Eine untergegangene Stadt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor: Conrad Bursian
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Eine untergegangene Stadt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 11–15
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Besuch der Stadt Pompeji
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[11]
Eine untergegangene Stadt.[1]
(Mit Abbildung.)
Von Bursian.

Unter allen den Resten des Alterthums, die der mütterliche Schooß der Erde geborgen und vor der Zerstörung durch den Fanatismus christlicher Eiferer oder die Rohheit barbarischer Völker geschützt hat, ist nichts in solchem Grade geeignet, die Theilnahme des Beschauers zu erregen, als die Ruinen der im Jahre 79 nach Christi Geburt durch einen furchtbaren Ausbruch des Vesuvs verschütteten, jetzt durch die seit 1748, freilich mit ächt neapolitanischer Trägheit, fortgesetzten Ausgrabungen in ihrem dritten Theile wieder an das Tageslicht gerufenen Stadt Pompeji. Denn hier breitet sich vor unsern Blicken das reiche und mannigfache Bild des häuslichen sowohl als öffentlichen Lebens eines durch Handel reichen und von kunstsinnigen Bürgern bewohnten römischen Städtchens aus dem ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung aus; und auch der Nichtgelehrte, der die Herrlichkeit und geistige Tüchtigkeit des Alterthums weder aus seiner Geschichte, noch aus den von ihm hinterlassenen Schrift- und Bildwerken kennt, wird beim Anblicke dieser wohl ummauerten Stadt mit ihren schön gepflasterten Straßen und Plätzen, zierlichen Wohnhäusern, säulenreichen Tempeln und weiten Theatern, nicht blos von kalter Bewunderung ergriffen, sondern belebt unwillkürlich diese öden Räume mit Gestalten und fühlt sich heimisch in der Umgebung einer vor Jahrtausenden untergegangenen Kultur. Da stört ihn plötzlich der gellende Pfiff einer Locomotive in seinen Träumen: der von Neapel kommende Bahnzug ist an der Station Pompeji angelangt, und ich steige mit meinen Lesern aus dem Eisenbahnwagen, um sie von Gegensatz zu Gegensatz, aus dem unruhigen Treiben des neunzehnten Jahrhunderts zu dem mitten in seinem Gange aufgehaltenen und gleichsam zu Stein erstarrten Leben des Alterthums zu führen.

Die Strecke, die wir durch des Dampfes Kraft in 11/2 Stunden von Neapel aus durchflogen haben, gehört zu den schönsten Gegenden der Welt, Die Bahn läuft durch eine ununterbrochene Reihe blühender Städtchen: Portici, Resina (unter dessen Häusern eine andere alte Stadt, Herculanum, in den Banden zu Felsen erstarrter Lava schmachtet), Torre del Greco und Torre dell’ Annunziata; zur Linken hat man den hohen Kegel des Vesuvs, über dessen Spitze immer ein leichtes weißgraues Wölkchen schwebt, zur Rechten den herrlichen Meerbusen von Neapel, den im Süden das Felseiland Capri, weiter westlich die bedeutend größere Insel Ischia, deren Spitze, der Epomeo, auch einst ein jetzt erstorbener Vulkan, hoch in die Wolken ragt, und daneben das lange und schmale Procida abschließen: über sich den tiefblauen, durch keine Wolke getrübten Himmel des Südens. Während im Alterthum Pompeji unmittelbar am Ufer des Meeres lag, ist dieses jetzt in Folge der durch den vulkanischen Ausbruch bewirkten Erhöhung des Bodens um eine bedeutende Strecke zurückgewichen. Schon der Bahnhof ist eine Viertelstunde vom Strande entfernt, und eben so lange Zeit braucht man noch, um von hier aus zu den mit Gebüsch bewachsenen Höhen zu gelangen, unterhalb deren die bis jetzt aufgedeckten Ruinen sich ausbreiten. Die Kruste, welche man hinwegräumen mußte, um zu diesen zu gelangen, und welche noch 2/3 der Stadt birgt, besteht aus abwechselnden Lagen von feiner schwärzlicher Asche und Bimstein und hat eine Dicke von ziemlich zehn Ellen. Die Grabungen wurden nur in den ersten Jahren nach der Entdeckung, und dann unter der Herrschaft Murat’s mit Eifer betrieben; die jetzige Regierung läßt fast nur, wenn fürstliche oder sonstige hohe Personen zum Besuch anwesend sind, nach denen dann meist die in ihrer Gegenwart aufgedeckten Häuser benannt werden, graben: für alle anderen Besucher ist die Stelle, wo gegraben wird, unzugänglich,

