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Eine politische Satyre

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Textdaten
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Autor: Anonymus
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Titel: Eine politische Satyre
Untertitel:
aus: Die Grenzboten (1841/1842), 1. Jg., Band 1, S. 186–195
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1841
Verlag: Herbig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Band 1: SUUB Bremen = Commons
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Eine politische Satyre.


 König. — So werd' ich meinen Feinden widerstehn?
 Johanna. — Bezwungen leg' ich Frankreich dir zu Füßen!
 König. — Und Orleans, sagst du, wird nicht übergehn?
 Johanna. — Eh siehst du die Loire zurücke fließen.

Die Jungfrau von Orleans. —


Wie gefährlich wäre die Satyre wenn sie immer von reinen Händen geführt würde! Aber die Satyre ist wie das Schwert der Jungfrau von Orleans, das, so lange die Kämpfende rein, jungfräulich, nur von ihrer heiligen Sache begeistert war, Wunder wirkte, aber in dem Augenblicke, wo eine Leidenschaft, ein persönliches Interesse sich ihres Herzens bemächtigte, da verlor das Schwert seine Kraft. — Wir machen die Bemerkung bei Gelegenheit einer Satyre, aus der Feder Bossange's, die wir vor Augen haben, und die an Witz und beißender Ironie ein Meisterstück ihrer Art ist. Aber Herr Bossange gehört zu jener Parthei, die aus dem Schutte und den Ruinen der Gesellschaft ihr Haus erbauen will, zu jener Parthei, die unter der Maske democratischen Zelotismus das Volk verhetzt, aufstacheln und zum revolutionären Wahnwitz treibt, um aus der zerschmetterten Constitution eine neue zu erbauen, zu deren Fesseln und Ketten sie den Schlüssel hat. — Herr Bossange ist Legitimist! —

Unter allen Partheien, welche das neuere Frankreich zerwühlen, haben ohnstreitig die Legitimisten die wenigste Zukunft. Die Fahne die sie aufgepflanzt, trägt eine Inschrift, die man in Frankreich nicht mehr versteht. Die Lehren, welche sie predigen, finden kein Ohr. Ihrem Prinzip fehlt die einzige Grundlage, auf welchem es ruhen kann: der Glaube!

Und dennoch ermüden sie nicht in ihrem Liliputanischen Kampfe, und dennoch machen sie täglich neue Anstrengungen, das Danaidenfaß zu füllen. Und darin liegt auch die Ursache, warum man diesen Windmühlenkampf mit mehr Ruhe als die andern Partheikämpfe, gewißermaßen mit Behaglichkeit, ansehen kann, ungefähr wie man Schauspieler betrachtet, die mit hochgeschminkten Wangen und großer Deklamation, nur die Worte wiederholen, die der unsichtbare Herr im Soufleurkasten ihnen einbläst, und die ungeduldig auf die Beendigung der Comödie warten, um nach Hause zu eilen und ihre Privatgenüsse und Leidenschaften zu stillen.

Der geistreiche Schauspieler ergötzt uns auch in einem unmoralischen Stücke, der geistreiche Advokat stachelt das Interesse, auch wenn er einer ungerechten Sache dient; denn Geist und Witz haben einen Cultus, der an und für sich bestehet. Von diesem Gesichtspunkte aus, und unabhängig von ihrem politischen Glaubensbekenntniß mögen unsere Leser die Satyre Bossanges, welche wir hier mittheilen, hinnehmen. Wir betrachten sie von ihrer literarischen Seite, und als solche müssen wir eingestehen, ist sie eine der witzigsten Produktionen die je aus der Feder eines Satyrikers geflossen ist.

Für den Politiker bietet sie überdies noch das Interesse, daß wir durch sie einen tiefen Blick in die Prinzipien und Träume der legitimistischen Parthei erhalten. Die Satyre führt den Titel: "Apocryphische Geschichte Frankreichs von 1830 bis auf den heutigen Tag."

