Ein todtes Schloß

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: L. M.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein todtes Schloß
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 166–167
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[164]
Ein todtes Schloß.
Skizze aus Tirol. Von L. M.

„Fahren’s nit nach Amras?“ rief mich ein Lohnkutscher unter der Thür meines Innsbrucker Hotels an und schnalzte herausfordernd mit der Peitsche.

„Nach Amras? ist dort was zu sehen?“ wendete ich mich an die dicke Wirthin, welche die Hände in der Schürze auf die Gasse hinausblickte.

„Nu, was eigentlich zu sehen wär,“ erwiderte sie, „haben die Oesterreicher aus dem Landl nach Wien geschleppt und zurückgeben haben’s die Sammlung nimmer, obschon’s dazumal der Kaiser Franz versprochen hat. Aber z’ Amras hat die Philippina Welser gelebt, das Bürgermädel von Augsburg, das nachher im Bad abgestochen haben, weil sie ein bischen lutterisch gewesen sein soll und ihr Mann ein kaiserlicher Erzherzog war.“

Von Licht und Glanz umwoben schwebte das Bild der schönen Augsburgerin vor meiner Seele, all die Träume jugendlicher Romantik erwachten wieder, ich rief: „Nach Amras!“

Der Wagen sollte mich nach Tisch erwarten. Vorläufig ging ich in das Museum, wo mir ein Freund das Wichtigste zu zeigen versprochen hatte. Die Hallen desselben bargen manchen interessanten Kunst- und Naturschatz; mich fesselte vorzüglich das Portrait Philippina’s, holde, anmuthsvolle Züge, klar und fast mädchenhaft unschuldig, aus dem blauen Auge leuchtete ein keuscher Stolz, der ahnen ließ, daß sich die Tochter des Augsburger Bürgers auch dem Sohne des Kaisers nur als Gattin verloben und nicht zu frechem Spiel hingeben konnte. Ihr gegenüber hing das Bild Ferdinand’s, der dem Zorne des Vaters zu trotzen wagte und sie heimlich heimführte, wie nach ihm Erzherzog Johann mit dem Mädchen des Postmeisters von Aussee gethan. Ferdinand’s Gesicht

[165]

Schloß und Kirche von Amras.
Originalzeichnung von Theodor Pixis.

[166] trägt das Gepräge der Habsburgischen Physiognomie, doch zeigt es mehr Kraft und Geist, als man sonst durchschnittlich bei den Köpfen jener ausgestorbenen Dynastie beobachtet. Im nächsten Zimmer birgt ein Schrank ein kleines Schmuckkästlein Philippina’s, eine köstliche Arbeit der Renaissancezeit; ein schlechtes Gemälde zeigt sie mit dem Gatten und den Kindern, nette Aeffchen, die in steifer spanischer Tracht zu den Füßen Beider spielen. Die berühmte Scene, wie sie durch eine List den kaiserlichen Schwiegervater zwingt ihr gegen sich selbst Recht zu sprechen und als Vater zu halten, was er als Kaiser geurtheilt, gab dem Tirolerkünstler J. Malknecht Stoff zu einem hübschen Bilde. Auch die Melodie, welche sie am liebsten zu singen pflegte, wurde mir in der Bibliothek auf Noten gesetzt vorgewiesen.

