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Eine Weltumseglerin

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Textdaten
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Autor: Dr. Adolph Kohut
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Titel: Eine Weltumseglerin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 682–683
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[682]
Eine Weltumseglerin.
Zum hundertsten Geburtstag von Ida Pfeiffer.

Auf dem Centralfriedhof in Wien ruht in einem Ehrengrabe eine der merkwürdigsten und interessantesten Frauen, die Weltumseglerin Ida Pfeiffer. An ihrer Gruft erhebt sich ein prächtiges Denkmal, eine sieben Fuß hohe, aus geschliffenem Granit hergestellte Pyramide, deren Mitte das in weißem Laafer Marmor ausgeführte Bildnis der Weltreisenden zeigt. Darunter ist ein auf stürmischer See dahinfahrendes Segelschiff aus Bronze angebracht, und die Spitze des Denkmals ist symbolisch mit einer Erdkugel, ebenfalls aus Bronze, gekrönt. Ueber der Inschrift, welche einfach und schmucklos lautet: „Ida Pfeiffer geb. Reyer, geboren in Wien am 14. Oktober 1797, gestorben ebenda am 27. Oktober 1857, glänzt ein goldenes Kreuz.

Ida Pfeiffer war eine in ihrer Art einzig dastehende Frau. Ihr Vater, ein schlichter Bürger Namens Reyer, ließ ihr eine gründliche wissenschaftliche, nur ein wenig zu männliche Erziehung zu teil werden. Infolge des Einspruchs ihrer Eltern durfte sie ihrer Herzensneigung nicht folgen und ihren Jugendgeliebten nicht heiraten, vermählte sich aber im Alter von 22 Jahren mit dem um 24 Jahre älteren Lemberger Advokaten Dr. Pfeiffer, dem sie allezeit Treue und Sympathie bewahrte. Fast zwei Jahrzehnte lebte sie als fleißige, brave Frau in stiller häuslicher Weise, bis ihre Kinder aufgewachsen und versorgt waren und ihr Mann das Zeitliche gesegnet hatte. Erst dann hatte sie den Mut, die von der zartesten Jugend her mächtig in ihr lebende, aber nie gestillte Sehnsucht nach fernen Zonen zu befriedigen. Mit den bescheidensten Geldmitteln, auf sich allein angewiesen, ohne Begleitung und von niemand aufgemuntert, großartige und gefahrvolle Reisen zu unternehmen und Länder aufzusuchen, die bisher kein Fuß eines Europäers betreten hatte. In der harten Schule des Lebens, da sie nicht nur für sich und ihre Kinder, sondern auch mitunter für ihren unpraktischen Mann sorgen und schwer arbeiten mußte, hatte ihr Charakter sich gestählt, ihre Energie sich befestigt und sie gelernt, selbständig zu handeln. Als sie, bereits 45 Jahre alt, zum erstenmal auf einer Reise nach Triest, wo sie Verwandte besuchte, das Meer sah, brach es wie Jubel aus ihr hervor und Thränen rollten über ihre Wangen. „Mir war,“ erzählte sie später, „als hätte der Himmel das ganze Meer als Taufwasser über mich ausgegossen, ich glaubte, erst jetzt geboren worden zu sein. Ich begriff den Freudenschrei der Griechen: das Meer! das Meer! als sie es erblickten. Sie dachte, sie träumte fortan nur von den Meeren der Erde, die zu befahren sie sich sehnte, und von der weiten Welt, die sie kennenlernen wollte. Was sie dazu trieb, war aber keineswegs bloß gewöhnliche Reiselust, Ida Pfeiffer war vielmehr vom echten Wissensdurst und dem ernsten Wunsch beseelt und angefeuert, die geographische Wissenschaft zu fördern und unsere Kenntnis von Land und Leuten in dunklen Erdteilen zu bereichern. Am besten charakterisiert sie ein Empfehlungsbrief Alexander von Humboldts vom 8. Juni 1856, den er ihr beim Antritt ihrer letzten Reise nach Madagaskar mitgab, worin es u.a. heißt:

„Diese Frau ist nicht bloß berühmt durch die edle Ausdauer, welche sie inmitten so vieler Gefahren und Entbehrungen zweimal um die Welt geführt hat, sondern vor allem durch die liebenswürdige Einfachheit und Bescheidenheit, die in ihren Werken vorherrscht, durch die Wahrheit und Reinheit ihres Urteils und durch die Unabhängigkeit und zu gleicher Zeit Zartheit ihrer Gefühle. Des Vertrauens und der Freundschaft dieser achtbaren Frau genießend, bewundere ich diese unbezähmbare Energie des Charakters, welche sie überall gezeigt hat, wohin sie gerufen oder, besser gesagt, getrieben wurde durch die unbesiegbare Leidenschaft, die Natur und die Gebräuche der verschiedenen Menschenrassen zu erforschen.“