Werfen wir nun, um ein Gesammtbild zu erhalten, von der Höhe an der Südseite einen Blick auf die unter uns liegende Stadt, so erblicken wir ein Netz von größentheils geraden, in rechtem Winkel einander durchkreuzenden Straßen, hier und da unterbrochen durch freie von Säulenhallen oder Mauern umgebene öffentliche Plätze. Schnell schweift der Blick über die meist kleinen, die Straßen zu beiden Seiten abschließenden Privathäuser, die jetzt öde mit ihren nackten Wänden, ohne Dach und Fach, wie ausgebrannt dastehen: aber hier und da bleibt er haften auf den ihrer Kronen beraubten Säulenstümpfen, die noch Zeugniß geben von der Herrlichkeit der Tempel, deren Dächer sie stützten, auf den Theatern, deren steinerne Sitzreihen leer und an vielen Stellen ausgebrochen, sich über einander erheben, endlich auf den doppelten, einen Erdwall einschließenden Ringmauern, die nach griechischer Weise aus großen Bruchsteinen ohne Mörtel erbaut, aber schon im Alterthume vielfach mit Mauerwerk aus kleinern, durch Mörtel verbundenen Steinen ausgebessert, durch Brustwehren und Thürme vertheidigt, die Stadt an allen Seiten, mit Ausnahme der Südseite, auf der wir stehen, umschließen, und in ihrer ganzen Ausdehnung offen gelegt sind, während noch der größere Theil der von ihnen umschlossenen Gebäude unter Weingärten und Maulbeerpflanzungen versteckt liegt.

Steigen wir nun von unserm Standpunkte auf einem Hügel der Südwestseite in die Stadt hinab, so durchwandeln wir zuerst eine breite, aber nicht lange Straße, die, wie alle Straßen der Stadt, mit großen, vieleckig behauenen Lavaplatten gepflastert, zu beiden Seiten mit Rinnsteinen und erhöhten Trottoirs für die Fußgänger versehen ist. Zu unserer Rechten treffen wir, nachdem wir an einigen kleineren Gebäuden vorüber geeilt sind, die lange Seitenmauer eines großen Gebäudes; eine Thür in derselben ladet uns ein„ das Innere zu betreten. Wir befinden uns in einem weiten, an drei Seiten von Mauern umgebenen, an der Vorderseite in fünf nur durch Säulen getrennten Zugängen geöffneten Raume, dessen Inneres durch vier Reihen von gewaltigen Säulen, die mit den drei Wänden und den Säulen der offenen Vorderseite parallel laufen, in drei Schiffe getheilt ist. An die beiden langen

[12]

Vogelansicht von Pompeji.

[14] Wände lehnen sich Halbsäulen von geringerm Umfang, an der Rückwand erhebt sich ein erhöhter Platz mit sechs Säulen, die einst das ihn schirmende Dach trugen. Kurz, wir sind in dem Raume, wo öffentlich und vor allem Volk Gericht gehalten wurde im Alterthume, in der sogenannten Basilika. Auf dem erhöhten Sitze saß der Richter, vor ihm standen Kläger und Verklagter, in den geräumigen drei Schiffen, geschützt vor der Sonnenglut des Sommers, wie vor den Regengüssen des Winters, die Menge des Volkes, vor deren Augen und Ohren die Rechtspflege geübt ward, öffentlich und mündlich. Aber jetzt ist das Dach eingestürzt, das Marmorpflaster des Fußbodens zerbrochen, von den Säulen stehen nur noch Stümpfe gleich den Knorren gefällter Eichen; tiefe Stille liegt über dem öden Raume, und nur Inschriften flüchtig eingeritzt in die mit farbigem Stuck überzogenen Wände sprechen in todter Sprache verständlich zu dem kundigen Beschauer.

