Eine deutsche Kolonie in Spanien
Eine deutsche Kolonie in Spanien.
„Der König und die Kaiserin,
Des langen Haders müde;
Bezähmten ihren harten Sinn
Und machten endlich Friede.“ –
Doch viele Jahre noch sollten die unglücklichen Völker ganz Deutschlands an den Nachwehen der siebenjährigen Kriegs- und Streifzüge leiden. Die Industrie stockte; die Aecker lagen brach. Ernte um Ernte hatte die Soldateska zu Fuß und zu Pferd niedergetreten; die immer höher geschraubten Abgaben verschlangen die letzten Pfennige; so gab es denn Provinzen, in welchen ein Zehnttheil der Seelen an Elend und Hunger zu Grunde ging.
Um so günstiger waren die Zeitläufe für die zahlreichen Werber, welche mit Privilegien der hierfür bezahlten Standesherren deutsche Truppen aushoben, die für Englands Ansprüche in Nordamerika fechten sollten. Doch stießen sie, in Süddeutschland wenigstens, auf einen Nebenbuhler, welcher dem Erfolg ihrer Wirksamkeit beträchtlichen Eintrag that.
Ein Bayer, Oberstlieutenant Thürriegel, verabschiedeter Offizier des Gschrayschen Freicorps, überschwemmte die Pfalz und das Elsaß mit einem Aufruf, welcher im Namen und mit Brief des Königs Karl III. zur Gründung einer deutschen Kolonie in Spanien einlud und Ansiedlern guten Willens den seit Veetreibung der Mauren brachliegenden südlichen Abhang der Sierra Morena unter scheinbar sehr günstigen Bedingungen anbot. „Glückshafen, oder reiches Schatzkästlein, welches der spanische Monarch zum Trost und Nutzen aller deutschen Bauern, Tagelöhner und Handwerksleute aufgeschlossen hat“, war die Schrift betitelt; und er sandte sie durch die Post oder durch Boten auch an die Zünfte, Handwerksbuben etc. und wies den Leuten Sammelplätze an. Zahlreiche Unteragenten, sowie er selbft reisten herum, hielten Vorträge, wandten sich an die Bürgermeister und Gemeinderäthe, zogen auch die Geistlichkeit in ihr Spiel.
Die Standesherren, deren Vortheil durch ihn gefährdet war, stellten ihm wohl nach und suchten ihn aufzuheben; doch scheinen ihre Befehle nur sehr lässig ausgeführt worden zu sein, denn er zeigte sich ganz ungescheut und unbelästigt, wo immer es ihm beliebte, und legte auf diesem Felde von seinem Parteigängertalente bessere Proben ab als während des Krieges selbst, wo er sich in Nordhausen mit seinem ganzen Corps von den Franzosen hatte überraschen und schmählich gefangen nehmen lassen.
Es traf sich nun oft, daß die konkurrierenden und folglich feindlichen Werber – die einen für Krieg, die andern für Ackerbau – am gleichen Orte aneinander stießen; und so geschah es [694] besonders an einem sonnigen Maitage des Jahres 1766 in einem größeren Dorfe der Pfalz.
Nicht nur die ganze Einwohnerschaft war auf den Beinen, sondern auch aus weiter Entfernung hatten Neugierige oder Auswanderungslustige sich aufgemacht. Als wäre es Markttag, so wälzte sich eine immer dichter werdende Menge nach dem Platze, welchen in herkömmlicher Weise die Kirche, das Rathhaus und die beiden Gasthäuser des Ortes einrahmten.
In diesen letzteren haben die Agenten ihr Generalquartier aufgeschlagen.
Vor dem „Raben“ zieht ein großes, bunt auf Leinwand gemaltes Bild die Blicke auf sich. Es stellt einen lebensgroßen Krieger in reicher Uniform dar, die Brust mit Orden geschmückt, den blanken Säbel in der Hand; herausfordernd schweifen seine Augen in die Ferne, während zu seinen Füßen ein Indianer Federn auf dem Haupte und einen Ring in der Nase, den Staub leckt. In langen Buchstaben steht darunter:
„Auf, edle Deutsche, auf! Setzt an mit frischem Muth!
Marschiert nur hurtig vor: des Königs Sach’ steht gut!“
Vorsichtshalber bescheidener, begnügte sich der Agent für Spanien, welcher in der „Reichskrone“ hauste, mit einem in Wasserfarben kolorierten Plakate. Da hob sich auf tiefblauem Himmel gar schmuck eine Reihe blendendweißer Häuschen ab; untermischt mit blitzgrünen Palmen, an welchen als Früchte schön rothe Pomeranzen hingen.
Unter die stauenden Bauern mischten sich hochgewachsene, schnurrbärtige Männer, in grünem Kollett und Pelzkragen, mit Lederhosen, gewaltigem Pallasch und noch gewaltigeren Stiefeln; sie zogen bald den, bald jenen ins Wirthshaus, stießen an und bezahlten, aus wohlgerundeten Börsen vollwichtige goldene Souveräns hervorziehend, „denn ihre Mittel erlaubten ihnen das, sowie jedem, der sich unter ihre Fahne rangieren wollte“!
Ruhiger, verschwiegener trieben es einige Gehilfen des Uebersiedlungsagenten, echte Schwabenkinder, trotz ihrer spanischen Tracht mit treuherzigen blauen Augen und rothen Backen. Auch sie unterstützten ihre lockenden Beschreibungen des angebotenen Dorados, indem sie zu rechter Zeit gut spanische Dublonen an den Tag brachten.
Ihre Meister, ein jeder an seinem Orte, hielten Reden an langen Tischen, inmitten der Honoratioren des Dorfes und der umliegenden Gegend.