In Gedanken und Worten einfach, bescheiden und schlicht, gemessen und gelassen in ihrer persönlichen Erscheinung, war sie frei von jeder Sucht, sich vorzudrängen und von sich reden zu machen. Ihre Wahrheitsliebe und ihr strenger Sinn für Recht und Ehrenhaftigkeit verleugneten sich bei ihr nie, weder in ihrem Leben, noch in ihren zahlreichen Schriften, in denen sie die Ergebnisse ihrer Weltreisen in anziehender und volkstümlicher Weise zu schildern wußte. Das prahlerische Wesen so vieler „Weltreisenden“ war ihr in tiefster Seele zuwider, nie erzählte sie etwas, das nicht vollkommen der Wahrheit entsprach, ebenso wie sie nie im Leben etwas versprach, was sie nicht hielt. Ein ausgesprochenes, ja außerordentliches Reisetalent, verstand sie es, in allen Weltteilen, wohin sie auch kam, die Teilnahme der Menschen zu erwecken, und indem sie frei von allen politischen, religiösen und nationalen Vorurteilen war, sah sie alle Dinge so an, wie sie waren, und war ihr Urteil nie getrübt durch die Brille einer vorgefaßten Meinung.

Im März 1842 trat die bereits alternde Frau ihre erste Reise an, indem sie nach Palästina, Syrien und Aegypten wanderte. Die Reiseerlebnisse, welche sie 1844 anonym in zwei Bänden [683] herausgab, erregten allgemeines Aufsehen. Das Buch erlebte rasch hintereinander mehrere Auflagen und wurde auch in zahlreiche fremde Sprachen übersetzt. Köstlich sind die Erzählungen, welche sie von ihren Besuchen in den orientalischen Harems, von ihrem Zug durch die Wüste, an das Rote Meer usw. zum besten giebt. Aus der Fülle derselben sei nur eine kleine Episode erwähnt. Ida Pfeiffer hatte sich vor der Reise ihre Haare kurz abgeschnitten in der richtigen Voraussicht, daß sie weder Zeit noch Gelegenheit haben würde, dieselben unterwegs gehörig zu ordnen und zu pflegen. Als sie den Damen des Harems eines hochstehenden Paschas ihren Besuch abstattete, staunten die Odalisken über die kurzen Haare, indem sie meinten, die Natur habe wohl den Europäerinnen den langen Haarwuchs versagt; mitleidig besah und befühlte jede der Frauen des Paschas den Kopf der Wienerin. Nicht wenig schien sie auch die Magerkeit Ida Pfeiffers zu befremden, denn alle Orientalinnen des Harems zeichneten sich durch außerordentliche Körperfülle aus.

Drei Jahre später unternahm Ida Pfeiffer eine Reise nach dem Norden. Ueber Kopenhagen ging sie nach Island, bestieg den Hella und kehrte über Skandinavien nach Wien zurück. Das Tagebuch dieser zweiten Reise erschien

Ida Pfeiffer.
Nach einem Stahlstich von Weger.

unter dem Titel: Reise nach dem skandinavischen Norden und der Insel Island in zwei Bänden, Pest 1846, diesmal unter ihrem Namen, und wurde gleichfalls viel gelesen. Der Erlös der mitgebrachten Naturalien, sowie das Honorar des Verlegers bildeten für sie die Grundlage von Ersparnissen für neue Unternehmungen. Die beiden ersten Reisen betrachtete sie nur als Vorstudien, als Kraftprüfungen, als Anreiz zu weitaus größeren gefährlicheren Reiseunternehmungen. „Ich habe,“ meinte sie dann als scherzhaft, „Blut geleckt und spüre mich zu etwas tigerhaften Abenteuern aufgelegt. Eine Reise um die Welt war es, die den Geist der kühnen Frau jetzt beschäftigte, und diese einmal gefaßte Idee ließ ihr keine Ruhe mehr. Indem sie von ihren großartigen Reiseplänen ihren Verwandten! und namentlich ihren Söhnen nichts sagte, sondern nur Brasilien als ihr Ziel nannte, nahm sie am 1. Mai 1846 von Wien Abschied, um ihre Weltfahrt anzutreten, die sie in das Innere Brasiliens, und durch den Westen Südamerikas bis zum chinesischen Küstenland, und nach Hindostan brachte. Sie sah u. a. Tahiti, Canton, Calcutta, Delhi, Bombay und Bagdad und sie kehrte dann über Afghanistan, Persien und Georgien nach Triest zurück. Furchtbare Mühseligkeiten und Entbehrungen hatte sie auf dieser Reise zu erleiden. In Canton z. B., wo die ungewöhnliche Erscheinung einer europäischen Frau auf die Söhne des Reiches der Mitte sinnverwirrend wirkte, wäre sie beinahe erschlagen worden, und anläßlich eines Ausfluges in das Innere Südbrasiliens wurde sie von einem entlaufenen Negersklaven in raubmörderischer Absicht überfallen und schwer verwundet; nur einem Zufall verdankte sie die Rettung ihres Lebens.