"Wir genießen", beginnt sie, "seit elf Jahren eines so vollkommenen Glückes, so ungestörter Ruhe und Sicherheit, Frankreich ist so mächtig und stolz, daß die Publicisten ihre Feder weggeworfen haben würden, wenn sie nicht auf eine der originellsten und kühnsten Mystificationen verfallen wären. Sie haben unterstellt, die Begebenheiten von 1830 hätten eine Revolution zur Folge gehabt. Gestützt auf diese Hypothese, haben sie sich die Zeit damit vertrieben, eine geistreiche Geschichte dieser elf Jahre zu erdenken, die sie sehr geschickt von Jahr zu Jahr bis heute fort erzählen. Sie haben einen nagelneuen Thron errichtet, sie haben Ministerien eingesetzt, die sich mit reißender Schnelligkeit einander folgten, haben von kostspieligen und unfruchtbaren Kriegen erzählt, Aufruhr und Gemetzel erdichtet, und niederträchtige Ueberrumpelungen; sie fabeln von einem furchtbaren Deficit, von einer vollständigen gesellschaftlichen Zerrüttung, und daß Frankreich den ihm so lange zugestandenen Vorrang unter den Nationen verloren habe. Dieser Geschichte fehlt nichts, als Wahrheit, und das ist wenig. Sie ist sehr bekannt geworden und das freut mich der Autoren wegen, denn ihr Werk enthält wichtige Lehren und eine hohe Moral. Sie haben mit so vieler Kunst die unheilbringenden Folgen auseinander gesetzt, die aus der Mißachtung der Principien fließen, sie haben so wohl den Schleier zerrissen, worin die Corruption so häufig sich hüllt, daß ich nicht glaube, daß irgend eine Lectüre so sehr von Revolutionen abschreckt; wenn nun bald die Zeit kommen sollte, wo es keine Revolutionäre mehr giebt, so gestehe ich ohne Zaudern dieser interessanten Lektüre die Ehre zu, es bewirkt zu haben. Ich möchte manchmal wünschen, sie sei wirklich wahr, damit die Nutzanwendung deutlicher sei, aber sie ist erdichtet, das weiß Jederman. Man braucht also mit Widerlegung derselben keine Zeit zu verlieren, aber um mich von dieser Lectüre zu erholen, welche, so heilsam sie auch ist, doch ermüdet und Eckel erregt, so will ich auf alle die wahren großen Begebenheiten zurückblicken, durch welche seit dieser Zeit, Frankreich das mächtigste und glücklichste Land der Erde geworden ist.

Du hast nicht vergessen, lieber Leser, daß Paris in den drei Tagen, nach der Publication der berüchtigt gewordenen Ordonanzen, einen merkwürdigen Anblick darbot. Man hätte glauben sollen, ein Erdbeben habe Alles darunter und darüber geworfen. Das Pflaster war aufgerissen, Schutthaufen sperrten den freien Durchgang, Blut war geflossen, der Pallast des Königs verlassen und das Volk, über seinen Sieg erschreckt blickte, schüchtern um sich. Da sah man den Herzog von Mortemart heransprengen, der verkündete den Widerruf der Ordonanzen, die Zusammenberufung der Kammern, die Abdankung Karls X. und des Herzogs von Angoulème zu Gunsten des Herzogs von Bordeaux und die Ernennung des Herzogs von Orleans zum General-Lieutenant des Königreichs. Damals sprach auch Laffayette, der diesmal nicht seinen Schimmel bestiegen hatte, das herrliche Wort aus, das ihm so viel Ehre machte: "Es ist niemals zu spät." [1]

Am folgenden Tage waren die Deputirten, wie durch einen Zauberschlag vereinigt und erklärten alsbald auf den Vorschlag des Herrn Laffitte und Casimir Perier, daß sie bei der Wichtigkeit der obwaltenden Verhältnisse ihre Aufträge für ungenügend hielten, sie appellirten an die Nation und luden den Generallieutenant des Königreichs ein, eine allgemeine Nationalversammlung zu berufen, und der Herzog von Orleans that dieß eben so schnell als freudig.

