Ein reisendes Haus

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Textdaten
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Autor: M. Pabke
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Titel: Ein reisendes Haus
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 223
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[223] Ein reisendes Haus. Wer hat nicht, als er „Aladin’s Wunderlampe“ las, das Erstaunen des Sultans, als dieser sich eines Morgens die Augen umsonst rieb, um den Palast seines Schwiegersohnes zu sehen, der nicht mehr da stand, mitgefühlt? Und wer hat sich nicht mit ihm gefreut, als wieder eines schönen Morgens der Wunderpalast am alten Flecke stand? Ein ähnliches Gefühl, wie das Erstaunen des Sultans, ergriff mich, als ich in Amerika eines Morgens den Ausgang der Straße, in der ich wohnte, nicht mehr fand – die Straße war eine Sackgasse geworden, ein großes Haus sperrte sie; à la Sultan rieb ich mir die Augen, und mein Mund öffnete sich in sprachlosem Erstaunen, als plötzlich das große, zuvor nie gesehene Haus zu zittern begann; es schien, als streifte es an den Zweigen und Aesten der hohen Ahornbäume unsrer Straßenallee.

Das Knistern und Krachen der Zweige war aber zu realistisch wahr, und jetzt brach sogar ein schöner Ast und fiel zur Erde; das Haus machte einen förmlichen Ruck, in der Art, wie die Bilder in den Panoramas wechseln und jetzt war das Räthsel gelöst. Kein Märchen aus „Tausend und Eine Nacht“ spielte sich vor meinen Blicken ab, sondern eine herrliche, eine praktische amerikanische Erfindung – das Haus wurde „ge-moved“, es wurde versetzt, an einen anderen Ort hingeschafft. Was ich mir so sehr zu sehen gewünscht und in meinem innersten Innern doch immer für einen kleinen Humbug gehalten, das fand jetzt vor meinen Augen statt.

Das Haus war einstöckig, wie sie hier alle sind, hatte zehn Zimmer, Küche, Bade- und Bodenzimmer. Es war von den Fundamenten abgehoben und auf runde Hölzer gesetzt worden; ungefähr am Mittelbalken des Hauses, der über dem Keller zu liegen kommt, waren Ketten befestigt, welche zu einer Winde liefen, die zwanzig Klafter vom Hause in der Mitte der Straße eingegraben war. Bei dieser Winde saß ein Mann, der die Ketten immer genau richtete, damit sie sich nicht verwickelten. Ein Pferd ging langsam im Kreise um die Winde herum, in dieser Weise das Haus die zwanzig Klafter heranziehend; war dasselbe dort angelangt, so wurde die Winde mit den Ketten auf ein Brett mit Rädern gestellt, und das Pferd zog nun wieder zwanzig Klafter weit vorwärts, mußte sich dabei aber furchtbar anstrengen; dann wurde die Winde neuerdings eingegraben, und die Geschichte fing von vorn an.

Bei dieser ganzen Arbeit waren nur sieben Mann beschäftigt, der eine, welcher die Winde besorgte, ein Mann, welcher auf dem Dache des Hauses stand und Acht geben mußte, daß kein Telegraphendraht hängen blieb und die Aeste der Bäume sich nicht am Schornstein oder den Giebeln verfingen, der Baumeister, welcher die Richtung ausmaß und angab und das Ganze leitete, und vier Männer, welche die Walzen rückwärts immer wegnehmen und vorn wieder einlegen mußten.

Es sah zu schön und merkwürdig aus, wie sich das Haus langsam und majestätisch vorwärts bewegte. Die Zimmer waren alle eingerichtet, Bilder und Spiegel an den Wänden. Der Blitzableiter hing sehr komisch, [224] in der Luft baumelnd, an der Seite herab; auch die Dachrinnen sahen recht lächerlich aus, da die Röcke der Männer daran hingen.

Mir war, als machte das Haus eine ganz wichtige und wieder auch neugierige Miene, und besonders der Schornstein hatte alle Augenblicke etwas zu bedenken; bald versteckte er sich in die dichtbelaubten Zweige und wollte sich um keinen Preis von dem frischen, jungen Grün trennen; dann stieß er, erbost über seine Ohnmacht, an die Telegraphendrähte, die sich hochgestellt genug geglaubt, und machte manches Telegramm unverständlich und unleserlich – kurz, das Reisen und diese Art Fortschritt hatten dem guten alten Schwarzgebrannten den rauchige Kopf verdreht.

Besser benahm sich der wilde Wein, der in armsdicken Ranken an den Holzsäulen der kleinen, das Haus umgebenden Veranda hing und dessen Wurzeln mit dem sie umgebenden Erdreich ausgegraben und in festen Säcken aufgebunden waren; ängstlich hielten die jungen Triebe sich am Holzwerk fest angeklammert, und man sah ihnen an, wie sehnlich sie für ihre nährenden Wurzeln festen Grund und Boden herbeiwünschten; sie versagten sich sogar den sonst so regen und natürlichen Wunsch, sich überall anzuranken, und umsonst hielten die schönen Ahornbäume verführerisch ihre Aeste und Zweige hin; der fortgesetzte Hader und Zank mit dem Schornstein hatte jene vorsichtig gemacht, und die Mörtel- und Ziegelbröckchen, welche er ihnen in’s Gesicht warf, sagten nur zu deutlich, daß „stille halten“ hier das Weiseste sei; so ringelten sich ihre kleinen Ausläufer in sich selbst zusammen „bis auf Weiteres“.

Das Haus war ziemlich weit hergekommen, und ehe es diese Straße erreicht hatte, war schon eine Nachtstation gehalten worden; es hatte noch eine Tagereise zu machen, bis es an Ort und Stelle war.

Natürlich wurde das Haus nicht an der Vorderseite gezogen, sondern es stand der Länge nach in der Straße, da dieselbe im anderen Falle zu schmal gewesen wäre. Es war mit Fachwänden gebaut, halb Holz halb Ziegel, man sagte mir aber, daß auch Häuser ganz aus Stein in derselben Weise transportirt werden, und nicht nur auf ebener Straße, sondern auch Berg auf, Berg ab. Ich selbst habe später auf halbem Berge, in sehr schiefer Stellung, einmal so ein „ausruhendes“ Haus getroffen, welches über Sonntag stehen zu bleiben hatte.

Eigentlich that es mir leid, dieses Phänomen mit eigenen Augen gesehen zu haben, denn der Zauberpalast Aladin’s kommt mir nicht mehr so wunderbar vor – am Ende war der böse Zauberer ganz einfach ein um einige Jahrhunderte zu früh auf die Welt gekommener amerikanischer Baumeister.

So geht es denn mit all unseren Märchen und Zaubergeschichten; das wirkliche Leben streift viel ab von dem Gold- und Blüthenstaub, der auf ihnen ruht; es braucht daher eines reichen Schatzes, um bis an’s Ende damit auszukommen.

M. Pabke.