Ein vergessener Held der Befreiungsjahre
„Wer ist denn dieser russische Windbeutel?“ frug der alte York die Officiere seines Stabes, als in der Schlacht von Großgörschen oder Lützen, wie sie Napoleon nannte (2. Mai 1813), ein blutjunger russischer Officier auf ihn zusprengte und ihm die Worte zurief: „Herr General, jetzt haben Sie Ihre Dörfer (Groß- und Kleingörschen, Rahna und Kaja) wieder und stehen mir für ihre Behauptung! Ich ziehe rechts dem Feinde entgegen!“ Als darauf der russische Major von Helldorf, der Adjutant dieses jungen Generals, den Namen des Prinzen Eugen von Württemberg nannte, brummte York etwas verdrießlich in den Bart: „Ein Teufelskerl, Ihr Prinz, der den Feldherrn wohl mit der Muttermilch eingesogen hat!“ Und in der That, der kaum 25jährige Prinz Eugen, welcher bis zu dieser Stunde nahe an 100 Schlachten und Treffen beigewohnt hatte, schien das außerordentliche Feldherrntalent, das er bei allen Gelegenheiten bewährte, mit der Muttermilch eingesogen zu haben; denn kaum hatte er jene Worte gesprochen, als er sich sofort an die Spitze von sechs russischen Bataillonen stellte und bis zur sinkenden Nacht gegen zwei französische Divisionen muthig Stand hielt.
Wenn auch Aster in seinem berühmten Werke über die Gefechte und Schlachten bei Leipzig in edelstolzen Worten dem Prinzen Eugen nachrühmt, daß er in der Schlacht von Wachau der Tapferste von allen Heerführern der Verbündeten gewesen, wenn er in seinem Lobe wörtlich fortfährt: „Durch seine persönliche Bravour, durch seine Ausdauer, durch seinen richtigen militairischen Blick, durch seine Theilnahme an den Gefahren der Soldaten, durch sein Beispiel stählte er auch den Muth seiner mit ihm treu aushaltenden Untergebenen; er veranlaßte sie auf diese Weise, ihrem geleisteten Eide und den ihnen anvertrauten Fahnen bis in den Tod treu zu bleiben; sie hielten Wort und lagen entseelt, aber in taktischer Ordnung geschaart, um ihres Kaisers Panier,“ – wenn auch nicht wenige andere Schriftsteller in ihren Werken dem Prinzen Worte freudiger Bewunderung und Anerkennung zollen: so ist doch sein Name im deutschen Volke bei Weitem noch nicht so anerkannt, als er es im reichsten Maße verdient, und es bleibt eine heilige Ehrenpflicht der Geschichtschreibung, dem absichtlich verkannten und zurückgesetzten Helden den schönsten Lorbeerkranz eines unsterblichen Ruhmes zuzuerkennen. Sicher werden es uns daher die Leser dieser Blätter ein wenig Dank wissen, wenn wir es unternehmen, das Leben und Wirken des Herzogs Eugen von Württemberg in einer Zeit, die vielleicht bald der Bilder großer Heldengeister bedarf, um sich an ihnen aufzurichten, in kurzen Zügen zu schildern, wobei wir die nachgelassenen „Memoiren des Herzogs Eugen von Württemberg“, sowie das jüngst erschienene Werk des Generalmajor von Helldorf „Aus dem Leben des Prinzen Eugen etc.“ zu Grunde legen.
In der Geschichte der preußischen Heere wird der Name Herzog von Württemberg zu wiederholten Malen rühmend genannt. Schon der Urgroßvater unseres Helden, Herzog Carl Alexander von Württemberg, diente unter den Fahnen des Prinzen Eugen von Savoyen; der Großvater Friedrich Eugen im siebenjährigen Kriege, und der Vater unseres Eugen, der den Namen des Großvaters führte und die Bestimmung traf, daß der Name Eugen, stolz auf das sich daran knüpfende Andenken, erblich in seiner Geschlechtslinie bleiben solle, bekleidete ebenfalls die Würde eines preußischen Generals. Ihm wurde am 8. Januar 1788 zu Oels, wo er als Chef eines Husaren-Regiments in Garnison stand, unser Eugen geboren, mit welchem er schon nach wenigen Jahren in die neuerworbene Standesherrschaft Carlsruh in Schlesien übersiedelte. Hier empfing der junge Eugen den für Prinzen in damaliger Zeit üblichen Unterricht, und besonders günstige Verhältnisse schienen ihm die glücklichste Laufbahn eröffnen zu wollen. Die Schwester seines Vaters war mit dem bizarren Kaiser Paul I. von Rußland vermählt und bewahrte bis an ihr Lebensende für Eugen ein seltenes mütterliches Wohlwollen. Ihrem Einflusse verdankte der achtjährige Prinz seine Ernennung zum russischen Oberst und schon nach zwei Jahren zum Generalmajor und Chef eines Dragoner-Regiments. Ausgezeichnete Geistesgaben und rastloses Streben nach allem Wissenswerthen, soweit solches namentlich in das Bereich des von ihm mit Vorliebe gepflegten Soldatenstandes gehört, rechtfertigen diese Bevorzugung des fürstlichen Knaben, dessen Glücksstern höher und höher stieg, als ihn im Jahre 1801 seine kaiserliche Tante an ihren Hof nach Petersburg berief. Dort empfing er auf Kaiser Paul’s Befehl den Generalmajor Baron Diebitsch, den Vater des nachmaligen Balkanübersteigers, der im polnischen Kampfe 1831 die Lorbeern wieder einbüßte, die er früher im Türkenkriege errungen, zum Gouverneur, während er zu gleicher Zeit dem Cadettencorps zugetheilt wurde. Noch herrschten am Petersburger Hofe die Einwirkungen aus der scandalösen Zeit Katharina’s II., obschon Kaiser Paul sie alsbald mit finsterer Strenge unschädlich zu machen suchte.
