Eine Wolfs-Geschichte

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Textdaten
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Autor: Guido Hammer
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Titel: Eine Wolfs-Geschichte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 740–743
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Wild-, Wald- und Waidmannsbilder Nr. 25
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Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Nr. 25. Eine Wolfs-Geschichte.
Von Guido Hammer.


„Ein schneeiger Decembertag,“ erzählte mir ein nun längst heimgegangener alter Förster, den ich auf meinen Jagdausflügen in Oberschlesien an der galizischen Grenze kennen gelernt hatte, nachdem wir zusammen von einer Pürschfahrt heimgekehrt waren und nun in seinem hirschgeweihgeschmückten, traulich warmen Stübchen hinter einer Schüssel mit dampfenden Kartoffeln, unserem frugalen Abendbrode, behaglich saßen und es uns schmecken ließen, „ein schneeiger Decembertag hatte mich mit meinem Burschen hinausgeführt, um ein paar Stücken Rothwild abzuschießen, welche unsere gütige Herrschaft zum Schmause einer Bauernfestlichkeit, die im Dorfe bevorstand, verwilligt hatte. Auf dem hintersten Revier angekommen, trennten wir uns an einem Kreuzwege, mit der

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Die Wölfe am Wildschlitten.
Originalzeichnung von Guido Hammer.

[742] Verabredung, nach einer bestimmten Zeit am selben Orte wieder zusammenzutreffen, um bei gehabtem Erfolge das Erlegte gleich mit dem Schlitten, in welchem ich und der Knecht weiter fuhren, nach Hause zu schaffen. Jeder zog denn seines Weges, ich, wie schon gesagt, im Gefährt, der Bursche aber zu Fuß den tiefen Schnee durchmessend.

Trotzdem es sonst Wild die Menge im Reviere gab, wollte es heute doch gerade nicht so schnell passen; wenigstens konnte ich, wenn ich auch das Gesuchte einmal in Sicht bekam, nicht darauf zu Schusse kommen, oder es waren lauter starke Hirsche, von denen ich natürlich – mitten im Winter – durchaus keine Lust verspürte, einen der Capitalburschen todtzuschießen. ’s wäre doch ein wahre Sünd’ und Schande gewesen, sich für die Bauern zum Aasjäger zu machen! Ebenso still blieb’s in der Richtung, wohin mein Bursche gegangen; wenigstens hatte ich noch keinen Schuß vernommen; er mußte also – meiner Berechnung nach – auch noch nichts todtgebracht haben. Ohne Aufenthalt fuhr ich also weiter und weiter, bis ich endlich so ’ne alte Plautze nebst noch ein paar Stücken Wild, die aber beide Kälbchen bei sich hatten, im Stangenholze stehen sah, und obgleich es verteufelt weit hin war und ich auch nur eine sehr schmale Lücke zum Schießen hatte, machte ich doch Feuer auf die gelte Großjacke; ich konnte ja doch im Schnee leicht auf den Schweiße fortarbeiten, falls ich die Creatur nur anschoß. ’s gelang aber prächtig! Das alte Thier zeichnete brillant auf dem Schuß, und schob, mit den andern erst noch eine Strecke fortgehend, sehr bald auf der Blöße, über welche die Flucht lief, mit niedergehaltenem Kopfe in den tiefen Schnee, im Zusammenbrechen noch mit dem Schädel gegen eine übergehaltene alte Tanne fliegend, daß es nur so krachte. Ich hatte mithin meinen Zweck glücklich erreicht, und ohne nun länger zu säumen, lud ich meine Beute auf den Schlitten, um, da schon geraume Zeit verstrichen, sofort nach dem Rendez-vous zu fahren, dort meinen Burschen zu erwarten und, hatte es bei ihm ebenfalls Feuer gegeben, sein Erlegtes gleich mit aufzuladen. Bald kam ich auf dem verabredeten Ort an, wo der Erwartete schon eingetroffen war und – verdammt kleinlaut, er kannte mich, wenn er Faseleien gemacht hatte – mir erzählte, daß er auf – einen starken Hirsch geschossen und ihn drüben, jenseits des Wassers verendet liegen habe. Na, ich will dem sonst braven Kerl nicht noch einmal Das auf den Hals wünschen, was ich damals that; denn alle Millionen Teufel hätten ihn meinetwegen gleich auf der Stelle holen können – mir wär’s eine wahre Wollust gewesen; war’s doch ein Capitalhirsch – ein Hirsch von zwölf Enden – den der Aasjäger umgebracht hatte. Lebendig ließ sich das Wild nun aber doch nicht wieder machen; also wurde der brave Zwölfer geholt und aufgeladen, der – ’s bleibt ein Jammer – um der Bauern willen hatte sterben müssen.

