Eine Nacht beim Krebsleuchten

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Textdaten
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Autor: Guido Hammer
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Titel: Eine Nacht beim Krebsleuchten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 204–206
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[204]
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 16. Eine Nacht beim Krebsleuchten.

Ein schwüler Julitag verhieß eine gleiche Nacht, die der Förster zum Krebsleuchten zu benutzen beschlossen hatte, wozu ihm die Befugnlß auf dem Reviere zustand. Er hatte deshalb bereits den Zeichenschläger und mehrere Waldarbeiter dahin instruirt, sich mit dem erforderlichen Kien und sonstigen Bedarf zum bevorstehenden Krebsfang Abends um zehn Uhr auf der „Henkerbrücke“ am „Nesselbach“ einzufinden und dort die kleine, dazu eingeladene Jagdgesellschaft zu erwarten. Doch nicht direct sollten wir zur nächtlichen Partie aufbrechen, sondern es wurde mit ihr zugleich der Anstand auf einen Hirsch verknüpft, der in der Nähe des Nesselbaches allabendlich über ein Gehau kommen sollte, um von da auf die nicht allzufernen Felder des Grenzreviers zu ziehen, weshalb wir uns noch bei Tage auf den Weg machten.

Abwechselnd führte uns dieser über sonnenbrandige, sandige Holzschläge und auf schmalem Pfade durch haideüberzogene Strecken, sowie durch hohe, rothstämmige Föhrenbestände; dann ging’s bald an üppig grünuferigen Wässerchen unter Erlen hin, bald schritten wir unter dem sonnenvergoldeten transparenten Laubdache schlankschäftiger Buchen vorwärts, bis wir gegen Sonnenuntergang an unserm vorerst gesteckten Ziel anlangten. Es war ein an einem Hange hinabliegendes schmälen- und haideüberwachsenes Gehau, durch das sich ein tiefseingeschnittenes, an seinen Rändern von frischer Vegetation begleitetes Bächlein wand. Es rieselte mit plätschernder Raschheit dem Thale zu, um dort mit offenen Armen von dem größeren Thalgewässer, dessen geschwätziges Murmeln man deutlich durch die Waldesstille vernehmen konnte, aufgenommen zu werden. Hier, wo der Hirsch erwartet wurde, stellten wir uns am Ausläufer eines das Gehau begrenzenden alten Bestandes an, der theilweise mit dichten Fichtenstraupen besetzt war, und hinter welchem man sich vortrefflich bergen konnte.

Schon wich die rothgoldige Beleuchtung mit den letzten Strahlen der untergehenden Sonne von den bis dahin noch beschienenen Wipfeln der alten Fichten, Tannen und Buchen, die hier den Wald bildeten, und nur noch vom Reflex des lichtumflossenen Himmels erhielt die ganze Landschaft den letzten rosigen Hauch. Auch dieser entschwand nach und nach, und nur die über fernen Wolken glänzenden Streifen des Abendhimmels leuchteten über den gegen Westen gelegenen Hochwald herüber. Mehr und mehr griff die ernste Dämmerung Platz, die dem stillen Wald eine so zaubervolle Weihe giebt, und die diesmal noch durch die tiefste Ruhe erhöht wurde. Bald aber regte sich das dem Walde eigenthümliche Leben. Da kam ein alter Buschhase über das Gehau herübergerückt, sich tändelnd nach dem Wiesengründchen wendend, wo er Schmackhaftes [205] zu finden wissen mochte. Auch ein Reh trat auf die Blöße heraus, ja selbst ein altes Roththier mit seinem Kälbchen zog ganz am Ende des Gehaues über dasselbe hinweg, wahrscheinlich ebenfalls der freien Matte im kühlen Thale zu. So verging die Zeit, ohne daß man es bei der auf die Natur gerichteten Aufmerksamkeit gemerkt haben würde, hätte nicht die vorschreitende Dunkelheit an den Verlauf der Stunde erinnert. Noch hatte sich kein Hirsch hören und blicken lassen, als der Förster den Signalpfiff zum Abtreten ertönen ließ, der uns Uebrige nach seinem Stande berief. Doch kaum leisteten wir dem Rufe Folge, so hörten wir den Geweihten drüben im Dickicht, von wo her er kommen sollte, brechend und polternd zurückfliehen – er war jedenfalls eben im Begriff gewesen, herauszuziehen, und durch unser Abtreten flüchtig geworden. Mit dem miserablen Troste, daß es doch zu dunkel gewesen sein würde, um auf den Erwarteten, namentlich gegen den dunkeln Hintergrund, schießen zu können, mußten wir uns begnügen, uns von seinem Dasein überzeugt zu haben und daran für die nächste Zeit weitere Hoffnungen zu knüpfen.