Prinz Eugen schildert in ergötzlicher Weise sein erstes Auftreten in Petersburg in folgenden Worten: „Als ich am ersten Cadettenhause auf Wassilii-Ostrow anlangte, empfingen mich eine Menge reich mit Silber beblechter Officiere und viele Dienerschaft
[565]mit Lichtern. Gleich darauf erschien ein mit vielen Sternen bedeckter General, ebenfalls in der Uniform des Cadettencorps, und gab sich als dessen ersten Chef, den Fürsten Plato Subow, zu erkennen. Dieser vornehme und unter Katharinens Regierung nicht wenig einflußreiche und mächtige Mann versicherte mich von Hause aus seiner Unterthänigkeit und verlangte meine Befehle. Ich hatte zuerst nicht übel Lust, ihm die Hand zu küssen, aber General Diebitsch hielt mich nicht nur davon ab, sondern raunte mir auch, in Folge meiner ersten Anrede, in’s Ohr: „„man nennt den Kerl nicht Durchlaucht!““ Kaum hatte der Fürst den Rücken gewendet, als Diebitsch in seinen Expectorationen fortfuhr: „„Wissen Sie auch, was das für ein Mann ist? Einer von den berüchtigten Courmachern der Kaiserin Katharina, die jetzt alle bei Hofe auf der Neige stehen. Dem machen Sie nur ja nicht zu viele Kratzfüße.““ Ich versicherte, für Hofcabalen noch ein Bauernjunge zu sein.“
Immer freundlicher lächelte dem jungen Prinzen das Glück. Der Kaiser Paul würdigte ihn einer ganz besonderen Gunst und hegte in seinem tollen Kopfe die Absicht, ihn mit seiner Tochter, der Großfürstin Katharina, zu vermählen, wobei er wiederholt die unvorsichtige Aeußerung that, er habe Pläne mit dem Prinzen Eugen vor, worüber die Großen seines Reiches noch Maul und Nase aufsperren sollten. Wir wollen nicht entscheiden, ob derartige Worte nicht Veranlassung zu argwöhnischem Mißtrauen in dem Herzen des Großfürsten Alexander gaben und die spätere Zurücksetzung des Prinzen herbeiführten. Nur wenige Wochen konnte er sich [566] des kaiserlichen Wohlwollens erfreuen, denn bereits in der Nacht vom 23. zum 24. März 1801 fand in Folge einer Palast-Verschwörung die Ermordung des unglücklichen, geisteskranken Kaisers Paul I. statt. Eugen’s kaiserliche Pflegerin ward durch diese Frevelthat auf das Tiefste gebeugt und traute sich nicht die Kraft zu, ihren Liebling gegen die vielleicht über ihr ganzes Haus hereinbrechenden Stürme schützen zu können; sie sandte ihn daher alsbald wieder heim zu seinen Eltern nach Carlsruh, um ihn in besseren Tagen wieder an den kaiserlichen Hof und an ihr Herz zurückzurufen. Hatte aber schon das gewaltige Ereigniß mit seinen blutigen Gräueln den Charakter des heranreifenden Jünglings gestärkt und gestählt, so fand dies in noch reicherem Maße zu Carlsruh statt, wo die glückliche Wahl seiner Eltern den preußischen Sec.-Lieut. Baron Ludwig von Wolzogen, Bruder des Schwagers von Schiller, zur ferneren Ausbildung Eugen’s berief.
Dieser Treffliche half mit scharfem Auge dem Unbeholfenen und fast Zierlichen ab, welches noch Eugen anhing und ihn wohl nie ganz verließ, denn noch in späteren Jahren, als bereits der Siegeslorbeer der Schlachten seine Stirn zierte, pflegten ihn seine Treuen in harmlosem Scherze mit dem Namen „Jüngferchen“ zu bezeichnen. Jetzt erst widmete er sich mit allem Fleiße an der Hand seines neuen Lehrers den militärischen Studien, und vorzugsweise beschäftigten sich Beide in vielfachen Gesprächen über die möglichen Vortheile eines Vertheidigungskrieges bei genauer Kenntniß des Terrains. Ohne in diesen Ideen auf bestehende Verhältnisse Bezug zu nehmen, unterhielten sich Beide, Lehrer wie Schüler, noch nach Jahren brieflich über diesen Gegenstand, der namentlich in Eugen’s Seele tiefer und tiefer Wurzel faßte und ihn bewog, lange bevor sich noch eine Aussicht zu dem französisch-russischen Feldzug von 1812 darbot, dem russischen Kaiser ein Memorial zu übersenden, in welchem er mit klaren Worten einen prämeditirten Rückzug mit Aufopferung aller nicht haltbaren Stellen vertheidigte. Er, der deutsche Fürst, war demnach der Erste, welcher dem russischen Kaiser den nachmals so hoch gepriesenen Feldzugsplan von 1812 anrieth und ihn auch später mit ausführen half.
Nach vollendeten Studien zu Erlangen, das der blutjunge Student in seinem 14. Lebensjahre besuchte, und nach mehrfachen Reisen ward der Prinz im Herbst des Jahres 1806 zum activen Dienst in der russischen Armee zurückberufen, fand unter Bennigsen bei Pultusk die erste Gelegenheit, seine Sporen zu verdienen, zeichnete sich während des Winterfeldzugs und auch im Sommer 1807 durch Muth und Tapferkeit in vielen Treffen und Schlachten aus, so daß er im November 1807 zum Brigadecommandeur ernannt wurde. Schon damals verehrten seine Truppen in ihm ein strahlendes Vorbild persönlicher Tapferkeit, ruhiger Ueberlegung und demnächst entschiedensten Handelns. Jeder Einzelne hing mit Innigkeit und aufopfernder Liebe an dem Prinzen, weil er das Wort „Selbstschonung“ gar nicht kannte, alle Strapazen mit seinen Untergebenen theilte und durch seine wahrhaft väterliche Fürsorge für Letztere Alle zu dankbarer Anerkennung verpflichtete.
