Eine Bettler-Hochzeit

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Titel: Eine Bettler-Hochzeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 127-128
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[127] Eine Bettler-Hochzeit. Auf meinen unzähligen Kreuz- und Querzügen durch Paris habe ich die mannigfachsten und seltsamsten Bekanntschaften gemacht, namentlich zähle ich unter den verschiedenen Straßenkünstlern aller Art, an denen Paris so unglaublich reich ist, eine große Menge von Freunden und Anhängern. Ich habe für diese armen Teufel stets eine gewisse zärtliche Schwäche gehegt; je demüthiger und bescheidener sie sind, desto mehr erwecken sie meine Theilnahme, je zerlumpter und verhungerter sie aussehen, desto weniger kann ich ihnen den bescheidenen Tribut versagen, den sie von meinem Geldbeutel erhoffen.

Einer meiner besondern Freunde dieser Kategorie war ein noch ziemlich junger Mann mit blos einem Arme, dessen Geschäft darin bestand, dem Publicum einen dressirten Hasen vorzuführen. Gewöhnlich war die Garderobe meines Schützlings nichts weniger als luxuriös; eines Tages aber hatte er sich prächtig herausgeputzt und strahlte vor Vergnügen. Seine neue, frischlackirte Sonntagsmütze glänzte auf seinem Haupte; sein Kinn versteckte sich zwischen zwei ungeheuren blendend weißen Vatermördern; ein unerhörter Luxus, den ich noch nie bei ihm wahrgenommen hatte, eine hochrothe Cravatte mit einer Riesenschleife, schlang sich kokett um seinen Hals, und eine ganz neue, weiße und sehr faltenreiche Blouse trug zur Vollendung des ganzen Anzuges vortheilhaft bei. Als er meiner ansichtig wurde, zwinkerte er mir zutraulich mit den Augen zu, und sobald er seine Hasenproduction beendet hatte, winkte er mich zu sich heran und flüsterte mir in’s Ohr: „Sie sind immer gut und theilnehmend für mich gewesen und ich habe schon längst gewünscht, Ihnen meine Erkenntlichkeit bethätigen zu können; heute bietet sich eine Gelegenheit, ich will Ihnen Etwas zeigen, was Sie vermuthlich in Ihrem Leben noch nicht gesehen haben und gewiß auch so bald nicht wieder sehen werden.“

„Und das wäre?“ fragte ich neugierig.

„Eine Bettlerhochzeit!“ entgegnete er triumphirend. „Der Bettler von St. Sulpice ist einer meiner Bekannten; ich kann eigentlich diese häßliche Race von Müßiggängern durchaus nicht leiden, aber man darf es nicht mit ihnen verderben. Heute heirathet der Glückspilz und hat mich zu seiner Hochzeit eingeladen; wenn Sie wollen, können Sie mich begleiten, ich führe Sie ein und verspreche Ihnen, daß Sie sonderbare Dinge sehen und hören werden.“

Schlag zwei Uhr fand ich mich am Haupteingange der Kirche von St. Sulpice ein, wo Monsieur Aristide, – so heißt Freund Hasenbändiger – zuverlässig und pünktlich wie immer, mich bereits erwartete. Paris ist eine sehr große Stadt, das weiß die ganze Welt. Wie in allen großen Städten, fehlt es denn auch hier nicht an Bettlern aller Art und aller Gestalt, die auf jede erdenkliche und mögliche Weise Theilnahme, Mitleiden und Almosen zu erhaschen suchen. Um jedoch der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich sagen, daß man in Paris verhältnißmäßig nur wenig von diesen widerwärtigen, müßiggängerischen Parasiten belästigt wird; die Polizei hält sie gewaltig im Zaume und überwacht sie streng. Die Kirchenthüren aber, wie überhaupt alle Zugänge zu den Gotteshäusern und namentlich auch die Kirchhofseingänge, sind in der Regel von zahlreichen Bettlern belagert, und man findet unter diesen wahrhaft abschreckende Gestalten; indessen sind es fast immer dieselben widerlichen Erscheinungen: zerlumpte Weiber, die elende kränkliche Kinder in ihren fleischlosen Armen halten, und verstümmelte Männer, die unbeweglich wie die Fakire dasitzen und nur mit den Lippen wackeln, um den ewig gleichen Bettelspruch zu stammeln. Das sind die Bevorzugten, die Privilegirten der Bettlerkaste; sie werden geduldet, die Stellen, wo sie betteln dürfen, werden ihnen angewiesen, sie sind patentirte Bettler. Diese Bettelstellen, die, namentlich wenn sie an besuchten Orten gelegen sind, eine ganz erkleckliche Einnahme ermöglichen, sind natürlich sehr gesucht, und die Herren Bettler setzen Himmel und Erde in Bewegung, um dazu zu gelangen; sie erben meist in den Familien fort oder werden von ihren glücklichen Besitzern, wenn diese sich genug erbettelt [128] haben und sich zur Ruhe setzen wollen, gegen runde Summen in klingender Münze verkauft.