„Da sehe ich nun wirklich nicht ein,“ – also erhob der Mann im „Raben“ seine heisere Stimme, unter buschigen Brauen rothblitzende Aeuglein rollend – „wie eine geehrte Jungmannschaft zwischen dem spanischen Phantasten und meinen reellen, von einer hohen Obrigkeit privilegierten und gut geheißenen Offerten zaudern kann! So ist die Sache, nicht wahr? Hier zu Hause habt Ihr nichts mehr zu beißen und zu brechen; sind zu viel Leut’ für die hungrigen Jahre, zu viel Arme für die kärgliche Ernte, zu viel Mäuler für den Brei. Was wollt Ihr also an Euerer Scholle kleben? Was nützt’s? Wozu bringt Ihr’s? Hinaus! Hinaus in die Welt! Versucht das Glück, nehmt Fortuna am Schopf! Da kommt sie eben vorbei! Verpaßt sie nicht!“
„Hm!“ meinte einer, „was Krieg heißen will, haben wir gesehen; es sitzen noch an allen Landstraßen Krüppel, denen Fortuna zum Stelzfuß geholfen hat und zum Bettelsack. Danke schönstens!“
„Ei Du – hätte bald etwas gesagt. Alles mit Unterschied, Freund! Es giebt Dienst und Dienst. Der gewaltige, großmächtige, überreiche König von England und so ein Landgräflein oder gar geringerer Potentat, das läßt sich nicht zusammenzählen. Da ist Geld vorhanden, schwere Souveräns, daß es in den Taschen nur so klingelt!“
„– Und ist auch nicht ein so traurig Dabeisein wie hier,“ fuhr er nach einer Pause triumphierend fort. „Da kannst Du’s zu was Rechtem bringen! Soll ich Dir mit ein paar Exempeln von Beispielen kommen? Ist mir recht. Putz’ die Ohren aus, Freund! Da haben wir den gestrengen Herrn General-Brigadier Sullivan. Was war er seines Zeichens? Ein Hosenmacher war er, und kommandiert jetzt ein Regiment – ich sag Dir nur so viel! – Da ist der Oberst Brökter, von der leichten Infanterie; hat seine Karriere als Diener begonnen, bevor er bei den Britten Handgeld nahm. Oberst Viereck hielt eine Schenke – und so könnte ich noch viele nennen; denn da steht der Weg jedem offen, da wird nicht nach dem Geburtsscheine gefragt. da gilt kein Herr ‚von‘ oder Herr ‚zu‘, da gilt die Tüchtigkeit, die Tüchtigkeit allein. Wer was ist, kann was werden. Nun, wer fühlt etwas in sich?“
„Ja ja,“ unterbrach ihn ein anderer „das ist alles schön, ist aber gar weit über das Meer hin! Da kommt nicht jeder an, der abfährt.“
„Ei daß Dich der Kuckuck!“ entgegnete der Werber. „Es ist ein Wunder, daß Ihr Euch so vor dem Versaufen fürchtet und doch selber so gerne sauft! Sind der Deutschen ihr Lebenlang mehr im Weine ertrunken als im Wasser! Da ist der Feldwebel Zacharias. Komm her, Zacharias“ – damit winkte er einen der uniformierten Gehilfen herbei – „stell Dich neben mich, daß man Dich sieht! Der hat schon dreimal den Weg gemacht, hin und her, macht sechs Reisen, und ist ihm nichts geschehen. Seht, der war ein Tagelöhner in Wafelingen, könnt nach ihm fragen, man wird sich seiner wohl noch erinnern, und jetzt ist er der Erste nach dem Hauptmann, sozusagen die Seele der Kompagnie, hat sich soviel erspart, daß er den schönsten Hof kaufen könnte – zeig’ Deinen Beutel, Zacharias! – wird’s aber nicht thun, hat Ehre im Leibe, bleibt bei Fortuna. Wird’s wohl bis zum Obersten bringen, wenn nicht weiter, und Euch alle mit dem Rücken ansehn!“
„Das ist was anderes als Spanisch-Brötchen!“ setzte er hinzu, einen giftigen Blick durchs Fenster nach der „Reichskrone“ werfend. „Trompeter, blast einen Tusch! Rabenwirth, die Flaschen sind leer!“
Und so fuhr er fort mit Anpreisung und Bewirthung, und an Zuhörern und trinkenden Gästen fehlte es ihm nicht.
Um aber der Wahrheit die Ehre zu geben, müssen wir eingestehn, daß die schönen Worte, die Uniformen, die rasselnden Trommeln und schmetternden Trompeten nur wenig verfingen. Einige heruntergekommene Subjekte ließen sich willig finden; die ernstere Bauernschaft ergötzte sich wohl an dem unterhaltsamen Wesen und auch am Weine; aber nach gehabtem Gaudium verzog sie sich hinüber zur „Reichskrone“, wo der Oberstlieutenant Thürriegel in eigener Person wirkte.
