Eine Besteigung des Monterosa

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Autor: B…d
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Titel: Eine Besteigung des Monterosa
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 100–104
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Eine Besteigung des Monterosa.

Noch immer giebt es in der unwirklichen Nähe der Schneeregion der Alpenwelt Thäler voll prächtiger Landschaftsbilder, welche dem großen Touristenhaufen glücklich entgangen sind. Zu diesen gehörte lange Zeit auch das Vispthal, welches bis zu den Füßen des Monterosagletschers hinanreicht. Erst das Entstehen eines bequemeren Hotels, dicht an dem Rande der Eiswelt, und das Erdbeben, welches 1855 hier so gewaltig hauste, lenkte die Aufmerksamkeit der Naturfreunde auf diese Abzweigung des Rhonethals. Zu diesen gehörte auch ich. Es war im Jahre 1856, am 24. August, als ich im letzten Dorfe an der Visp, Zermatt, im Hotel zum Mont Corvin mein Nachtlager nahm. Hier erfuhr ich am andern Morgen von einem Engländer, daß er am folgenden Tage, falls er Begleiter fände, den Monterosa zu ersteigen gedenke. Sofort erklärte ich meinen Anschluß an die Partie und stieg freudig zum gewöhnlichen letzten Ziel der Reisenden, zur Riffelstation hinauf, von wo aus die Expedition beginnen sollte.

Im Laufe des Nachmittags mehrte sich die Zahl der Reisenden auf bedenkliche Weise, und zu meiner Ueberraschung erfuhr ich, daß nicht weniger als elf davon sich morgen unserer Expedition anzuschließen gedächten, lauter Engländer und Amerikaner, für welche außergewöhnliche Pläne stets besonderen Reiz gehabt haben. Mit zweien meiner künftigen Gefährten, Mr. B. und C., mußte ich denn auch, da ich in gewohnter ritterlicher Galanterie mein Zimmer einigen Damen abgetreten hatte, das Nachtlager theilen, und zwar, horribile dictu, in der Küche, wo wir im Rauche noch röstender Braten und beim Lärme der scheuernden Mägde auf jammervolle Lager gebettet wurden. In Anbetracht der kommenden Genüsse suchten wir uns jedoch den Humor nicht verderben zu lassen und thaten unser Möglichstes, um schnell einzuschlafen und mehr von Gletschern und Schneefeldern, als von angebrannten Coteletten und überkochenden Suppen zu träumen. Ein Glück, daß unser Vorsatz so ziemlich gelang, denn schon um zwei Uhr Morgens mußten wir uns vollständig gerüstet versammeln. Von diesen Ausrüstungen war nun jedenfalls meine die einfachste. Leichter Sommeranzug, bequeme aber dünne und wenig mit Nägeln beschlagene Stiefel, den Plaid lose über die rechte Schulter geschlungen, den Filz fest eingedrückt und einen kräftigen Alpenstock in den Händen: so stach ich bedeutend gegen die riesenhaften Engländer ab mit ihren massigen Fußbekleidungen, den doppelten, derben Körperhüllen, bewaffnet mit blauen Brillen, Schleiern, Fernrohren und anderem Reiseluxus. Fröstelnd begrüßten wir uns im Speisesaale bei flackerndem Kaminfeuer, das ein düsteres Licht über die matterleuchtete Tafel warf. Unter ziemlich einsilbiger Conversation goß jeder enorme Quantitäten von heißem Kaffee, Thee und Chocolade in den Magen, mit nicht unansehnlichen Flocken alten Brodes verdichtet. Denn dies mußte für wenigstens 16 Stunden der letzte warme Bissen sein, welcher daher von Jedem mit gebührender Aufmerksamkeit gewürdigt wurde. Doch fast hätte ich eine Hauptsache vergessen. Noch vor dem Frühstücke trat der Engländer, welcher die ganze Partie arrangirt hatte und wahrscheinlich Geistlicher war – sein Name ist mir entfallen – an den Tisch, hielt eine passende, kräftige Ansprache, warf sich auf die Kniee und flehte in schlichten Worten die Gnade des Herrn auf die Schaar herab, welche den Wundern seiner Schöpfung auf gefährlicher Bahn nahen und seine Größe in seinen mächtigsten Werken anstaunen wollte. Das Ganze war so einfach, so natürlich gesagt, daß sich Alle dadurch sichtlich erhoben fühlten. Leider verschwand für mich die frohe Stimmung sofort nach dem Frühstück. Denn als die von dem Wirth am Tage vorher für Jeden gepackten Ranzen mit Cognac, Brod, Käse, Chocolade, kaltem Fleisch und Backpflaumen – ein wenig probates Mittel gegen den Durst – visitirt wurden und Jeder mit seinem Führer sich bekannt machte, um das Letzte in Eile mit ihm zu verabreden, stellten sich mir nicht einer, sondern zwei Männer als für mich in Zermatt gedungene Führer vor. In Anbetracht meiner schwachen Börse und der Willkür des

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Das Herabsteigen von der Monterosa-Spitze.
Originalzeichnung von H. Jenny.

