Ein preußischer Kriegsreservist

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: J. A. D.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein preußischer Kriegsreservist
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 526
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[526] Ein preußischer Kriegsreservist. Während der Mobilmachung der preußischen Armee zu dem gegenwärtigen Kriege mit Frankreich wünschte mich eines Vormittags ein Landmann aus dem unserer Stadt nahe gelegenen Dorfe S. in einer Privatangelegenheit zu sprechen. Nach Erledigung seines Anliegens theilte mir derselbe noch mit, daß er mit dem am künftigen Morgen abgehenden Personenzuge der ostpreußischen Südbahn die Reise nach Königsberg antreten müsse, weil er nach der in vergangener Nacht erhaltenen Ordre sich dort bei seinem Regimente zu gestellen habe.

„Diese Einberufung,“ fuhr der Mann fort, „trifft mich zu einer Zeit, in welcher ich in meiner Wirthschaft vollständig unentbehrlich bin. Seit Kurzem erst habe ich den Bau eines Wohnhauses unternommen, welches kaum zur Hälfte fertig ist, und mit nächster Woche wollte ich die Getreideernte beginnen. Meine kleine Besitzung, überhaupt meine pecuniären Verhältnisse gestatten es nicht, einen Stellvertreter anzunehmen, und meine Frau, welche in der Regel während meiner sonstigen Abwesenheit die Wirthschaft führte, sieht ihrer nahen Entbindung entgegen.“ Indem ich dem Manne mein Bedauern über seine mißliche Lage zu erkennen gab, fragte ich ihn gleichzeitig, ob er nicht den Versuch zu einer Reclamation gemacht habe.

„Das würde ich dieses Mal auf keinen Fall thun,“ erwiderte hastig der junge Landmann, „denn in dem Kriege mit Frankreich finde ich Gelegenheit, ein meinem verstorbenen Vater gegebenes Versprechen zu erfüllen.“ Diese von einer besonderen Begeisterung begleiteten Worte des Sprechers machten mich aufmerksamer, weshalb ich den Wunsch ausdrückte, zu erfahren, welcher Art das Versprechen sei.

„Mein Vater,“ fuhr derselbe fort, „kämpfte bereits im Jahre 1806 gegen die Franzosen und gerieth während der Schlacht bei Jena in französische Gefangenschaft. Sowohl die Erniedrigung des Vaterlandes als auch die schimpfliche und barbarische Behandlung, welche ihm und seinen gefangenen Cameraden und Landsleuten in Frankreich zu Theil wurde, hatten einen unauslöschlichen Franzosenhaß in ihm erweckt, welcher bis zu seinem Tode fortdauerte. Freudig und voll Hoffnung, die erlittene Schmach zu rächen, rückte er mit dem Beginn der Freiheitskriege wiederum in’s Feld, wurde jedoch bei Leipzig schwer verwundet und dadurch gehindert, an der weitern Fortsetzung des Kampfes Theil zu nehmen. Der in Paris 1815 erfolgte Friedensschluß entsprach seinen Erwartungen durchaus nicht, indem nach seiner Ansicht die verbündeten Fürsten mit Frankreich und den Franzosen die Sache viel zu glimpflich und gelinde abgemacht hätten. ‚Eine solche Schonung und Rücksicht hat Frankreich nicht verdient,‘ äußerte er oft, ‚und da man unterlassen hat, das Franzosenvolk in der rechten Weise zu züchtigen, so wird seine Ruhe Deutschland gegenüber gewiß nur von kurzer Dauer sein.‘ Von seinen fünf Söhnen ließ er sich noch kurz vor seinem Tode das Versprechen geben, daß alle, sobald es zum Kriege mit Frankreich käme, nach Kräften bemüht sein sollten, den Franzosen den Kopf zu waschen und die erlittene Schmach ihres Vaterlandes und ihres Vaters als wackere Soldaten zu rächen. Leider ist nun schon einer meiner Brüder vor Düppel, der andre bei Trautenau gefallen, ohne dem Wunsche des Vaters gerecht werden zu können. So viel ich indeß weiß, sind meine beiden noch lebenden Brüder schon nach dem Rheine abmarschirt, den ich wohl auch in Kurzem begrüßen werde. Gott schütze mein Weib und meine Kinder!“

Bei diesen Worten reichte mir der Mann die Hand zum Abschiede, welche ich bewegt durch den Gedanken, es könnte dieses ein Scheidegruß für Zeit und Ewigkeit sein, ergriff, dem Abziehenden in tief empfundener Theilnahme den göttlichen Beistand wünschend.

Rhein, im Juli 1870.
J. A. D.