Eine Fahrt mit dem „Hotelzuge“ der Pacificbahn
Es war am Morgen des 16. März 1870, als ich bei der Stadt Oakland, am östlichen Ufer der großen San Francisco-Bai, in den Hotel- und Expreßzug der Central- und Union-Pacific-Eisenbahn stieg, und sieben Tage später befand ich mich an Bord eines schwimmenden Dampfpalastes auf dem unteren Mississippi, mehr als dreitausend Meilen vom Goldenen Thore entfernt. Eine solche Reise, nach Meilenzahl und Tagen betrachtet, hat selbst im neunzehnten Jahrhunderte, wo der Dampf die alten Begriffe von Zeit und Entfernung vernichtet hat, etwas Märchenhaftes. Mancher möchte vermuthen, daß ich nach einer Eisenbahnfahrt von zweitausenddreihundertsechsundachtzig Meilen, als ich in St. Louis an Bord des stolzen Mississippidampfers trat, halb gerädert war. Nichts von dem! Ich hätte sogar meine Eisenbahnreise auf beinahe viertausend Meilen bis nach New-Orleans ausdehnen können, ohne mich dabei im Mindesten zu strapaziren.
Als ich in St. Louis nach einer ununterbrochenen Eisenbahnfahrt von fünfundeinhalb Tagen und fünf Nächten anlangte, war ich so wenig ermüdet, als ob ich meine comfortable Wohnung in dem fernen San Francisco nie verlassen hätte. Jede Nacht habe ich auf meiner drittehalbtausend Meilen langen Eisenbahnreise in einem bequemen Bette geschlafen; während der eiserne Rappe oft in Wolkenhöhe durch die endlose Breite dieses Continentes eilte, habe ich in einem prachtvollen Hôtelwaggon dejeunirt, dinirt und soupirt, und habe unterwegs gerade so gelebt und mich ebenso prächtig amusirt wie in einem Hôtel und dabei die Welt im Fluge betrachtet.
An jedem Mittwoch verläßt jetzt ein „Hôtelzug“ der Pacificbahn die Stadt Oakland, welche am Ostrande der großen Bai und San Francisco gerade gegenüber liegt, und an jedem Donnerstag die eintausendneunhundertundzwölf englische Meilen von San Francisco entfernte Stadt Omaha am Missourifluß.
Bei der von immergrünen Eichen umgebenen schmucken Stadt Oakland verließ ich, wie gesagt, das Dampffährboot, welches mich von San Francisco über die große Bai gebracht hatte, und stieg in „Pullman’s Palast-Salon- und Schlafwaggon Winona“. Der „Winona“ (alle diese Hôtelwagen haben Namen) ist der letzte in der stolzen Reihe von Prachtwaggons, die unseren Zug bilden. Außer dem „Winona“ befinden sich die Pullman’s Palast-Salon- und Schlafwaggons „Woodstock“ und „Northwestern“ im Zuge; dann der Pullman’s Palast-Speisewaggon „Cosmopolitan“; ferner, außer zwei gewöhnlichen Passagier- und einem Gepäck-, noch vier Silberpalast-Schlafwaggons der Central-Pacific-Eisenbahn. Hochklingende Namen für nichts als Eisenbahnwagen! wird Mancher denken. Einverstanden! Dennoch erregen diese die Bewunderung eines Jeden, der sie zum ersten Male besteigt.
Herr Pullman ist der Erfinder und Besitzer jener Prachtwaggons, welche seinen Namen führen, und dieser Beglücker der Reisenden hat auch die Hôtelzüge auf der Pacificbahn eingeführt. Die Einrichtung der amerikanischen Schlaf- und Reisewaggons darf ich wohl als bekannt voraussetzen; die Pullman’schen sind aber das Nonplusultra von Eleganz und Bequemlichkeit und verhalten sich zu den anderen amerikanischen Schlafwaggons wie ungefähr die erste Kajüte eines Oceandampfers zu dessen zweiter Kajüte.