Die patentirten Bettler kennen sich natürlich alle sehr genau, schließen untereinander Offensiv- und Defensiv-Bündnisse und stiften Vereine, welche die Ausbeutung mitleidiger Seelen auf Commandite betreiben. Auch verheirathen sie sich untereinander, und es dürfte sich vielleicht der Mühe lohnen, die verschiedenen Heirathscontracte näher zu untersuchen, die diesen sonderbaren Ehebündnissen in der Regel zu Grunde liegen. Die Heirathsansprüche eines patentirten Bettlers müssen sich nach seiner größeren oder geringeren körperlichen Verunstaltung richten; je entstellter und verstümmelter er ist, desto bereitwilliger und freundlicher werden ihm seine Genossinnen entgegenkommen. Hat er einen Buckel, so verleiht ihm diese holde Unzierde schon gewisse Rechte; ist er dazu vielleicht auch noch lahm, so wachsen seine Ansprüche bedeutend; ist er aber etwa gar noch einäugig oder ganz blind, dann hat sein Glück keine Grenzen mehr und die glänzendsten Heirathen werden ihm von allen Seiten angetragen werden, denn nur eine Bettlerin, die ebenfalls mindestens bucklig, lahm und blind ist, oder eine, die sich bereits ein anständiges Sümmchen erbettelt hat und deren Säckel gehörig gespickt ist, wird es wagen, ihre Hand in die seinige zu legen und, auf seinen Bettelstab gestützt, an seiner Seite weiter zu betteln.

Ich trat mit meinem Begleiter in die Kirche. Hier fanden wir bereits eine ziemlich zahlreiche Versammlung, in der ich auch sofort verschiedene bekannte Gesichter entdeckte, deren abstoßender und widerlicher Anblick mich schon öfters zur Verzwiflung gebracht hatte, und ich muß gestehen, daß ich am liebsten mich sofort wieder empfohlen hätte; aber ich überwand diese Schwäche, meine Neugierde gewann wieder die Oberhand, besonders da mein Begleiter mir zuflüsterte: „Ich will Ihnen vor allen Dingen die Braut vorstellen!“ Ich ließ mich also in Gottes Namen zur Braut führen und fand ein kleines, buckliges, schrecklich blatternarbiges Weibchen, das halb blind war und sich zur Noth auch ganz blind stellen konnte; Monsieur Aristide nannte ihr meinen Namen und fügte hinzu, daß ich mich für die schätzbare Zunft, deren schönste Zierde sie sei, sehr lebhaft interessire. Auf diese Versicherung hin geruhte sie mir sehr freundlich zuzulächeln, das heißt, sie schnitt ein Gesicht, das ein Faun beneidet haben würde, und machte mir eine sehr zierliche Verbeugung, die ich nach besten Kräften erwiderte. „Nun zum Bräutigam!“ raunte mir mein treuer Begleiter zu. Der Bräutigam saß mit übereinander gekreuzten Beinen, nach türkischer Manier, in einer Art von Rollsessel, in dem er fast ganz und gar verschwand; nachdem ich ihm vorgestellt war, erhob er sich halb und grüßte mich sehr höflich; nun erst bemerkte ich, daß er ein ganz verwachsener und auf die unglaublichste Weise verkrüppelter Zwerg war. Der Anblick dieses sonderbaren Brautpaares brachte mich auf die sehr nahe liegende Vermuthung, daß es sich hier doch wohl nur um eine Convenienzheirath handeln könne; mein trefflicher Freund bestärkte mich denn auch sofort in dieser Voraussetzung, indem er mir mittheilte, daß Braut und Bräutigam Sprößlinge der beiden berühmtesten Bettler-Dynastieen von Paris seien, die in auf- und absteigender Linie fortwährend die besten Bettelstellen der Hauptstadt inne gehabt hätten.