Er sprach soeben:
„Was ich geschrieben und nun auch mündlich erklärt, das will ich noch einmal wiederholen. Also merkt auf! Jede Haushaltung bekommt umsonst – umsonst! – ein Los von achttausend spanischen Vares lang – macht ebensoviel Schritte – auf dreitausend breit, Wo ist hier ein Hof, der sich damit vergleichen läßt? Und nicht etwa Land, wo mehr Steine wachsen als andere Früchte, wo an jedem Kornhalm der Schweiß eines Tagewerkes klebt, sozusagen! Nein, das ist spanische Erde! Da gedeiht alles schier von selbst und doppelt und dreifach. Was wird von Euch dafür verlangt? Nichts als guter Wille und kräftige Arme. Das Gouvernement liefert den Viehstand, liefert das Saatkorn; da stehn auch schon die schmucken Häuschen, nicht so Mistlöcher wie hier zu Lande, da habt Ihr Euch nur hineinzusetzen. Sobald sechstausend beisammen sind – denn die Sache ist groß angelegt, soll gleich recht angehn und nicht so stückweise, wobei nichts herauskommt – so beginnt der neue Staat, gewissermaßen ein Neu-Deutschland, aber unter blauem Himmel und ewigem Sonnenschein. Keine Abgaben, die ersten Jahre wenigstens. Deutsche bleibt Ihr auch dort, bleibt schön unter Euch, wählt selber Eure Vorstände, Eure Seelsorger. Hier verkommt Ihr bei Kleie und saurem Most, dort sind Hammelkeulen und feuriger Wein das Ordinäre. Ist kein blauer Dunst, den ich Euch vormache; wozu würde es mir dienen? Ist alles verbrieft und besiegelt, mit Seiner Majestät des Königs Karl III. eigenhändiger Unterschrift. Kann die Cedula nicht einem jeden unter die Nase halten – könnte sie ja auch nicht ein jeder lesen – steht übrigens Wort für Wort in dem Büchlein, welches Eure Aeltesten in Händen haben.“
„Wie ist’s denn aber an dem,“ fragte ein Gemeindevorsteher, „daß Spaniens Monarch Fremde ins Land ruft? Ist der Spanier selbst zu bequem oder zu vornehm, sein Land zu bebauen?“
„Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen! Die Spanier, Freund, das sind eine eigene Art Hühner. Das herrliche Land, womit sie Gott gesegnet, hat sie verwöhnt. Sie lungern lieber herum, liegen im Schatten, träumen, als daß sie Hand anlegen. Sonst die besten Menschen der Welt. ‚A la disposicion de Usted,‘ sagen sie gleich, wenn Du was rühmst, ‚nimm’s, wenn’s Dir gefällt.‘ Aber eben faul, unendlich faul! Lassen lieber andere sich [695] abmühen, auch wenn ihnen dabei der beste Rahm obenab genommen wird. So ist es; nun, warum wolltet Ihr das nicht profitieren?“
„Was Ihr da sagt, Herr, klingt schön und gut,“ also warf ein andrer ein. „Aber es ist doch eine schwere Sache, seine Heimath zu verlassen. Wie sagt schon König David? ‚Bleibe im Lande und nähre Dich redlich!‘ sagt er.“
„Er sagt aber nicht: ‚Bleibe in der Wetterau und warte, bis die Holzäpfel zu Pomeranzen werden.‘ Es ist auch nicht, wie jener Pfarrer meinte, als er predigte: ‚Was macht’s, daß bei uns keine Citronen, Limonen, Oliven, Zuckerstauden und spanischen Weine wachsen? Unsere schwere Sünden machen es!‘ – Nicht doch, Eure große Narrheit und Verzagtheit macht’s, daß Ihr unter der höchsten Pressur und Dürftigkeit, dazu in einem bösen, rauhen Klima, einander auf dem Halse hocket, hingegen viel hundert Meilen des edelsten, besten Landes in Spanien leer stehen lasset und dennoch über Gott klaget, er schaffe Euch nicht genug!“
„Ist halt zu befürchten,“ meinte ein Dritter, „daß da eine gar gemischte Gesellschaft zusammenläuft. Wir hier, sollte der eine oder andere zur Uebersiedelung Lust haben, wir kennen uns, sein alle brave Leut’ und rechtschaffen, und mag der eine dem andern trauen. Aber unter der Masse, die es da braucht, hat es vielleicht mehr üble Früchtlein als Biedermänner!“
„Glaubt das nicht! Solche Früchtlein, die nehmen wir nicht. Die mögen in den Krieg gehn“ – dabei deutete der Oberstlieutenant geringschätzig nach dem „Raben“ – „und sich totschlagen lassen. Denn, versteht sich ja von selbst, wer sich hier nicht tummeln mag, wo das Tummeln doch so nöthig, weil viele Dinge mangeln, was wird der erst drüben verrichten, wo ohnehin an allem Ueberfluß ist? Nein, Faulenzer, das habe ich schon gesagt, sind dort schon dicht genug gesät, es braucht der König keine neuen Setzlinge ins Land zu rufen!“
„Das ist mir alles halt doch gar zu schön,“ sagte kopfschüttelnd ein älterer Mann. „Ist wohl eher eine Chimäre, ein Schlaraffenland, ein Reich im Monde!“
Der Oberstlieutenant wollte zuerst aufbrausen, doch beherrschte er sich und sah den Sprecher schließlich mitleidig an.
„Freilich,“ entgegnete er, „es muß auch solche Vögel geben! Hast wohl noch nie eine Landkarte gesehen, Alter! Mußt zuerst den Finger in die Erde stecken, ehe Du glauben kannst. – Doch was nützen der Kuh Muskaten? Es dient ihr wohl Haberstroh!“
„Erwägt die Sache, Freunde,“ fuhr er fort, sich erhebend. „Geht ihr auf den Grund, überlegt sie Euch! Es ist Zeit für Rath, dann aber auch zur That. Gut vorbedacht, dann rasch vollbracht! Da sind meine Begleiter, meine Mitarbeiter der ersten Stunde, welche mit mir an Ort und Stelle gewesen sind; denn versteht sich, auch ich kaufe keine Katze im Sacke. Die haben sich bereits ein warmes Nestchen reserviert; fragt sie, ob sie mit dem größten Bauer hier tauschen! – Ich bleibe bis morgen hier. Wer sich entschließt, findet mich auf meinem Zimmer. Nachher mag man mir nach Kolmar schreiben, notabene, wenn es nicht zu spät ist und Ihr etwa das Nachsehen habt.“
Hier sowohl, wie an vielen andern Orten, entschlossen sich endlich manche, und nicht von den Unwerthesten, zur Uebersiedelung und stellten sich zur bestimmten Zeit, wenn auch schweren Herzens, an den angewiesenen Sammelplätzen ein, von wo sie unter Führung der Unteragenten die lange Reise antraten.
Ihrer warteten harte Prüfungen, und die Kolonie begann unter den schlimmsten Vorbedingungen.
Einmal hatte der biedere Herr Oberstlieutenant Thürriegel – oder von Thürriegel, über diesen Punkt sind die Quellen nicht einig – gleich zu Anfang seinen eigenen Versprechungen ein Bein gestellt. Sechstausend Ansiedler, das macht einen stattlichen Haufen. Zudem konnten sie nur in kleinen Abtheilungen und mehr oder weniger im Verborgenen ihre Heimath verlassen. Er machte sich daher, zur Vervollständigung der Zahl, kein Gewissen daraus, unter anderem sogar die jämmerlichen Reste einer verunglückten französischen Verbrecherkolonie zu übernehmen.