Lange hielt es Ida Pfeiffer in ihrer Heimat nicht aus. Als sie ihre zahlreichen Sammlungen verkauft, ihre Tagebücher unter dem Titel „Eine Frauenfahrt um die Welt (3 Bände, Wien 1850) veröffentlicht hatte und dabei nicht den geringsten Abbruch ihrer Kräfte fühlte, begann in ihr, trotz der überstandenen ungeheuren Strapazen, der Plan einer zweiten Reise um die Welt zu reifen. Inzwischen war sie eine weltbekannte Persönlichkeit geworden, alle großen Zeitungen der Erde erzählten von der kühnen Weltreisenden, welche schon damals 30 000 Kilometer zu Land und mehr als 150 000 Kilometer zur See zurückgelegt hatte, und so sah sich die österreichische Regierung veranlaßt, ihr einen Reisebeitrag von 1500 Gulden zu spenden.

Das Jahr 1851 sah sie wieder auf dem Meere. Diese vierte Reise ging ebenfalls, aber in umgekehrter Richtung, um die Welt, und zwar über das Kap der guten Hoffnung nach den Sundainseln, Borneo, Java und Sumatra. Nach 1½ jährigem Aufenthalt in jenem Archipel, in Neuholland und der australischen Inselwelt wanderte sie nach Amerika, durchzog Kalifornien, drang bis an die Quellen des Amazonenstromes vor, wagte sogar die Besteigung des Chimborasso und kehrte nach dreijähriger Abwesenheit 1854 über Hamburg zurück. Sehr liebenswürdig und wohlwollend kamen ihr überall die holländischen Offiziere und Beamten entgegen, und sie fühlte sich denselben für ihre zuvorkommende Hilfe und Unterstützung so sehr zu Dank verpflichtet, daß sie das Werk, welches sie über diese zweite Weltreise 1856 veröffentlichte, den Holländern in Indien widmete. Auch die Nordamerikaner bezeigten ihr lebhafte Sympathien. Sie gestatteten ihr viele Freifahrten, sowohl auf Segelschiffen als auch auf ihren großen prachtvollen Dampfern, und behandelten sie überhaupt mit der auszeichnendsten Aufmerksamkeit.

Die von unserer Weltumseglerin gesammelten reichhaltigen und wertvollen Naturalien und ethnographischen Gegenstände gelangten zum größten Teil in das Britische Museum und in die kaiserlichen Sammlungen in Wien. Großes Interesse nahmen weltberühmte Naturforscher und Geographen wie Alexander von Humboldt und Karl Ritter an den Bestrebungen und Forschungen Ida Pfeiffers. Auf den Antrag der beiden Gelehrten ernannte die Berliner Geographische Gesellschaft sie zum Ehrenmitglied – eine Ehrung, welche ihr übrigens später auch von der Geographischen Gesellschaft in Paris zu teil wurde – und der König von Preußen verlieh ihr die Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft.

Ihr reger Geist und ihr Forschungstrieb ließen ihr noch immer keine Ruhe, auch meinte sie, daß die Ergebnisse ihrer Weltreisen sich bei einem neuen Unternehmen noch glänzender gestalten würden; so begann sie denn 1856 ihre dritte Weltumseglung. Diese letzte Reise, die sie am 21. Mai des genannten Jahres von Wien aus unternahm, ging zuvörderst nach Madagaskar, wo damals die ruchlose und blutdürstige Königin Ranavola herrschte und die grausamsten Unthaten ausführte. Vergebens warnte A. v. Humboldt sie vor einem Besuch jenes barbarischen Landes, der Reiz, sich das geheimnisvolle, noch fast gänzlich unbekannte Innere dieser Insel aufzuschließen, war jedoch für sie unwiderstehlich. Anfangs günstig aufgenommen, wurde sie von der Tyrannin bald für eine Spionin gehalten, aufs heftigste verfolgt, mehrere Monate als Gefangene in sumpfigen Wüsteneien herumgeschleppt und dann aus dem Lande gewiesen, und so brachte sie mit dem Malariafieber den Todeskeim mit in die Heimat zurück. Ihre bisher unerschütterte eiserne Gesundheit war gebrochen, und sie ließ sich nach Wien bringen, um dort zu sterben. In der Nacht vom 27. auf den 28. Oktober 1858 hauchte die edle Frau ihre unsterbliche Seele aus. Mit ihr starb eine Heldin der Wissenschaft und der Forschung von unerschrockener kräftiger Natur, mit einer kühnen und mutigen Seele, welche frei von jeder nervösen Schwärmerei war und das Wort vom schwachen Geschlecht zu Schanden machte. Mit bewunderungswürdigem Heroismus hat sie Seestürme, die Glut der Tropen, die Kälte der Polarzonen, Hunger und Durst, Todesgefahr und die Verräterei tückischer Menschen überstanden, nur um der Gesamtheit zu nützen und der Wissenschaft neue Siege erringen zu helfen.

Dr. Adolph Kohut.