Jeder der soviel Steuern zahlte, als sein fünftägiger Arbeitslohn betrug, sollte in seiner Gemeinde Wahlmänner bezeichnen, welche sich acht Tage später in den Hauptstädten der Bezirke zur Deputirtenwahl vereinigen sollten. Dieß geschah in der größten Ordnung, und die aus 918 Deputirten bestehende Versammlung, deren Mitglieder alle mit speciellen Aufträgen versehen waren, hielt am 25sten August, dem Namenstage Ludwig des Heiligen, ihre erste Sitzung. In der Wahl dieses Tages lag eine feine und bedeutsame Aufmerksamkeit des Herrn Herzogs von Orleans.

Jederman erinnert sich noch der feierlichen Sitzung, wo die Versammlung Heinrich V. zum König von Frankreich ausrief, und die Großjährigkeit in sein 15tes Lebensjahr setzte. Sie übergab inzwischen die Zügel der Regierung dem Herrn Herzog von Orleans, und jedermann bewunderte die hohe Weisheit, den edlen Charakter und die entschiedene Redlichkeit, die dieser Fürst in so schwierigen Verhältnissen an den Tag legte. Er schlug den Titel eines Regenten aus, und nannte sich einfach Präsident des Regentschaftsrathes, und diesen besetzte er mit den ausgezeichnetsten Männern des Landes. Sich selbst behielt er kein anderes Recht vor, als das der Begnadigung, großmüthig schlug er jede Civilliste aus, und das überraschte Niemanden. Herrn von Villele machte er zu seinem ersten Minister, und das erweckte allgemeines Zutrauen.

Schon am folgenden Tage zerriß die Versammlung die Verträge von 1815[2] unter lautem Beifall von ganz Frankreich.

In Folge dieses großen nationellen Actes, stellte sich der Herzog von Orleans an die Spitze der Armee und überzog Belgien, welches sich mit Freuden von Holland trennte, und französch wurde unter dem Titel "Provinz Belgien"[3] Hierauf drang der Prinz an den Rhein vor. Die Bevölkerung kam ihm entgegen, [4] die Städte öffneten ihm freudig die Thore, die fremden Besatzungen durften mit Waffen und Gepäck ehrenvoll abziehen.[5] In weniger als drei Monaten und ohne Kämpfe erhielt Frankreich seine natürliche Grenzen wieder, bei einem Enthusiasmus, der fast an Wahnsinn grenzte. Der Leser sieht, daß meine Geschichte schöner ist, als der revolutionäre Roman meiner publicistischen Collegen!

Damals erschien jene erhabene und kräftige Erklärung der Nationalversammlungen an alle Mächte der Erde. Sie sprachen, daß Frankreich unabhängig sei und seine alten Grenzen wieder einnehme, und daß es beabsichtige, sich von jeder anderen continentalen Eroberung auf dem Festlande entfernt zu halten. Europa gerieth in Unruhe und wollte rüsten. Aber England war gehemmt in Indien, Rußland hatte Polen, Oestreich Italien im Zaum zu halten. So waren alle Souveränen die Hände gebunden. Die Rüstungen wurden eingestellt. Die continentalen Mächte fühlten ihren Verlust, aber auch Frankreichs Stärke. Uebrigens waren ihre Hauptbesorgnisse gehoben, da sie doch eigentlich nur die revolutionäre Propaganda fürchteten. Nach einigem Zaudern trafen die Gesandten der fremden Mächte wieder in Paris ein.