Mit der Pacificbahn hat Herr Pullman einen Contract abgeschlossen, welcher ihm das Recht giebt, seine Palastwaggons jedem ihrer Züge anzuhängen. Seine Conducteure, Köche und Aufwärter muß er selbst besolden. Seine Einnahme besteht in dem Schlafgeld für Betten, achtzehn Dollars von San Francisco nach Omaha von jedem Passagier für ein doppeltes Lager, wozu das Geld für Mahlzeiten und Getränke im Speisewaggon kommt, ein Dollar für Frühstück und Zwischenmahlzeiten und anderthalb Dollar für Mittagsessen, und Getränke extra. Die Eisenbahngesellschaft berechnet jedem Passagier auf den Hotelzügen zehn Dollars extra von San Francisco nach Omaha und einen Cent pro englische Meile mehr als den gewöhnlichen Fahrsatz für kürzere Distancen, welches jenen das Recht giebt im Speisewaggon (natürlich für Bezahlung) zu tafeln. Wer die Extragebühr nicht zahlt, der hat keinen Zutritt in den Speise- und die anderen Pullman’s-Waggons, und muß in einem gewöhnlichen Wagen reisen und auf den Stationen oder aus seinem Brodkorb essen. Für die von jedem Passagier der Hôtelzüge gezahlten zehn Dollars oder einen Cent pro Meile mehr hält die Pacificeisenbahngesellschaft die Pullman’s-Waggons in gutem Stand. Alle Interessenten stehen sich bei diesem Contracte vortrefflich. Herr Pullman bezieht hundertfünfzig bis hundertfünfundsiebenzig Dollars pro Nacht für jeden Schlafwaggon, dazu das Geld für Mahlzeiten und Getränke; der Pacificbahn werden die prachtvollen Wagen umsonst gestellt, und die Passagiere haben für eine geringe Zulage zu dem gewöhnlichen Ansatz der Reisekosten unterwegs die Bequemlichkeiten eines Hôtels erster Classe.
Die Namen der Reisenden, welche die Hôtelzüge benutzen, werden bei der Abfahrt, von San Francisco sowohl als von Omaha, nach Ost und nach West über den Continent telegraphirt; sowohl in San Francisco als in New-York und anderen Großstädten der Union liest man sie in den täglichen Zeitungen.
Die Herstellung der Pullman’s-Waggons kostet im Durchschnitt zweiundzwanzigtausendfünfhundert Dollars für jeden Wagen; die der Silberpalast-Schlafwaggons der Central-Pacific-Eisenbahn zwanzigtausend Dollars. Der feinste von den Pullman’s-Waggons „Orleans“ hat zweiunddreißigtausend Dollars gekostet. In einigen derselben befinden sich Melodeons und Pianos, damit die musikalischen amerikanischen Ladies unterwegs darauf klimpern können. Gottlob war kein Clavier auf unserem Zuge, und blieben mir diese Ohrenschmäuse erspart. Unser Fortepianowaggon war nämlich auf der letzten Reise mit vier andern Wagen in einen Graben gestürzt. Im Sommer werden den Hôtelzügen offene sogenannte „Observationswaggons“ angehängt, welche den Passagieren eine freie Umschau bieten.
Die Palast-Salon- und Schlafwaggons wiegen jeder sechszigtausend Pfund und laufen auf zwölf Rädern; die Speisewaggons haben ein Gewicht von etwa achtzigtausend Pfund und laufen jeder auf sechszehn Rädern. Die Palast-Speisewaggons werden immer eleganter hergestellt und jeder neue übertrifft an Pracht die alten. Der demnächst zu erbauende soll, wie der deutsche Oberkoch im Cosmopolitan-Waggon mir mittheilte, etwas Pompöses werden. Früher war auch eine Bar (Trinkstand) in den Speisewaggons; dieselbe wurde aber neuerdings wieder entfernt, weil die Bremser, Zugführer, Conducteure und andere Bahnbeamte sie zu sehr patronisirten und man mit Recht befürchtete, die Liste der [297] „Zufälle“ im Verhältniß zu der Zahl der genossenen Liqueure zu vermehren. Gegenwärtig werden Wein, Bier und sonstige Getränke dort den Passagieren nur flaschenweise verkauft.