Wirthes protestirte ich zwar gegen dies Verfahren; schließlich fand sich aber, daß auch die Gefährten je zwei Führer hatten, von denen der eine den Proviant trug und mit einem kräftigen Seile, dessen Gebrauch sich später zeigen wird, versehen war. Der andere Führer dagegen, welcher speciell zu persönlichen Handleistungen dienen sollte, hatte außer dem Seile nur noch ein axtförmiges Beil und die unentbehrliche Schnapsflasche.

Nach wenigen schnellen Schritten hatte ich die vorangeeilte Gesellschaft eingeholt, die nunmehr aus zwölf Personen mit den nöthigen Führern bestand, die größte Gesellschaft, welche bis jetzt den überhaupt erst seit wenig Jahren nahbaren Monterosa zu besteigen unternommen. Unter den Führern zählten die besten in der ganzen Schweiz, die Gebrüder Taugwald, von denen der ältere zum Commandeur der ganzen Truppe ernannt wurde, und der im Sprunge einer Gemse gleichende Simon.

Nachdem wir, der Dunkelheit wegen unseren Weg oft nur tastend, die steile, aus losem Geröll bestehende Seitenmoräne des Gornergletschers, welcher sich in mächtigem Bogen um das Monterosa-Gebirge herumzieht, bedächtig hinabgeklettert waren, betraten wir die Fläche des Gletschers selbst, ein blaues schimmerndes Eisfeld, meistens von spiegelnder Glätte. Nur selten erhoben sich Steine, welche von der schmelzenden Sonne wie Tische auf einem Eissockel gelassen waren, aber oft begegneten wir reißend dahin stürzenden Bächen, die sich in der Tiefe des Eises donnernd Weg gebrochen haben und über die wir, einmal nicht ohne Gefahr, in mächtigem Sprunge, meistens unterstützt durch die hinübergereichten [102] Stöcke der Führer und von deren nerviger Hand hinübergeschleudert, glücklich hinwegkamen. Dicht neben dem einen Bache fanden wir eine von den schauerlich schönen Vertiefungen, welche bei den von der Sonne an der Oberfläche ausgehöhlten und spitzig gezahnten Gletschern keine besondere Erscheinung sind, die aber auf dem flachen, stundenweiten Eisfelde des Gornergletschers, der sich wie ein festgeschlungenes Band zum Thale hinabzieht, in der Mitte nur selten angetroffen werden. Tiefe, dunkle Bläue spiegeln die geraden Eiswände wieder, tiefe, dunkle Bläue ruht auf den im Grunde sich sammelnden Wassern, und blau schimmert der Schnee ringsum, wo ihn der Stock oder die Fußspur eindrückt. Und nun die Scenerie um uns her! Wo findet die Sprache Worte, das Entzücken zu malen? Wer leiht Farben, um auch nur die Schatten des Bildes wiederzugeben? In mächtigem Gürtel zieht das Riesenvolk vor dem Blicke dahin, links, an die Cima de Jazi sich lehnend, der mächtige, untersetzte Monterosa, viergehörnt, im Winkel gelegen, daran der Lyskamm mit der langgestreckten, weißen Wand, ein Zwillingspaar von hellschimmernden Kuppen aussendend, die endlich über dem kräftigen Breithorn den Blick zu der Perle der Kette, dem wunderbarsten aller Berge führen, den man nur anstaunen, aber kaum begreifen konnte. Kühn steigt das Matterhorn aus dem Bergrücken, pfeilspitz sich gipfelnd, blendend weiß, unnahbar, die wahre nie zu erobernde Jungfrau. Dies das Gerippe. Aber nun der Ueberwurf, den die Beleuchtung ausspann über das Volk der Bergriesen? Silbern, wie nie wahrer, tanzte das Mondlicht auf den Kuppen der Berge, und in silberner Bläue zitterte jeder Lichtstrahl von ihnen zurück. Märchenhaft nahten die Berggeister in dem milden Dufte der Nacht, nicht phantastisch betäubend, wie ihre Verwandten der tropischen Zonen, nicht gemüthlich anheimelnd, wie ihre Schaaren im norddeutschen Heimathsland, aber durchscheinend, unbegreiflich, magische Kreise ziehend, überwältigend mit der klaren, festen Zeichnung der Gruppen und dem glitzernden, knisternden Hauch, der Alles in Silberglanz und Aetherbläue löst. Doch schon ziehen sich dunkle, undurchdringliche Tinten durch das eben noch so köstliche Blau, der Schnee wird immer grauer, der Mond bleicher und bleicher. Einen Moment trüben sich die Umrisse des Ganzen. Da plötzlich flammt ein Blitz auf der Spitze des Monterosa, erst ein Funke, dann flackert er auf, dann springt er von Spitze zu Spitze. Schon flammt das Matterhorn, immer heller wird die Gluth; jetzt scheint sie zu verlöschen, da flammt sie von Neuem auf, im Nu strahlt die ganze Bergkette, blau, roth, gelb, alle Farben des Regenbogens kreuzen sich auf der Netzhaut des Auges, bis endlich großes, allumfassendes, rosiges Glühen die Schneefelder und den Beschauer umfängt – der erste Blick der Sonne. Jetzt schwindet die Geisterwelt mit dem spukenden Silberglanz, und das Herz schlägt uns in unnennbarer Lust, im höchsten Gipfel des Lebens. Was bis dahin todt und starr erschienen, das athmet jetzt in dem rosigen Lichte, was kalt und groß, unnahbar und unbegreiflich geschienen, das tritt uns näher im warmen Hauche, das wird begreiflich, weil es mit uns von demselben Leben durchglüht scheint. Unwillkürlich entblößten wir das Haupt, trotz des eisigen Bodens, der noch in tiefer Nacht lag. Denn in solchem Momente fühlt man das Allumfassende, das Allerhaltende, das Allbelebende, wie nie. Und dieses unvergeßliche Schauspiel, das uns trunken machte vom Sonnenlicht, wie Bacchus vom ersten Trunke der Reben, war so vollkommen, so ungetrübt, daß selbst die Führer unser Glück priesen, und wir Alle in den nun schnell einbrechenden Tag mit dem Gefühle schritten, einen Augenblick durchlebt zu haben, wie er unserem kurzen Dasein vielleicht nie wieder gegönnt sei.