Das Jahr 1812 war angebrochen. – Napoleon’s Augenmerk war, wie Eugen selbst berichtet, seit dem Frieden mit Oesterreich auf Spanien und Portugal gerichtet, wo ihm Wellington als gefürchteter Gegner reichlich zu schaffen machte. Dieser Krieg absorbirte denn auch die Hauptkräfte Napoleon’s, und er bemerkte, daß er dort, vor dem erneuerten Anbinden mit den östlichen Mächten, nicht zu Rande kommen könne. Da er voraus wußte, daß er diese nicht zu Athem kommen lassen dürfe und daß sie ihm im Herzen unmöglich geneigt sein konnten, so glaubte er sich wohl schon seit dem Jahre 1810 in die Nothwendigkeit versetzt, den Kampf auf beiden Enden Europas wieder aufnehmen zu müssen. Hier galt es bei ihm die Frage des „Seins oder Nichtseins“. Als Napoleon konnte er nicht still stehen, beim Vorschreiten mußte er auf Feinde stoßen und beim Rückschritt untergehen. Es konnte die Frage sein, ob Europa bei seiner Alleinherrschaft gewinnen oder verlieren werde: kein Zweifel aber blieb, daß er nach jener Herrschaft streben müsse, wenn er nicht selbst den Hals brechen wolle. Darum gab er denn auch, trotz des ihm lästigen Kampfes in Spanien, seine östlichen Aggressionen nicht auf. Er hatte nach und nach ganz Italien unter seine Botmäßigkeit versetzt, Holland, das ihm als eigenes Königreich noch nicht genug Ressourcen bot, mit Frankreich vereinigt, und die Grenzen dieses letzteren in Deutschland weit über den Rhein hin und rücksichtslos auch über das Land des mit dem russischen Kaiserhause verwandten Herzogs von Oldenburg ausgedehnt.
Auch Kaiser Alexander benutzte nach dem Waffenglück, das ihm im Kampfe gegen Schweden zu Theil geworden, und vertrauend auf den in Aussicht stehenden Frieden mit der Türkei die durch die Uebergriffe Napoleon’s sich ihm darbietende Gelegenheit, die Verletzungen des Tilsiter Vertrages als Repressalie zu gebrauchen und dem durch die Continentalsperre bis zum Aeußersten darniederliegenden russischen Handel durch Verständigung mit England und Wiederöffnung seiner Hafenplätze endlich, bevor es zu spät war, emporzuhelfen. Napoleon fühlte dies sehr wohl und betrieb daher seine ungeheueren Kriegsrüstungen mit unbeschreiblichem Eifer. Die maßlosen Zornesworte, in welchen er sich am 15. August 1811 gegen den russischen Gesandten, Fürsten Kurákin, in öffentlicher Versammlung ergoß, ließen jede Hoffnung auf Verständigung schwinden, die Maske war abgeworfen, der Würfel gefallen. Mit einer ungeheuren Heeresmacht von mehr als 600,000 Streitern rückte Napoleon in der ersten Hälfte des Jahres 1812 an die russischen Grenzen vor und überschritt dieselben, ohne die sonst übliche Kriegserklärung vorauszuschicken. Bekannt ist das russische Vertheidigungsystem, welches, wie bereits erwähnt, schon früher vom Prinzen Eugen vorgeschlagen und jetzt von Wolzogen und General v. Phull detaillirt worden war. Leser, welche sich hierüber genauer unterrichten wollen, verweisen wir auf die treffliche Auseinandersetzung in Eugen’s Memoiren S. 300.
Bereits im April 1812 war Prinz Eugen als Commandeur der 4. Division beim 2. russischen Corps bestätigt worden. In dieser Würde nahm er, mehrerer kleineren Treffen und Gefechte nicht zu gedenken, zunächst ruhmvollen Antheil an der blutigen Schlacht bei Smolensk am 17. August 1812. Von Neuem bewährte sich auch hier des Prinzen Feldherrntalent und unbeugsamer Muth. Denn schon hatten die Franzosen mehrere Vorstädte mit stürmender Hand genommen, als es dem Prinzen, der mit seiner Division hinter dem Oberbefehlshaber Barclay de Tolly hielt, auf seine Bitten gestattet wurde, mit seinen tapferen Truppen vorzurücken, die Angreifenden aus mehreren den Russen Gefahr drohenden Stellungen zurückzuwerfen und bis zum Abend Stand zu halten. Nur der Befehl seines Vorgesetzten konnte ihn zum Rückzuge bewegen. Und was war der Lohn für diese ausharrende Tapferkeit? Der St. Wladimirorden 2. Classe, während Eugen zwei Tage darauf zum Generallieutenant befördert wurde, nachdem er bei Gedeonowo als Commandeur der Arrièregarde mit äußerster Bravour die verfolgenden feindlichen Heeresmassen zurückgeworfen und hierdurch Barclay’s Armee vor sicherer Vernichtung bewahrt hatte.
Seit dem Schlachttage von Smolensk reiht sich in dem Leben Eugen’s Heldenthat an Heldenthat, und unsere reiche deutsche Sprache würde den Vorrath ihrer ehrenden Beiwörter bald erschöpfen, wollten wir in diesen wenigen Spalten jede einzelne Waffenthat des Prinzen mit der ihm gebührenden wohlverdienten Auszeichnung schildern. In der mörderischen Schlacht von Borodino am 7. September 1812 wurden ihm fünf Pferde unter dem Leibe erschossen; inmitten des furchtbarsten Feuerregens von Eisen und Blei, welcher Tausenden seiner tapfern Kampfgenossen das Leben kostete, hielt er unerschrocken Stand, keine feindliche Kugel traf sein theueres Leben, und unversehrt verließ er, ein neuer Achilles, das leichenbedeckte Schlachtfeld. Wo in den Annalen der russischen Kriegsgeschichte die Schlachttage von Tarutino am 18. October, Wjäsma am 3., Rjawka am 15., Merlino am 16., Larionowo am 17., Luschitza am 18. Nov. 1812 und Kalisch am 14. Februar 1813 a. A. m. verzeichnet stehen, da sollte auch hochherrlich vor Allen der Heldenname des Prinzen Eugen von Württemberg glänzen. Aber schon machten Neid und Intrigue sich geltend, und der bescheidene Feldherr, auf dessen Haupt andere Regierungen die reichsten Ehren und Würden gehäuft hätten, besaß während dieses ruhmvollen Feldzuges oft nicht so viel, um sein fadenscheiniges, durchlöchertes Waffenkleid durch ein neues ersetzen zu können.