Treten wir durch die offene Vorderseite heraus, so bietet sich unsern Blicken ein prächtiges Schauspiel dar: denn vor uns liegt ein weiter, regelmäßiger Platz in Gestalt eines länglichen Vierecks, rings umgeben mit Trümmern von Säulen, die einst bedeckte Säulengänge bildeten, hinter welchen sich großartige öffentliche Gebäude und Tempel erhoben, die auch in ihren Ruinen noch unsere Bewunderung erregen. Hier und da erblicken wir zahlreiche Fußgestelle, auf welchen einst Statuen der Götter oder von der Nachwelt geehrter Menschen standen, die jetzt entweder zertrümmert oder nach Neapel fortgeschafft sind, um dort in den Räumen des reichen bourbonischen Museums dem Kunstfreunde Genuß und Belehrung zu gewähren. Dieser Platz ist das Forum, d. h. der Marktplatz, der Mittelpunkt alles bürgerlichen und geschäftlichen Lebens und Treibens der alten Stadt. In den ihn umgebenden Säulengängen brachten die Bürger den größten Theil des Tages geschäftig oder lustwandelnd zu. Vor Allem zieht ein Gebäude unsere Aufmerksamkeit auf sich, das sich an der Nordseite des Platzes auf hohem Unterbau, zu dem eine breite, durch eine Plattform in der Mitte unterbrochene Treppe emporführt, erhebt. Es ist ein Tempel, geweiht dem höchsten Gotte des Alterthums, dem Jupiter. Steigen wir die Treppe hinauf, so fesseln uns weniger die Ruinen des Tempels, von dem nur noch Säulenreste und die mit bunten Farben geschmackvoll bemalten Wände des innern Gemachs, in dem einst die Bildsäule des Gottes sich den Blicken der gläubigen Menge zeigte, erhalten sind, als der Ueberblick, den wir von diesem hohen Standpunkte aus, wie über die Ruinen der Stadt überhaupt, so namentlich über die bedeutenden, den Marktplatz umgebenden Gebäude haben.

Was ist das zu unserer Rechten für ein weiter, von Mauern, hinter denen sich Säulen, zum Theil noch in ihrer ganzen Höhe und mit dem Schmucke des Kapitäls (Säulenknaufes) prangend, erheben, umschlossener Raum, in dessen Mitte ein hoher Unterbau mit Freitreppe, vor der ein Altar sieht, noch Reste eines von Säulen gestützten Baues zeigt? Auch dies war ein Tempel, geweiht, wie es scheint, der Göttin der Liebe und Anmuth, der Venus. Daß auch das Haus der Göttin anmuthig war, davon zeugen noch die zierlichen Malereien, die seine Wände schmücken.