„Na, die gnädige Herrschaft hat’s ja nicht besser haben wollen,“ fügte er respectvoll giftig hinzu. „Der einzige Trost für mich,“ fuhr er dann fort, „war der, daß die leckere Gesellschaft dadurch mehr Knochen als Wildpret auf die Tafel bekommen mußte, denn der Erlegte war ein höllisch abgebrunsteter Bursche. Doch nun weiter. Aergerlich über die fatale Geschichte, schickte ich meinen Gehülfen zur Strafe noch einmal hinter, auf einen entlegenen Schlag, denselben zu revidiren, und ich fuhr quer durch die Haide bis zu einem Krug, wo ich mich etwas auswärmen wollte, denn es war sehr kalt geworden. Den Knecht aber, nachdem er seinen Wutki im Leibe hatte, den ich ihm einschenken ließ, beorderte ich mit seiner Wildfuhre nach Hause, da ich noch auf unbestimmte Zeit in der Schänke zu verweilen gedachte, um zu sehen, ob etwa mein sauberer Hirschtödter auch hier eintrieb, anstatt meiner Weisung Folge zu leisten. Geschirr, um später meinerseits nach Hause zukommen, stand mir vom Wirthe jederzeit zu Gebote; mit mir hatte es folglich keine Noth. So trank ich denn in aller Ruhe meinen Schoppen und unterhielt mich dabei mit den anwesenden jüdischen Fuhrleuten, die zur nächsten Stadt Fracht spedirten, und fragte sie zugleich nach Diesem und Jenem, weil man gerade solch’ unstäte Leute, die überall herumkommen, nicht genug ausforschen kann. Da erfährt man oft in einer Stunde mehr über Hehler- und Stehlerbanden, Wilddiebe, Forstfrevler etc., als man sonst in einem ganzen Jahre auszuspüren im Stande ist, liefe man sich deshalb auch die Beine wund. Heute erzählten sie unter Anderem, was sie an der polnischen Grenze, von der sie herkamen, gehört haben wollten, daß ganze Rudel Wölfe – Gott sei Dank, wir hatten das schuftige Raubgesindel aus unserm Districte so ziemlich ausgerottet und spürten manchen Winter auch nicht ein Haar von dem miserabeln Viehzeug im ganzen Walde, wie es denn auch im heurigen Jahre bisher so gewesen war – also von Wölfen sprachen die Frachtleute, und daß sie über die Grenze nach uns herüber gekommen wären, auch auf dem nachbarlichen Gebiete, in den weiten Forsten des Grafen X. schon ganz barbarisch unter dem Wilde aufräumen sollten. Na, ich gab nicht viel auf dergleichen Gerede, denn solches wiederholte sich regelmäßig alle Jahre, sowie nur die erste Schneeflocke wirbelte, ohne daß deshalb nur ein Schwanz von den vermaledeiten Rackers zu spüren gewesen wäre. Die polnischen Pferdeknechte betheuerten aber bei Allem, was ihnen heilig ist, daß es diesmal seine Richtigkeit habe, als ich meine Zweifel an ihrer Aussage kund gab, und so ließ ich sie auch nach Herzenslust reden.