Sechs Jahre lang erfreute sich nun Europa eines tiefen Friedens, der sogar nicht gestört wurde durch den Wiederhall der im Oriente und in einigen Theilen von Südamerika ausgebrochenen Kriege. Der Herzog von Orleans und Herr von Villele, benutzten diese Zeit zur Reorganisation Frankreichs und zum Aufbau des Staatsgebäudes auf unerschütterlicher Grundlage. Sie wurden auf bewundernswerthe Weise von den ersten Staatsmännern, den größten Bürgern und den geehrtesten Schriftstellern der Nation unterstützt. Dank der Freiheit der Discussion, und um mich eines damals von dem Herzog von Broglie gebrauchten Ausdruckes zu bedienen, kannte das Publikum alle Thatsachen und die Regierung alle Meinungen. Die Presse war keine Fessel, sondern ein ungeheurer Hebel. An der Spitze der großen Bewegung in den Gedanken, bemerkte man die Herren von Chateaubriand, den Herrscher des Wortes, Laffitte, von Fitz-James, Barrot, von Dreuz-Brezé, Mauguin, von Larochefaucauld, Dupin, Royaz und viele andere. Damals fieng man auch an, von Herrn Thiers zu reden, der immer bereit war, die revolutionären Ideen zu bekämpfen und von Herrn Cormenin, voll gleichen Eifers, sie mit mächtiger Ironie zu überwältigen.

Die Krone erhielt eine Ausstattung in Staatswaldungen, der Clerus erhielt ebenfalls eine besondere Ausstattung. Das Budget wurde auf den Friedensfuß fixirt. Die Nationalversammlung erhielt allein das Recht, die zur Betreibung außerordentlicher Ausgaben nöthigen Steuern zu bewilligen. Die Linke und Rechte waren immer einig, wo es sich um den Fortschritt handelte, das Centrum stimmte mit der Rechten, bei allen Fragen der Ordnung und Sicherheit, und mit der Linken bei allen Fragen der Freiheit, welcher die Rechte zwar auch nicht gram war, sie jedoch in ihrem Gange zu leiten unternahm. Bei einer solchen Versammlung hatten die großen Landesinteressen eine gefürchtete Majorität.

Die Pairskammer zeichnete sich durch reichen Glanz aus und bildete den großen Rath der Krone. Sie wurde aus allen Berühmtheiten Frankreichs zusammengesetzt. Sie begriff die Bank der Marschälle, die der Erzbischöfe und Bischöfe, die der Generäle und der Magistratur. Man sah auch hier berühmte Manufacturisten, ausgezeichnete Schriftsteller und große Dichter. Lamartine wurde zum Pair ernannt. Sie hatte insbesondere das Amt der fleißigen Abfassung der Gesetze, die sodann der Zustimmung der Nationalversammlung unterworfen waren.

Frankreich wurde in Provinzen getheilt, die sich selbst verwalteten, ihre Landstraßen und Posten unterhielten und alle ihre Localbedürfnisse aus ihren eigenen Hülfsquellen befriedigten. Man brauchte wegen des Baues einer Schleuse, der Ausbesserung eines Vicinalweges, der Regulirung eines Flusses sich nicht mehr an das Ministerium zu wenden. Die Minister konnten alle ihre Zeit den allgemeinen Interessen widmen und das Geschlecht der Supplicanten verlor sich. Doch verlor die Regierung die schöne Eroberung Algiers nicht aus den Augen. Es erging ein Aufruf an die Bevölkerungen Europas, und von allen Seiten her trafen Colonisten ein. Schon im ersten Jahre zählte man deren eine Million. — Heute zählt Algier bekanntlich 6 Millionen europäischer Bewohner und 42 neue Städte. Das Zutrauen ist groß, denn der Schutz der französischen Fahne ist ein mächtiger. Zwanzigtausend Mann reichen hin, um die Sicherheit auf den Wegen in diesen weiten Landstrecken zu handhaben, und die Colonisten können eine Million bewaffneter Milizen aufbieten. Mehr als fünfmalhundert tausend Araber sind zum Christenthume übergegangen, und Abd-el-Kader ist zum Range eines Marechal de Camp erhoben worden.

Dazu bedurfte sie freilich sechsjähriger Anstrengung. Aber Alles will seine Zeit haben.

Im Jahre 1836 ergriff der König die Zügel der Regierung, bat den Herzog von Orleans, er möge fortfahren, ihn mit seinem treuen und einsichtsvollen Rathe zu unterstützen, und behielt dessen Ministerium bei.