Wir hatten unterdeß den Gornergletscher überschritten und befanden uns nun auf dem Monterosagletscher, welcher sich von dem Fuße des Monterosa selbst ergießt und von dem Gornergletscher durch eine kaum bemerkbare Mittelmoräne getrennt ist. Nach mehrstündigem Wandern über den meilenbreiten Strom beschritten wir endlich das erste hartgefrorene Schneefeld, dessen sanfte Neigung glücklicherweise keine besonderen Anstrengungen erforderte, zumal gleich von Anfang die Vorsicht gebraucht worden, daß Jeder nach Indianerart in die Fußstapfen des Vorhergehenden trat und jede Anhöhe, auch wenn sie scheinbar leicht zu überwinden war, dennoch in zickzackförmigen Gängen betreten würde. Wenig erschöpft, aber doch von der frischen Morgenluft zu reger Eßlust gestachelt, machten wir endlich an den sogenannten schwarzen Platten, dem letzten Gestein, das im Sommer seine nackten Flächen durch die ewige Eis- und Schneekruste zu brechen vermag, Halt und ließen uns zu behaglichem Mahle nieder. Tapfer wurde den Vorräthen zugesprochen, und es bedurfte der Ermahnungen der Führer, daß wir nicht durch Uebermaß der so nothwendigen freien Beweglichkeit Abbruch thäten. Nur dem Einen von uns versagten schon jetzt die Kräfte, und das war der eine meiner Führer, welche allerdings nur zu den Holzfällern des Thales zu gehören schienen, denn er wurde in Folge der dünneren Luft beinahe unfähig zu jeder Bewegung.

Unterdeß wurde der Kriegsplan entworfen. Der eine Theil wollte vom Nordosten aus die Erklimmung versuchen, aber Taugwald der Aeltere, welcher die ersten beiden Besteigungen des Monterosa geleitet hatte und in der angegebenen Richtung niemals weiter, als auf die zweithöchste von dem obersten Gipfel durch eine tiefe Kluft getrennte Spitze hatte gelangen können, bezeichnete die westnordwestliche als die passendste, und seine erfahrene Stimme gab den Ausschlag. Zu gleicher Reihe und Ordnung, wie vorher, brachen wir um 9 Uhr auf. Die schon bedeutend steileren und hartgefrorenen Schneefelder ging es von Neuem nicht ohne Anstrengung mehrere Stunden bergan. Aber hierbei versagten bereits einem Zweiten die Kräfte, und das war mein zweiter Führer. Wahrlich, ein würdiges Paar, das jedem Reisenden auf spätere Fälle dringend zu empfehlen ist! Numero Zwei spürte jene verräterische Müdigkeit, welche so leicht Verderben und Tod bereitet, und bettete sich, ihr nachgebend, in den Schnee. Vergeblich stellten wir ihm die Gefahr vor, entweder nicht wieder aus dem Schlafe zu erwachen, oder von uns auf dem Rückwege nicht wieder aufgefunden zu werden. Er hörte weder auf wohlgemeinten Rath, noch auf das Gespött der übrigen Führer und verschwand bald als dunkler Punkt in dem weißen Schneetuche. Ich aber war fest entschlossen, meinen unvergleichlichen Führern die großen Aufmerksamkeiten, die sie mir erwiesen hatten, nicht mit den ursprünglich ausbedungenen 70 Francs zu lohnen.