Noch bedenklicher war er mit der königlichen Cedula überhaupt umgesprungen. In seinem „reichen Schatzkästlein“ führte er von den 79 Paragraphen nur diejenigen an, welche sich am schönsten ausnahmen. Es ließ sich dies um so leichter machen, als auch im Originale die haarsträubendsten Bedingungen und Klauseln so geschickt unter der Masse der Einzelbestimmungen versteckt und gewissermaßen ertränkt waren, daß sogar ein gewandtes Auge dieselben mehrmals und aufmerksam durchlesen und zusammenstellen mußte, um ein getreues Bild der angebotenen Verhältnisse auszuscheiden.
Im Grunde handelte es sich nur darum, einen der bestangeschriebenen Günstlinge des Monarchen mit einem beinahe selbständigen – allerdings erst zu schaffenden – Gouvernement auszustatten. Das Wohl der Einwanderer kam nicht in Frage. Sie waren eingeführte Ware, deren man zwar bedurfte, die man aber mit Mißtrauen annahm, Leute, die man von vornherein mit Verbrechern zusammenzählte und drakonischen Strafen unterwarf. Sie waren nicht freie Männer, sondern (zu Ende des 18. Jahrhunderts!) Hörige, an die Scholle gebunden. Sie hatten nur die Nutzniesßung der angewiesenen Erde, nicht aber das rechtliche Eigenthum.
Doch hören wir den spanischen Text selbst.
Er beginnt ganz sachte:
„Den fremden Anbauern ist zur Niederlassung die Gegend eingeräumt, welche unter dem Namen ‚Einöde der Sierra Morena‘ verstanden ist.“
„Während der zur ersten Urbarmachung nöthigen Zeit sorgt der Gouverneur für den Unterhalt der Anbauer. Unnütze Personen, wie stillende Weiber und kleine Kinder, werden inzwischen in den Spitälern von Cordova, Andujar und Almagro untergebracht“.
„Jeder Anbauer oder jeder Haushalt erhält ein Los von fünfzig Fanegas (etwa 30 ha) kulturfähigen Bodens, außerdem das nöthigste Geräthe, und es werden ihm zwei Kühe, fünf Schafe, fünf Ziegen, fünf Hühner, ein Hahn und ein trächtiges Mutterschwein, sowie der Samen für die erste Aussaat anvertraut. Dafür schulden die Kolonisten, außer den allgemeinen Abgaben und Steuern, einen besondern Zehnten, dessen Bestimmung und Eintreibung vorbehalten bleibt und für die ersten, unproduktiven Jahre geschenkt wird.“
Ueberspringen wir zwanzig Paragraphen, so finden wir folgende Verfügungen, welche auf die rechtliche Stellung der Ansiedler schon ein böses Licht werfen:
„Wer innerhalb zweier Jahre sein Los und seine Wohnung nicht in guten Stand gesetzt hat, wird als ein Vagabund angesehen. Er fällt unter die Hand des Gouverneurs, der ihn nach Belieben unter die Soldaten stecken oder zum Schellenwerk[1] verwenden kann.“
„Die neuen Ansiedler dürfen während wenigstens zehn Jahren ihr Anwesen und ihr Dorf unter keinem Vorwande verlassen, weder sie, noch ihre Kinder, noch ihre Knechte. Zuwiderhandelnde fallen unter die Hand des Gouverneurs, der sie unter die Soldaten stecken oder zum Schellenwerke verwenden kann.“
„Auch nach Verfluß dieser zehn Jahre haben die Kolonisten Haus und Boden in gutem Zustande zu unterhalten, wenn sie die Nutznießung davon behalten wollen. Sonst wird ihnen dieselbe entzogen und Fleißigern zugetheilt.“
„Unter keinem Vorwande, selbst nicht unter Erben, kann ein Los getheilt noch können zwei in einer Hand vereinigt werden. Ein jedes muß auf ewig untheilbar je einem Besitzer gehören. Ebensowenig kann auf ein Gut eine Verpachtung irgend welcher Art aufgenommen werden: alles bei Strafe sofortiger Konfiskation.“
In welchem Ansehen die Einwanderer zum voraus standen, davon geben schon die obigen Androhungen eine Probe; andere Paragraphen vervollständigen das erbauliche Bild.
„Sämtliche Kinder werden in der Religion und in der spanischen Sprache unterwiesen, aber in nichts weiter, damit sie ausschließlich zum Ackerbau gezwungen sind.“
Und anderswo heißt es geradezu haarsträubend:
„Zur Beförderung von Mischehen zwischen den Einwanderern und den Eingeborenen kann der Gouverneur Personen beiderlei Geschlechtes aus den Zuchthäusern des Königreiches ziehen, je nach [696] Bedürfniß. Es wird daher der Gouverneur einen ständigen Briefwechsel mit den Direktoren der Zuchthäuser unterhalten, welche Anstalten als eine immerwährende Pflanzschule für die neue Kolonie zu betrachten sind.“
Wie aus allem hervorgeht, war die Macht des Gouverneurs beinahe unumschränkt. Er vertheilt die Lose; er entscheidet über deren gute oder ungenügende Bebauung; er bestimmt die Zeit von der an die Stenern zu entrichten sind, sowie die Höhe des außerordentlichen Zehnten; er verfügt über die Freiheit, ja über das Leben der Kolonisten.