Der Freund, der meine Theilnahme für die schöne Philippina bemerkt hatte, geleitete mich vom Museum zur Hofkirche. Dort führte er mich über die Treppe in die silberne Kapelle, wo Ferdinand und Philippina begraben liegen. Vorn an der südlichen Wand vertieft sich eine hohe Nische geschmückt mit allerlei Basreliefs, gegen den Altar gewendet kniet ein geharnischter Ritter mit gefalteten Händen – es ist die Rüstung Ferdinand’s, der ein gewaltiger Mann gewesen sein muß; das Volk erzählt von ihm, er habe ein frischgeschmiedetes Hufeisen mit der Hand zerbrochen. Etwas weiter gegen den Eingang zurück wölbt sich eine zweite kleinere Nische. Ihr Rand ist eingefaßt von einem Streifen weißen Marmors mit Engelsköpfen; darunter ruht auf einem Sarkophag, den zwei Basreliefs schmücken, das Marmorbild Philippina’s gemeißelt von dem kunstreichen Meister Collin aus Mecheln. Der Ernst des Lebens hat diese Gestalt berührt, die Züge des schönen Antlitzes sind matronenhaft, die Verklärung des Todes umspielt sie, nachdem ihnen der Schmerz seine Weihe aufgedrückt. Unter dem Steinsarg liegt Philippina begraben. Sie starb 1578 an einer Krankheit, welche sie unerwartet befiel. Das Gerücht, als ob sie von Adel und Jesuiten, welche die Bürgertochter des halblutherischen Augsburg bitter haßten, im Bade ermordet worden sei, verdichtete sich allerdings zu einer Volkssage, es liegt aber kein Anhaltspunkt vor, der es bestätigen könnte. Die Geschichte der edlen Frau ist zu bekannt, als daß wir sie hier ausführlich zu berichten brauchten, nur einige Zahlen mögen dem Leser zur Orientirung dienen. Ihr Geburtsjahr läßt sich nicht nachweisen; sie mochte 1547, wo Ferdinand mit seinem Vater den Reichstag zu Augsburg besuchte, etwa achtzehn Jahre alt sein. Er sah sie auf dem Söller ihres Hauses, ein Blick entschied. Die heimliche Vermählung erfolgte am 24. April 1550 zu Innsbruck. Erst acht Jahre später versöhnte sie den schwer gekränkten Vater Ferdinand’s, welchem sie zwei Enkel zuführen konnte, zu Prag; 1564 wurde die Ehe öffentlich anerkannt und Philippina zur Markgräfin von Burgau ernannt. Fürsten gilt ja der Mensch, und sei er noch so groß und edel, in der Regel erst dann, wenn sie ihm einen Orden oder Adelstitel angehängt. Die Ehe war zufrieden und glücklich. Darf man Philippina ein Muster weiblicher Tugenden nennen, so zeichnete sich auch Ferdinand durch viele Eigenschaften vor Manchem der Purpurgebornen aus. Unter ihm wurde Innsbruck der Mittelpunkt einer großartigen Kunstthätigkeit; der prächtige Harnisch Franz des Ersten von Frankreich ward urkundlich hier verfertigt, er brachte mit großem Geldaufwande die berühmte Amraser Sammlung zusammen. Nur ein Flecken verunstaltete seinen Charakter: er war im höchsten Grade intolerant gegen Andersgläubige und befehdete mit den gewaltsamsten Waffen den Protestantismus, wie es auch jetzt eine fanatische Partei in Tirol gern thun möchte, wäre nicht die Zeit eine andere.

Diese und ähnliche Gespräche mit einem Freunde störte der Schall der Klosterglocke, welche die Mönche an den Tisch und auch mich an die Table d’hôte in das Gasthaus rief. Die Gesellschaft war sehr gemischt und daher herrschte aus Furcht vor den Polizeispitzeln, die in Oesterreich epidemisch sind, große Zurückhaltung. Als ich das Gespräch auf die Amraser Sammlung brachte, seufzte ein Herr in einer grauen Joppe und murmelte halblaut: „Ja die Amraser Sammlung! die ist jetzt im Belvedere zu Wien, obwohl sie großentheils mit tirolischem Gelde gekauft ward. Der Kaiser Franz hat zwar die Rückgabe versprochen, man lieferte sie jedoch nicht aus, als man die tirolischen Stutzen nicht mehr brauchte. So blieb dem Landtage nichts übrig, als sich auf das Testament Ferdinand’s zu berufen und eine ohnmächtige Rechtsverwahrung einzulegen.“

Die Amraser Sammlung liegt den Tirolern sehr am Herzen, sie können den Verlust derselben nicht verschmerzen. Von der Hyperloyalität, welche man den Tirolern gern andichten möchte, habe ich überhaupt nichts bemerkt; wenn man einer servilen Phrase begegnet, so ist es hier wie auch anderswo höchstens in officiellen Blättern.

