Ein thüringischer Volksdichter

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Autor: Richard Keil
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Titel: Ein thüringischer Volksdichter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 193–195
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein thüringischer Volksdichter.


Schon oftmals ist darauf hingewiesen worden, daß in den Erzeugnissen der Dialektdichter die Eigenart der einzelnen Volksstämme am deutlichsten und vollständigsten sich widerspiegelt, da in jeder Volksmundart sich ein eignes inneres Leben ausspricht, aus welchem in feineren Abstufungen eine besondere Nationalcharakteristik sich ergiebt. Die Anerkennung dieser cultur- und literarhistorischen Bedeutung der Dialektdichtung war es, welche den Altmeister Goethe veranlaßte, nächst den in Nürnberger Mundart verfaßten Gedichten des Bürgers und Stadtflaschners Johann Conrad Grübel zu Nürnberg (1800) und dem in der Straßburger Mundart herausgegebenen Lustspiele des Straßburger Professors Georg Daniel Arnold, „der Pfingstmontag“ (1816), namentlich die Gedichte desjenigen deutschen Dichters rühmend zu empfehlen, welcher auf dem Gebiete des Volksthümlichen die Meisterschaft erreicht hat, die Gedichte des in ganz Deutschland und über dessen Grenzen hinaus bekannten und geschätzten Classikers oberdeutscher Dialektdichtung, Johann Peter Hebel. Von ihm, dessen „alemannische Gedichte“ Goethe „allgemein erfreuliche“, und den selbst er „unschätzbar“ nennt, rühmt der Altmeister mit Recht: „Wünschen wir dem Oberrhein Glück, daß er des seltenen Vorzugs genießt, in Herrn Hebel einen Provinzialdichter zu besitzen, der, von dem eigentlichen Sinne seiner Landsleute durchdrungen, von der höchsten Stufe der Cultur seine Umgebungen überschauend, das Gewebe seiner Talente gleichsam wie ein Netz auswirft, um die Eigenheiten seiner Lands- und Zeitgenossen auszufischen und der Menge, ihr selbst zur Belustigung und Belehrung, vorzuweisen etc.“

Anton Sommer.

Um so erfreulicher ist es, daß auch andere deutsche Volksstämme treffliche Dialektdichter aufzuweisen haben, in deren Erzeugnissen die Eigenheit des einzelnen Volksstammes sich deutlich wiederspiegelt. Die Literaturgeschichte verzeichnet als solche Dialektdichter für das plattdeutsche Gebiet Klaus Groth und Fritz Reuter, für Oberschwaben Weitzmann, für das sächsische Vogtland Wild, für das sächsische Erzgebirge Grund, für Henneberg Motz, für Coburg Friedrich Hofmann, für Oesterreich Kaltenbrunner und Castelli, für Baiern und die Rheinpfalz Kobell etc. Alle Diese haben, mit größerem und geringerem Erfolge, als Volksdichter im eigentlichen Sinne mit dazu beigetragen, die Besonderheiten der von ihnen vertretenen Volksstämme in ihrer Mundart darzustellen und ihre Sitten und ihre Denkweise den anderen deutschen Stämmen näher zu bringen. Zu dem Kreise dieser Dialektdichter gehört auch Derjenige, welchem gegenwärtiger Aufsatz gewidmet ist und welcher einen der biedersten, treuesten deutschen Volksstämme in das Gebiet dieser Dichtungsweise gezogen hat, den Stamm des Thüringer Volks.

Es sind nun schon länger als fünfundzwanzig Jahre her, als (1849) unter dem bescheidenen Titel „Bilder und Klänge aus Rudolstadt in Volksmundart“ eine kleine Sammlung von Gedichten und Erzählungen erschien, welche ursprünglich nur für den Leserkreis berechnet waren, bei welchem die Bekanntschaft mit der Mundart des Rudolstädter Volksstammes vorausgesetzt werden konnte. Daß diese Dichtungen auch in entfernteren Gegenden Interesse erregen würden, hatte der bescheidene Dichter nicht erwartet. Um so erfreulicher ist diese glückliche Erfahrung, die den Dichter zu immer frischem Schaffen ermuthigte, denn seit jener Zeit sind die „Bilder und Klänge“ auf weitere vier Hefte angewachsen und liegen bereits in mehr als sechs Auflagen dem deutschen Publicum vor.