Ueber ihn selbst lautet der Paragraph 52 der Cedula also:
„Der bezeichnete Gouverneur, Don Pablo Olavides, ist keinem Intendanten, keinem Richter, keinem Tribunale unterworfen. Er steht ausschließlich und direkt unter dem Rathe Sr. Majestät und kann in Notfällen eigenmächtig verfügen und handeln, ohne dessen Zustimmung oder Bewilligung abzuwarten.“
Es ist hier der Platz, von diesem Manne eingehender zu sprechen, welcher, dank seiner Verbindung mit den französischen Encyklopädisten und andern Gelehrten des Auslandes, den Ruhm der neuen Schöpfung für sich allein zu ernten trachtete, während er sich in Wirklichkeit derselben erst dann ernstlich annahm, als sie ihren gesunden Kern und ihre Lebensfähigkeit bereits – vielleicht gegen sein Erwarten – bewiesen hatte.
Paul Anton Josef Olavides, später Graf von Pilo, war in vollem Sinne das, was man heute einen „Streber“ nennt. Körperlich und geistig reich begabt, von frühester Jugend an auch von den Verhältnissen begünstigt, energisch, rücksichtslos und über alle Vorurtheile erhaben, erklomm er rasch die Leiter zu mächtigen Aemtern und Würden.
Im zwanzigsten Lebensjahr finden wir ihn schon als „Oydor“
(Gouverneur) seiner Heimath, der Provinz Lima in Südamerika. Ein
Erdbeben warf die Hauptstadt und den Hafen Calao in Trümmer,
Tausende von Menschen kamen um. In seiner amtlichen Stellung war
er Verwalter bedeutender Gelder, die zum Theil auch solchen
gehörten, die bei dem Erdbeben verschwunden waren. Da sich Olavides
über die Verwendung dieser anvertrauten Güter nicht genügend
rechtfertigen konnte, wurde er nach Madrid gerufen und gefangen
gesetzt. Doch nach kurzem schon ging er, gestützt auf
Gefälligkeitszeugnisse von Aerzten und mit Kaution eines Freundes, „zur
Erholung“ nach Leganez, einer reizenden Landstadt. Donna
Isabella de los Rios, eine Witwe, welcher zwei verstorbene Gatten
ein sehr bedeutendes Vermögen hinterlassen hatten, verliebte sich
in den jungen und schönen Kavalier und reichte ihm ihre Hand.
Mit den so erworbenen Mitteln erkaufte er vorerst seine
Freisprechung; sodann unternahm er, in Verbindung mit zwei
Geschäftsfreunden, große Spekulationen nach dem Auslande, besonders
nach Frankreich und Italien. Gleichzeitig hielt er in Madrid
selbst ein offenes Haus, ließ in seinem Palast ein Theater errichten
und von ihm übersetzte Werke der modernen französischen und
italienischen Dichter aufführen. Seine Feste, bei welchen auch
reichliche „Erfrischungen“ aufgetragen wurden, hatten großen
Erfolg; selbst der König, Karl III., beehrte sie mit seiner Gegenwart.
Da Olavides sich mit Eifer an den damals allmächtigen
Minister Aranda anklammerte, so konnte ihm auch eine große
politische Stellung nicht entgehen; er wurde in Bälde zum Intendanten
der vier Königreiche von Andalusien und zum Assistenten
von Sevilla ernannt – also zu einer Art Generalgouverneur
mit hoher und niedriger Gerichtsbarkeit und Verfügung selbst über
die Truppen. Zum Ueberfluß, und gewissermaßen aus Phantasie,
ließ er sich, mit beinahe souveränen Vorrechten, jenes Privilegium
für die Kolonie an der Sierra Morena ausstellen, Es fiel ihm
dies um so leichter, als weder die Minister noch die
Sachverständigen noch vielleicht er selbst an einen glücklichen Erfolg des
Kolonisationsversuches ernstlich glaubte; und welch edle Ansicht
er von seinen zukünftigen Unterthanen hatte, geht aus dem Texte
der Cedula zur Genüge hervor.
Wie schon gesagt, die braven biedern Pfälzer, Schwaben und Elsässer wanderten geradezu in eine Art Sklaverei; und wenn alles so heiß ausgegessen werden müßte, wie es angerichtet worden ist, so hätten sie sich an der Suppe, die ihnen der Oberstlieutenant Thürriegel eingebrockt, bös den Mund verbrannt. Doch zur Stunde hatten sie von der gesetzlichen Rechtlosigkeit, der sie sich freiwillig unterwarfen, keine Ahnung. Sie machte sich mit ihren Folgen erst später fühlbar.
Die erste und größte aller Enttäuschungen bereitete den Ansiedlern das angewiesene Gelände selbst. Von den weißen Häuschen, den grünen Palmen, den rothen Pomeranzen, welche auf den Plakaten Thürriegels so schön abkonterfeit gewesen waren, ließ sich weit und breit nichts sehen, rein nichts – als inmitten wüsten Gestrüppes ein altes, halb zerfallenes Kloster, in welchem, zur Aufrechthaltung der Ordnung, ein Regiment schweizerischer Söldner auf das „Gesindel“ wartete.
Seit die Mauren ihre letzte Schlacht gegen die Könige von Kastilien und Aragon verloren hatten – es sollen ihrer in der Nähe des Dorfes Las Navas de Tolosa gegen 200 000 erschlagen worden sein – lag die ganze Strecke brach. Nur hie und da zeugten ausgegrabene Münzen, Scherben von Hausgeräth und dergleichen von einstiger Kultur; selbst die Quellen hatten sich verloren, und die „Einöde der Sierra Morena“ galt allgemein als unbebaubar.
„Wer sich zu dieser Zeit, von der Hauptstraße abbiegend, in diese Gegend wagte,“ also berichtet ein Reisender, „konnte sich nur mit Mühe durch wildes Gesträuch, über Felsblöcke, unter Schlingpflanzen aller Art einen Weg brechen. Sechzehn Meilen weit fand sich nichts als Steine und Unkraut; und nichts belebte diese Wildniß als Raubvögel, gefiederte und ungefiederte, denn sie diente einigen Banden von Missethätern als sicherer Schlupfwinkel.“
„Diese Wüstenei,“ schreibt ein anderer, „enthielt nichts als einige elende Schenken, deren Patrone den Räuberhorden freiwillig oder gezwungen als Hehler und selbst als Anführer angehörten. Wehe dem Reisenden, der sich hierher verirrte!“
Da war kein Dach, die Müden zu schützen! Kein Vorrath, die Hungrigen zu nähren! Und so schön und wohlüberlegt war alles angeordnet, daß ihre Ankunft genau mit dem Einbruch der Regenzeit zusammentraf!