Der Papst wollte kommen, ihn zu krönen und der fromme und treue Prälat, Herr von Quelen, wurde beauftragt, ihn an der Gränze zu empfangen. Die großartige Ceremonie fand in Aachen statt. Der König empfing die Krone aus den Händen des Herrn Herzogs von Orleans. Es erhob sich ein Beifallsgeschrei, das man eine weite Strecke hin hörte, und welches die Geschützsalven übertönte. Man bemerkte Freudenthränen in den Augen des Herrn Herzogs von Orleans, als er die Krone überreichte. Er sagte, der Beifall, der ihm allenthalben gespendet werde, sei sein schönster Lohn.

Der junge König wollte seinen Regierungsantritt durch eine große und nützliche Leistung bezeichnen. Bekanntlich verdankt Frankreich seinem festen Willen das ungeheuere Netz von Eisenbahnen und Canälen, wovon es durchzogen ist, und welches alle Punkte des Königreichs mit einander in Verbindung setzt. Sein System war einfach und verständig. Jede Provinz sollte den Grund und Boden liefern, der Staat die Erdarbeiten bezahlen, die Compagnien die Schienen, das Material und die Betriebskapitalien. Alle drei erwarben einen ihren Beiträgen angemessenen Eigenthumsantheil. Der König wollte auch, daß der Genuß ein immerwährender und nicht ein auf eine bestimmte Zeit beschränkter sein solle. Damals sprach er auch das schöne Wort aus, dass, so wie das Legitimitätsprincip ein ewiges sei, so müsse es auch die Ewigkeit des Eigenthums sichern.

Während so große Dinge unaufhaltsam vollendet wurden, begaben sich wichtige Ereignisse. Europa gerieth in Unruhe, der öffentliche Friede wurde gefährdet. Mehemed Ali hatte das Joch des Sultans abgeschüttelt, und bedrohte ihn vor den Thoren von Constantinopel. Rußland ließ seine Armeen ausrücken, England rüstete seine Flotten, Oesterreich intervenirte und Frankreich schlug alsbald vor, daß ein großer Congreß in Rom gehalten werden solle.

Die Verhandlungen begannen, und unterdessen rüsteten alle Mächte. Europa hatte das Ansehen eines großen Lagers. Die Nationalversammlung trat zusammen, um 500 Millionen Franken zu votiren. Es geschah dieß durch allgemeinen Zuruf, mit einer Uebereinstimmung, die wohl geeignet war, Europa's Könige zum Nachdenken zu bewegen. Einige Deputirte schlugen vor, Paris zu befestigen, und diese unheilvolle Meinung fing an Fuß zu fassen, als eine Broschüre des Herrn Thiers erschien. Dieser gewandte Schriftsteller behandelte die Frage von höheren Gesichtspunkten, er bewies, daß Paris durch das Meer, den Rhein, die Alpen und die Pyrenäen hinreichend befestigt sei. Er flößte Schaam in die feigen Seelen, welche Frankreichs Stärke anderswo finden wollten, als in dem Muthe und dem Patriotismus seiner Söhne. Er stellte Zahlen auf, und bewies, daß eine halbe Milliarde rein verschleudert würde. Dann erklärte er, den Namen der Freiheit anrufend, daß Paris, der Sammelplatz der Intelligenz und des Genies, unter dem Schatten der Bastillen ausarten würde und war nahe daran, jeden Deputirten des Hochverrathes anzuklagen, der für eine solche Maaßregel stimmen würde. Durch die Broschüre des Herrn Thiers wurde der Plan vernichtet, und der König von Frankreich verlieh ihm als Zeichen seiner Zufriedenheit das Großkreuz der Ehrenlegion. "Der Mann, der allein einen so großen Fehler hintertrieben hat, ließ er ihm sagen, hat einen nationalen Sieg errungen."

