Eine deutsche Musterfarm

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Titel: Eine deutsche Musterfarm
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine deutsche Musterfarm

Aller Fortschritt beruht auf den großen Forschungen und Erfindungen, welche uns die Naturkäfte dienstbar machen. Die Druckkraft der Luft, die Fallkraft des Wassers, die Spannkraft der Dämpfe, sie übernehmen, woran früher viel tausend Hände thätig waren; dem Menschen aber bleibt fast nur übrig, die natürlichen Bewegungskräfte in Bewegung zu setzen und zum Stillstand zu bringen, überhaupt die Bewegung zu leiten und zu beaufsichtigen.

Was Wunder, daß die Arbeit immer leichter und ergiebiger wird, daß sich die Productionsfähigkeit in außerordentlichem Grade steigert, daß die blos mechanische Muskelthätigkeit des Arbeiters mehr und mehr durch Naturkäfte ersetzt und dadurch Zeit und Kraft zu geistigerem, rationellem Schaffen gewonnen wird. So ist es in der Industrie, so in der Landwirthschaft; die Maschinen sind gewissermaßen die Sclaven unsers vorgeschrittenen Jahrhunderts geworden, und die menschliche Arbeit geht immer größerer Vergeistigung entgegen. Wenn man den hohen Werth des Ackerbaues für die Fruchtbarmachung des Bodens, für den steigenden Reichthum der Völker, überhaupt für die gesammte Culturentwicklung der Menschheit, in’s Auge faßt, wird man die enorme Wichtigkeit der großartigen Entdeckungen und Erfindungen gerade auf diesem Gebiet zu würdigen wissen. Und in dankbarem Angedenken wird es bewahrt, was nach solcher Richtung hin einzelne hochbegabte Männer [581] und ganze Vereine, vornehmlich in Centraleuropa, Großes gewirkt haben.

In England stellte sich, wie bekannt, der unvergeßliche Prinz Albert, jedem geistigen und praktischen Streben ein mächtiger Förderer, auch an die Spitze der Agriculturbewegung. Unter den vielen Männern, die in Deutschland mit Eifer und Thätigkeit der Landwirthschaft sich annahmen, steht Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha mit in vorderster Reihe. Beide Brüder richteten ihr Hauptaugenmerk auf die Lösung des Problems, zugleich wohlfeil und zweckmäßig zu bauen. Dem Prinzen Albert war, bei der

Ansicht der Musterfarm aus der Vogelperspective.

Fülle der ihm zu Gebote stehenden Mittel, die Ausführung wesentlich erleichtert worden; nach vielen Versuchen hat er mehrere Musterfarmen errichtet, die, gleich so vielen andern Schöpfungen, immer von dem glänzenden Geist ihres Erbauers Zeugniß ablegen werden.

Nach diesen Vorbildern und den während des Betriebs neugewonnenen Erfahrungen hat nun Herzog Ernst aus Privatmitteln gleichfalls, und zwar für Deutschland, ein Modell hingestellt, zum Zweck, daß danach gearbeitet werde und der denkende Oekonom Anregung und Vorbild darin finde. Der Schauplatz ist der Kallenberg bei Coburg. Nicht leicht kommt heutzutage ein Fremder in die freundliche Hauptstadt des Herzogthums Sachsen-Coburg, der bei noch so flüchtigem Aufenthalt versäumte, das eine halbe Stunde entfernt gelegene Schloß Kallenberg aufzusuchen. Seit dem Jahre 1842 ist es die Sommerresidenz des Herzogs und unstreitig einer der reizendsten Fürstensitze Deutschlands. Mit verschwenderischer Hand hat hier die Natur über Hügel und Thäler, Wiesen und Wald die Fülle ihrer Schönheit ausgestreut; und wer, an die alte Schloßmauer gelehnt, in die weit sich dehnende, heiter lachende Landschaft hinausblickt, dem mag das Herz höher schlagen bei so fröhlicher Ausschau. Und ebenso, wenn er die hellleuchtenden Zinnen des von Herzog Ernst restaurirten Schlosses betrachtet oder in die freundlich lichten Räume eintritt, in denen überall Behagen und feinster Kunstsinn waltet. Natur und Kunst im schönsten Bunde vereinigen sich, zu erfreuen und zu ergötzen; und fällt dann der Blick des Beschauers hinüber auf die altersgraue Veste Coburg, steigt auch der Zauber historischer Erinnerungen vor der entzückten Seele auf.

Hier also, damit dem Schönen das Nützliche nicht fehle, ist die neue Schöpfung entstanden, nach den persönlichen Vorschlägen des Herzogs und ausgeführt unter der Leitung des kundigen, längst rühmlichst bewährten Bauraths Rothbart; eine Musterfarm, wie sie in solcher streng systematischen Gediegenheit wohl einzig in Deutschland dastehen möchte. – Im Folgenden sei nun eine kurze Darstellung dessen versucht, was so, nicht ohne beträchtliche Opfer, durch den hervorragend praktischen Sinn des Herzogs in’s Leben gerufen worden ist.

Die bei der Anlage der Gebäude gestellten Bedingungen waren im Wesentlichen folgende: Alle Räume so zu vertheilen, daß die vorkommenden Arbeiten stets die kürzesten Wege zu machen haben. Trockene, luftige und geräumige Stallungen mit zweckmäßiger Ventilation und so eingerichtet, daß sowohl im Winter als im Sommer eine möglichst gleichmäßige Temperatur in denselben erzielt werden kann. Stets frisches reines Wasser in allen Theilen der Gebäude. Wo es thunlich ist, Maschinenarbeit. Möglichste Billigkeit bei strenger Solidität; Vermeidung von allem Luxus.

