängten Bevölkerung von 25000 Schwarzen keine leichte Sache, denn alle Frauen und Mädchen der ganzen mit dem gemeinsamen Namen Thaba-Nchu belegten Ansammlung von Negerdörfern sind von früh bis in die Nacht auf der Jagd nach diesem kostbarsten aller Stoffe.

Ich war nun freilich bei der mir zugemutheten Entscheidung und Wahl zwischen so liebenswürdigen Bewerberinnen fast in einer ähnlich üblen Lage wie einst Paris mit dem verfänglichen Apfel, und ich gab zuletzt den mir am weisesten scheinenden Richterspruch, daß der Dung immer derjenigen gehören solle, die am ersten an der Stelle sei, um ihn wegzunehmen.

Der frische Dung wird von den Negerinnen zunächst in ihren Gärten an der Sonne getrocknet und dann in dicke harte Scheiben geformt und gepreßt. Den Rest, den sie nicht für sich selbst brauchen, pflegen sie an solche zu verkaufen, die nicht persönlich mit auf die Düngerjagd ausziehen, also an die vornehmeren Einwohner der Stadt und an die wenigen hier wohnenden Weißen. Welchen hohen Werth der getrocknete Dung hier hat, ist daraus zu ersehen, daß ich für meinen spärlichen Küchengebrauch jeden Tag für zwei bis dreieinhalb Mark kaufen mußte, nur um das nothwendigste Küchenfeuer dreimal täglich zu unterhalten.

Es war für mich ein großes Vergnügen, Morgenspaziergänge innerhalb dieses interessanten Chaos von Bienenkörben und Heuschobern zu machen, den man Thaba-Nchu nennt. An einen regelmäßigen Stadtplan ist natürlich nicht zu denken; die Hütten sind ohne alle Ordnung durch einander gewürfelt, und zahlreiche schmale Fußwege krümmen sich in allen Richtungen durch dieses bunte Labyrinth.

Der Bauplan aller Hütten ist ganz genau derselbe: ein kreisförmiger Bau von mit Lehm beworfenem Rohr, gedeckt mit spitz auslaufendem Grasdach. Das Innere ist ein dunkler Raum ohne Fenster, so hoch, daß ein Mann darin bequem aufrecht stehen kann. Er ist in mehrere, durch thürartige Oeffnungen verbundene, kleinere Räume getheilt, von denen der eine als Schlafgemach, die anderen als Küche und Besuchszimmer dienen. Um die Hüttenwand herum geht eine Art enger verandaartiger Gallerie, welche noch von dem vorspringenden und rings herum auf schmalen Holzsäulchen gestützten Grasdach gedeckt wird und so bei Regenwetter trockene Unterkunft bietet.

Die Hütten und ihre sie umgebenden, von Lehmmauern oder Zäunen eingefaßten Höfe sind durchweg sehr sauber und reinlich gehalten, und es sind mir überhaupt diese Barolongs als eins der reinlichsten Kaffernvölker erschienen.

Bei schönem Wetter (welches dort immer das vorherrschende ist) finden alle häuslichen Arbeiten: Küche, Wäsche, Zerstoßen des Korns etc., im Hofe statt. Ein Spaziergang durch dieses Labyrinth von Hütten und Gärtchen (denn jede Hütte hat ihr Gemüse- und Fruchtgärtchen neben sich) ist deshalb so interessant, weil man in allen Höfen über die niedrige Lehmmauer hinweg das volle Familienleben und die ganze Hauswirthschaft in Thätigkeit sieht. Perlengeschmückte Frauen bereiten das stereotype Mittagessen zu: Brei aus Kaffernkorn; nackte Kinder spielen mit Hunden neben ihnen; der Mann liegt rauchend vor der Hütte oder ist in eifriger Unterhaltung mit Gästen begriffen. Ein tiefer Friede scheint überall zu herrschen; ich hörte nie einen Streit, ein Gezänk oder einen heftigen Wortwechsel. Es begegneten mir immer nur wenige Wanderer in den stillen und engen gewundenen Straßen; entweder war es ein junges Mädchen mit frischem und lachendem Gesicht und reizend elastischem, an das Hingleiten der Schlange erinnerndem Gange (das, was die Spanierinnen ‚Schwimmen‘ nennen, indem sie den Gang der Engländerinnen Marschiren, den der Französinnen Trippeln nennen, für sich aber das Schwimmen in Anspruch nehmen), oder es war ein altes Weib, bedeckt von einer langen, nach inwendig getragenen Karroß und auf dem Kopfe eine unförmige Pelzmütze von sehr altväterischer Form, oder einen zugespitzten Grashut à la chinoise, der mit seinen herabhängenden Seiten sehr an einen Champignon oder Steinpilz erinnert. Aus Gras wissen die Frauen hier alle möglichen Dinge zu flechten: Hüte, Schüsseln, Krüge, Töpfe, Teller etc.