Der Name des Dichters ist von uns (Nr. 39, 1875) bereits genannt. Anton Sommer, der am elften December seinen sechszigsten Geburtstag feiert, ist der Sohn eines Rudolstädter Concertmeisters und war zur Zeit des ersten Erscheinens der „Bilder und Klänge“ Vorsteher einer Töchterschule zu Rudolstadt, nachdem er als einer der damaligen vielen schwarzburgischen Predigtamtscandidaten sich fast zehn Jahre als Hauslehrer in der Welt herumgeplagt hatte. Erst im Jahre 1863 erhielt er die Stellung eines Garnisonpredigers, in welcher er sich noch jetzt befindet.

Der Dichter der „Bilder und Klänge aus Rudolstadt“ hat sich ohne Zweifel den übrigen deutschen Dialektdichtern würdig an die Seite gestellt. Seine Stoffe hat er in den Gegenständen der ihn umgebenden Natur, ferner in dem Thüringer Kleinleben und zwar überwiegend in dem bürgerlichen Elemente desselben gefunden; daneben hat er specifisch Rudolstädtisches an Sagen und Lieblingsgeschichten behandelt und viele ältere Scherze und Anekdoten der Vergessenheit entrissen. Er hat sich dazu mit großem Geschicke die breite, etwas ungelenke Rudolstädter Mundart, wie sie in den gewöhnlichen bürgerlichen Kreisen vor zwanzig und mehr Jahren noch fast durchweg heimisch war, dienstbar gemacht, sodaß es nicht fehlen kann, daß die „Bilder und Klänge“ mit ihrer behaglichen naiven Sprache, der Wahrheit der Schilderung, dem volksmäßigen Vordergrunde, dem mannigfachen sittlich-didaktischen Inhalte überall den wohlthuendsten Eindruck auf den Leser hervorrufen, dem Dichter aber besonders in seinem Heimathlande Thüringen die wärmste Theilnahme zuwenden. Wer in so gemüthvoller Poesie, die Eigenart seines Volksstammes in dessen Mundart zu schildern und mit so frischem, niemals verletzendem Humor in das Thüringer Kleinleben einzuführen versteht, muß ein poetisches Gemüth, eine feine Beobachtungsgabe und vor Allem das offene Auge des Humors für die belustigenden Seiten an Menschen und Dingen haben; alle diese Eigenschaften treffen aber in dem Dichter der „Bilder und Klänge“ zusammen, welcher in diesen im Grunde nur eine Schilderung seines eigenen inneren Lebens geliefert hat. Viele der darin enthaltenen Geschichten lassen sich auf Anton Sommer’s Erinnerungen aus der Jugendzeit und auf die Erzählungen zurückführen, wie er solche vor Jahren in den berühmten Rudolstädter Localen: Rathhaus, Felsenkeller, Pörze etc. von älteren Bürgern hören konnte; in diesen in Prosa geschriebenen [194] Geschichten („Raupen“, „Schnarzchen“) ist ohne Zweifel der Volkston am besten getroffen; manche solche Stücke erinnern lebhaft an J. P. Hebel’s Erzählungen im „Schatzkästlein“.

Die „Bilder und Klänge“ lassen sich unschwer in verschiedene Gruppen eintheilen. Zunächst in die Betrachtungen aus der Natur, welche zum Theile Vortreffliches enthalten. Hierher gehören namentlich: „Der erschte Staar“ und „Wie’s su erbarmlich geschneit hatte“, in welchem Gedichte Sommer die armen Vögel beklagt, die von dem schlimmen Winterwetter leiden müssen, den trauernden Spatz aber tröstet:

„Du werscht dich wul mit Sorgen trah,
He, gelle, Hans, werscht denke:
Nun war ech schmale Bössen ha,
War werd mer änn was schenke?
No, sei nur stölle, gräm dich nech,
Mer woll’n etze gleich für dich
Salt ong ä Täschchen decke.“

Ergötzlich schildert Sommer in einem seiner besten Gedichte „D’r Bimbelpeter“ die Betrachtungen des echten Philisters, „wie’s Watter gar nech annersch ware wollte“, wie dieser erst in Folge des vielen Regens ein Mißjahr prophezeit und dann, „wie’s nachen änne grausame Hötze gewasen ös“, wieder ein „bieses“ Jahr voraussagt und schließlich doch zur „Arnte“ gestehen muß: „Das ös ä Prachtsjahr heier.“

Wer jemals das wonnige Saalthal zur Zeit der Baumblüthe durchwandert hat, wird auch den Jubel des Dichters über die „Bamblihte“ zu würdigen wissen:

„De Bäme blihn! de Bäme blihn!
Su hammer’sch lange nech gesihn,
Gebammste voll un döcke;
Un off’n klännsten Knorpse läht
D’r weiße Schnie su huch un brät,
Mer denkt, ar mißt’s erdröcke.