[582] Das Jahr 1813 und der Feldzug in Deutschland fügten neue und noch reichere Lorbeeren zu den früheren, die sich Eugen in Rußland erkämpft hatte. Die Schlacht bei Lützen am 2. Mai 1813, die, wenn sie nach des großen Scharnhorst Plane am frühen Morgen von dem zaudernden russischen Oberbefehlshaber v. Wittgenstein eröffnet worden wäre, einen für die verbündeten Waffen sieggekrönten Ausgang genommen haben würde, flocht den ersten Ruhmeskranz um die Stirn unseres 25jährigen Helden, und erwarb ihm die Freundschaft und das Wohlwollen des alten York, der an diesem Tage Gelegenheit fand, des Prinzen Muth und Feldherrnblick zu bewundern. Nach einem hartnäckigen Wechselfieber, von welchem sein, obschon an Strapazen gewöhnter, an sich aber schwächlicher Körper heimgesucht wurde, gewahren wir ihn in der zweitägigen Schlacht bei Bautzen, am 20. und 21. Mai, wieder an der Spitze seiner Truppen, mit denen er zwar keinen Sieg erfechten konnte, wie es wohl auch nicht in der Absicht der Verbündeten lag, dem Feinde jedoch namhafte Verluste beibrachte. Das historisch denkwürdige Treffen bei Reichenbach und Markersdorf am 22. Mai war eigentlich das erste, was er ganz selbstständig leitete, und er traf in demselben seine Dispositionen so trefflich, daß der an allen Waffengattungen vielfach überlegene Feind bis zur hereinbrechenden Nacht, ohne große Verluste Seitens der Russen, von ihm aufgehalten wurde. Mit gleichem Glücke hielt er am 20. August das Armeecorps Vandamme’s bis spät Abends, zwischen Krischwitz und Struppen, auf, obschon bereits an diesem Tage ein unseliger Gast bei ihm eintraf, der geisteskranke General Graf Ostermann-Tolstoy, welcher, gestützt auf einen beschmutzten Zettel Papier, den Oberbefehl auf dem rechten Flügel der Verbündeten beanspruchte und vielfache Verwirrungen unter Eugen’s Generalstab, wie unter seinen Truppen, veranlaßte. Zwar gelang es dem Prinzen, ihn inmitten des Kampfes nach seinem Standquartier zurückschaffen zu lassen, allein er wich nicht von seiner Seite, und schon nach wenig Tagen trat die unglückliche Gestalt des verwirrten Grafen ihm bei Priesten und Culm vielfach hindernd und störend entgegen. Es war am 29. August 1813, als in der Nähe von Culm sich eine der entscheidenden Waffenthaten den fast tagtäglichen Gefechten des Prinzen anreihte, die Schlacht von Culm am 30. August glorreich vorbereitete und die Heere der Verbündeten zu neuen Siegeshoffnungen berechtigte.
Die große Wichtigkeit des Treffens bei Priesten mag es entschuldigen, wenn wir hier den nur zu bescheidenen Bericht des Prinzen Eugen über dasselbe wörtlich mittheilen: „Um 1 Uhr Mittags begann der russische Oberstlieutenant Bistrom das Feuer, was eine starke Batterie auf den Culmer Höhen ohne allen Erfolg erwiderte. Während sich die französischen Truppen um Culm her in dichten Massen zusammenzogen und für’s Erste den von dieser Seite begonnenen Andrang aufzugeben schienen, begann das Gefecht bei Straden gegen den General Bistrom mit äußerster Heftigkeit, sodaß dieser Flügel bis an die Eggenmühle zurückweichen mußte. General Yermolow sendete ihm sofort das Regiment Semenov zu Hülfe, und vermöge dieser Unterstützung ging Bistrom gegen den zuerst Vortheile erringenden Feind wieder vor. Ich selbst ließ den General Helfreich bei der Juchten-Capelle in die Intervalle zwischen dem linken Flügel und dem Dorfe Priesten einrücken und später auch noch die Regimenter Czernigoff und Tobolsk in dieser Richtung vorrücken, während Fürst Schachowskoy bei dem Dorfe Priesten zurückblieb. Der Feind näherte seinerseits das Gefecht durch die Division des Generals Mouton-Duvernet und warf in erneuertem fürchterlichen Kampfe die Truppen unter Bistrom wieder nach der Eggenmühle zurück. Yermolow ließ nun auch [583] 2½ Bataillone Preobraschensk vorgehen, um das hartbedrängte Regiment Semenow zu degagiren, und andererseits eilten die Regimenter Czernigoff und Tobolsk dem General Helfreich zu Hülfe. Hier gewann das Gefecht rings um die Juchten-Capelle her einen wahrhaft schauerlichen Anstrich. Von allen Seiten gedrängt, zog sich nach und nach die Schaar der Vertheidiger in eine große Masse zusammen, die nach Umständen vor- und zurückwogte und Truppen von der Garde und von der Linie umfaßte. Man konnte dieses ganze wüthende Handgemenge eine wahrhafte Metzelei nennen, in welcher die Truppen beider Theile mit Löwenmuth fochten, in der aber einzelne Thaten im Gewühl des ganzen großen Hergangs verschwanden.
Während sich nun zur Linken das Gefecht eine Weile im Gleichgewicht hielt, versuchte der Feind, auch im Centrum vorzudringen, und griff Priesten mit großer Uebermacht an. Die Schützen wurden daraus verdrängt, als der Feind aber diesseits des Dorfes zum Vorschein kam, prallte er unter dem Feuer der Batterien zurück, und der tapfere Fürst Schachowskoy trieb ihn darauf mit dem 4. Jägerregiment, dem Regiment Reval und dem Ueberreste von Minsk wieder aus dem Dorfe.