Das Innere der Hütten ist im heißen Sommer sehr kühl, im kühlen Winter recht angenehm warm und daher ganz dem Klima des Landes angemessen. Ich sah öfter vor den Hütten ungeheuere Haufen von einer braunen Masse aufgethürmt. Als ich sie näher untersuchte, fand ich, daß es getrocknete und geröstete große Heuschrecken waren, deren Wohlgeschmack mir sehr gerühmt wurde, und die in solchen Feimen für lange Zeit aufbewahrt werden.

Alle Morgen um sechs Uhr hörte ich das Betglöckchen der wesleyanischen Mission die Gläubigen zusammenrufen und dann harmonischen Kirchengesang von daher ertönen. Ich machte dem Missionar, einem gewissen Herrn Daniels, meinen Besuch und fand in ihm einen sehr gebildeten und angenehmen Mann. Er sagte mir, daß König Maroka, wenn er auch selbst nicht persönlich das Christenthum angenommen habe, doch demselben im Ganzen sehr günstig gesinnt sei und der Mission keine Hindernisse in den Weg lege; auch sei seine erste Frau, die Königin, eine Christin.

Auf meine Bitte, mich dem Könige vorstellen zu wollen, ging Herr Daniels bereitwillig ein und ersuchte mich, am folgenden Morgen um zehn Uhr mit ihm den Besuch zu machen. Er holte mich zur bestimmten Zeit in einem Wagen ab, und nach zehn Minuten hielten wir vor dem königlichen Platze, einer weiten Umzäunung, in deren Mitte mehrere mit Gras gedeckte Hütten standen, die sich in der Bauart durchaus nicht von dem allgemeinen Typus dieser Negerhütten unterschieden, wohl aber im räumlichen Umfange, denn sie schienen mir wenigstens zehnmal größer zu sein.

Eine Art Empfangssalon unter sehr hohem Grasdache befand sich in der Mitte; derselbe hat für ein paar Hundert Personen Platz und dient für große Versammlungen und feierliche [246] Gelegenheiten. König Maroka, ein alter Herr mit freundlichem Gesicht und weißem Vollbarte – so viel oder vielmehr so wenig als ihn der Haarwuchs eines Betschuanen hergiebt – empfing mich in der Mitte seines Rathes, einiger bejahrten schwarzen Herren in europäischem Costüm, während der König selbst nach afrikanischer Mode nur mit schönen Karrossen bekleidet war. Nur bei seinen seltenen Besuchen in Bloemfontein trägt auch er einen europäischen Paletot und Cylinderhut.

Zwei Lehnstühle waren vor dem Empfangssalon in’s Freie gestellt, worauf Herr Daniels und ich eingeladen wurden, Platz zu nehmen, und nun begann eine den Umständen angemessene, durchaus den feinsten europäischen Höflichkeitsformen entsprechende Unterhaltung. Dann stellte mich der König seiner ersten Gemahlin vor, der Königin die als solche den Vorrang vor allen seinen anderen Gattinnen hat. Sie befand sich im gegenüberliegenden Winkel des Hofes und präsentirte sich als eine freundlich blickende Frau von einigem Embonpoint. Auch sie war nur mit kostbaren Karrossen von Goldschakal und grauer Zibethkatze bekleidet. Sie wird von ihren Unterthanen allgemein ‚die Mutter des Volkes‘ genannt und muß also diesen Ehrentitel wohl auch verdienen.

Ich fragte nun nach dem Wohlsein der Kinder. Maroka hat deren nicht weniger als fünfundsechszig; sie waren daher wie Orgelpfeifen in allen Größen vorhanden. Je älter ein afrikanischer Fürst wird, desto reicher pflegt er zu werden, durch das natürliche Zunehmen seiner Heerden und das Verhandeln seiner Töchter an reiche und einflußreiche Männer, wodurch seinen Heerden (da das Kaufgeld nur in Vieh gezahlt wird) immer neuer Zuwachs zufließt. Auch die Strafen für von Unterthanen begangene Verbrechen müssen, da Gefängnisse in den Ländern der Schwarzen eine vollständig unbekannte Sache sind, an den König stets ausschließlich in Vieh entrichtet werden, sodaß seine Heerden in einem fort anschwellen und ihn dadurch in den Stand setzen, immer noblere, schönere, jüngere und daher theuerere Weiber zu kaufen. Eine natürliche Folge hiervon ist, daß das letzte Weib gewöhnlich das jüngste und geliebteste ist, und daß der älteste König, wenn keine anderen Umstände ihm solches Glück versagen, oft noch ganz winzig kleine Kinder hat.