Um 10 Uhr befanden wir uns am Fuße des letzten Kegels, der sich in mächtiger, wohl 45 Grad starker Böschung erhob und auf dessen äußerster Höhe ein schmaler, zerrissener Felsgrat, der Zugang zur letzten Spitze, aus dem Eise hervorragte. Wie aber diesen jähen, schlüpfrigen Eismantel erklimmen? Schon dachte ich mit Schrecken an die Geschichte von dem Gemsjäger, der sich die Fersen aufschneidet, um mit seinem Blute einen Halt an dem steilen Felsen zu gewinnen, und schon brannte mir bei dem bloßen Gedanken die betreffende Stelle meines Piedestales. Doch so grausames Loos hatten die Götter uns Sterblichen nicht beschieden. Allerdings hätten wir bei dem gelindesten Winde die Ersteigung aufgeben müssen, da sich dann die Luft mit scharfen Eisnadeln füllt, welche das schon so mühsame Athemholen erschweren und dem Auge die erforderliche Sicherheit nehmen. Die Luft war jedoch ruhig, und so reichten die Mittel, die wir besaßen, zur Ueberwindung aller Hindernisse hin. Hier zeigte sich die Nützlichkeit der von uns mitgenommenen Seile. Wir theilten die Gesellschaft nämlich in drei Theile, von denen die Glieder jedes einzelnen durch die zweimal fest um die Hüften geschlungenen Leinen miteinander verbunden wurden. An der Spitze jeder Kette stand ein Führer. Der von der ersten, Simon, hieb nun mit seiner Axt Schritt für Schritt Stufen in den gefrorenen Schnee und in das harte Eis, in welchen wir, oft allerdings nur durch die straffgespannten Seile im Gleichgewicht gehalten, für einen Moment festen Fuß fassen konnten. Nach einstündiger, unsäglicher Arbeit erreichten wir die Stelle, wo der Felsgrat aus dem Schnee zu Tage tritt. Auch jetzt hätten wir umkehren müssen, wenn es kürzlich geschneit hätte und die Zwischenräume zwischen den einzelnen Felsblöcken dadurch verwischt worden wären. Da uns jedoch das Glück auch diese Enttäuschung ersparte, so rüsteten wir uns nach kurzer Erholung in einer Nische, welche von dem ersten Felsblock gebildet wird, zum letzten, verwegensten Klimmen. Die Gefahren, welchen man auf diesem Felsgrat begegnet, sollen nach der Aussage eines Engländers, welcher den Montblanc und im vorigen Jahre den Monterosa bestiegen hat, Alles überbieten, was der erstere an Hindernissen aufzuweisen hat. Beim Anblick des bedenklichen Pfades verlor auch einer unserer Engländer, Mr. El., den Muth und mußte bis zu unserer Rückkehr in jener Nische bleiben, ein anderer, Mr. M., erlag beim ersten Schritt dem Schwindel und der dünnen Bergluft und theilte das Loos des ersteren mit schwerem [103] Herzen. Wir aber betraten nun den fußbreiten Grat, von dessen einer Seite sich ein schwindelnder Abgrund hinabstürzte, während sich auf der andern Seite eine Schneefläche in unabsehbarer Weite hinabsenkte, auf welcher auch der beste mit Nägeln beschlagene Stiefel keine Spur zurückließ. Die Anforderungen an unser ruhiges Auge und unsere Geschicklichkeit waren daher nicht gering. Bald mußten wir von einem Felsblock zum andern springen, der uns kaum den nöthigen Platz zum Stehen gewährte, bald, wo der Sprung zu gewagt schien, um den Fels auf schmaler Kante herumkriechen. Glitt nun der Fuß auf solcher zackigen Kante aus, so hing man über dem etwa 1000 Fuß tiefen Abgrunde und man konnte dann nur durch das Anziehen der Leinen von dem Vorder- und Hintermanne wieder auf die Beine gebracht werden. Bald auch erreichte man einen Fels nur auf schwacher Schneebrücke, oder wir standen gar vor einem Block, den wir nur schwebend hinaufgehißt werden konnten.