Zur Feier dieser bedeutungsvollen und wichtigen politischen Heirath war der gesammte Heerbann der Bettler-Aristokratie aufgeboten und versammelt worden: Lahme, Blinde, Bucklige – es war eine förmliche Musterkarte aller menschlichen Gebrechen. Die Trauung ging mit großem Anstande und vieler Würde vor sich; da aber, wie es scheint, die Herren Bettler auch unter sich von ihrem Handwerke nicht lassen können, so wurde noch während der gottesdienstlichen Handlung eine kleine Bettelei organisirt. Ein junger Bursche, berühmter Gesichterschneider seines Metiers, welcher auf den öffentlichen Plätzen bereits viel Anerkennung genoß, ging mit einem Teller herum, um, wie er laut rief, eine Collecte für die „Armen“ zu machen. Die Bettler, ziemlich erstaunt sich ihrerseits auch einmal angebettelt zu sehen, erwiesen sich jedoch sehr großmüthig und die Speculation des Gesichterschneiders gelang vollkommen.

Nachdem die Trauung vollzogen war, bestieg die ganze Hochzeitsgesellschaft sehr elegante Miethwagen, die in großer Anzahl vor der Kirche bereit standen, und man begab sich nach den Höhen des Montmartre, wo in einem gut renommirten Restaurant dieses Stadttheiles, dem sogenannten Elysée-Montmartre, ein stattliches Hochzeitsmahl hergerichtet war. Sofort wurde denn auch Platz genommen und während der ersten Gänge verhielt sich die Gesellschaft ziemlich ruhig und anständig; es wurde sehr wenig gesprochen, dagegen desto mehr gegessen, und ich hatte Gelegenheit zu bemerken, daß alle diese Herrschaften, wenig vertaut mit den Gebräuchen unserer modernen Civilisation, für Messer und Gabeln eine ganz entschiedene Verachtung an den Tag legten und sich, nach orientalischer Sitte, ihrer Finger häufiger bedienten, als dies nach unseren Anschauungen und Begriffen angemessen erscheint.

Sehr bald aber artete das Hochzeitsmahl in ein wüstes Gelage aus. Man schrie und tobte, schlug mit den Messern auf den Tisch, zertrümmerte Gläser, vergoß Saucen, brüllte nach frischem Wein, erzählte obscöne Geschichten. Endlich wurden die Kehlen gestimmt und es erschallten in möglichst falschen Tonarten möglichst unanständige Lieder; zum Schluß, nachdem der Nachtisch aufgetragen war, sprang der Gesichterschneider, den die glücklicke Collecte, die er in der Kirche unternommen, in die beste Laune versetzt hatte, auf eine Bank und kündigte eine Gratisvorstellung an. Dieses Anerbieten wurde von sämmtlichen Anwesenden mit Jubel aufgenommen und der Grimassier gab seine Fratzen zum Besten. Hierauf begann der Ball. Das Orchester war eigenthümlich zusammengestellt: ein blinder Leierkastenmann, eine lahme Flöte und ein verkrüppelter Geiger hatten sich erboten, ihren Genossen zum Tanze aufzuspielen. Welch eine Musik! Welche Tänzer! Die Buckligen, die Krüppel, sogar die Lahmen holten sich ihre Tänzerinnen und sprangen wie die Tollen im Saale herum. Das Toben, Schreien, Drängen, Stoßen wurde immer wilder. Es war, als ob alle diese Leute von der Tarantel gestochen worden wären; man sah nur noch verzerrte, grimassirende Gestalten, Arme, die in den Lüften fochten, und Beine, die sich in den verwegensten, unglaublichsten Entre-Chats versuchten. Ich hatte genug und flüchtete mich, so schnell ich konnte, aus diesem wirren, chaotischen Durcheinander, das immer bedenklichere Dimensionen anzunehmen schien. Monsieur Aristide, der treulich an meiner Seite geblieben war, zog sich enenfalls mit mir zurück.

Als ich am nächstfolgenden Tage in den Nachmittagsstunden zufällig an der Kirche von St. Sulpice vorüberging, gewahrte ich das junge Ehepaar auf dem gewohnten Bettelplatze sitzend und eifrig beschäftigt, mit anerkennenswerther Philosophie und sichtbar gutem Appetit die erste gemeinschaftliche Bettelsuppe zu verzehren.