Einige hundert brachte man in den Gängen des alten Klostergebäudes unter; die andern, 5500 an der Zahl, kampierten gezwungenerweise im Freien. Die Regierung sandte Maurer aus den benachbarten Provinzen, und in Hast und Eile wurden Häuschen errichtet, so liederlich, daß der größte Theil nach kurzem wieder einstürzte. Erschöpfung, die Einflüsse des Klimawechsels und der ungewohnten Kost erzeugten Fieber, die nach glaubwürdigen Berichten ein Drittel der Kolonisten hinwegrafften.
Daß sie das alles nicht ganz geduldig hinnahmen, versteht sich von selbst. Doch zeugt es für den moralischen Halt der Eingewanderten, daß sie nicht viel Zeit mit – ja doch unnützen – Klagen und Beschwerden verloren. Nachdem der erste Jammer überwunden war, spuckten sie in die Hände und griffen frisch zu Hacke und Axt.
Ein Jahr später erst, nachdem die Kolonie bereits dem Boden entwachsen war, erschien der Gouverneur.
Seine erste Amtshandlung war, daß er das alte Kloster, als Mittelpunkt seiner künftigen Haupt- und Residenzstadt, in einen Palast umbauen und einen Platz für Stiergefechte abstecken ließ.
Der Boden der Sierra erwies sich günstiger, als man hoffen durfte. Nach Ausreutung des Unkrautes und Entfernung der dichten Steinschicht, welche seit Hunderten von Jahren sich angehäuft hatte, kam eine rothe Erde an den Tag, in welcher alles aufs beste keimte.
Die Furcht vor Wassermangel – die Techniker hatten diesen mathematisch nachgewiesen und daraus auf den baldigen Ruin des Unternehmens geschlossen – war unbegründet. Ohne sehr tief zu graben, stieß man bald auf Quellen und Grundwasser, und zwar in solcher Menge, daß jedes Haus seinen eigenen Brunnen und seine „Noria“, sein Schöpfrad, besaß.
Alter aus der Heimath mitgebrachter Uebung nachlebend, auch aus Mangel an besserem Verständniß, pflanzten die Kolonisten vorerst nur Getreide, welches ja unmittelbaren und raschen Nutzen abwarf. Um ihnen den Vorzug eines anderen Betriebes klar zu machen, zog der Gouverneur auf einem zurückbehaltenen Theile als Muster Weinreben, Maulbeer- und Olivenbäume. Und unsere Landsleute waren nicht auf den Kopf gefallen. Zu überlegen war allerdings, daß diese Art der Ausbeutung erst nach sechs bis achst Jahren lohnte; nachdem aber Steuerfreiheit für den gleichen Zeitraum zugesichert worden war, verwandten sie nach und nach immer größere Theile ihrer Anwesen für die neue Kultur.
Für die industriellen Bedürfnisse sorgten diejenigen unter ihnen, welche eines Handwerks kundig waren und sich in der Stadt [697] niederließen. Sie fertigten Leinwand und Tücher, Filzwaren, alles Hausgeräthe. So war die Kolonie ganz selbständig.
Die Berichte der Reisenden, welche um die Jahre 1776 bis 1778 in diese Gegend kamen, lauten geradezu märchenhaft. Manches darin ist schwer zu glauben, und es ist um so angezeigter, eine weise Kritik zu üben, als diese Schilderungen nicht die Ansiedler zu ehren bezweckten, sondern den Gouverneur, den Grafen Olavides, verherrlichten, welcher wie ein großer Fürst inmitten der Kolonie Hof hielt und Gastfreundschaft übte. Da mag wohl auch, nach kürzerem oder längerem Aufenthalt in dessen Residenz und an der reichbesetzten Tafel, mancher ganz unfreiwillig doppelt gesehen haben. Sichtlich übertrieben hat jedenfalls der edle Hidalgo Don Vincenzo Imperiali, dessen Brief an den Herzog von Belforte in Neapel auch in deutschen Blättern abgedruckt und besprochen wurde – und nach ihm Folkmann, der eine „Reise in Spanien“ herausgab, ohne sein Studierzimmer in Leipzig verlassen zu haben. Was uns indessen kühlere Köpfe wie der Engländer Townsend oder der irländische Major Dalrympel erzählen und bestätigen, klingt noch überraschend genug. Der nene, aus dem Nichts erstandene Staat erscheint nach kaum zehnjähriger Existenz in einer Blüthe, welche ein unverdächtiges und glänzendes Beispiel deutschen Fleißes und deutscher Ausdauer ist und bleibt.