Welche Anstrengungen das Klettern erforderte und wie langsam wir trotzdem vorwärts kamen, wird man sich unschwer vorstellen können. Doch wir achteten keiner Mühe, wir achteten keiner Gefahr, geschoben und schiebend, selbst gezogen und selbst ziehend, drängten wir vorwärts, wie die Wilden, nur vorwärts, vorwärts. Endlich wurde unsere verzweifelte Arbeit belohnt. Nach zweistündigem Ringen wurden wir auf die letzte und höchste Felsplatte gehißt, nachdem wir schon vorher unsere Stöcke in eine Spalte gesteckt hatten, um im Nothfall auf allen Vieren fortkriechen zu können. Ich für meine Person fühlte mich zwar auch dann noch auf den beiden Füßen sicherer, als in gebückter Stellung, da ich keinen Schwindel kannte. Andere aber zogen die Hülfe der Hände vor, und Einzelne, wie mein Stubengefährte Mr. C., mußten sogar mit verbundenen Augen von den Führern über die gefährlichsten Stellen geschleppt werden. Wie dem aber auch war, endlich kamen wir oben, 14,284 Fuß über der Meeresfläche, mit Freudengejubel und Hurrahruf an. Zum Zeichen des gewonnenen Sieges und zum schwachen Signal für die Freunde, welche unsern Weg mit Fernröhren zu verfolgen versprochen hatten, zogen wir die Schnupftücher der Gesellschaft als Fahne an dem einzigen mitgenommenen Stock auf. Leider wurde dieses Signal der Entfernung wegen nicht wahrgenommen. Den Gipfel des Monterosa bilden zwei schräg aneinander stoßende Felsplatten, deren Bestandtheile, meinen schwachen geognostischen Kenntnissen nach, Gneis und Granit zu sein scheinen. Ein Stück von der äußersten Kante wurde sofort zum dauernden Andenken an diese Stunde abgeschlagen. In der durch jene beiden Platten gebildeten Vertiefung lagerten wir uns dann, um eine Uebersicht über die Pygmäenwelt unter uns zu erhalten. Obgleich ich eine Aussicht in ganz anderer Art erwartet hatte, als sie geringere Berghöhen darbieten, so war ich doch von der Eigenthümlichkeit des Schauspieles vollkommen überrascht. Das Panorama, oder besser gesagt die große Reliefkarte zu unseren Füßen erstreckte sich nach Norden über die ganze Schweiz bis zu den schwäbischen Alpen, nach Osten bis zum Splügen und Bernina. Im Westen sah man über die Savoyer Gebirge in das französische Rhonethal, und südlich lag die ganze lombardische Ebene ausgebreitet. Ueber letzterer lagerte aber in bedeutender Tiefe ein endloses wogendes Wolkenmeer, dessen Spiel im treibenden Winde zum Entzücken schön war, uns dagegen nur auf Augenblicke einen grünen Fleck Landes erspähen ließ. Desto klarer war die Schweizer Seite; denn wenige kleine Wolken konnten bei dem unermeßlichen Gesichtskreise nicht in Anrechnung kommen. Zwei hellschimmernde Punkte im Nordwesten erkannten wir deutlich als den Neuschateller und den Bieler See, während die näheren Seen uns durch die Perspective verdeckt waren. Einen ganz sonderbaren Eindruck aber machte es, daß die Berge, die vielleicht nur um tausend Fuß niedriger als unser Standpunkt waren, so unverhältnißmäßig klein erschienen, daß ich zuerst vergeblich nach dem Matterhorn suchte, diesem majestätischen Kegel, der sich dreitausend Fuß in beinah verticaler Höhe von dem benachbarten Bergrücken erhebt. Nur der Berg, der wirklich Herr über den Monterosa ist, der Montblanc, machte auch jetzt noch seine ganze Ueberlegenheit geltend. Die gelbliche Farbe, welche seine Schneefelder von Weitem zu haben scheinen, und die isolirte Lage seiner Gebirgsmassen waren allerdings nicht wenig geeignet, den Eindruck, welchen er machte, zu erhöhen. Doch verloren auch die einzelnen Spitzen an Bedeutung, so traten die verschiedenen Bergketten um so deutlicher hervor, links die Walliser Alpen, zu unseren Füßen hinter den Mischabel-Hörnern der mächtige Zug der Berner Alpen. Wollte ich sie alle nennen mit ihren Firnen und ihren Gletschern, wollte ich ihre breiten Eisgürtel verfolgen in allen ihren Verzweigungen, so würde wohl sonder Mühe eine Orographie der Schweiz entstehen. Nur Das will ich daher bemerken, daß mir nie der Zusammenhang der Alpenketten deutlicher geworden ist, als auf dem Monterosa, und daß der unbeschreiblichen Großartigkeit des Panorama nichts fehlte, als Wasser und Thäler. Denn an Flüssen sahen wir nur die blaukrystallisirten, eisigen Ströme der Gletscher, von Thälern erspähten wir nur das wilde, zerklüftete Thal der Visp (von den Schweizern Vieschp genannt) und südöstlich das Macugnagathal oder Val Anzasca, ein kleiner, lieblicher Streifen in der trostlosen, starren Alpenwelt.