Aber nach Amras! – Bei den letzten Häusern Innsbrucks that sich vor uns die Ebene von Wiltau auf; etwa eine Stunde breit ist sie die größte, welche Tirol besitzt. Aus dem kurzen Grase hoben sich bereits die ersten Zeitlosen, das Laub der Pappeln fing an zu vergilben. Rechts von uns streckte sich mitten in den Wiesen eine lange Mauer, über welche goldene Kreuze funkelten. Es war der Militärfriedhof, wo der unglückliche Tirolerdichter Johann Senn den ewigen Schlaf schläft, ein genialer Mann zertreten und verkümmert im Vormärz Oesterreichs. Wie viele solche Geistesmorde mag das Regime von Metternich auf dem Gewissen haben?

Eine Wendung! der Kutscher kehrt sich um und deutet mit der Peitsche auf ein großes unförmliches Gebäude, welches weißgetüncht von dem Vorsprung eines grünen Hügels in das Thal schimmert.

„Das ist Amras!“

Amras? Ich muß gestehen, ich war bedeutend enttäuscht. Das Gebäude hätte eben so gut eine Kaserne oder eine Fabrik vorstellen können, nur nicht ein Fürstenschloß umrankt vom Epheu der Sage. Kein Zinnenkranz, keine altersgrauen Thurme, keine dräuenden Wälle, kein Schlagthor! In neuester Zeit war dem unschönen Bau ein kleines Thürmlein mit einer Uhr aufgesetzt worden; man hatte alles beim Alten belassen, vielleicht war es am besten so, wozu der moderne Aufputz? Mein Freund holte den Castellan; er führte uns durch die weiten Säle, in einem derselben hing das Portrait Philippina’s aus ihren älteren Tagen; sie war bereits breit und behäbig geworden, nur das herrliche Auge erzählte noch vom Reiz der Jugend. Eine Reihe Zimmer war wohnlich eingerichtet, hier pflegt der jeweilige Statthalter von Tirol seinen Sommeraufenthalt zu nehmen. Mein Freund merkte mir einiges Mißbehagen an, da öffnete er eine Thür und schob mich rasch hinaus. Fast erschrocken stand ich auf einem Söller, zu Füßen das prächtige Thal von Schwaz bis Telfs durchrauscht vom wilden Inn, gegenüber die lange Wand des Kalkgebirges gekrönt von Tausend majestätischen Felsenzinnen, welche im Sonnenlicht schimmerten, von Nebeln umflattert. Dieser Ausblick allein verdient, daß der Fremde Amras besuche, Amras, dem nur der wundervolle Zauber seiner Lage und die Erinnerung an eine Geschichte blieb, wo die Poesie sich hell und lauter in das Leben ergoß.