Die Pullman’s-Waggons werden im Winter durch Röhren geheizt, welche unter den Sitzen hinlaufen und die Temperatur ununterbrochen gleichmäßig warm halten. Die Röhren sind mit Salzwasser gefüllt und stehen mit einem mit Kohlen geheizten Ofen am Ende des Waggons in Verbindung, der das Salzwasser gleichmäßig erhitzt, – eine außerordentlich praktische Vorrichtung. Diese Waggons sind im Winter bei eisiger Kälte im Hochgebirge so angenehm warm wie ein fürstliches Boudoir. Beim Betrachten derselben muß man über den praktischen Sinn der Amerikaner erstaunen. Jede Stelle, jeder Winkel ist benutzt worden. Die Wandspiegel zum Beispiel kann man in die Höhe schieben; dahinter befinden sich in den Schlafwaggons Nachtlampen, im Speisesalon Weingläser. In den mit solidem Wallnußholz überaus prächtig getäfelten Wagen kann man ordentlich auf Entdeckungsreisen ausgehen. Zwischen jedem mit Sammet gepolsterten Doppelsitze bringt ein stets diensteifriger Aufwärter auf Verlangen niedliche Klapptische an, woran man schreiben, lesen, spielen, essen kann. An jedem Ende des Waggons befinden sich schmucke Toilettezimmer. Ein Vergnügen ist es, des Abends die Kammerdiener beim Aufmachen der Betten zu beobachten die hinter dem getäfelten Gesims und hinter den Sitzen verborgen sind und die gleichsam aus nichts hervorquellen und den prächtigen Salonwaggon schnell in kosige Schlafgemächer umwandeln. Die Hälfte jedes derselben ist in allerliebste Cabinete zum Gebrauch für Familien abgetheilt. Alle diese Waggons haben feine Fußteppiche. Daß auch in jedem Wagen für Closets gesorgt worden ist, versteht sich bei amerikanischen Eisenbahnen von selbst.
Unsere Fahrt ging zunächst auf der Western-Pacific-Eisenbahn, dem westlichsten Gliede der großen Ueberlandbahn, nach der Stadt Sacramento, der Hauptstadt Californiens, die wir um zwei Uhr Mittags nach einer Fahrt von hundertachtunddreißig englischen Meilen erreichten. Hier beginnt das siebenhundertzweiundvierzig englische Meilen lange Gebiet der Central-Pacific-Eisenbahn. Wir bemerken dieses aber nur aus unseren Meilentabellen; die Schienenstränge sind nicht unterbrochen und unseren Hôtelzug kümmert der Wechsel des Regimentes nicht im Mindesten. Schon liegt die blühende Hauptstadt des Goldlands hinter uns, wir donnern vorbei bei den stadtähnlichen Maschinenwerkstätten und Gebäulichkeiten der Central-Pacific und wenden uns wieder ostwärts, dem Hochgebirge der Sierra entgegen.
Die schwarzen Diener im Salonwaggon „Winona“ melden unterthänigst, daß das Diner im Palast-Speisewaggon „Cosmopolitan“ servirt wird. Im Fahren gehen wir durch die nächsten Salonwaggons, welche durch mit Kautschukteppichen bedeckte Brücken miteinander verbunden sind, so daß die Passage von dem einen der dahinfliegenden Waggons in den anderen über den offenen Bremserplatz ohne besondere Gefahr bewerkstelligt werden kann, und erreichen bald den Speisewaggon. Die vordere Hälfte desselben ist im Restaurationsstil, mit Tischen zu beiden Seiten, an denen je vier Personen Platz nehmen können, eingerichtet; die andere Hälfte ist Küche und Vorrathskammer, woselbst unser geehrter Landsmann Wilhelm Eberle als General-Oberkoch und Küchenmeister das unumschränkte Commando führt. Ein riesiger Kochofen, die angehäuften Vorräthe für den „inneren Mann“, der geschäftsmäßige Eifer der Ober- und Unterköche und die Aromadüfte, welche den Raum erfüllen, geben die Versicherung, daß wir auf unserer Zweitausend-Meilen-Reise nicht darben werden.
In Gesellschaft von mehreren Deutschen – denn Landsleute finden sich schnell auf einer solchen Reise zusammen – nehme ich Platz an einem der sauber gedeckten Tische, die auch mit frischen Blumen geschmückt sind. Hier giebt es köstliche Auswahl von Gerichten, wie sie ein Reisender, der mit gutem Appetite gesegnet ist, sich nur wünschen mag; alle Sorten von Fleisch und Geflügel, Austern und Pasteten etc., californisches Gemüse, z. B. Blumenkohl, Spargel, junge Kartoffeln, Radieschen, Erbsen etc., ich bitte zu erinnern, am 16. März! Die Speisen sind nach guter deutscher Küche zubereitet, der californische Wein ist vortrefflich, der Kaffee, die frischen californischen Wallnüsse und Orangen, das feine Backwerk schmecken ausgezeichnet. Die Aufwärter sind auch Deutsche, so daß wir uns ganz heimisch fühlen. Nur die eleganten Speisekarten sehen ausländisch aus. Der amerikanische Pullman’s-Oberconducteur hat dieselben mit englisch-französischen Hieroglyphen ausgefüllt, die zu entziffern selbst einem deutschen Doctor Mühe kosten möchte. Die eine Hälfte jeder Speisekarte ist mit Annoncen bedruckt, da der praktische Amerikaner gern das Nützliche mit dem Angenehmen verbindet.