Während wir in dem Anblick dieser seltenen, imponirenden Scenerie schwelgten, wurde der Stärkung des Leibes nicht vergessen. Denn lange durfte unser Aufenthalt auf der luftigen Höhe nicht währen, wollten wir nicht zu Eissäulen gefrieren. Hatten wir auch unter den Anstrengungen des Kletterns keine Wirkung von der niedrigen Temperatur gefühlt, so machte sich die ewige Schneeregion jetzt um so empfindlicher bemerkbar. Das Thermometer war bis auf 14 Grad Réaumur gefallen, und die Felsplatten um uns strahlten eine so strenge Kälte aus, daß, als ich mit der vom Schnee genäßten Hand mich erheben wollte, dies nur mit Zurücklassen der Haut einiger Fingerspitzen gelang, und mir die Hände überhaupt in Folge der öfteren Berührung des Gesteins Monate lang stumpf und erfroren blieben. Fröstelnd hüllten wir uns in die Plaids und zwangen uns mit vieler Mühe einige Schluck erwärmenden Cognacs ein. Denn ließ auch die dünne Luft bei Keinem unserer Gesellschaft das Blut zu Nase, Augen und Ohren heraustreten, was ich eigentlich mit Bestimmtheit erwartet hatte, so fehlte es doch nicht an Symptomen, daß wir uns in außergewöhnlicher Höhe über dem Meeresspiegel befanden. Der Puls ging schnell, in leisen, stechenden Schlägen, Herz und Lungen arbeiteten heftig. Das Haupt unserer Gesellschaft, der würdige Geistliche, lag sogar in dem jammervollsten Zustande auf dem Schneefelde und mußte, statt aller erwarteten Genüsse, den Göttern des Landes und der Meere qualvolle Opfer spenden. Der Himmel, der im Thale im herrlichsten Blau geprangt hatte, erschien hier dunkel, grauschwarz, die Sonne verlor für unsere Augen einen Theil ihres blendenden Strahlenglanzes. Nachdem wir daher unsere Visitenkarten in eine leere Flasche gethan und diese unter den Felsplatten als Denkmal für kommende Geschlechter verwahrt hatten, ähnlich dem Seefahrer, von dessen Erlebnissen an fremdem Strand gespülte Flaschen erzählen, wurde nach halbstündigem Aufenthalte ein letzter Blick auf die unvergeßliche Alpenlandschaft geworfen und sodann zum Aufbruch geschritten.

Wiederum wurden die Ketten formirt, und dann ging es unter fortwährendem Rufe: „doucement! attention!“ vorwärts. Hatten wir schon beim Heraufsteigen Blut geschwitzt, so erschienen die bisherigen Anstrengungen im Vergleich zu den Gefahren des Herunterkletterns wie leichtes Kinderspiel. Ich gestehe, daß mich im ersten Momente eine unheimliche Furcht beschlich. Aber die Angst wich schnell der Aufmerksamkeit, welche jeder Schritt, jede Bewegung erforderte. Oft mußte man direct in den Abgrund springen, um durch das gleichzeitige Anziehen der Stricke vorn und hinten in der Diagonale auf die richtige Stelle hinüberbugsirt zu werden. Oft glitten zwei, drei auf der abschüssigen Eiskruste aus, und es kostete dann unsägliche Arbeit, sie wieder in die Höhe zu bringen. Einmal hingen in unserer Kette sechs hinter mir zu gleicher Zeit über dem Abgrund, nur ich und meine zwei Vordermänner standen noch fest. Krampfhaft hielt ich mit dem einen Arm den vor mir stehenden, glücklicherweise baumstarken Amerikaner umschlungen, während ich mit dem rechten meinen nächsten Hintermann zu packen versuchte. Aber zweimal stürzte dieser in dem Augenblick, wo er meiner Hülfe nicht mehr zu bedürfen schien, wieder auf die spiegelglatte Fläche hin, so daß sich unsere Eingeweide unter dem Druck der straff angespannten Seile wanden und wir Anderen bei dem unerwarteten Ruck, welchen der eine Sturz verursachte, beinah den letzten Halt verloren. Durch Aufbieten der letzten Kräfte kamen wir endlich wieder in Ordnung und gelangten auch endlich zum Fuße des gefährlichen Kegels, wo unsere hart mitgenommenen Magen von den Leinen befreit wurden und die Nachzügler sich während einer kleinen Rast sammeln konnten. Aber der Versuch, während dieses Aufenthaltes die müden Lebensgeister [104] durch Wein zu erfrischen, mißlang vollständig, so flau hatten uns die übermäßigen Strapazen gemacht.