Unterdessen versammelte sich der Congreß zu Rom. Der König sandte dahin ab die Herren Berryer, Herzog von Fitz-James, Marquis von Dreuz-Brezé, Marschall Soult und seinen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Herrn von Chateaubriand. In der Halle der St. Peterskirche beschloß man die Vernichtung des Islams. Rußland erhielt die Türkei, England erhielt Egypten, Preußen erhielt zur Entschädigung eine Gebietsarrondirung, Frankreich erhielt Jerusalem und Palästina, aber, immer großmüthig im Gefühl seiner Kraft, begehrte es darüber seine Oberherrschaft. Es stellte den Orden der Johanniter von Jerusalem wieder her, theilte ihn in eben so viel Zungen, als es Nationen in Europa giebt, und machte ihn zum Hüter der heiligen Orte. Die Juden strömten von allen Enden herbei, und erwarben wieder ihre Nationalität, nachdem sie zu den Füßen des heiligen Vaters bekannt hatten, daß der Sanhedrin von Jerusalem den Messias gekreuzigt habe. Herr von Rothschild, der mit seinem Beispiele vorangegangen war, und sechs Collegien gegründet hatte, erhielt den Titel eines Herzogs von St. Jean d'Acre.

Diese Ereignisse, welche beinahe die Welt in Flammen gestürzt, und Europa von Grund aus erschüttert hätten, wurden, Dank der Achtung gebietenden Stellung und Uneigennützigkeit Frankreichs! die Grundlagen des heutigen allgemeinen Friedens. Es wurden damals in Europa große Verschwägerungen gestiftet, durch welche neue Bande und Verpflichtungen zwischen den Souveränen und den Völkern begründet wurden. Die Freude war allgemein, als man erfuhr, daß der König die Prinzessin Alexandra, die Tochter des Kaisers von Rußland, heirathen würde. Der Marquis Henri de la Roche-Jaquelin wurde zum außerordentlichen Gesandten ernannt. In dieser Wahl lag eine dem Kaiser erzeigte Aufmerksamkeit, weil dieser die glänzende Tapferkeit nicht vergessen hatte, welche Herr von Laroche-Jaquelin an der Spitze des russischen Vortrabs in einem denkwürdigen Feldzuge gegen die Türken an den Tag gelegt hatte. Kaiser Nikolaus wollte ihn nicht in den Sälen seines Palastes empfangen, sondern der Gesandte wurde in großem Pomp auf den großen, von der kaiserlichen Garde besetzten Platz geführt. Gleich bei seiner Ankunft stand der Kaiser vor ihm, ergriff seine Hand, und erinnerte ihn lächelnd an den schönen Wahlspruch: "Gehe ich vorwärts, so folget mir; sterbe ich, so rächet mich; fliehe ich, so tödtet mich."

Die junge Prinzessin reiste bald nach Frankreich ab; sie durchzog Europa. Das Volk drängte sich überall so sehr, die junge Königin von Frankreich zu sehen, daß ihre Reise von St. Petersburg nach Paris einem langen Triumphzuge glich. Am höchsten war aber der Enthusiasmus in Frankreich selbst. Die Allianz mit Rußland war etwas ganz Neues. Die beiden Völker, die sich bisher nur auf Schlachtfeldern kennen und achten gelernt hatten, wußten, da sie in allen Dingen verschiedene Interessen hatten, daß niemals Nebenbuhlerschaft und Concurrenz zwischen ihnen statt finden würde. Die Prinzessin war in der Blüthe ihrer Jugend und Schönheit. Ihr Blick und ihr sanftes Lächeln eroberten ihr alle Herzen. Sowie sie Frankreichs Boden betreten hatte, war sie auch ganz Französin, und man konnte sie nur lieben.

Bei dieser Gelegenheit wollte der König dem Zweige der Orleans seine Zuneigung zeigen, und es gefiel ihm, in die Ehe seiner Schwester, Mademoiselle, mit dem Herrn Herzog von Chartres, dem ältesten Sohne des Herzogs von Orleans einzuwilligen. Der junge Prinz hatte in Afrika mit Auszeichnung gedient, und sich immer durch seine Ergebenheit gegen die Person des Königs ausgezeichnet.