Da hat d’r Frihling über Nacht
Aemal sei Mästerstöck gemacht
In unsern ganzen Thale;
Das ös eich doch ämal ä Mai,
Su wie ar ägentlich muß sei,
Mer kann’s nech schönner male.“

Eine fernere Gruppe in den Sommer’schen Dichtungen bilden die Darstellungen der Rudolstädter Volks- und Familienfeste, welche, was Wahrheit, Treue und volksmäßigen Ton anlangt, meisterhaft genannt werden dürfen. „De Schlachtschössel“, „De gruße Möttewoche“ (aus dem Felsenkeller Tags vor Himmelfahrt), „Bei’n Feierwarke“, „’s Vogelschießen“, „De Eisfahrt“, „D’r 18. October“, „An Pfingstheiligabend“, „Weihnachten un was su alles noch dran romm bambelt“, „’s Schittchenbacken“ sind in Wahrheit Perlen der humoristischen Volksdichtung. Ueberall ist der Dichter zugleich bemüht, die Erinnerung an alte Familiensitten lebendig zu erhalten, wie er z. B. in der Schilderung der Weihnachtszeit den „Märtensmann“ nicht vergessen hat, der nur „fromme Könner“ mit Nüssen und Aepfeln belohnt.

„Gruße Latschen hat ’r an,
Un änn langen Bart von Warche,
Fladerwische off’n Kopf
Un änn himmellangen Zopf“.

Gar köstlich sind auch in einem Gedichte „De Buzelmanner“ die Leiden und Freuden einer Rudolstädter Landpartie dargestellt.

Die althergebrachte Neigung der Rudolstädter zum Vogelfange ist in den Gedichten „Off’n Vogelharde“ und „De Mäsenhötte“ wahrheitsgetreu behandelt. Vortrefflich schildert Sommer namentlich in der Geschichte „Off’n Kugelläge“ die bekannte Lust des Thüringers am Kegelspiele; an Treue der Darstellung eines solchen Spieles übertrifft diese Geschichte vielleicht alle übrigen Erzählungen unseres Dichters. Sämmtliche nur den Eingeweihten verständliche Redensarten, alle Freuden- und Zornesausbrüche sind so drastisch wiedergegeben, daß der Leser unwillkürlich auf die Kegelbahn einer Rudolstädter Bürgergesellschaft sich versetzt sieht.

Einen beträchtlichen Theil der Dichtungen Sommer’s nehmen dann die specifisch rudolstädtischen Erinnerungen ein, welche unverkennbar die treueste Anhänglichkeit an die liebliche Heimathstadt athmen. Daß Sommer den „drei Hauptsachen“ eines Rudolstädters ein allerliebstes Gedicht widmet, ist ein Zugeständniß an die Landsleute, welches dem heitern Gesellschafter gewiß nicht schwer geworden ist; gehören doch Bier, Bratwürste und Klöße zu den Lieblingsgenüssen des Thüringers.

Wohl das Vorzüglichste unter den sämmtlichen Bildern und Klängen bietet die letzte und Hauptgruppe der Sommer’schen Dichtungen, welche fast durchweg in Prosa geschrieben sind. Diese Gruppe bilden die obenerwähnten „Raupen“ und „Schnarzchen“, wie sie in fröhlicher neckischer Stimmung am Zechtische unter Freunden und Bekannten, oftmals von der Laune des Augenblicks erzeugt, üblich sind und zur guten Unterhaltung gehören. Dabei laufen allerdings eine Menge der handgreiflichsten, aber amüsantesten Lügen mit unter, immer aber liegt auch in solchen Geschichten, die zum Theile Genrebilder von hohem Werthe sind, der Kern einer tüchtigen Volksgesinnung und gesunden Moral.