Schon die Römer sollen hier ein Castell errichtet haben, welches sich später in eine mittelalterliche Burg verwandelte, wo die Gaugrafen aus dem Hause Andechs walteten, bis sie 1136 von Heinrich dem Stolzen, einem Baiernherzoge, belagert, erstürmt und ausgebrannt wurde. Die Herren von Tirol bauten sie wieder auf, ihre Glanzzeit beginnt aber erst mit dem Jahre 1567, wo Ferdinand, der Gemahl der schönen Welserin, vom glücklichen Feldzug gegen Sultan Soliman zurückgekehrt war. Früher hatte hier lange Jahre der unglückliche Kurfürst Friedrich von Sachsen, der in der Schlacht von Mühlberg gefangen worden war, vertrauert, sein treuer Lucas Cranach suchte ihn durch Gemälde zu erheitern; so manches Bild ist von diesem Meister in Tirol zurückgeblieben. Erzherzog Ferdinand baute das Gefängniß in einen Sommersitz um, der wohl mit den Fürstenschlössern italienischer Fürsten wetteifern durfte. Hier versammelte er mehrere der gelehrtesten Männer seiner Zeit. Stephan Pighius, der den Prinzen Friedrich von Cleve 1574 nach Italien begleitete, schildert uns das Schloß, wie es damals aussah. „Man zeigte dem Prinzen an den Abhängen und in den Thälern Seen mit seltenen Fischen; dort Weingärten, Obstanger, Wälder, Hasengehege, Wildplätze und Thiergärten. Darauf bestieg man das Schloß und beschaute die Lage und die zierliche Einrichtung, Höfe, Hallen und Speisesäle mit Teppichen, Statuen und Bildern ausgeziert. In einem weiten Saale sah man die Ebenbilder der Grafen von Tirol von ihrem Ursprunge bis auf unsere Zeit sammt der Angabe der von einem jeden dieser Fürsten vollbrachten Thaten. Dann führte man sie in die Wohnung der fürstlichen Frauen, in die schwebenden Gärten und zu den Vogelbehältern, die mit Netzen von Draht bezogen sind.

Die Rüstkammer im obern Stocke ist sehr geräumig und [167] darin eine solche Menge von Kriegsrüstungen und Waffen aller Art aufgehäuft, daß sich in wenigen Augenblicken mehrere Schaaren Krieger vollkommen darin rüsten und wie aus dem troischen Pferde hervorbrechen könnten. Aus dem Schlosse führte man den Prinzen in die anliegende Gegend zur Rennbahn, in’s Ballhaus und dergleichen Uebungsplätze für die ritterliche Jugend. In den auf’s Beste gepflegten Gärten erblickt man Paradiese, Labyrinthe und allerlei Grotten, den Wassernymphen geheiligt und mit künstlichen Quellen bewässert. Diese verschiedenen Springbrunnen an verschiedenen Orten werden reichlich mit Wasser versehen durch die Wildbäche, die man aus den nahen Bergen in unterirdischen Röhren herleitet. Die im freien angebrachten Speisesäle, mit allerhand lebendigem Grün umkleidet, sind besonders niedlich; vor allem aber jene Rotunde, in deren Mitte ein runder Tisch aus Ahorn steht. Unter diesem sind Radwerke angebracht, die vom Wasser getrieben werden und mittels welcher man den Tisch sammt den Gästen sachte oder rasch herumdrehen und, wenn es gefällt, auch die Leute bis zum Schwindel treiben kann.

Nun ging es nach dem Heiligthum des Weingottes, wo die Fremden gewöhnlich in seine Geheimnisse eingeweiht werden. Es ist dieses eine gewaltige und finstere Felsenhöhle, in welche man über steinerne Stufen hinabsteigt. Die Fremden verwundern sich da ob der dickleibigen Humpen, und ohne Widerrede spenden diese das edle Naß. Doch nicht eher fühlen jene, daß sie eingesperrt sind, als in dem Augenblicke, da sie heraus wollen. Nun erkennen sie die Macht des Bacchus und merken die Fußfesseln, die im Finstern gelegt und die Gitter, welche verriegelt sind. Sie finden sich nicht mehr heraus. Im Nu kommen die Bacchanten, die mit den Gebräuchen auf’s Beste vertraut sind, herbei, ungeheure Humpen, welche an drei Maß halten, in den Händen. Ihr Vorsteher bringt das Ceremonienbuch und liest daraus die Trinkordnung vor. Nun führt man die Novizen zu einer Tafel voll Nachschwerk und Leckereien, welche den Durst reizen. Haben sie das gewaltige Gefäß in einem Zuge geleert, so sind sie eingeweiht und schreiben ihren Namen in das Trinkbuch zu den übrigen Verehrern des Gottes ein.“

