Eine preußische Monarchie im südlichen Weltmeer

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Eine preußische Monarchie im südlichen Weltmeer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 415–416
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[415] Eine preußische Monarchie im südlichen Weltmeer. Der brausende Sturm, der 6000jährige Götzentempel in China niederreißt und die unantastbare Heiligkeit faustdicker Zöpfe millionenweise abschneidet, ging von dem verdorbenen deutschen Kaufmannsdiener Gützlaff aus. Die Helden, die zuerst in’s Innere Australiens und Afrika’s (für die praktische Baumwolle Englands) vordrangen und Tausende von Meilen und Hunderte von Staaten wissenschaftlich eroberten, waren und sind Deutsche. Wo die Engländer zum ersten Male in ihrem Leben (in Afrika) hinkamen, fanden sie schon deutsche Missionäre als Schulzen ihrer Gemeinden und Dörfer. Weit jenseits Australiens und Neuseelands nach dem Südpole zu entdeckten die Engländer vor einigen Jahren eine Insel, von der noch Niemand auf der bekannten Erde eine Ahnung gehabt. Sie glaubten als erste Europäer sie nach ihrer Manier sofort Ihrer Majestät der Königin Victoria durch eine einfache Besitzergreifungserklärung unterwerfen zu können, wie sie am 1. Januar 1800 (ein bedeutungsvoller Anfang des Jahrhunderts) durch bloßen Trommelschlag an einer Ecke Australiens diesen ganzen ungeheuern Continent Georg dem Dritten eroberten, so daß der Besitztitel noch heute gilt. Aber hier ging’s nicht. Preußen that Einspruch und zwar so energisch, daß die unbekannte Insel preußisches Eigenthum blieb. Als sie sich nämlich die Insel näher ansahen, entdeckten sie ein wunderschönes Dörfchen mit Gärten und Feldern vor und hinter den Häusern und Hütten, darunter eine besonders schöne, stolze, schloßartige Villa, von einem Lattenzaun, wie von Soldaten in Reih’ und Glied, umgeben und bewacht von einer Schildwache in einem Leibrock und mit einer Art von Badehosen, im Uebrigen barfuß.

Citronengelbe und morgenrothscheinende Weiber und Kinder liefen zusammen und starrten die Engländer mit weit offenen Mäulern und Augen sprachlos an, bis die Schildwache martialisch aufschrie und ein stolzer Mann mit europäischer Physiognomie und einem Säbel an der Seite inmitten einer Menge Kinder aus einem Hause (dem Schulhause) heraus und auf sie zuschritt, aus dem Schulmeister sich sofort in den Tyrannen der Insel verwandelnd.

Er verstand so viel Englisch, um eine Unterhaltung möglich zu machen, wurzelte aber im Uebrigen mit seinem Stammbaume in der Brauhausgasse der Königsstadt von Berlin (im englischen Texte wird sie Browhouse lane genannt).

Er war nach der Schlacht bei Waterloo aus Versehen vom Blücher’schen Husarenpferde unter die englischen Verwundeten gekommen und, da er sechs Wochen größtenteils sprach- und besinnungslos gewesen, auch mit nach England hinüber geschafft worden. Hier habe man ihm seinen sehr offenen Kopf wieder mit Haut und Haar bedeckt und ihn auch gut unterstützt, aber als ein lockerer Bursche sei er damit nie ausgekommen und deshalb mit der Zeit heimlicher Steuereinnehmer aus den Taschen Anderer geworden, bis man alle seine [416] Verdienste um den Sturz Napoleon’s vergessen und ihn mit vielen Collegen „transportirt“ habe. Der Capitän ihres Schiffes sei unterwegs gestorben und der Steuermann sehr krank geworden. Der Unverstand der Uebrigen habe das Schiff in die Eisregionen des Südpols getrieben, wo sie sieben Monate mit Eis, Hunger und Leben gekämpft und die Meisten gestorben seien. Endlich sei das Schiff hier an der Insel eines Nachts gescheitert und Alles bis auf drei Mann umgekommen. Seine beiden Collegen wären bald gestorben und er sei seit fünf Jahren hier Tyrann und Schulmeister der Insel. Mit seinem einzigen Säbel habe er die ganze Insel unterworfen und treue Unterthanen, gute Gärtner und gehorsame Schulkinder aus den gutmüthigen Bewohnern gemacht. Bibliotheken, Bücher, selbst Tinte und Papier seien in seiner Monarchie unbekannt, ebenso „Charten,“ aber sämmtliche Unterthanen wüßten das Vaterunser und die zehn Gebote auswendig, so weit er sie in seinem Gedächtnisse selbst habe herstellen können. Alles Uebrige von Theologie, Gelehrsamkeit und Wissenschaft sei unbekannt. Doch habe er Bau- und Kochkunst, auch die Weberei aus Bast und die edle Fußbekleidungskunst aus einem Pflanzensafte (der mit Gummi mehr Aehnlichkeit hat, als mit Gutta Percha) eingeführt und allgemein verbreitet, ebenso Hochzeiten und Kindtaufen. Früher habe man hier die Gewohnheit gehabt, sich blos auf sehr kurze Zeit (oft kaum auf Stunden) zu verheirathen. Jetzt traue seine Frau alle Paare und taufe die Kinder aller Unterthanen.