Darüber war ziemliche Zeit verstrichen, und ich machte mich deshalb, um nicht allzuspät nach Hause zu kommen, nun schleunigst auf die Socken, das heißt, ich ließ anspannen und fuhr, behaglich in die Wildschur gewickelt, meinem Heerde zu. Finsterer wurde es nicht, denn schon stand der helle Mond am Himmel und der Schnee leuchtete auch seinen guten Theil, so daß man den Weg, trotzdem er meist durch dicht geschlossenen Wald führte, nicht leicht verlieren konnte. Deshalb ging’s auch recht munter weiter; die kleinen, mageren Polaken griffen, vom Knecht, der sie zügelte, tüchtig angeflucht und gepeitscht, wacker aus, daß wir nur so über den Schnee hinflogen. Rasch nahten wir uns so der Stelle, wo wir am Nachmittag unser Wild aufgeladen hatten. Als wir noch ein Stück weiter vorwärts kamen, wurden plötzlich unsere Pferde, die Teufelskröten, kopfscheu, als wenn sie der leibhaftige Satan bei allen Vieren hätte, und wollten durchaus nicht mehr vorwärts. Die kräftige Hülfe ihres Führers aber ließ sie zuletzt doch Anstalt dazu machen, freilich indessen in unberechneter Weise, denn die Blitzmähren gingen jetzt geradezu durch. Fast seitwärts prallend, daß es nur so stiebte, jagten die Beester ohne Weg und Steg direct durch’s hohe Holz. Bald flog unser Schlitten krachend gegen eine Tanne, bald in dichten Unterwuchs und ich dachte, Meister Urian wollte uns Allen, Menschen und Pferden, sämmtliche Knochen im Leibe zerbrechen.

Bei all’ dieser Raserei erblickte ich doch noch von Weitem, als wir über eine kleine Lichtung stoben und die Pferde ganz besonders des Teufels wurden, daß am Eingange des Hohlweges, den wir eigentlich hätten passiren müssen, unter den niederhängenden Fichten ein leerer Schlitten quer vorgefahren stand, doch ohne Pferd und sonstiges Geschirr. Und dort huschte eine scheue Bestie fort, die wahrhaftig aussah, wie ein Wolf. Von genauem Sehen war jedoch keine Rede, denn im Nu waren wir ja über die Blöße weg, hinter der wir glücklicherweise mit unserem noch immer wie rasend hinjagenden Gespann – was mir nun übrigens durch den Anblick des schuftigen Gesellen beim verunglückten Schlitten erklärlich geworden war – wieder auf unsere eigentliche Fahrstraße kamen, und zwar schon ein mächtiges Stück nach meiner Behausung zu, so daß wir sehr bald im Fluge daran – vorüber brausten, denn an ein Halten der Pferde war noch immer nicht zu denken. Endlich, weit hinter dem Dorfe, brachte der Kutscher die nun Athemlosen doch zum Stehen und wir kehrten so mit den schnaubenden, schweißtriefenden Ausreißern zurück nach meiner Försterei.

Hier angekommen, klärte sich denn sehr bald der ganze Spuk auf. Nachdem nämlich mein Knecht, ein mit dem Walde ganz vertrauter Mensch, mit seiner Ladung von mir fortgefahren war, hatte er noch heimkehrende Holzmacher getroffen, die ihm ebenfalls die Geschichte von den über die Grenze gekommenen Wölfen erzählt hatten, wie sie dieselben von Hörensagen wußten. Dabei war die Zeit vergangen und so hatte ihn die Dämmerung überrascht. Um so eiliger war er nun heimwärts gefahren, als plötzlich das Pferd wie toll angezogen hatte, daß sofort einer der Stränge gerissen. Nun war von augenblicklichem Weiterkommen keine Rede mehr gewesen, besonders da der Braune nicht zum Stillstehen zu bewegen war, um den Schaden gleich ausbessern zu können. Vielmehr hatte das scheu gewordene Thier nur um so heftiger an dem einen Strange fortgezogen und dabei um sich herumgeschlagen, daß der Knecht gemeint, das Pferd habe den Koller bekommen. Doch plötzlich war ihm dessen sonderbares Benehmen klar geworden – ein lautes Heulen hatte ihn sich umblicken und zu seinem Entsetzen ein ganzes Rudel Wölfe, zwar noch in ziemlicher [743] Entfernung, aber unmittelbar auf seinem Geleise gewahr werden lassen. Ohne noch heute zu wissen wie, hatte er sich in seiner Angst auf’s Pferd, das nun auch noch den anderen Strang zerrissen gehabt, geschwungen und dann entschlossen mit seinem Handbeile die Widerhalte, die einzige Befestigung, die das tobende Pferd noch an die Deichsel gefesselt, durchhauen. Wie toll war darauf das Thier dahin gerast, daß seinem Reiter schier Sehen und Hören vergangen war. Noch einmal hinter sich blickend, hatte er nur noch so viel gesehen, wie die heulende Rotte, einem Knäuel gleich, auf das todte Wildpret im Schlitten gestürzt war und es mit rasender Gier zu zerfleischen anfing; jedenfalls der glückliche Umstand, der ihm das Leben gerettet, denn unbelästigt war er auf dem schweißbedeckten, keuchenden Gaule bis vor meinen Hof gekommen, ohne auch nur von einer Bestie verfolgt worden zu sein. Natürlich, denn diesen erbärmlichen Schnapphähnen ist ein so bequem servirter Hirsch lieber, als ein flüchtiges Pferd mit seinem Reiter.