So der Welsche über die versunkene Herrlichkeit von Amras und deutsche Trinklust im Kleid der lustigen Renaissance. In der Amraser Sammlung findet man jetzt noch die zwei Trinkbücher, worin die eigenhändigen Namenszüge der Herren und Frauen enthalten sind, welche zu Lebzeiten des Erzherzogs Ferdinand beim Besuche des Schlosses den vorgeschriebenen Trunk gethan haben. Der erste Band enthält gleich anfangs die folgenden Zeilen: „Im 1567. Jahr den letzten Tag Januarii ist in dem Schlosse zu Amras von wegen Erzeugung guter Freundschaft, Gutwilligkeit und Gesellschaft aufgericht worden, daß ein Jeder, so in gemeldt Schloß Amras kommt, ein Glas wie ein Fäßlein gestalt mit vier geschmelzten Reiflein mit Wein in einem Trunk austrinken soll und seinen Namen zur Gedächtniß in dieses Buch schreiben. Welcher aber solches in einem Trunk nicht endet, dem soll es wiederum voll eingeschenkt werden, auch aus dem Schloß nicht weichen, bis er solchen Trunk, wie obgemeldt, vollendet hat. Das solle also dieses Schloß und Glas Gerechtigkeit sein und bleiben. Deßgleichen und obgemeldter Massen solle auch ein jede Frau und Jungfrau ein krystallin Glas wie ein Schiff in einem Trunk auszutrinken verbunden und verpflichtet sein.“

Mit dem Erlöschen des tirolischen Regentenhauses ging auch der Stern von Amras unter. Einzelne Theile der berühmten Sammlung wurden bald den kaiserlichen Cabineten in Wien einverleibt, so namentlich die seltenen Handschriften, darunter die einzige der Gudrun, welche dem Kaiser Maximilian gehört hatte, und die kostbaren Gemälde; auch die Perle des Wiener Belvedere, Raphael’s Madonna nel verde. Was noch zurückblieb, war nur zu oft von unkundigen oder nachlässigen Schloßhauptleuten verwahrlost, bis 1773 der bekannte Forscher und Gelehrte Johann Primisser zu diesem Amte berufen wurde und die planlos durcheinander geworfenen Gegenstände wieder entwirrte und ordnete. Daß die Sammlung später ganz nach Wien geschleppt wurde und trotz dem Testamente Ferdinand’s und allem Versprechen ohne Rücksicht auf die Wünsche und Rechte des Landes dort zurückbehalten wird, wurde bereits erwähnt. Ein noch schlimmeres Loos ward dem Schlosse selbst beschieden. Die unteren Werke wurden abgetragen und die Steine zu Neubauten verwendet. Von den vielen und herrlichen Anlagen, welche sich bis zum Amraser See erstreckten, ist kaum mehr eine Spur zu finden; der Amraser See, auf welchem sich im Winter die Innsbrucker Schlittschuhläufer tummelten, ist erst vor Kurzem ausgelassen und in Wiesen umgewandelt worden. Das Schloß diente lange Zeit als Kaserne, die ungarischen Soldaten schlugen den Frescobildern der Habsburger Nägel in die Köpfe, um die Tornister und Patronentaschen aufzuhängen. In Kriegsjahren wurde es auch als Militärspital benutzt.

Mein Freund wies auf eine Gruppe riesiger Tannen im nahen Walde. Dort war der Rennplatz, wo einst vor den Augen der schönen Philippina Bogenstechen abgehalten wurden; jetzt ist er ein Wallfahrtsort, welchen andächtiges Volk häufig besucht, um beim Rauschen der alten Tannen für die Märtyrer zu beten, die hier begraben sind.

Märtyrer?