Von hier aus ging’s nun unmittelbar auf finsterm Waldespfade zum bestimmten Rendezvous für das Krebsleuchten. Bald sahen wir auch den Schimmer eines Feuerchens, das sich der Zeichenschläger mit seinen Leuten angezündet hatte, durch das Waldesdunkel schimmern. Ein herrliches Bild bot sich unsern Blicken dar. Vor uns lag ein verwittertes, steinernes, grünbemoostes Brückchen, das sich von den farrenkrautüberwucherten Ufern über einen krystallklaren Bach spannte und von einer am Rande stehenden Buche völlig überwölbt wurde. Die weitere dichtgeschlossene Umgebung bildeten dunkele Fichten mit zur Erde hängendem Geäste, deren silberne Flechten wie lange Bärte herabhingen, die im flackernden Feuerschein phantastisch von dem düstern Hintergründe abstachen. Dieser erschien um so schwärzer, als die Flammen nur die unmittelbar nahen Gegenstände grell beleuchteten. Dazu gaben die wildaussehenden Gestalten, die die knisternde Gluth umstanden und auf die beleuchtete Umgebung riesengroße gespenstige Schlagschatten warfen, der nächtlichen Scene etwas ungemein Malerisches.

Rasch wurde nun nach unserm Eintreffen Anstalt zur Wasserjagd auf die gepanzerten Scheerenträger getroffen. Wer Lust verspürte, in’s Wasser zu gehen, zog sich, wenn er keine Aufschlagstiefeln hatte, barfuß aus, so wie man sich denn überhaupt aller unnöthigen Kleidungsstücke entledigte, und watete, in der Hand den brennenden Kienspan, stromauf im Bache hin. Hell loderten die Brände und übergossen die wuchernde Vegetation des Baches und die Sträucher und Bäume am Rande desselben mit einem magischen Lichte, sowie selbst der Boden, über dem das durchsichtige, rothgoldig glitzernde Wasser hinfloß, mit voller Klarheit beleuchtet wurde, wodurch die in warmen Nächten aus ihren Wurzel- und Steinlöchern hervorkommenden Krebse deutlich sichtbar waren. Nun ging’s an ein Zulangen der Watenden, wobei jedesmal einer der ritterlich gepanzerten Reactionäre der hinterrücks zugreifenden Hand des Häschers verfiel, der den Gefangenen entweder in einen um seinen Hals hängenden Sack steckte oder den am Ufer Mitgehenden zuwarf, um ihn von diesen in das Verließ eines Zubers oder Leinwandsackes stecken zu lassen. Auf diese Weise mehrte sich fast Schritt vor Schritt die Beute. Auch waren bereits von einem der Waldwärter, der mit Virtuosität Forellen mit den Händen unter alten Wurzelstöcken und Steinen hervorzufischen verstand, eine hübsche Anzahl solcher ihrem krystallenen Elemente entrissen worden, so daß die nächtliche Beute schon eine recht ergiebige genannt werden mußte.

Aber auch die Zeit war verronnen, so daß es schon nach Mitternacht war, als einmal Halt zu machen beschlossen wurde. An einer der düstersten Fichtenpartien auf einem hohen Uferrande wurden die Jagdtaschen hingelegt, um hier einen kleinen Imbiß und herzstärkenden Trunk einzunehmen, während die leidenschaftlichsten Fischer und krebsenden Genossen noch immer im Wasser herumsuchten. Der Mond, der eben die Wolken zerrissen hatte, verband hier seinen silbernen Schein mit der rothen Fackelgluth, und beider Lichtstrahlen schimmerten in abwechselnder Pracht, wie Diamant- und Rubnuenglanz, in dem sonst tiefdunkeln Wasser der sich hier bildenden Waldesbucht. Die düstern Wolken zogen dabei langsam und schwer am Himmel hin, bald das Mondlicht verhüllend oder momentan ganz verdunkelnd, während dem schon längere Zeit stattfindenden Wetterleuchten sich dumpfmurmelnder Donnerton beigesellte. Dieses Zeichen veranlaßte die Gesellschaft, ihr an diesem einsamen, baumumrauschten Orte improvisirtes Lager schleunigst wieder aufzugeben, sowie überhaupt auf weitern Beutefang zu verzichten, da ja ohnehin die Säcke und Körbe fast gefüllt waren, und aufzubrechen. Schnell waren die Fackeln bis auf zwei, die uns zum Wegleuchten dienen sollten, ausgelöscht, denn das plötzlich schnell heranrückende Gewitter trieb zur Eile. Unser nächstes Ziel war eine nicht allzu fern liegende Waldschenke, deren Wirthsleute herauszupochen beschlossen wurde, da das Wetter uns in keinem Falle bis nach Hause kommen zu lassen versprach. Wir hatten überhaupt schon zu lange gezögert; immer drohender wurde das schnell heraufziehende Wetter. Ihm voraus ging jetzt ein hohles Brausen durch den Wald, das die knarrenden Stämme der vom daherjagenden Sturme gepackten Bäume mit Seufzen und Stöhnen begleiteten. Blitz folgte nun auf Blitz, so daß das grollende Donnerrollen fast ununterbrochen war und nur durch dann und wann folgende stärkere Schläge Abwechslung erhielt. Einzelnen vorausgefallenen Tropfen folgten jetzt Ströme von Regen. Sturmgepeitscht rauschten sie zur Erde. Dazu wurde die wasserdurchfluthete Atmosphäre durch die auch alles Uebrige in ein Feuermeer verwandelnden Blitze grell erleuchtet, so daß der Ausbruch einem Kampfe des Feuers, Wassers und der Luft um die Herrschaft der starren Erde glich. Den am schwarzen Himmel niederfahrenden blauen Schlangenlinien folgten die Donnerschläge so augenblicklich und erschütternd, daß sie fast betäubend wirkten, besonders einmal, als der vernichtende Strahl in eine Buche, die ungefähr nur hundert Schritt vor uns stand, einschlug und sie von oben bis unten auseinander riß, daß dem überwältigenden Schmettern des Donners das Prasseln und Krachen des stürzenden Baumes folgte. Ja, es wurde geradezu unheimlich, sich mit dem Gewehre, diesem natürlichen Blitzanzieher, in diesem Aufruhre der Elemente zu wissen und jeden Augenblick erwarten zu können, daß sich die Feuerschlangen des Himmels auf uns niederstürzen würden, um ein oder mehrere Opfer aus unserer Mitte zu wählen. Schutz und Schirm vor dem mit wolkenbruchartigen Regenströmen verbundenen Gewitter zu suchen, gab die Oertlichkeit durchaus nicht zu; es blieb uns also nichts übrig, als uns ins Unvermeidliche zu fügen und rüstig weiter zu schreiten.