Am andern Morgen mit Tagesgrauen brachen wir, ich, meine Jäger und ein Häuflein Holzmacher, nach dem Schauplatze des Ueberfalles auf, zuvörderst die Verheerung, welche die fraßgierige Bande dort angerichtet hatte, mit eigenen Augen zu schauen, dann aber womöglich sofort Jagd auf das Raubgesindel zu machen. Himmel, wie sah es da aus! Der ganze Plan war zerwühlt und zerkratzt, der schmutzig gewordene Schnee mit Schweiß und Haaren der Beute und allerhand Unrath vermischt, und die Knochen lagen herum, wie ausgesä’t; ja selbst die nichtsnutzigen Gebeine eines Wolfes befanden sich darunter, welchem die schonungslose Rotte wahrscheinlich im Streite um die letzten Bissen den Garaus gegeben und den sie dann – wie das die gefräßigen Thiere thun – gleich mit aufgefressen haben mochten. Nachdem wir das verschleppte Geweih des Hirsches noch gefunden und in den dastehenden leeren Schlitten geworfen, diesen aber an den unserigen angehängt hatten, ließ ich den Knecht nach Hause fahren, und wir Jäger machten nun noch auf gut Glück ein paar verlorene und auch wirklich erfolglose Treiben auf die Wölfe, denn noch während wir auf dem Wahlplatze standen, fing es plötzlich an so stark zu schneien, daß in kürzester Zeit jede etwaige Fährte unsichtbar werden mußte, also von Abspüren, geschweige vom Bestätigen der struppigen Ueberläufer keine Rede mehr sein konnte. Und den ganzen Tag wie auch die darauf folgende halbe Nacht wirbelten die Schneeflocken fort, so daß am andern Morgen eine stattliche, freilich etwas tiefe Neue war. Nun ging’s wieder hinaus, und diesmal hatten wir denn vorerst wirklich die Freude, einen Theil der ungeladenen Strolche noch innerhalb unserer Grenze zu spüren. Bald waren sie auch eingekreist und jetzt gab’s eine lustige Jagd, wobei Einem doch wieder einmal das alte Herz im Leibe ein Bissel warm wurde, wenn man im Treiben den zottigen Gesellen so auf sich antraben sah. Fünf Stück davon wurden an diesem Tage unsere Beute, wovon zwei auf mich kamen, denen ich ihre zottigen Pelze gehörig mit Posten durchlöchert hatte. Andere sechs der räuberischen Sippschaft waren desselben Tages auf dem Nachbarwalde geschossen worden, der Rest aber davon, denn es waren nach glaubwürdigen Berichten im Ganzen noch weit mehr beisammen gewesen, mochte wahrscheinlich wieder über die Grenze marschirt sein, da es die nächste Zeit bei uns wieder vollkommen ruhig blieb.“

So lautet die Geschichte meines alten seligen Freundes, die ich aus seinem Munde nicht nur ein Mal, nein, wohl zehn Mal angehört habe, da er es in seiner Vergeßlichkeit mit dem Repetiren nicht eben genau nahm.