Eine Malerheimath

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Textdaten
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Autor: R. H.
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Titel: Eine Malerheimath
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 24–26
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine Malerheimath.
Bild aus friedlichen Tagen.

Es ist schon über sechs Jahre her, im zwölften Bande S. 437 hat die Gartenlaube ihre Leser von Theodor Pixis in München nach Betzingen führen lassen, um einen schönen deutschen Menschenschlag in wohlkleidender schwäbischer Tracht aus der Kirche kommen zu sehen. Ein getreuer Autor hat damals nicht ermangelt, denselben über absonderliche Sitten und Gebräuche des vielheimgesuchten Völkleins kaum noch eine Frage übrig zu lassen. Nur das „Vielheimgesucht“ verspricht uns eine neue Ausbeute, denn das bezieht sich auf die vielen Gäste, welche der Künstlerwelt angehören und die mich sogar zu der Kühnheit verführt haben, Betzingen – eine Malerheimath zu nennen, trotzdem hier nicht etwa die Maler, sondern allein die prächtigen Modelle heimathberechtigt sind, um derenwillen wir Herren mit den großen Mappen haufenweise hier unseren Aufenthalt nehmen.


Im schönen Schwabenlande, an der raschen fleißigen Gebirgstochter, der Echaz, welche in kaum dreistündigem Laufe über hundert Fabriken und Mühlen treibt, liegt die Perle der Trachtendörfer, Betzingen, dessen Bewohnern und Bewohnerinnen weder die Nähe der nüchternen fleißigen alten Reichsstadt Reutlingen, noch das viel weiter entfernte studentenreiche Tübingen das Mindeste in Tracht und althergebrachter Gewohnheit anhaben konnten; ja selbst die drei im Dorfe liegenden Fabriken und die sonst Alles gleichmachende

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Kindtaufe in Betzingen.
Nach dem Originalgemälde von Hornemann in Düsseldorf.

[26] Eisenbahn, welche hier eine Haltstelle hat, konnten dem Grundwesen dieser originellen und in ihrer Tracht so eigenthümlich schönen Dorfbewohner eine Aenderung nicht abringen, und so lohnt sich heute noch wie vor Jahrzehnten ein Besuch bei diesem prächtigen Menschenschlage.

Bei einem Gange durch das Dorf nach beiden Seiten die im farbigen Sonntagsstaat eben von der Kirche kommenden Mädchen und Buben musternd, an der wohlgewählten farbigen Tracht der Mieder und der die kräftigen Figuren lustig umflatternden Bänder das Auge erfreuend, ladet ein Schild an einem freundlichen bescheidenen Hause uns ein, auch dem Magen zu geben, was des Magens ist. Wir stehen vor der „Rose“, dem ersten Wirthshause des Dorfes; drinnen schaltet und waltet außer den ab und zu hin- und herfliegenden Sommerzugvögeln der Maler und Malerinnen aus aller Herren Länder ein Geschwistertrio, Bruder und Schwestern in den mittleren Jahren, er ebenso still und fleißig die Landwirthschaft besorgend, wie das sittige Schwesterpaar den Wünschen der Gäste mit immer gleicher Ruhe und Willigkeit nachkommend. Beim guten Schoppen treffen wir ein Paar bärtige Gestalten mit dem breitkrämpigen Hute und dem unvermeidlichen Plaid über der Schulter; es sind Düsseldorfer Maler mit einem schwäbischen Genossen, der durch häufigen Studienaufenthalt im Dorfe völlig zu Hause und den Berufscameraden seine Modelle eben zu zeigen im Begriff ist.

Vom Malervolk leicht die Erlaubniß zum Mitgehen erhaltend, treten wir nach wenigen Schritten in die kleine Stube eines einstöckigen Häuschens; heute ruht der Schusterhammer des sonst rastlos fleißigen Vaters, dagegen sind alle acht Töchter zu Hause mit den dunkelbraunen sonnverbrannten Gesichtern und den blitzenden Augen. In freundlicher Vertraulichkeit werden die Herren gegrüßt, denn das Malen ist den Mädchen nichts Neues mehr und das Kommen zur Sitzung in die Rose auf den folgenden Tag wird bereitwillig zugesagt.

Zwei Häuser weiter und wir treffen beim Bruder des Schuhmachers wieder acht Mädchen und nur einen noch unerwachsenen Buben; auf die erstaunte an eine der Dunkelblondinen gerichtete Frage: „Aber Mädchen, wo kriegt Ihr Alle denn einst Männer her?“ antwortet dieselbe rasch: „’S gibt Buabe gnuag, ’s gibt für Jede Oin.“ Auch sie wird um eine Malsitzung gebeten und sagt es gerne zu, da der Ertrag zu einem Paar neuen seidenen Bändern an die Sonntagsschürze reicht.

Nun geht’s quer über die Straße; im Begriff, die wie an den meisten Häusern außen hinaufführende Treppe zu ersteigen, springt über die ausgetretenen ächzenden Stufen derselben Bärbel herab, ein Musterbild von draller Kraft und Rundung. Auch sie sagt zu, und wir gehen, um auch hier das holzgetäfelte Innere mit dem Kachelofen zu sehen, die Treppe hinauf. Beim Eintreten finden wir die Hausmutter, eine kräftige Frau und Mutter von wieder acht Mädchen und fünf Buben, die Letzteren baumlange Gardisten, eben an der harten Arbeit, die sich sträubenden Naturlocken ihres jüngsten dreijährigen Sprößlings glatt zu kämmen und sie in zwei kleine stumpige Zöpflein mit eingeflochtenen Bändern zu verwandeln, denn so will es am Sonntag der gewaltige Alleinherrscher in Betzingen, der Brauch.

Ist somit die Berechtigung, Betzingen eine Malerheimath zu nennen, wenigstens heiter angedeutet, so verräth unser Bild, daß den Malern auch das Heiligthum des Hauses bei hohen Familienfesten nicht verschlossen ist, denn sonst wäre Meister Hornemann nicht im Stande gewesen, uns einer Kindtaufe in so zahlreicher Verwandtschaft beiwohnen zu lassen. Der geweihte Mittelpunkt dieses Bildes ist die junge Mutter, und so hoch hebt die Mutterwürde das Weib, daß vor ihr der Werth der Trachten verschwindet und wir vor diesem Anblick Alles gern mit in den Kauf nehmen, was absonderlich Betzingerisches dabei zum Vorschein kommt.
R. H.