Während des interessanten Mahles schaue ich ab und zu aus dem Fenster des dahinfliegenden Speisegemachs hinaus in die vorbeikreisende Gegend. Wir durchkreuzen soeben einen alten Minendistrict, und ich bemerke hier und da Goldwäscher, die den vorbeirasenden Dampfzug, auf ihre Schaufeln und Hacken gestützt, betrachten; auch einige Hundert Chinesen, die von der emsigen Arbeit einhalten und unsere Prachtwaggons anstaunen. Dreißig bis vierzig Passagiere leisten uns Gesellschaft bei dem Diner. Bei dem Städtchen Colfax, 2448 Fuß über dem Meere, verlassen wir den Speisewaggon und wandern zurück nach unserem Salonwaggon.
Das romantische Cap Horn, ein wundervolles Bild des Hochgebirges, liegt vor uns, – die bewaldete Sierra, der Stolz Californiens. Wir donnern über eine fünfundsiebenzig Fuß hohe lange Trestlebrücke, und mit zwei Locomotiven als Vorspann braust die lange Reihe der prächtigen Waggons in großem Bogen herum an der waldbedeckten Höhe. Ueber uns ragen die Felsen schroff empor; zur Rechten, zweitausendfünfhundert Fuß unter uns, schlängelt sich der Americanfluß durch das Waldthal. Eine schwarze Linie kreuzt seinen Silberfaden; es ist die breite Brücke einer chaussirten Landstraße. Der Bergabhang ist so steil, daß es Einen dünkt, man könne vom Waggon direct in den Fluß hinunterspringen. Das Bahnbett ist aus der Bergwand herausgeschnitten und die lange Waggonreihe fliegt gleichsam am waldigen Abhange herum – ein unvergeßliches Bild für Jeden, der es geschaut hat! Es ist dieses der schönste Punkt auf der ganzen Ueberlandreise.
Allmählich breiten sich die Schatten der Nacht über das Hochgebirge. Höher und höher die Sierra hinan arbeiten die schnaubenden Locomotiven; oft donnert der Zug über thurmhohe Trestlebrücken und durch riesige Durchstiche. Wir erreichen Alta dreitausendsechshundertfünfundzwanzig Fuß, Blue Cannon viertausendsiebenhundert Fuß, Emigrant Gay fünftausenddreihundert Fuß; eins immer prächtiger, immer wildromantischer als das andere; bei einbrechender Nacht zeigen sich die ersten Schneefelder; wir donnern hin durch riesige Tunnels und unter scheinbar endlosen Schneedächern. Vierzig Meilen weit erstrecken sich dieselben, um den Zügen Schutz gegen die Lawinen zu geben; das längste Schneedach, ein geschlossenes Gebäude, ist fünfzehn englische Meilen lang, – wie eine riesige Anaconda windet es sich um das Gebirge. Mitunter bildet ein Schneedach nur die Fortsetzung eines steilen Abhanges; der Schnee rollt darüber weg in das tiefe Thal und ungefährdet eilt der Dampfzug darunter hin.
Ich habe mein Nachtlager aufgesucht; die Lampen im Schlafwaggon flimmern matt, die Reisegefährten schlummern. Eine Nachtfahrt im Dampfzuge auf der Sierra Nevada! ich konnte die Augen nicht schließen. Den Schieber des Fensters an meiner warmen Lagerstätte öffnete ich und blickte hinaus in die winterliche, gespenstisch vorbeihuschende Gegend. Wie ein silberner Schleier lag das Licht des Vollmonds auf dem Gebirge. Gigantische Fichten huschten vorbei und streckten mir ihre schneeigen Arme entgegen; die Finsterniß der Tunnels und der Schneedächer wechselte ab mit mondbeleuchteten Schluchten, Schneefeldern, Thälern, Felsen, Schneegipfeln und riesigen Tannenwäldern. Wir waren siebentausend Fuß über dem Meere! Es rasselt dicht über mir auf dem Dache des Waggons; der Hagel eines Schneesturmes, der über das Gebirge hinsaust und dem es doch nicht gelingt, den Schlaf von meinem bequemen Lager wegzuscheuchen.