Das folgende Jahr war durch zwei andere Verbindungen merkwürdig, wodurch das Haus Orleans zu einem souveränen wurde, und welche bewiesen, wie hoch der Herzog von Orleans durch sein edelmüthiges Benehmen und seine bewundernswerthe Treue in der öffentlichen Achtung stand. Der Herzog von Remours heirathete die Königin Victoria, und erhielt mit ihr den Thron von England unter dem Beifalle des katholischen Irlands. Die Prinzessin Clementine heirathete den Prinzen von Asturien, Präsumtiverben der spanischen Krone.

Damals trug sich eine sonderbare Geschichte zu, wodurch die Literatur beinahe eine ihrer größten Berühmtheiten, und die Universität ihre schönste Zierde verloren hätte. Der gelehrte Professor Guizot las den politischen Roman, den ich oben erwähnt habe, und konnte nicht umhin, ihn immer von Neuem zu lesen. Er war unwillig über die abscheuliche Rolle, die man ihn in diesem Werke der Phantasie hatte spielen lassen. Man hatte darin nämlich erdichtet, er sei in Folge parlamentarischer Intriguen mehrmals Minister geworden, er habe "unbarmherzige Befehle" ertheilt, und durch "Einschüchterung" regieren wollen. Er sollte meuchlerisch die Hand an die Freiheit der Presse gelegt haben, und man griff seine Ehre als guter Bürger dergestalt an, daß man behauptete, er sei ein gefälliges Spielzeug in den Händen der englischen Diplomatie gewesen, Herr Thiers habe ihn zum Gesandten ernannt, er habe ihn verrathen, um ihn zu stürzen, und seine Stelle einzunehmen. - Herr Guizot riß sich vor Verzweiflung die Haare aus, er phantasirte lange im Fieber, und rief unaufhörlich: "Nein, alles ist erlogen, ich bin kein tugendstrenger Intriguant, ich bin kein schlechter Franzose!"

Man mußte ihm reichlich zur Ader lassen, kalte Douchebäder anwenden, und ihn im Auge behalten. Der gelehrte Doctor Blanche meinte, man solle ihm seinen langen Professorsrock anlegen, ihm das viereckige Barett aufsetzen, und ihn so vor den Spiegel stellen. — Dieß hatte ganz guten Erfolg. Da der Kranke sah, daß er noch Professor sei, so vergaß er, daß man unterstellt habe, er sei Minister. Er kam wieder fast ganz zu Sinnen, und weinte vor Freuden, daß ihn, Gottlob, nur der Alp gedrückt habe. Auch verlangte er eine gewisse Genugthuung, und beschloß das Journal des Débats wegen Calumnie anzuklagen, weil es den politischen Roman aufgenommen hatte. Das Journal wurde einstimmig verurtheilt, und verlor seine Abonnenten, was ihm mehr Schmerz verursachte, als die Verurtheilung. Das ist das einzige Beispiel eines Preßprocesses in diesen eilf Jahren.

Und nun möge man diese beiden Geschichten vergleichen und wählen.

Nach der einen ist Frankreich groß, mächtig, reich und glücklich; nach der andern ist es klein, schwach, arm und unglücklich. Dort ist der Herzog von Orleans der bedeutendste und geliebteste Mann auf der Erde. Man drängt sich um ihn, wo er erscheint, und trägt ihn im Triumphe einher. Hier, wo man ihn unter dem Namen Ludwig Philipp kennt, ist er überhäuft von Sorgen, von Feinden umgeben, durch schändliche Geheimbünde bedroht, die den Barricaden ihren Ursprung danken, und der Zielpunkt feiger Mörder.

Glaube mir, meine Geschichte ist die wahre, lieber Leser, und gewiß du glaubst es, wenn du, wie ich — schöne Träume liebst.

Anmerkungen

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  1. Bekanntlich sagte er das Gegentheil. A. d. R.
  2. Legitim — nur immer legitim!
  3. Ein lockender Titel!
  4. Mit Feuerschlünden und Schlachtgesängen.
  5. Wirklich? "Ha, welche Großmuth!" —  Anmerkungen d. R.