Unmittelbar nach diesem Vortheil ließ ich die Batterieen von Baikoff und Czeremissinow links von Priesten dergestalt vorrücken und durch den Obersten Wachten aufstellen, daß sie, selbst durch das Terrain gegen das feindliche Kanonenfeuer geschützt, mit ungemeiner Wirkung die französischen Colonnen bestrichen, welche am Saume des Waldes die fechtenden russischen Truppen zu umfassen strebten. Auf diese Weise wurde hier (in derselben Art, wie es früher bei Reichenbach am 22. Mai glückte) der Feind im Schach gehalten, an Umgehung gehindert und auf die Thatkraft seiner Colonnenspitzen verwiesen, welche trotz aller Tapferkeit und Anstrengung nicht hinreichten, um den ihnen entgegengesetzten Damm zu durchbrechen. Nochmals verdoppelte jedoch der Feind trotz der ungeheuersten Verluste seine Streitkräfte, trieb die 8 im Kampf begriffenen Gardebataillone und die 9 schwachen Bataillone unter General Helfreich vor sich her und war, des Kartätschenfeuers nicht achtend, eben im Begriff, sich meiner beiden Batterien zu bemächtigen, als ich unter diesen dringenden Umständen und in dieser äußersten Gefahr den zunächst stehenden General Krapowitzky mit dem Garderegiment Ismailow zu Hülfe rief. Man konnte wohl dem General Yermolow bei dieser Gelegenheit einen Scrupel nicht verargen, denn es galt fast seine letzte Reserve; auch rief er meinem an ihn gesandten Adjutanten Helldorf zu: „Der Prinz ist allzuverschwenderisch mit dem Blute der kaiserlichen Garden!“ – Aber General Krapowitzky hatte keine Zeit zum Bedenken gewährt und augenblicklich der ihm durch meinen Adjutanten gewordenen Aufforderung genügt. Aufbruch, Angriff und Sieg war das Resultat eines Augenblicks; – gleich darauf sah man das Schlachtfeld mit feindlichen Leichen bedeckt, die nächsten feindlichen Colonnen flüchtend, unsere ganze Linie im erneuerten Vorrücken und die Batterien wieder in vollständigster Wirkung. Es war eine wahrhafte Heldenthat, die zugleich aber auch dem tapferen Regimente große Opfer kostete. General Krapowitzky und Oberst Martünow wurden schwer verwundet.“
Wenn auch Plotho in seinem bekannten Geschichtswerke sich über diese Heldenthat ausspricht: „Dieser hartnäckige und ungleiche Kampf der auserlesenen Kriegerschaar erinnert an die Vertheidigung von Thermopylä, an der Schweizer geringe Zahl, wenn sie mit eben so viel Heldenmuth ihre Gebirgspässe vertheidigten, – und es wird der Kampf in der Geschichte fortleben, gleich jenen, zum Vorbild künftiger Zeiten;“ – so wird sich wohl Niemand einer gerechten Entrüstung erwehren können, wenn er vernimmt, daß über diese heroischen Waffenthaten innerhalb der letzten acht Tage, deren sich das zweite Corps unter Eugen’s Befehlen rühmen konnte, in den russischen Berichten auch nicht ein einziges Wort zu lesen ist. Mit gleichem Löwenmuthe kämpfte Eugen in der Schlacht von Culm, am 30. August, wo er mit seinem Corps das Centrum der verbündeten Armee bildete, auf Barclay’s Befehl die Culmer Höhen erstürmte, 21 Kanonen erbeutete und den General Vandamme gefangen nahm. Es ist zwar bekannt, daß diese Schlacht durch das glückliche Eintreffen des preußischen Generals von Kleist im Rücken der Franzosen entschieden wurde, aber die stürmische Tapferkeit des Prinzen und seiner Treuen trug nicht minder zu dem glänzenden Erfolge dieses Tages bei. Auch bei dieser Gelegenheit blieb der Name Eugen’s in dem Armeebericht vom 31. gänzlich unerwähnt. Wer wird es daher dem Tiefgekränkten verdenken, wenn er im gerechten Unwillen, in einem Briefe an den Kaiser, um seine Entlassung aus dem russischen Kriegsdienste bat? Der Kaiser Alexander, dessen Prinz Eugen immer und allezeit mit den liebevollsten Worten gedenkt, ertheilte ihm zwar auf dem Schlachtfelde den St. Wladimirorden 1. Classe, wie es in dem später erfolgten Rescripte heißt, „für ausgezeichnete Thaten und umsichtige Anordnungen bei Vernichtung eines Corps französischer Truppen am 29. und 30. August 1813“; trotzdem that er aber nichts, um dem Schwerverletzten eine billige Genugthuung zu verschaffen, und der hochherzige Prinz vergaß seinen Groll und hielt sein Entlassungsschreiben zurück, als kurze Zeit darauf, bei seinem Zusammentreffen mit Alexander, dieser, sein Unrecht fühlend, den jungen Helden mit den Worten anredete: „Ich weiß Alles, was wir Ihnen verdanken! Die Selbstverleugnung ist die schönste Tugend!“ Kann man noch fragen, wer bei diesem Zusammentreffen sich am edelsten benommen? Noch tiefer mußte es aber den Prinzen schmerzen, als nach 22 Jahren, wo doch füglich die Stimmen persönlichen Neides und gemeiner Intrigue verstummen konnten und mußten, die entscheidende Betheiligung am Siege bei Culm mit Stillschweigen übergangen wurde. Im bitteren, aber wohlbegründeten Unwillen äußert sich der Prinz über diese Thatsache in seinen nachgelassenen Memoiren: „Ueberaus empörend ist die neue Erfahrung, welche ich 22 Jahre später erprobte, und von der folgende Documente ein Zeugniß reden, vor dem die Nachwelt im Namen der Theilnehmer zu erröthen haben wird. Ich weiß in der That unter diesen Umständen nicht, was ich neuerdings für bemerkenswerther halten muß, die Größe des erkämpften Resultats oder die beispiellose Undankbarkeit der Zeitgenossen.“
Am 29. September 1835 bei der Grundsteimlegung des russischen Denkmals bei Priesten trat Fürst Metternich in Gegenwart der drei Monarchen von Oesterreich, Rußland und Preußen mit folgender, später von jenen drei Souveränen unterzeichneten Erklärung vor: „An dieser Stelle, wo die ausgezeichnete Tapferkeit und heldenmüthige Ausdauer einer Abtheilung der kaiserlich russischen Garde, unter dem Befehle des Grafen Ostermann-Tolstoy, dem Eindringen eines französischen Armeecorps unter Anführung des General Vandamme, der Vorhut des großen französischen Heeres, am 29. August 1813 ein Ziel setzte und durch diese Waffenthat den glorreichen Sieg der verbündeten Heere bei Culm am 30. August 1813 vorbereitete, errichtet nach der Absicht des verewigten Vaters, Kaiser Franz I. glorreichen Andenkens, der Sohn Kaiser Ferdinand I., dieses Denkmal. Den Grundstein haben gelegt und gegenwärtige Urkunde eigenhändig unterfertigt:
- Kaiser Ferdinand I. von Oesterreich.