Jetzt ging es wieder frei und ungebunden die Schneefelder hinab, wo sich jedoch im Laufe des Tages eine unangenehme Veränderung eingestellt hatte. Denn vermochten wir am Morgen kaum auf dem harten Boden zu haften, so war jetzt der Schnee so wirksam von der Sonne gelockert worden, daß wir beim ersten Schritt bis zu den Hüften hineinsanken. Oft auch stürzten wir bis zu den Schultern und bis über die Ohren in die nun unkenntlichen, verrätherischen Eisspalten und mußten mit Hülfe der Stöcke aus unserem weißen Grabe herausgezogen werden. Außerdem erlaubte aber die Glätte des unter den Füßen sich ballenden Schnees nicht zu gehen, die Menge des Schnees, der sich wie ein Wall vor der Brust aufthürmte, nicht zu gleiten. Und so stürzten wir denn kopfüber, kopfunter im wahnsinnigsten Lauf unaufhaltsam zwei Stunden lang hinunter. Beinahe aufgerieben vor Müdigkeit, halbtodt, mit zitternden Kniekehlen langten wir am Monterosa-Gletscher an, wandelnden Schneemännern ähnlich von Kopf zu den Füßen in einen Panzer von Eis gehüllt. Auf dem Gletscher hatte die Sonne aber auch Leben und Bewegung hervorgebracht. Ueberall rieselten kleine Bäche auf der Oberfläche dahin, oft höchst unerfreuliche kleine Cascaden bildend, überall krachte die unterhöhlte Oberfläche unter den Füßen. Anstatt uns also, wie gehofft, auf dem harten Gletscher trocken gehen zu können, mußten wir bis zu den Knöcheln im Wasser waten, was die Erwärmung unserer steifen Glieder wenig förderte. Klappernd vor Frost und beinahe der Müdigkeit erliegend erreichten wir in gerade nicht beneidenswerthem Aufzuge das Riffelhaus, von den Freunden mit Jubelrufen bewillkommnet. Um drei Uhr waren wir Morgens aufgebrochen, um ein Uhr hatten wir den Gipfel erreicht, und um sechs Uhr empfing uns die wärmende Stube des Riffelwirthes, so daß wir im Ganzen nur fünfzehn Stunden zu dieser ereignisreichen Expedition gebraucht hatten.

Doch wenn ich sage, daß wir uns am Kaminfeuer des Riffelwirthes wärmten, so gilt dies eigentlich nicht von mir. Denn da ein Unterkommen für die Nacht in dem überfüllten Hotel nicht zu erlangen war, und der sehnlichst erwartete Kaffee nicht fertig werden wollte, so entschloß ich mich sofort nach Zermatt hinabzusteigen, wo ich ein gutes Quartier zu finden hoffen durfte, und wohin mir die nach dem Trank der Levante lechzenden Söhne Albions nachzufolgen versprachen. Ich nahm daher bis auf Weiteres von meinen Gefährten Abschied, nachdem ich zuvor die Führer, welche mir so unvergleichliche Dienste geleistet hatten, großmüthig genug mit der größeren Hälfte des bedungenen Lohnes abgefunden hatte. Doch dies sollte mein Unglück werden. Denn auf dem, so viel mir bewußt, unfehlbaren Wege nach Zermatt hinunterwandernd, befand ich mich plötzlich in einem Gewirr von sich kreuzenden Pfaden, zu welchen ich vergeblich den Ariadnefaden suchte. Unschlüssig verfolgte ich den betretensten Weg, welcher unverkennbare Pferdespuren zeigte, sonst ein untrüglicher Wegweiser in den Schweizer Bergen. Aber nach kurzer Zeit mündete der Pfad auf einer jener gefährlichen Matten, der Verzweiflung des einsamen Wanderers, auf deren glattem Grase auch der scharfsichtige Sohn der Wildniß nicht die leiseste Spur eines Fußstapfens entdecken würde. Was nun thun? Wieder umkehren und meinen wankenden Knieen das Unmögliche eines nochmaligen Berganklimmens zumuthen? Da gewahre ich zu meinen Füßen Lichter, die meiner Berechnung nach von Zermatt heraufleuchten. Frisch gewagt, dachte ich, ist halb gewonnen, also nur gerade auf das Ziel zu! Doch bald gerathe ich in undurchdringliches Gebüsch, das einen abschüssigen Felshang verbirgt. Die Sonne ist unterdeß hinter die Berge gesunken, und schnell bricht tiefe Dunkelheit über mich ein. Nur mühsam tappe ich meinen Weg und springe endlich entsetzt von dem Rande eines schauerlichen Abgrundes zurück. Vergebens raffe ich allen Rest von Energie auf, um wieder aus dem Waldesdickicht hinaus zu gelangen. Die Muskeln versagen ihre Dienste, und kraftlos sinke ich am Stamme einer Fichte nieder. Nur das gelang mir noch, händevoll den rieselnden, schmelzenden Schnee wenigstens von der nackten Brust zu entfernen und meinen Plaid über die Schultern zu ziehen – dann umfing mich unter Fieberschütteln tiefer Schlaf.