Wahrhaft classisch dürfen einige Bilder genannt werden, die an Treue der Charakteristik fast unübertrefflich sind. So läßt Sommer einen „Schröttschuhläfer“ seine verunglückten Versuche auf dem Eise sehr ergötzlich erzählen: „Nune nahm ich meine Schröttschuh ongern Arm un machte nöber. ’s kratschten nur noch ä paar Schuljong salt römm, da dacht ich: Etze ös gerade de rachte Zeit, da kannste Deine Prube mache. ’s word mer aber ludermaßig sauer, ehr ech de Racker feste brachte, de Riem hotten nech Löcher satt, un wie ’ch der su zerrte, daß mersch grin un galbe für’n Agen worde, da platzte das äne Seitenlader, daß ech se vor lauter Wuth nur su vorn Ardboden hätt’ möcht keile. Endlich hatt ’ch se doch su weit, daß ’ch konnte offstieh, ja, wie ’ch d’r aber auskratsche wollte, da merk’ ech gleich ’n Braten, ech konnt mich off künn Bäne erhalte, un wie ’ch su met ’n Armen in der Luft mußte fachte, un de Balangse nech fönge konnte, da sat ’ch stölle för mir: ‚Andres, horch, ’s werd nischt Deine Sache!‘ Ech hatt’s aber kaum raus, da waren meine Bände wack, harre, un ech sötzte mich hönn, daß ’ch de Engel in Himmel ha hier feife etc.“

Hambuchtens Gärge – er galt weit und breit als „d’r größte Frasser off Gottes Arbuden“, dem die Vertilgung von zwanzig Klößen etwas Geringes war. Nun war einmal in der Saale ein „höllenmaß’ger“ Lachs gefangen worden; zwischen zwei großen Herren wird darüber gewettet, ob Gärge den ganzen Lachs allein aufessen könne, wobei nur bedungen wird, daß der Fisch in allerlei Gerichten zurecht gemacht werden soll. Gärge sitzt, als er die Einladung empfängt, gerade bei einem Napfe mit sauren Linsen; er sagt: „‚Wenn’s weiter nischt ös, da will ech äweile ’n Grund läh.‘ Un zur röcht’gen Zeit war ’r off’n Flacke, un als wenn ’r ’n Heißhonger hätte, fiel ar öber das Zeich har, das ’n nach änanner vörgesetzt worde, un de Leite konnten nech fix satt offtrah. Etze, wie ar met ’r zahnten Schössel beinah fert’g war, driht ’r sich ämal omm un sate hämlich fer’n Bedienten: ‚Horch, Gottlieb, wenn aber nune ’s Föschchen nech bald kömmt, nachen werd’s doch bedenklich.‘ D’r Lachs war aber schonne nönger, un de Wette war gewonnen.“

Daß Gottlob wirklich „in Dussel“ gewesen ist, als er nicht unterscheiden kann, ob das aus dem Schlitten „herausstarzende Bän“ sein eigenes Bein oder das seines Cameraden ist, und erst durch einen Hieb mit der Peitsche davon überzeugt werden muß, daß „’s Bän seine“ ist, wird wohl auch Niemand bezweifeln. Ebenso drastisch ist das Bild des Bauern „bei der Parade“, der dem Hautboisten zusieht, wie dieser mit der großen Posaune sich abarbeitet und „das Döng ömmer noff un nonger wärcht“, bis er die Sache länger nicht ansehen kann, die Jacke auszieht und dem „Hobisten“ zuruft: „Herre, etz gab ’r mir ämal das Döng, da soll doch ä Donnerwetter drönne sötze, wenn das nech rab zu bröng wär.“

In sehr treffender Weise wird von Sommer in diesen Erzählungen auch die alte, gute Zeit, die „Grußmutterzeit“ charakterisirt und die übertriebene Hinneigung der heutigen Generation zum Luxus und zur Vergnügungssucht gegeißelt. Er fragt, „wu das nur noch naus soll,“ und kommt zur Schlußbetrachtung: „War kann’s änn nune än jong Karl verdenke, wenn ’r druchst met ’n Heirathen? ’s missen ’n ju de Haare zu Barge stih, wenn ’r dann Bresch siht, ar kann’s ju nech ertämmele, un wenn ar sich schindt un plagt ’s ganze Jahr, was Zeich halte will. Gab Achtgen, wenn das su fortgiht, da war’n de Ehemanner gerade su rar, wie de Hasen in etz’ger Zeit.“

[195] So hat der Dichter, dessen wohlgetroffenes Bild den Lesern in der gegenwärtigen Nummer der „Gartenlaube“ dargebracht wird, überall den echten Volkston getroffen und unzweifelhaft unter den deutschen Dialektdichtern einen der ersten Plätze und unter den Freunden deutscher Volksdichtung in Thüringen und ganz Deutschland zahlreiche Freunde sich erworben. Möchte Anton Sommer’s heitere Muse noch lange nicht schweigen und der Kreis der Freunde deutscher Volksdichtung innerhalb Thüringens und über dessen Grenzen hinaus noch oftmals durch neue Bilder und Klänge erfreut werden, wie Sommer dies selbst in dem Abschiedsgedichte seines Buches in Aussicht gestellt hat!

Richard Keil.