So erreichten wir denn endlich, durchnäßt bis auf die Haut, den einsam gelegenen Waldkrug, als das Gewitter mit seiner stärksten Macht bereits vorüber und uns vorausgeeilt war. Bald war der Wirth, den das Wetter ohnedem wach erhalten und zu Lichtanmachen veranlaßt hatte, herausgeklopft. Schlürfenden Schrittes hörte man ihn auf dem Hausflur kommen und der Thüre nahen, um zu öffnen. Die ihm bekannten Jägergesichter ließen sein grämliches Antlitz, das er über die nächtliche Ruhestörung aufgesteckt hatte, bald in freundlichere Falten legen, und schnell wurde von ihm ein Feuer gemacht, das nicht nur die Sachen trocknen, sondern auch die gefangenen Forellen zum nächtlichen Schmause bereiten sollte. Die Garderobe des alten Haidekrügers und seiner Söhne mußte bis zum Trockenwerden unserer Kleidungsstücke zu unserer nothdürftigen Bedeckung herhalten, so daß wir in einer Weise metamorphosirt wurden, die zu den heitersten Scenen Veranlassung gab. Bald war das Fischgericht fertig, das, mit frischem Trunk gewürzt, nach überstandener Strapaze herrlich mundete.

Schon dämmerte der Morgen, als wir unsere warmfeuchten Sachen wieder anzogen, um den Nachhauseweg anzutreten. Noch sah man dem gen Norden geflohenen Gewitter einige zerrissene Wolken als Nachzügler nacheilen, während sonst vom schönsten klaren Himmel die Sterne in ihrem vor dem Osten verbleichenden Schimmer niederschauten. In tiefblauem Dämmerten lag der erfrischte Wald vor uns, und schon fing sich das frische Leben an zu regen. Singvöglein schnipsten und zwitscherten in den Zweigen, die, wenn sie durch das Flattern der kleinen Befiederten gestreift oder vom leichten Winde geschüttelt wurden, ihren feuchten Perlenschmuck aus den glänzenden Blättern und Nadeln fallen ließen. Es ward heller und heller. Ein heiserer Kuckuck, der noch in verspäteter süßer Liebessehnsucht schmachtete, schrie den lichten Tag an, den nun die goldene, siegreich das letzte Gewölk zerstreuende Sonne über Berg und Thal ergoß. In klarer Pracht spiegelte sich die Himmelskönigin mit Diamantfunkelschein millionenfach in dem perlenden Naß, das an Baum und Strauch, an Halm und Staude zitterte. Im Vollgenuß eines solchen herrlich anbrechenden Morgens eilten wir munter, die Säcke mit ihrem kribbelnden Inhalt auf dem Rücken, der Försterwohnung zu, von wo aus ein Jeder, [206] mit einer Anzahl der Gefangenen beschenkt, möglichst schnell nach Hause zu kommen suchte, um in Betracht des bedenklichen Anzugs unbemerkt einschlüpfen und noch einige Stunden bis zur gewöhnlichen Aufstehzeit der Stadtmenschen der Ruhe pflegen zu können, die man um so nöthiger hatte, als Einem an diesem Tage noch die Anstrengung des Krebsessens bevorstand.