Das Gekrächz einer Krähe auf dem Gipfel der Fichte erweckte mich. Es war Morgens, ungefähr fünf Uhr. Der Schnee, welcher mir am Abend noch an den Gliedern geklebt hatte, war spurlos verschwunden, und auf dem Plaid lagen die Perlen des frischen Thaues. Ich raffte mich auf, um von Neuem den verlorenen Weg zu suchen. Nachdem ich den Waldsaum glücklich hinauf gekrochen, entdeckte ich endlich am Ende einer Matte einen Pfad, der mir wenigstens zu Menschen zu führen scheint. So schnell, als die Kräfte erlaubten, ging es hinab. Aber der einsame Weg wollte und wollte kein Ende nehmen, und das Tempo meiner Schritte wurde schwächer und schwächer. In der ersten Aufregung hatte ich vergessen können, daß seit dem Frühstück auf den schwarzen Platten am vorigen Morgen einige Schluck Cognac Alles gewesen, was ich genossen. Jetzt stellten sich Hunger und Durst um so empfindlicher ein. Umsonst rief ich auf einer Wiese, wo die hölzernen Heuschober mich die Nähe von Menschen vermuthen ließen, nach irgend einer lebenden Seele. Nur das Echo höhnte den armen Verirrten, der sich endlich beinahe verzweifelnd in eine Waldblöße mit Blaubeeren warf, um seine brennenden Lippen an deren Safte zu kühlen. Endlich höre ich Pferdegestampf, und wer beschreibt mein Entzücken, als mir ein wohlbekannter Engländer mit seiner Frau entgegen kam! Sie waren gleichfalls auf dem Wege nach Zermatt, und unbewußt war ich also doch der wahren Richtung gefolgt. Die Gewißheit allein, nunmehr das Ziel nicht wohl verfehlen zu können, gab mir Kraft genug, um die Anerbietungen des freundlichen Engländers, das Pferd seiner Frau zu besteigen, abschlagen zu können. Im jammervollsten Costüme, das mir selbst ein Lächeln abzwang, kam ich an seiner Seite in Zermatt an, wo bereits die Meldung von dem verunglückten jungen Reisenden den Wirth und die Fremden erschreckt hatte. Mit Fichtennadeln und Blättern besäet, den Rock vom Gesträuch zerrissen, mit wunden Lippen, die Haut im Gesicht trotz des schützenden blauen Schleiers von den am Schnee abprallenden Sonnenstrahlen braun gebrannt und so zersetzt, daß sie in Lappen herunterhing: so begrüßte ich im Hotel zum Monterosa die neugierige Gesellschaft. Mein erster Ruf war aber dann: „Ein Bett!“ Denn daß sich die erlittenen Strapazen an dem übermüdeten Körper rächen würden, mußte ich von Stund an erwarten. Aber der Gott der Reisenden war mir gnädig, und statt des gefürchteten hitzigen Fiebers verspürte ich nur die behaglichste Wärme in dem lang entbehrten Lager. Und dieses Abenteuer hatte so wenig ernstliche Folgen, daß, wenn schon der Name des Monterosa mit seinen grandiosen Umgebungen mir unvergängliche Bilder überwältigender Naturscenen erweckt, die Erinnerung an die wunderbare Rettung aus den der Ersteigung folgenden Gefahren mich mit einem unaussprechlich erhebenden Wonnegefühle erfüllt.

B…d.