Ein guter Rat für Leute, welche viel zu schreiben haben

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Titel: Ein guter Rat für Leute, welche viel zu schreiben haben
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aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 259
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[259] Ein guter Rat für Leute, welche viel zu schreiben haben. Der Dichter der „Nibelunge“ Wilhelm Jordan berichtet in seinen „Episteln und Vorträgen“ sehr interessant über die Erfahrungen, welche er mit der Linksschrift machte. Als ihm nämlich eines Tages die übermüdete rechte Hand beim Schreiben den Dienst versagte, fing er an, sich mit der linken Hand im Schreiben zu üben. Hat man beim Rechtsschreiben die Gewohnheit, das Papier entweder so zu legen, daß sein oberer oder unterer Rand mit der Schreibtischkante gleichläuft, oder für das Auge noch bequemer so, daß die Zeilen in einem Winkel von etwa 30 Grad bergan laufen, so empfiehlt es sich nach Jordans Angabe, für die Linksschrift das Papier stets schräg und ebenfalls in einem Winkel von ungefähr 30 Grad, aber an der entgegengesetzten Seite hin aufzulegen, so daß es nach rechts geneigt erscheint und die Linksschrift von links oben nach rechts unten bergab geht.

Beim Linksschreiben würde nämlich – wenn man nicht etwa Spiegelschrift schreibt, wovon hier nicht die Rede ist – die schreibende Hand das entstehende Wort verdecken, falls man die Zeilen in gleicher Linie mit der Tischkante oder bergan laufen ließe, und dies Verdecken erschwert die Aufsicht, welche das Auge über die schreibende Hand beständig übt und üben muß. Dadurch, daß man die linkshändigen Zeilen bergab gehen läßt, wird das Verdecken des entstehenden Wortes einigermaßen vermieden. Fast ganz vermieden aber wird es durch eine zweite Maßregel. Während man bei der Rechtsschrift die Buchstaben meist etwas nach rechts geneigt sein läßt, empfiehlt es sich für die Linksschrift, sie vielmehr nach links zu neigen; die Feder giebt in diesem Falle die entstehenden Buchstaben fast so vollständig frei wie bei der Rechtsschrift.

Jordan widmete der Linksschrift täglich eine halbe Stunde, und schon nach vierzehn Tagen hatte er eine brauchbare zweite Schreibhand. Da die Linksschrift natürlich langsamer ging als die Rechtsschrift, so eignete sich diese besser zum Abschreiben, jene aber besser zur Niederschrift eines ersten Entwurfes. Jordan bekennt, daß die Rücksicht, die er auf die langsamer schreibende Linke nehmen muß, ihm zugleich ermöglicht, der Versuchung zum Ueberhasten des Satzbaues und der sprachlichen Wendungen zu widerstehen, welche durch das schnelle rechtshändige Schreiben leicht gegeben ist. Nach einigen Monaten zeigte sich, daß die linke Hand überhaupt an Geschicklichkeit zunahm. Sie drängte sich förmlich vor, um der rechten gleichsam zuvorzukommen, so beim Knöpfen der Kleidung, beim Aufziehen der Uhr, und das Ausführen gewisser schwieriger Stöße beim Billardspiel wurde erst durch die geübte Linke möglich. Jordan konnte bemerken, daß die Muskeln des linken Armes, der linken Brusthälfte, ja der ganzen linken Körperseite stärker wurden.

Noch merkwürdiger aber ist eine andere Beobachtung. Die ausgebildete Fertigkeit des Gehirnes, die Rechte schreiben zu lassen, erleichtert das linkshändige Schreiben ungemein, überträgt sich aber nicht unmittelbar auf die entsprechenden Bewegungsnerven; für die linke Hand muß eine andere Abteilung des Gehirnes in Thätigkeit treten, und so wird das Spiel der Nerven überhaupt reicher, behender und kraftvoller; Jordan hatte sogar die Empfindung, daß seine Gedankenwerkstatt um einen bisher unbenutzten Raum erweitert sei. „Eigenartig erfindsame Vorstellorgane von jungfräulicher Frische,“ schreibt er, „schienen fortan arbeitsfroh mitzuwirken.“ Eine Probe wird den Leser bald überzeugen, daß das nach Jordans Anweisungen betriebene Linksschreiben nicht schwer zu lernen ist.