Dieses „Neu-Deutschland“, wie es die Eingewanderten unter sich nannten, erstreckte sich auf annähernd 25 Meilen. Im ursprünglichen, nach den Ideen des französischen Nationalökonomen Raynal angelegten Plane waren eigentliche Dörfer nicht vorgesehen, jeder Ansiedler sollte inmitten seiner Felder wohnen. Die Entfernung von einem Hause zum andern hätte danach etwa einen Flintenschuß betragen, so daß die Nachbarn sich hätten anrufen und nöthigenfalls beistehen können. Doch wie alle im Kabinett ausgeheckten Systeme, so ging auch dieses bei der Ausführung in die Brüche. Wie von selbst fanden sich die Kolonisten in größern und kleinern Flecken zusammen – was übrigens der Bebauung des Landes keinen Eintrag that – und wir finden die Ortsnamen Santa Elena, Schosastika, Guarroman, Aldea Quemada, Avellano, Carboneros, Conception, meist mit etwa 200 Feuerstellen. Jede Ortschaft besaß eine Kirche, ein Gemeindehaus, einen Gasthof und einen Markt. Breite, gut unterhaltene Straßen erleichterten den Verkehr durch die ganze Kolonie. „Zu beiden Seiten sieht man eine unabsehbare Reihe einander ähnlicher Häuser in symmetrischer Ordnung. Jedes derselben enthält ein paar Zimmer, eine Küche nebst Backofen, einen Hof mit einem Viehschuppen und einen Garten.“
„Ich betrat einige dieser Wohnungen,“ schreibt Townsend, „und bewunderte die Reinlichkeit und die Thätigkeit der Kolonisten. Sie trugen noch alle deutsche Tracht, so daß man sich eher in Deutschland als in Spanien wähnte; auch bedienten sie sich ausschließllch ihrer Muttersprache. Mit Vergnügen genoß ich ausgezeichnete Milch und Käse. Bei unserm Mittagsmahl setzte man uns unter anderm – am 20. Februar! – frischen Blumenkohl und grüne Erbsen vor.“
„Ich glaubte, in den schönen Zeiten [698] Saturns zu sein!“ setzte der sonst prosaische Engländer in einem Anfalle von poetischer Laune hinzu.
Die Hauptstadt Carolina – zu Ehren des Königs also genannt – zählt er „unter die artigsten Städte von Europa, wenigstens gewiß von Spanien“. Sie liegt auf einer Anhöhe, von der man die ganze reizende Gegend übersehen kann. Ihre Gestalt ist ein längliches Viereck, welches durch zwei große Hauptstraßen in vier Quartiere getheilt wird; jene sind breit, mit bedeckten Gängen (Arkaden) zu beiden Seiten, unter welchen sich Kramläden befinden. Im Mittelpunkt der Stadt befindet sich ein schöner, runder Marktplatz mit einem von Bäumen umgebenen Springbrunnen. Jedes Quartier ist wieder von kleinern Parallelstraßen durchschnitten, hat seinen eigenen Markt mit einem Brunnen, und jedes Haus besitzt einen kleinen Garten, nur durch Gitterwerk eingeschlossen, damit auch der Vorbeigehende seinen Anblick genieße. Schöne Gebäude sind besonders die Hauptkirche, der Regierungspalast, ein großes Gasthaus und eine Zeug- und Hutfabrik. Die Stadt hat acht Thore, zu welchen hinaus ebensoviel Alleen gepflanzt sind.
„Sollten in Zukunft,“ bemerkt sodann der Engländer, und die spätere Erfahrung gab ihm recht, „mehrere Fabriken dort erstehen, so ist die Lage der Stadt übel, weil sie von der See iinb großen Städten zu entfernt ist, es würde denn der Gllabal.- ynivir bis Andujar schistbar gemacht.“
Die ganze Gegend erscheint auch dem sajor Dalrympel als ein „graßer Garten“; doch ael ihm das periodische Auftreten voll Tertiäraebern auf, welche bei Vernachlässigilng leicht in Fanlaeber ansarteten. Er konnte sich dieselben nicht erklären, da er nirgends stehende Wasser oder sorciste sand. Wahrscheinlich waren sie Ueberbleibsel der ersten bösen Jahre und werden sich wohl gänzlich verloren haben, da ihrer in späteren Berichten nicht gedacht wird.
Außer Carolina, dessen Einwohnerzahl er auf 7000 Seelen schätzt, nennt Townsend zwei andere Städte, Carlotta und Luisiana, mit je 3000 Seelen. Heute ist die letztere – wenigstens als nennenswerthe Ortschaft – ganz verschwunden, während Carlotta annähernd 4000 Einwohner zählt.
So hatten sich also die Kolonisten mit eisernem Fleiße aus Elend und Krankheit herausgearbeitet und waren zu Wohlleben und Besitz gelangt – das heißt, sie glaubten es. Nun erst aber, bitterste aller Enttäuschungen, kamen die bösen Artikel der Cedula zu unerbittlicher Anwendung!
Sie besaßen nur ein Lehen, welches sie weder veräußern konnten noch verlassen durften, aber sie besaßen kein Eigenthum. Was zehnjährige Mühe geschaffen, blieb ihnen – im besten Falle – zu weiterer Ausnutzung anvertraut, der rechtmäßige Besitzer war der Gouverneur. Recht- und schutzlos standen sie unter seiner Willkür. Als unumschränkter Herr und Richter konnte er nach Belieben ein Los für in gutem oder schlechtem Zustande befindlich erklären, es konfiszieren, einem Günstlinge schenken oder es für sich behalten.
Die Söhne, mit Ausnahme des ältesten, waren erb- und besitzlos. Konnten sie nicht eine Erbtochter heiraten, so blieben sie, auf dem väterlichen Gute oder bei Fremden, zeitlebens Knechte. Wohl sollte ihnen nach dem ursprünglichen Plane ein neues, noch unbebautes Los zugetheilt werden; seitdem jedoch die Ansiedlung gedieh, kamen immer mehr Einwanderer aus dem thätigen Katalonien hieher und wurden auf Unkosten der deutschen Kolonisten bevorzugt.
Doch wie und wo klagen? Freiwillig hatten sie, die Fremden, die drakonischen Bedingungen der Cedula angenommen. In Spanien also fanden selbst gerechtfertigte Beschwerden kein Gehör. Noch weniger aber in der alten Heimath, bei den frühern Landesherren, deren Obrigkeit sich die Auswanderer ja entzogen hatten. Die wenigen Deutschen – natürlich nur hohen Standes, denn zu dieser Zeit war Reisen noch eine sehr kostspielige Sache – welche etwa zu ihnen kamen, stiegen beim Gouverneur ab und wurden in ihrer ohnehin vorgefaßten Meinung von dem „Gesindel“ noch bestärkt. Sagt ja sogar der sonst so freisinnige Geschichtschreiber Schlözer in seinem „Briefwechsel“: „Wie kann denn jemand erwarten, daß rechtliche Leute aus Deutschland nach der Sierra Morena ziehen?“
Diese Voreingenommenheit, welche durch die Thatsachen gleich nachher Lügen gestraft wurde, erscheint so recht in dem Briefe eines solchen deutschen Herrn, der, beinahe im gleichen Athemzuge, sich über die „Aufrührer oder Taugenichtse“ beschwert und einige Zeilen weiter die biedern thätigen Arbeiter rühmt.
