Eine merkwürdige Insel

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Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Eine merkwürdige Insel
Untertitel:
aus: Mein Oesterreich! Illustrierte Monatsschrift für die Jugend, 1. Jahrgang, S. 220
Herausgeber: Adolf Moßbäck
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1911
Verlag:
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Erscheinungsort: Wien
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Quelle: Commons
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Eine merkwürdige Insel.

Eine ganz merkwürdige Naturerscheinung, die wohl einzig in ihrer Art sein dürfte und auf die die Gelehrten erst jetzt aufmerksam geworden sind, bietet die Green-Bai des Michigan-Sees in Nordamerika. In dieser breiten Bucht liegt unweit des westlichen, sehr flachen Ufers eine Insel von etwa 3000 Meter Durchmesser, die im Sommer als saftige, stets schnell wieder nachwachsende Weide von den benachbarten Ansiedlern geschätzt ist und daher bisweilen 100 Stück Vieh beherbergt. Soweit zeigt die Insel also auch nicht die geringste Besonderheit, wenn man eben von ihrem geradezu unnatürlich üppigen Graswuchs absieht. Kommt aber der Herbst heran, so beeilen sich die Farmer, ihr Vieh wieder an das Festland zurückzubringen. Denn regelmäßig in den letzten Tagen des Oktober oder Anfang November verschwindet diese Insel spurlos in den Fluten der Bai, um erst im Frühjahr, meist Mitte April, wieder aufzutauchen. Dieses Spiel, dieses regelmäßige Verschwinden und Wiedererscheinen dauert bereits mindestens ein Jahrhundert, was daraus hervorgeht, daß die Indianer jener Gegend seit altersher die Insel Wia-Ando nennen, das heißt „Auf und ab“, und daß sie in ihren religiösen Überlieferungen eine bedeutende Rolle spielt, indem man das Heben und Fallen der Insel geheimnisvollen Kräften – unterirdischen Geistern und Dämonen – zuschreibt.

Durch eingehende Untersuchungen hat nun auch dieses naturwissenschaftliche Phänomen eine Erklärung gefunden. Bei Eintritt der warmen Jahreszeit entwickeln sich in dem sumpfigen Grunde der Bai bedeutende Gasmengen, die sich in unzähligen Bläschen an der rauhen Unterseite der Insel festsetzen. Diese selbst ist mit dem Boden des Sees nur durch ein filziges Gewebe von Pflanzenfasern verbunden und wird, sobald die unter ihr angesammelte Gasmenge genügend groß ist, wie ein Ballon aus dem Wasser gehoben. Dieselben Gasbläschen, die während des Sommers ununterbrochen aus dem torfigen Seegrunde hochquellen, halten dann auch weiter die Insel über dem Wasserspiegel fest. Wie groß der Auftrieb dieses Sumpfgases ist, ersieht man schon aus der Belastung, die die seltsame Insel verträgt – bis zu 100 Stück Vieh. Sobald jedoch die Temperatur des Wassers abnimmt und diese Abkühlung die weitere Gasentwicklung verhindert, erscheint bald der Tag, wo das Eiland wie ein seiner Auftriebskraft beraubter Luftballon immer tiefer sinkt, bis es unter dem Seespiegel gänzlich verschwunden ist. Das nächste Frühjahr aber läßt es dann wie durch ein Zauberwort wieder auftauchen. – Für die Rechtswissenschaft bildet „Auf und ab“ insofern ein interessantes Objekt, als der höchste amerikanische Zivilgerichtshof einen langjährigen Rechtsstreit, der sich um den Besitz der Insel drehte, unlängst dahin entschieden hat, daß „Auf und ab“ nicht als festes Land im Sinne des Gesetzes in Frage kommen und daher an ihr auch ein Eigentumsverhältnis nicht bestehen könne.

Die Entwicklung dieser merkwürdigen Insel hat man sich nach Angabe Professor Karpers von der Philadelphia-Universität so zu erklären, daß sich einst ein großes Stück des Seebodens – wahrscheinlich ebenfalls infolge der Gasentwicklung – losgelöst und dann im Laufe der Zeit eine feste Pflanzendecke erhalten hat. Neuerdings hat man nun auch im Ilsingsee in Livland eine Insel entdeckt, die genau dieselben Eigentümlichkeiten wie „Auf und ab“ besitzt, nur daß sie bedeutend kleiner ist.

W. K.