Die goldene Morgensonne schien durch das Fenster und weckte mich auf zu früher Stunde. Welch ein Wechsel des Landschaftsgemäldes! Weit hinter uns lagen die Schneezinnen der Sierra, um uns eine traurige Wüste; mit spärlichem, verkrüppeltem Salbeigestrüpp. Ich erhebe mich von meinem Lager und kleide mich an, finde die Stiefel geputzt am Bett stehen und mache Toilette im Toilettezimmer, der Schlafwaggon verwandelt sich wieder in einen Salonwaggon; im „Cosmopolitan“ wird gespeist wie gestern.
Da die Gegend an diesem Tage wenig Interessantes bot, ging es in dem Hôtelzuge um so lustiger her. Die Reisegesellschaft machte schnell Bekanntschaft untereinander und war bald [298] wie eine große Familie. Bunt genug war dieselbe. Da waren unter Anderen ein Midshipman der Vereinigten-Staaten-Flotte, der vor Kurzem von den Fidschi-Inseln in San Francisco angelangt war und eine fliegende Visite nach New-Jersey machte; eine junge amerikanische Dame, die ganz allein zu Besuch nach New-York reiste; ein Amerikaner, der in Heidelberg studirt hatte und sehr gut Deutsch sprach; ein deutscher Kornhändler und Millionär aus San Francisco, sieben Fuß hoch, eine von den Damen besonders geschätzte Persönlichkeit; eine Familie von Michigan mit zwei allerliebsten Kindern, die im Waggon spielten und sich herumjagten, daß Jeder seine Freude daran hatte.
Hier und da wurden die kleinen Klapptische zwischen den sammtgepolsterten Doppelsitzen in Requisition gebracht, und wir spielten Karten, Dame etc. Zwischen den Mahlzeiten versammelten sich die meisten Herren im „Cosmopolitan“-Waggon, rauchten und spielten und lasen und discutirten die Gegend. Nicht wenig Interesse erregten die vielen Indianer, Shoshones und Piutes, welche an jeder Station versammelt waren. In zerlumpten Kleidern bettelten sie von den Passagieren, – die verkommensten Geschöpfe, welche man sich nur denken kann.
Die nächste Nachtfahrt brachte uns nach dem geschichtlichen Promontory am Nordende des großen Salzsees, achthundertundzwanzig englische Meilen von San Francisco. Nichts bezeichnet dort die Stelle, wo am 10. Mai des vorigen Jahres die letzte Schwelle der verbundenen Weltbahn niedergelegt wurde, wo die Locomotiven „Jupiter“ von der Central und „Nr. 116“ von der Union Pacific sich zum ersten Mal begrüßten, wo der weltberühmte goldene Nagel eingeschlagen wurde, und von wo der Telegraph die Kunde der großen That gleichzeitig nach allen Enden der civilisirten Welt brachte. In Amerika ist das Ereigniß so gut wie vergessen; Niemand auf unserem Zuge sprach davon.
Die Stadt Promontory ist bald nach dem goldenen Nagel und der Lorbeerholzschwelle, die nach San Francisco wanderten, vom Erdboden so gut wie verschwunden. Sechsunddreißig englische Meilen weiter entstand an der Eisenbahn eine blühende Stadt Corinne, die einzige „Heiden-Stadt“ im Mormonenlande. Um die Frühstücksstunde erreichten wir die ansehnliche Mormonenstadt Ogden, wo sich die Union Pacific an die Central Pacific anschließt. Eine Zweigbahn läuft von Ogden nach Great Salt Lake City, der Residenz des Mormonenpascha Brigham Young.
Die Gegend am großen Salzsee mit den schmucken Mormonenniederlassungen, welche mich vor drei Jahren im Monat Mai, auf der Reise von Texas nach Idaho, so entzückt hatte, sah jetzt ganz winterlich aus. Ich konnte nicht umhin, an jene Postfahrt über die Steppe und die Felsengebirge recht oft zurückzudenken, als ich jetzt in dem glänzenden Hôtelzuge über denselben Boden dahinsauste. Zweiundvierzig Tage dauerte damals meine Reise von St. Louis nach Idaho City und wochenlang saß ich während derselben in der Postkutsche. Gefechte in der Kutsche mit Indianern, meilen- und meilenweit durch Schneefelder zu waten, Umwerfen der Postkutschen, Schneeschaufeln, durchnäßt, halberfroren, halbverhungert, auf Rumpelwagen und im Schlitten über die Felsengebirge, zu Fuß über die schneebedeckten Wasatchgebirge, – das war damals mein wenig beneidenswerthes Loos. Im Hôtelzuge ging die Reise diesmal etwas angenehmer von Statten! Damals war ich während Wochen von der civilisirten Welt ganz abgeschnitten; jetzt las ich jeden Morgen die neuesten Telegramme von Ostindien bis nach San Francisco, heute in dieser, morgen in jener Zeitung, und in Städten gedruckt, die vor drei Jahren noch gar nicht existirten.