Nachdem er die „Weisheit“ der Cedula in allen ihren Paragraphen bewundert und den Unzufriedenen vorgeworfen hat, daß sie ja dem Gouverneur sogar die Luft schulden, welche sie einathmen, fährt er fort:
„Von der Vorzüglichkeit aller dieser Verfügungen überzeugt, konnte ich die Klagen der Kolonisten, für welche ich mich im Anfange interessierte, nur noch mit Entrüstung anhören. Die Unzufriedenen hatten mich zu ihren Gunsten eingenommen; ihr Gesicht, ihre Sprache erinnerten mich an ein Land, das mir immer theuer sein wird. Viele glaubten, ich reiste in geheimem Auftrage, ich sollte über ihre Lage in Deutschland Bericht abstatten und für Besserung Schritte thun. Diese irrige Ansicht schmeichelte mir, und ich unterhielt dieselbe, wenigstens durch mein geheimnißvolles Auftreten. Nachdem ich aber erkannt, daß diese Unzufriedenen entweder Aufrührer oder Taugenichtse waren, konnte ich ihren Klagen nur noch mit Gleichgültigkeit begegnen. Ich sagte mir oft: Wenn Deutschland nicht andere Sprößlinge triebe, so schlüge mein Herz nicht so warm für dasselbe.“
Doch wenden wir das Blatt um, so finden wir auf einmal folgendes:
„Schon wenn sie (die Kolonisten) mich nur erblickten, so glänzte ihr Gesicht vor Freude, ohne indessen ihre Thätigkeit zu hemmen. Ich glaubte mich inmitten einer Geßnerschen Idylle zu befinden. Ich sagte zu mir selbst: Da ist er, der Lohn der Arbeit! Wo sind die, so da meinen, daß – in dieser Klasse besonders – Wohlergehn zu Hartherzigkeit und Frechheit führe? Möchten sie zur Stelle sein und diese braven Leute mit ihren spanischen Nachbarn vergleichen, welche in der Faulheit und folglich in der Armuth verkümmern. Unter solchen Gedanken setzte ich meinen Weg fort. Jeder Begegnende erregte meinen Forscherblick. Sah ich ein offenes Gesicht, eine edle Gestalt; blonde Haare, blaue, ehrliche Augen sogleich entschlüpfte das Wort ‚Landsmann‘ meinen Lippen!“
Ein politisches Ereigniß half schließlich den armen betrogenen Kolonisten aus der Klemme. Graf Olavides fiel in Ungnade.
Seine Selbständigkeit fing an, verdächtig zu werden. Zudem waren seine Sitten ausgelassen, und unbesonnene Aeußerungen und Handlungen brachten ihn mit der Inquisition in Konflikt. Man rief ihn nach Madrid. Ein Jahr lang lebte er noch in seinem dortigen Palaste, anscheinend frei, aber im geheimen überwacht, bis er plötzlich eingekerkert wurde. Sein Vermögen hatte er noch rechtzeitig ins Ausland gerettet; zwei Jahre später entkam er selbst, wohl mit stillem Einverständniß des Monarchen. Nach längerem Aufenthalt in Frankreich – wo er während der Schreckenszeit beinahe geköpft wurde – sodann in Italien und schließlich in Genf machte er seinen Frieden mit König und Kirche, schrieb sogar ein streng orthodoxes Werk. „Das triumphierende Evangelium“, und endete seine Tage als ein hochbetagter Greis 1803 in seinem Palaste zu Madrid.
Sein Sturz war für die hinreichend erstarkte, lebensfähige Kolonie ein Glück, denn mit ihm endete zwar ihre Selbständigkeit, aber auch ihre Ausnahmestellung. Wer etwas hatte, wurde wirklicher Besitzer. Mit der Sicherheit des Eigenthums wuchs auch die Freude am Erwerb. Lange noch hielten die Deutschen fest zusammen. Wohl verlor sich nach und nach die Sprache, nicht aber der Menschenschlag.
Im Jahre 1843 schreibt der französische Schriftsteller Theophil Gautier: „Die Bevölkerung der Carolina trägt ihren germanischen Ursprung auf der Stirne geschrieben. Auch zeigt sich derselbe in der ausnahmsweisen Reinlichkeit der Wohnungen und Gasthäuser.“
Die Stadt selbst langweilt ihn, „denn da ist alles nach der Schnur gezogen: wohl sehr praktisch und bequem, aber meinem Auge ist ein zwar elender, doch malerischer Flecken weit angenehmer“.
Während übrigens der wichtigste, d. h. der landwirthschaftliche Theil von „Neu-Deutschland in Spanien“ seine Blüthe beibehielt, kam die Stadt Carolina, ihrer schon oben erwähnten, industriell ungünstigen Lage halber, zeitweilig in bedeutenden Rückstand. Im Jahre 1860 zählte sie nur noch 2000 Seelen, 3900 im Jahre 1870. In neuester Zeit erst ist ihre Einwohnerzahl wieder auf 7782 gestiegen, obwohl sie 18 Kilometer von der Eisenbahnlinie Madrid-Cordova entfernt ist; auch ihre Tuch- und Leinwandfabriken werden rühmend erwähnt.
- ↑ Eine in Süddeutschland und der Schweiz früher übliche Bezeichnung für Arbeiten, welche von Kettensträflingen, unter Leitung bewaffneter Wächter, im Freien ausgeführt wurden; wie z. B. Straßenkehren, Steineklopfen u. dergl. Sie mag wohl eher aus „Schelmenwerk“ verstümmelt sein als mit „Schelle“ zusammenhängen.