- Kaiser Nicolaus I. von Rußland.
- König Friedrich Wilhelm III. von Preußen.“
In solcher Weise versuchte der kaiserlich österreichische Haus-, Hof- und Staatskanzler die Geschichte zu fälschen, sie ist aber das Weltgericht und ihr Endurtheil unterliegt keiner Verjährung.
In dem blutigen Gemälde der großartigsten aller Schlachten, der Völkerschlacht von Leipzig, das wir jetzt unseren Lesern entrollen müssen, tritt das Bild des Prinzen Eugen von Würtemberg strahlend und in antiker Größe aus dem Vordergrunde heraus, jenes der übrigen Heerführer und Generale fast verdunkelnd.
Nachdem am Morgen des 16. Octobers, der erhaltenen Disposition gemäß, Prinz Eugen im Centrum der Verbündeten, unterstützt von der preußischen Brigade Klüx, nördlich von Güldengossa, Wachau gegenüber, Stellung genommen hatte, erdröhnte früh 8 Uhr von der zum Corps des Prinzen gehörigen Batterie Nikitin der erste Kanonendonner, den Beginn des entsetzlichen Kampfes verkündend. Bald waren die wenigen gegenüberstehenden Geschütze der Franzosen zum Schweigen gebracht, bald hatte der russische Oberst v. Reibnitz Wachau besetzt, die wenigen dort postirenden Franzosen vor sich hertreibend, und schon frohlockte nur allzuvoreilig General Wittgenstein über das Zurückweichen des Feindes, allein Prinz Eugen war anderer Ansicht und erkannte vorahnend, aber klar, die Bedeutung des anbrechenden Tages, wie die folgenschwere Wichtigkeit seiner Stellung. Urplötzlich zeigte sich auch auf dem ganzen Höhenzuge von Wachau bis Liebertwolkwitz eine Unmasse feindlicher Geschütze, mehr als hundert an der Zahl, die sofort aus ihren düsteren Schlünden tausendfachen Tod auf die russischen Heeresmassen schleuderten. Der Donner krachte, die Erde zitterte; Rauch und Flammen, Blut und Tod rings um uns her – so beschrieb [584] diese entsetzlichen Stunden Eugen’s Adjutant Molostwow in seinem Tagebuche – verkündeten, daß wir durch unser leises Auftreten den schlummernden Löwen geweckt hatten. Vernichtung traf die Lebendigen, Zertrümmerung das Leblose. Siebzehn russische und fünf preußische Geschütze lagen in wenig Minuten zerschmettert auf der Erde und dem aus dem Gefechte zurückgebrachten, schwerverwundeten Oberst Reibnitz folgte der Haufen seiner flüchtigen Schaaren, vom siegestrunkenen Feinde hart und blutig gedrängt. Mit unerschütterlichem Muthe stand unsere übrige Linie, doch von Ueberraschung noch wie versteinert. Der Prinz äußerte hierbei: „Ich hatte es ja vorausgesagt!“
„Das kann uns aber nichts mehr helfen,“ fiel ihm Fürst Schachowskoy in’s Wort, „wir gehen alle zu Grunde, schon fährt die Artillerie ab!“
„Alles soll stehen bleiben!“ rief der Prinz, „nichts sich von der Stelle rühren, was noch stehen kann!“
Adjutanten flogen nach allen Richtungen, um diesen Befehl zu verkündigen, jedoch geschah dies mit Gefahr, von den demontirten Geschützen, die man aus dem Treffen zog, überfahren zu werden. Vergebens tobte ein furchtbarer Kampf um Wachau, dessen Besitz Russen und Preußen in mehrfachen Stürmen den Franzosen streitig zu machen versuchten. Ringsum war das Schlachtfeld mit Leichen besät, aber eine weit reichlichere Ernte hielt der grimmige Tod unter den in der Ebene Gewehr bei Fuß aufgestellten Schaaren des Prinzen von Würtemberg. Ein feuerspeiender Berg schleuderten die französischen Geschosse mit ihren eisernen Kugeln Tod und Verderben unter die Tapferen, die, gleich dem blauen und gelben Regiment Südermannland unter Gustav Adolph auf Lützens Ebenen, Mann neben Mann, wie sie im Leben bei einander gestanden, so jetzt entseelt das schreckliche Schlachtfeld bedeckten. In düsterem Schweigen, während Flintenkugeln ihn umsausten und die Kanonen mit ihren Geschossen die Erde neben ihm durchfurchten, durchritt der Prinz die furchtbar gelichteten Reihen seiner Kampfgenossen; es war eine trübe Musterung, und die Anfrage bei jedem Bataillone: „wie viel habt Ihr bereits verloren?“ wurde meist schweigend mit einem Blick auf die Menge Entseelter, die rings umher lagen, erwidert. Hier war es, wo der Oberst Galubzow zu ihm heransprengte und ihm mit ängstlichen Worten die seiner Batterie drohenden Gefahren schilderte; in demselben Augenblicke tödtete eine Kanonenkugel das Pferd des Prinzen und gleichzeitig das des Obersten und raubte dem danebenhaltenden Adjutanten, Lieutenant von Kursell, sowie einem preußischen Ordonnanzhusaren, das Leben. Sofort bestieg der Prinz ein neues Pferd, rief aber dem Obersten, der seine Batterie verlassen hatte, statt einen seiner Adjutanten zu senden, die mit etwas Spott vermischten Worte nach: „Sie sehen, Oberst, daß wir hier auch nicht auf Rosen wandeln!“