Unter der Aegide der Union Pacific setzten wir unsere Reise von Ogden fort. Beim Teufelsthore traten wir mit doppeltem Vorspanne des Dampfes ein in die Cannons, die natürliche Straße vom Osten in das Utah-Bassin. Quer durch die Wasatchgebirge führen diese Felsenstraßen, Weber Cannon und Echo Cannon, – die Via Mala der Neuen Welt. Die thurmhohen Felsenwände hallten wieder vom Brausen des Dampfzuges, als wir uns vierzig Meilen weit durch diese hochromantischen Gebirgspässe hinwanden. Unangenehm überraschten mich nur die an die Felsen gemalten Annoncen. In Echo Cannon paradirten an den schönsten rothen Felsmauern die Worte: „Drake’s Plantation Bitters!“ die ein Yankee mit ellenlangen weißen Buchstaben dorthin gemalt hatte. Es kam mir wie eine Entheiligung vor. – „1000 Mile Tree!“ (der Tausend-Meilen-Baum) liest man an einem einsamen Baume in Weber Cannon. Nur tausend Meilen nach Omaha? Uebermorgen sind wir dort!
Am nächsten Tage dejeunirten wir siebentausend Fuß über dem Meere, auf der ganz eingeschneiten großen Laramie-Ebene, Bergforellen, Antilopensteaks, californische Spargel, Blumenkohl etc. In der winterlichen Oede unserer letzten Tagereisen nahm der Comfort des Hôtelzuges so zu sagen einen poetischen Charakter an. Was kümmerten uns Schnee und Eis und Hagel und Sturm, ob Hochgebirge auf unserem Pfade, ob endlose Wüsten, ob wir fünftausend oder sechstausend oder achttausend Fuß hoch über dem Meeresspiegel dahinsausten! Wir trugen ja die Civilisation des neunzehnten Jahrhunderts mit uns durch die Wolken, – auf Flügeln des Dampfes!
Laramie City, 7123 Fuß über dem Meere, war so zu sagen der erste civilisirte Ort, den wir sahen, seit wir den großen Salzsee und die Mormonenniederlassungen verlassen hatten. Während der letzten zwei Tagereisen und namentlich in den Schwarzen Hügeln, wo die Union Pacific bei Sherman, 8242 Fuß über dem Meere, den höchsten Punkt ersteigt, waren die Schneefänge mir etwas ganz Neues. Dieselben sind schräge, über Kreuz aufgestellte Latteneinfriedigungen, die meistens parallel mit der Bahn laufen; mitunter sieht man mehrere in Zwischenräumen von etwa hundert Schritt hintereinander angebracht. Nach den Massen von Schnee zu urtheilen, die an den Schneefängen lagen und die sonst sicherlich auf die Bahn geweht wären, müssen jene ihrem Zwecke vollkommen entsprechen. Fast alle Schneefänge sind an der südlichen Seite der Bahn, weil die meisten Schneestürme aus jener Himmelsrichtung von den Felsengebirgen herwehen.
Von Sherman, wo ein heftiger Schneesturm wüthete, ging’s wieder bergab, aber so allmählich, daß man es gar nicht gewahr wird. Unsere letzte Nacht im Hôtelzuge verbrachten wir auf den Ebenen; die letzte Nacht brachte uns in das Thal des Platte, in eine angebaute Gegend und nach Omaha. Die Ebenen waren eine endlose, ganz mit Schnee bedeckte Fläche. Nur die Stationsgebäude an der Eisenbahn unterbrachen mitunter das Bild der menschenleeren Oede. Um ein Uhr und vierzig Minuten nach San Francisco Zeit langten wir in Omaha an, wo es bereits ein Viertel nach drei Uhr war. Pünktlich, auf die Minute der vorgeschriebenen Zeit, hatte der Hôtelzug die Fahrt von neunzehnhundertzwölf englischen Meilen zurückgelegt.