Ja, viele tausend! Hier wurden damals die Leichen der Soldalen, welche im Spitale drauf gingen, eingescharrt; demjenigen, der in die k. k. österreichische Spitalwirthschaft gerieth, wird wohl Niemand den Namen eines Märtyrers verweigern! Das Volk erzählt, daß manche während der französischen Revolutionskriege lebend in die Grube geworfen wurden, weil sich Aerzte und Wärter die Mühe der Pflege ersparen wollten.

In neuester Zeit wurde Mancherlei an der alten Burg geflickt. Es waltete wieder eine holde Frau aus fürstlichem Stamme hier, die Erzherzogin Margaretha, eine sächsische Prinzessin. Auch sie ist bereits todt. Ihr Gatte, der Erzherzog Karl Ludwig, welcher, wie sein großer Vorgänger Ferdinand, mit der tirolischen Glaubenseinheit sympathisirte, hat Tirol längst verlassen und nach Ablauf der Wittwertrauer eine Schwester des Exkönigs von Neapel geheirathet. So wechselten die Schicksale der Burg und ihrer Bewohner.

Mein Freund mahnte zum Aufbruch. Im Vorbeigehen warfen wir durch die Thür noch einen Blick in Philippina’s Badstüblein; noch steht die kupferne Wanne dort, in der sie ermordet worden sein soll. Wir überlassen es dem Leser, anstatt der Gräuelscenen der Sage sich ein reizenderes Bild herzumalen und mit den Farben Tizian’s zu vollenden.

Vor dem Thore gaben wir dem Kutscher Auftrag, uns im Dorfe Amras zu erwarten. Wir schlugen den Fußpfad ein und stiegen am grünen Hügel nieder zur Kirche. Dort hieß mich der Freund noch einmal aufblicken. Die Landschaft schloß sich hier zu dem Bilde, von dem der Leser eine Skizze sieht. Das Schloß glänzte in den letzten Strahlen der Sonne, welche auch noch auf dem Knauf des hohen Spitzthurmes blitzten. Auf dem Platze war das Bauernvolk zum Heimgarten in allerlei Gruppen zerstreut; ein Mann mit dem Knaben im Arm erzählte einem böhmischen Soldaten von Philippina, wie sie so zart gewesen sei, daß man den rothen Tirolerwein habe durch ihre Kehle fließen sehen. Dann wandte sich das Gespräch auf Doris, den lustigen Zimmermann, der vor etlichen Jahren den Thurm mit einem neuen Dache versah. Als er es fertig gebracht, schwang er sich auf den Knauf, trank dort jauchzend ein Glas Wein und stellte sich dann auf den Kopf. Sowie das Politisiren begann, welches nun auch auf den Dörfern um sich greift, gingen wir in’s Wirthshaus zum Kappeller; nun, der Wein war gut, vielleicht so gut, wie ihn Philippina geschlürft.

Es war bereits tiefe Dämmerung, als wir in den Wagen stiegen. Zu Innsbruck machten wir noch eine kleine Runde. In der Hofgasse zeigte mir mein Freund in einer Nische die riesige Statue eines geharnischten Mannes von fast neun Fuß Höhe. Er war einer der Söldlinge Ferdinand’s, die Amras bewachten. Gleichzeitig diente Philippina ein Zwerg; dieser wettete, er wolle dem Ungethüme eine Ohrfeige geben, ohne hinaufzuklettern. Heimlich schlich er hinzu, löste dem Riesen die Schuhriemen und als sich dieser bückte, um sie wieder festzuknüpfen, gab er ihm zu allgemeinem Gelächter rasch eine Ohrfeige.

Wir waren durch den Bogen der Burg gegangen. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, noch einmal in die Hofkirche zu treten, um das Grab Philippina’s scheidend zu begrüßen. Das eiserne Gitter der Kapelle war geschlossen.

Am nächsten Morgen führte mich das Dampfroß aus den herrlichen Bergen Tirols nach Baiern.