Die Gebäude nehmen einen Flächenraum von 320 Fuß Länge [582] und 120 Fuß Breite – englisches Maß – ein und sind durchaus massiv, in den Fundamenten und Sockeln aus Sandstein, im Uebrigen aus Rohbacksteinmauerwerk aufgeführt. Die Dachdeckung ist Asphaltpappe. Die Decken der Rindvieh- und Pferdestallung sind zwischen schmiedeeisernen Trägern mit Hohlbacksteinen flach ausgewölbt, mit Cement verputzt und durch gußeiserne Säulen unterstützt. Zu den übrigen Decken und zu den Dachconstructionen ist durchaus geschnittenes hochkantiges Holz verwendet, Verputz an diesen Decken und an den Wänden überall vermieden.

Alle Stallungen haben Doppelfenster, welche jedoch nicht zum Oeffnen eingerichtet sind, da durch die dicht unter den Decken angebrachten Ventilirapparate, die je nach Bedürfniß leicht regulirt werden können, immerwährend frische Luft zugeführt wird. Krippen und Raufen im Pferdestall, sowie die Tränktröge im Rindviehstall sind aus Schmiede- und Gußeisen. Die Raufen im Pferdestall nicht, wie es bisher üblich war, über den Krippen, sondern neben diesen in derselben eisernen Platte hängend, so daß die Pferde das Heu wie aus einem Korbe fressen. Die Krippen im Rindviehstall sind aus Eichenholz, da dieses Vieh, wie in England, nur Trockenfutter erhält. In den Tränktrögen, von denen immer zwischen zwei Stück Rindvieh einer in die Krippen eingelassen ist, ist stets frisches Wasser vorräthig, und dasselbe wird aus einer 5000 Fuß von den Gebäuden entfernten Quelle in eisernen Röhren hergeleitet, von zwei Reserven aufgenommen und von diesen nach allen Theilen der Gebäude vertheilt. Das täglich der Wirthschaft zu Gebote stehende Wasserquantum beträgt 1200 Cubikfuß.

Durch die ganze Länge des an der Westseite liegenden, 94 Fuß langen Maschinengebäudes läuft eine Transmission, welche die Kraft einer acht Pferdekraft starken Dampfmaschine auf folgende Hülfsmaschinen überträgt: Mühle, Dreschmaschine, Rübenschneider, Grünfutterschneider, Häckselschneider, Strohschneider, Haferquetsche, Leinkuchenbröckler und Kartoffelmusmaschine. Der von der Dampfmaschine abgehende Dampf erwärmt das zum Waschen und zur Reinigung der Gefäße nöthige, ebenfalls in einer Reserve vorräthige Wasser bis zu einem ziemlich hohen Grad.

Von dem Raum, in welchem durch die Maschinen das Futter vorbereitet wird, läuft eine über den Futtergang sich hinziehende Eisenbahn, aus welcher mittelst eines kleinen Wagens das Futter in die Stallungen gefahren und sofort in die betreffenden Krippen vertheilt wird. Die gewonnene Milch wird in dem nach englischer Art eingerichteten Milchgewölbe in Porcellanschalen, welche auf gußeisernen Tischen stehen, aufbewahrt. Ueber diese Tische fließt immerwährend frisches Wasser. In der Mitte des Gewölbes befindet sich ein Springbrunnen mit Schale, in welcher die Butter frisch erhalten wird. Die Butterbereitung geschieht in dem vor dem Milchgewölbe liegenden Zimmer.

Das Schweinehaus hat, abweichend von der englischen Einrichtung, eine doppelte Fütterungseinrichtung, und zwar so, daß im Winter in dem im Schweinehaus selbst liegenden Futtergange, dagegen im Sommer in den Vorhöfen der Schweinekothen gefüttert wird. Auch hier sind die Futtertröge aus Gußeisen. Die Zubereitung des Futters geschieht mittelst eines in der dicht an den beiden Futtergängen liegenden Küche aufgestellten Dampfkochapparates. Sämmtliche Jauche wird durch in Cement gemauerte Canäle in ein vollständig geschlossenes Jauchengewölbe abgeführt, von wo aus sie mittelst einer Druckpumpe entweder auf die überdachte Miststelle verbreitet oder auf das Fuhrfaß gebracht werden kann.

Getreide und Heu werden wie in England in Feimen auf schmiedeeiserne Gestelle aufgestellt und von da aus auf die Maschinen zum Verarbeiten gebracht. Zu bemerken ist noch, daß, da das Dienstpersonal nicht im Hause verköstigt wird, auf Kücheneinrichtung und dergleichen Räume keine Rücksicht genommen worden ist.

Dies ein flüchtiger Ueberblick des Baues. Man sieht, es handelt sich hier, wenn von Fortschritt und Bedeutung für die Landwirtschaft die Rede ist, nicht um leere Phrasen oder hohle Theorien; vielmehr ist etwas praktisch und durch die That in’s Leben geführt worden, wovon wir nur wünschen können, daß es Nachahmung finde.

Daran wenigstens kann wohl nicht gezweifelt werden, daß die neu errichtete Musterfarm ihre nächste Aufgabe, die rationelle Landwirthschaft zu heben, glänzend zu erfüllen im Stande ist.