Allein es galt, noch Entsetzlicheres an diesem Tage mit felsenfestem Muthe zu bestehen. Um 3 Uhr Nachmittags verstummte plötzlich das Brüllen der feindlichen Kanonen, aber gleichzeitig vernahm man ein Gerassel wie von hunderttausend ehernen Ketten; die Erde erdröhnte unter dem Hufschlag von 8 bis 10,000 Rossen, die in Sturmeseile auf die gelichteten Schaaren des Prinzen Eugen heranbrausten. König Murat versuchte an der Spitze seiner Geharnischten in diesem welthistorischen Reiterangriff, das feindliche Centrum zu durchbrechen und zu zerschmettern; mit kalter Todesverachtung rief der Prinz in hastiger Eile die wenigen Truppen, die ihm noch verblieben waren, zu sich heran und warf sie kühn dem athemlos heraustürmenden Feinde entgegen. Wie grausig auch das jetzt beginnende Gemetzel war und wie viele der Tapfern auch unter den Säbeln und Lanzen der Feinde erlagen, dennoch wurde derselbe geworfen, und gleich mächtigen Klippen trotzten und widerstanden die Granitcolonnen des Prinzen der Fluthengewalt und behaupteten, als die Ebbe wieder eintrat, kühn und unbeweglich noch ihre früheren Plätze, sodaß ihre Erhaltung in dem tobenden Kriegssturm für ein Wunder gehalten werden mußte. Als die Nacht hereinbrach, sandte der Prinz seinen Adjutanten, Oberst von Wachten, zum General Barclay de Tolly, um ihm über die Verluste des Tages zu rapportiren. Von 10,000, die er am Morgen auf das Schlachtfeld geführt hatte, blieben ihm am Abend nicht viel über 2000 kampffähige Streiter. Barclay, der die Größe dieses Verlustes nicht glauben wollte, mußte von dem rapportirenden Oberst die bitteren Worte vernehmen: „Versagen Ew. Excellenz den noch Lebenden Ihre Theilnahme, so werden Sie beim Anblick unseres Schlachtfeldes die Todten überzeugen!“
Der Held von Wachau – bewahre dies im treuen Gedächtniß, mein deutsches Volk – war Eugen, Herzog von Würtemberg!
Wie schon früher bemerkt, ist es nicht unsere Absicht, einen bis in’s Einzelne gehenden Lebensabriß des Prinzen in diesen Spalten zu entwerfen. Obige Skizzen genügen sicher, dem Leser ein hellleuchtendes Bild von einem jugendlichen Heros zu liefern, den die antike Welt Griechenlands und Roms unter ihre Halbgötter versetzt haben würde, während die moderne Zeit ihm nur eine Fülle strahlender Orden reichte, mit denen er sein wundes, so oft auf’s Tiefste verletztes Herz bedecken sollte. Wir übergehen daher Eugen’s muthvollen Sturm auf Probstheida am 18. October 1813, die Treffen und Schlachten, in denen er während des Kriegszugs nach Frankreich zu Anfang des Jahres 1814 glänzte, wir erwähnen nur vorübergehend den überaus ruhmvollen Antheil, den er an der Eroberung von Paris genommen, und der ihm die Genugthuung verschaffte, zuerst an der Spitze von 1000 Mann in diese Hauptstadt, die sich noch vor Kurzem die erste der Welt dünkte, einzuziehen, das Stadthaus zu besetzen und die drei Monarchen von Oesterreich, Preußen und Rußland an der Barriere von Pantin zu empfangen.
Der Krieg war beendigt und der heißeste Wunsch des Prinzen, die Besiegung des einst so mächtigen Dictators Europa’s, erfüllt. Ebenso flüchtig verweilen wir bei Eugen’s späteren Waffenthaten während des Türkenkrieges, für welche ihn zwar der Kaiser Nikolaus mit schönen Redensarten und den Diamant-Insignien des St. Andreasordens belohnte, während er die in der Anciennetät dem Prinzen nachstehenden Generale Diebitsch und Paskiewitsch mit dem Obercommando in der asiatischen Türkei betraute und nachmals zu Feldmarschällen ernannte. Zwar trat die Versuchung oftmals an den Prinzen heran, die russischen Kriegsdienste zu verlassen – hatte ihn doch selbst Napoleon zu wiederholten Malen in die seinigen zu locken gestrebt – allein stets hinderte ihn das seiner Tante und mütterlichen Freundin, der Kaiserin Maria Feodorowna, gegebene Versprechen, den russischen Dienst nicht ohne ihre ausdrückliche Genehmigung zu verlassen. Da seine liebevolle Gönnerin aber starb, ohne ihn seines Wortes entbunden zu haben, so hielt er sich fortwährend an die russischen Fahnen gefesselt.