Als ich bat, mir einige der Kinder zu zeigen, wurden mir mehrere Mädchen vorgeführt, die mir höchst liebenswürdige europäische Knickschen machten und halb europäisch, halb kafferisch gekleidet waren. Eine davon, die etwa neunjährige Prinzessin Marguerite, abgekürzt Magi, war ein ganz reizendes kleines Wesen. In einem feingeschnittenen, intelligenten und edel geformten Gesicht hatte sie ein paar Augen – nun, in meinem Leben habe ich nie solche Augen gesehen, von einer Größe, einer Schwärze auf schneeweißem Grunde, einem solchen Lichtglanze wie ein paar brennende kleine Sonnen. Dabei hatte sie einen sehr üppigen Haarwuchs, ähnlich dem der Zulus und Mulatten, der ihr mehr die Erscheinung einer sehr dunkelfarbigen Italienerin oder Spanierin gab, als die einer Negerin.

Als ich nun dieses prächtige, für ein Negerkind unvergleichlich schöne kleine Wesen sah, fuhr mir plötzlich eine romantische Idee durch den Kopf. Wie, wenn ich versuchte, den kleinen schwarzen Engel unter meine Obhut zu bekommen, ihn mit nach Europa zu nehmen und dort durch eine ausgesuchte Erziehung und durch sorgfältig gewählte deutsche Lehrer alle Talente, die in dem klugen rehäugigen Köpfchen etwa schlummern konnten, zum Leben zu erwecken? Wenn Magi z. B. ein Talent für Musik hätte, wäre nicht die Idee, eine schwarze Opern- oder Concertsängerin heranzubilden, eine vielversprechende und zukunftsreiche? Würde eine solche nicht, wenn dabei noch so hübsch in ihrer äußeren Erscheinung, mit der Zeit ein großes Vermögen in Europa erwerben, und so eine viel höhere Existenzstufe erreichen können, als ihrer in Afrika als Frau Nummer so und so viel eines untergeordneten Kaffernhäuptlings wartete? Und außerdem, welche freundliche Aussicht, einem so anmuthigen kleinen Wesen durch liebevolle Pflege und Fürsorge mit der Zeit ein Gefühl kindlicher Liebe und Anhänglichkeit einzuflößen, und sich daran zu ergötzen, wie die zarte tropische Wunderblume in den europäischen Salons von aristokratischen Damen caressirt und gehätschelt werden würde!

Ich gab meiner Idee sofort Ausdruck und fragte den König, ob er, da er ja so außerordentlich zahlreiche Kinder habe, eventuell nicht eins davon, und zwar Magi, würde meinem Schutze und meiner Pflege zum Zwecke einer europäischer Erziehung anvertrauen wollen? Da meine Person seinem großen Freunde, dem Präsidenten des Oranje-Freistaates, wohl bekannt sei, so würde ihm jede mögliche Garantie für die gewissenhafte Erfüllung meiner Zusicherungen gegeben werden.

Die Antwort des Königs war kurz und entschieden. Er rief Magi zu sich heran, nahm sie auf seinen Schooß, küßte sie herzlich und ließ mir verdolmetschen, daß er jedes andere Kind, nur nicht dieses mir abtreten würde, denn es sei sein Augapfel und die größte Freude seines Herzens. Magi war offenbar mit dieser Entscheidung gar nicht unzufrieden, denn sie schmiegte sich liebkosend an die Brust des greisen Vaters und warf mir aus dessen Armen einen lieblich schelmischen Blick zu – das war im wunderschönen Land der Barolongs.“

  1. Wir entnehmen die nachfolgenden Schilderungen dem höchst fesselnden Buche „Vier Jahre in Afrika“ von Ernst von Weber, welches in diesen Tagen bei F. A. Brockhaus in Leipzig erscheinen wird. Autor und Verleger haben uns die Benutzung der Aushängebogen freundlichst gestattet.
    D. Red.