Die Frau, die den Engländern später vorgestellt wurde, sah so glänzend aus, wie ein neugeschlagener Penny und hatte krokosfarbige Finger, wie sie Homer der Göttin Morgenröthe andichtet. Ihre Majestät sprachen mit dem Landesvater aus der Brauhausgasse in einer unbekannten Sprache, die auch von den Unterthanen nicht verstanden ward, nämlich Deutsch (d. h. Berlinisch in dem Dialekte der Brauhausgasse), welche als eigentliche heilige, geheime Regierungssprache nur noch dem Thronfolger (einem derben, vierjährigen Jungen in einer weißen Bast-, nicht Batistjacke, der sich hinter dem königlichen Schlosse am Teiche mit schwarzen Schwänen und Känguruh’s herumtrieb) beigebracht ward. Selbst der erste und letzte und einzige Minister, ein komischer, kleiner gelber Bursche mit spitzigem Kopfe und einer Mundspalte, die von einem Ohre bis zum andern reichte, verstand die Regierungssprache nicht, desto besser aber die des Volkes, was man nicht jedem Minister, wenn auch mit besserer Schädelbildung, nachrühmen kann. Die Landessprache bestand übrigens blos aus etwa 150 Wörtern. Alles Uebrige, was durch die Civilisation hinzugekommen war, sproßte aus deutschen Wurzeln (mit brauhausgaßlicher Färbung).

Da es in dieser ganzen preußischen Monarchie kein einziges Rasirmesser gab, kam den Engländern der Landesvater vor, als hätte er sich sehr lange nicht rasirt, und in der That sahen auch blos Nase, Augen und Stirn als Kennzeichen menschlicher Individualität aus des Bartwaldes ehrwürdiger Nacht hervor. Bei den Eingebornen sind Oberlippe, Kinn und Backen absolut unfruchtbar, so daß sie sich blos im figürlichen Sinne barbiren lassen können.

Die Stärke der Landesarmee belief sich auf sieben Mann und einen sehr abgetragenen Leibrock, den der Generalfeldmarschall als Zeichen seiner Würde trug (und bei der Ankunft der Engländer Wache stand), Die Armee verrichtet zugleich alle Polizei- und Gensd’armendienste, ohne bis jetzt es dahin gebracht zu haben, nur einen einzigen staatsgefährlichen Urwühler oder Feind des Eigenthums zu entdecken.

Bei dem gänzlichen Mangel an Pferden war bis dahin keine Gelegenheit gewesen, eine Ritterschaft und Aristokratie zu bilden, so daß eigentlich Alles gleich war (wie „mir“ und „mich“ in der Regierungssprache).

Die Engländer machten mit dem Monarchen einige Geschäfte, d. h. sie tauschten einige Holzarten, seltene Tauben und Früchte gegen Eisenwerkzeuge, besonders Messer und Gabeln und einen kleinen Spiegel ein, über welchen sowohl König als besonders Königin erschraken. Der Autokrat hatte sich seit sechs Jahren und die Landesmutter nie in einem Spiegel gesehen. Trotz ihrer Berliner Cultur schien sie sich gar nicht erklären zu können, wie das Gesicht in den Spiegel komme und untersuchte ihn wiederholt auf der Rückseite, ob da nicht ein Zauber-Apparat angebracht sei.

Hernach wurden die Gäste zur Hoftafel gezogen und mit gerösteten Schwaneneiern, eingemachten Früchten und einem Getränk bewirthet, das der Landesvater „sanften Heinrich“ nannte und selbst erfunden hatte. Ich erinnere mich des Rezepts nicht mehr, wohl aber des thranartigen, fettigen Geschmackes. Ich glaube auch, es war aus Thran und gegohrenem Fruchtsafte zusammengesetzt, und hatte wirklich etwas Belebendes. Daß wir unter diesen Umständen einige Flaschen Wein aus dem Schiffe holen ließen, versteht sich von selbst. Nach den ersten Schlucken wurde besonders die Königin sehr heiter und später lachte sie fast ununterbrochen, ebenso der Kronprinz, der tüchtig naschte, wenn der Vater einmal nicht hinsah, und hernach mit seiner erhabenen Mutter die tollsten Possen trieb. Etwa nach einer Stunde mußten sie als völlig unzurechnungsfähig in das andere Zimmer und zu Bett, d. h. auf eine Art von Sopha’s mit Bast überflochten, gebracht werden.

Wie wir gegen Abend heraustraten, hatten sich, wie der Monarch sagte, alle Unterthanen um’s königliche Schloß versammelt, gegen 300 Seelen. Die Insel sollte etwa sechs (englische) Meilen und etwas über vier breit sein. Im Umkreise von etwa 30–40 Meilen entdeckten wir noch 10–12 kleinere, aber unbewohnte Inseln.

Die letzte Bitte, die der König bei unserem Scheiden an uns richtete, war um – Nadeln und Zwirn.[1]


  1. Wir bitten die Sache nicht als Scherz anzusehen. Der in London lebende Bearbeiter obiger Skizze, ein geborener Berliner, entnahm die Thatsache dem in London erscheinenden „London Journal“, welches die Mittheilungen wiederum einem jüngst erschienenen größeren Reisewerke entnahm. Die Wahrheit ist oft sehr unwahrscheinlich. D. Red.