Dennoch nahm er nach beendigtem Kampfe mit Frankreich Urlaub auf unbestimmte Zeit und benutzte die ihm dadurch gewordene Muße, um nach seinem geliebten Carlsruh in Schlesien überzusiedeln. Hier beschäftigte er sich zunächst mit Studien über Politik, Staaten- und Militairorganisation, während sein reicher Geist sich in vielfachen poetischen Gestaltungen und musikalischen Compositionen übte. Hierhin führte er auch seine erste Gemahlin, die Prinzessin Mathilde von Waldeck (20. April 1817), der er in seinen Memoiren nachrühmt: „Diese herrliche Seele verdiente ihre Stelle in den Werken aller edlen Dichter, die weibliche Tugenden und Vorzüge besingen;“ allein schon nach acht kurzen Jahren wurde ihm auch dieses Glück durch den Tod der Prinzessin am 13 April 1825 entrissen. Eine zweite Ehe ging er am 11. September 1827 mit Prinzessin Helene von Hohenlohe-Langenburg ein, welche äußere Schönheit mit allen Vorzügen des Herzens vereinigte. Nach des Prinzen eigener Aeußerung war sie ein Musterbild einer herrlichen Frau für Jeden, der ihr nahte. Die Geburt einer Tochter, Prinzessin Agnes (geboren am 13. October 1835, nachmals vermählt mit Erbprinz Heinrich XIV. von Reuß-Schleiz am 6. Februar 1858) erhöhte noch im reichsten Maße das Glück des liebenden Paares, das fortan nur in der Ausübung häuslicher Tugenden und in stiller Zurückgezogenheit das schönste Ziel seines Lebens suchte und fand.
Im vertrauten Kreise mit Freunden und Waffengenossen bot die Erinnerung an eine glorreiche Vergangenheit manch lichtstrahlendes Bild, und nur zuweilen, wenn das Gespräch die Ereignisse des Jahres 1813 berührte, zeigte die Heldenstirne des Greises einige bald wieder entschwindende Falten, denn selbst die Alles mildernde Zeit vermochte nicht immer den Unmuth über absichtliche Zurücksetzungen und Intriguen zu verscheuchen. Am 16. Septbr. 1857 endete zu Carlruh ein sanfter Tod das ruhmgekrönte Leben des Prinzen.
Das deutsche Volk aber möge nie vergessen, daß es der aufopfernden Wirksamkeit des Prinzen Eugen von Würtemberg wenigstens bei drei Gelegenheiten ganz allein zu verdanken [585] ist, daß unser Vaterland vom Joche der Fremdherrschaft und von der Gefahr, zu einer französischen Provinz herabzusinken, erlöst wurde! Diese drei Fälle waren:
Erstens die Schlacht von Malojaroslawecz am 24. Oct. 1812, wo sich Eugen dem gesammten Heer Napoleon’s entgegenwarf, als dasselbe auf der bequemen und hülfsmittelreichen südlichen Straße über Kaluga von dem eingeäscherten Moskau her sich zurückzuziehen beabsichtigte. Der hartnäckige, trotz Kutusow’s Gegenbefehlen und feigem Rückzug fortgesetzte Widerstand Eugen’s veranlaßte allein Napoleon, die nördliche, geplünderte und dem harten Winter ausgesetztere Straße über Smolensk zu wählen, auf welcher dann sein ganzes Heer zu Grunde ging. (Vergl. außer der Helldorf’schen Schrift auch den Bericht des General Wilson, englischen Bevollmächtigten bei der russischen Armee, über den Feldzug von 1812.)
Zweitens die Gefechte bei Pirna, Gießhübel und Culm, vom 26. bis 29. August 1813, wo Prinz Eugen ganz allein, wieder zum Theil entgegen den confusen, widerwilligen und störenden Befehlen des russischen Obercommando’s, die Armee der Verbündeten vor gänzlicher Zersprengung und Vernichtung gerettet hat. Er hielt den General Vandamme, welcher heranzog, um die Höhen zu besetzen, auf denen die Verbündeten sich zurückziehen mußten, Schritt für Schritt auf und ermöglichte so, daß die gesammten russischen Garden und ein Theil des übrigen Heeres durchschlüpfen und sich schlagfertig im Thal bei Teplitz ansammeln konnten. Er allein setzte es dann durch (siehe Aster’s Werk), daß die Verbündeten bei Culm wirklich gegen Vandamme’s Nachdrängen Stand hielten und der Kaiser von Rußland zu diesem Behufe (und um die noch in den Gebirgen steckenden Truppen zu retten) seine Garde opferte, deren Heldenmuth wir nicht herabsetzen wollen. Nur so ward es möglich, Vandamme erst aufzuhalten, dann zu umzingeln und endlich dem glücklich auf Vandamme’s Rückzugslinie anlangenden General Kleist (von Nollendorf) entgegen zu werfen.
Drittens endlich in der Schlacht bei Leipzig, wo nur Prinz Eugen es war, welcher die von Napoleon durch seinen großartigen Artillerie- und Cavallerieangriff bei Wachau beabsichtigte (und sogar als ausgeführt mittels Siegesfests gefeierte) Durchbrechung des Centrums der verbündeten Armee vereitelt und seine Bataillone in den Fluthen jener Reitermassen, wie kleine Felsen in den Brandungen des Oceans, feststehend und schlagfertig gehalten hat.
Wo jemals von den damaligen Befreiern Deutschlands die Rede ist, da muß der Prinz Eugen von Würtemberg in erster Linie genannt werden. Und dies um so mehr, da die deutschen Geschichtsschreiber an ihm eine doppelt schwere Schuld zu sühnen haben. Einmal ihre eigene; denn über keinen der deutschen Freiheitskämpfer hat man bis jetzt so mager berichtet (vielleicht in einer gewissen Mißstimmung darüber, daß dieser General bis in’s hohe Alter in russischen Diensten geblieben ist). Andererseits müssen wir Deutsche die wahrhaft empörende Art, wie alle russischen Militairberichte und Geschichtsschreiber die Leistungen des Prinzen Eugen von Württemberg herabgesetzt, verschwiegen oder lügnerischerweise auf andere Personen (z. B. auf den verrückten Tolstoy) übergetragen haben, immer und immer wieder (nach den treuen Berichten von Aster, Helldorf und Wilson) an’s Tageslicht ziehen und dafür sorgen, daß die Wahrheit nicht nur bei uns, sondern auch bei den Geschichtsschreibern anderer Völker zur Anerkennung komme.
So werden wir ihm wenigstens noch seine Grabstätte mit Ehrenkränzen zieren, nachdem merkwürdiger Weise die deutsche Presse sogar den Sterbetag dieses Helden fast stillschweigend hat vorübergehen lasten.