Nachdem wir die den Marktplatz umgebenden Gebäude überschaut, lassen wir unsern Blick etwas weiter über die Ruinen schweifen. Da fesseln ihn zwei Bauwerke in Hufeisenform, die zu unserer Linken ziemlich am Ende des aufgegrabenen Theiles der Stadt liegen, und unsere Neugierde treibt uns eilig, herabzusteigen, und nachdem wir den Marktplatz überschritten in örtlicher Richtung auf jene Gebäude, in denen wir schon Theater ahnen, zuzugehen. Wir schreiten rasch durch mehrere Straßen zwischen Privathäusern, meist mit Kaufläden im Erdgeschoß, hindurch und über einen dreieckigen, von Mauern umschlossenen Platz, in dessen Mitte auf einer in fünf langen Stufen gegliederten Terrasse zwei kolossale Säulenstümpfe uns entgegenstarren, hinweg, und treten von dem Hügel, an den sich die halbkreisförmigen, über einander sich erhebenden Sitzreihen für die Zuschauer anlehnen, ein in den obersten Rang, das Paradies des Theaters von Pompeji, den ein gewölbter Gang von dem mittleren für die Bürgerschaft bestimmten Range, der bei Weitem die meiste Anzahl von Sitzreihen enthält, sondert. Ein anderer Gang scheidet wieder von diesen den untersten, aber vornehmsten Rang, der die Ehrenplätze für die Beamten und vornehmsten Bürger enthielt. Ein großer Theil der steinernen Sitzstufen, namentlich aus den obern Reihen fehlt jetzt; doch läßt sich aus den erhaltenen noch mit Sicherheit berechnen, daß die drei Ränge zusammen Sitze für etwa 5000 Zuschauer enthielten. Vor den Enden des durch die Sitzreihen gebildeten Hufeisens zieht sich ein langer, schmaler Streifen hin, die Bühne, auf welcher die Schauspieler, deren das Alterthum nie eine so große Anzahl verwendete, wie unsere neuern Theaterstücke, auftraten. Dahinter erblicken wir noch Reste von Steinbauten, die den Hintergrund der Bühne und bei den meisten Stücken zugleich die Hauptdecoration bildeten. Dazu kamen dann noch einige einfache auf drehbare Hölzer gemalte Seitendecorationen. Die Decoration der Decke aber bildete der herrliche Himmel Unteritaliens selbst mit seinem reinen Blau; denn die Schauspiele des Alterthums wurden nicht in bedeckten, erstickenden Räumen und beim trügerischen Lichte der Lampen, sondern im Glanze der Sonne und unter dem freien Himmel aufgeführt; die Sitze der Zuschauer, die man bei den Römern mit Segeltüchern zum Schutze vor der Sonnenglut zu überspannen pflegte, waren, wie wir es hier in Pompeji sehen, wenn es irgend möglich war, so angelegt, daß sie den Sitzenden die freie Aussicht auf das Meer, diese ewig wandelbare und ewig neue Schaubühne der Natur, und den Genuß des im Süden unendlich wohlthätigen kühlenden Seewinde gestatteten.

Unmittelbar neben dem eben betrachteten Theater liegt ein zweites, ringsum von hohen Mauern im Viereck umschlossenes Theater, das, obgleich weit kleiner, doch unsern Augen einen gefälligern Anblick gewährt als das vorige; denn die in zwei Ränge getrennten Marmorsitze der Zuschauer, 1500 an der Zahl, liegen noch alle in unverrückbarer Festigkeit an ihrer Stelle und scheinen jeden Augenblick zu erwarten, daß die Zuschauer eintreffen und auf ihnen Platz nehmen werden. In der That ein prächtiger Anblick, diese wie Marmorgürtel hinter einander aufsteigenden Sitzreihen, die beinahe zwei Jahrtausende überdauert haben und mindestens eine noch ebenso lange Dauer versprechen, und die, wenn auch nicht so bequem wie die sammetgepolsterten Sperrsitze unserer Theater, doch noch der späten Nachwelt Zeugniß geben von der Kraft und Tüchtigkeit des Volkes, das von ihnen herab den Worten und Gesängen seiner Dichter – denn Dichter und Componist waren im Alterthum, wie auch noch im Mittelalter, immer eine Person – lauschte.

Hinter der Bühne des großen Theaters sehen wir einen sehr geräumigen, von theilweise noch wohl erhaltenen Säulen, die einst bedeckte Gänge bildeten, umgebenen Hof; hinter diesen Gängen laufen ringsumher zweistöckige Gebäude, deren obere durch die Verschüttung zerstörte Stockwerke in der neuesten Zeit wieder hergestellt und wohnlich gemacht worden sind. Diese Gebäude sind in eine Menge kleiner zellenartiger Gemächer getheilt, die im Alterthume die Gladiatoren beherbergten, d. h. Menschen, die öffentlich zur Belustigung des Volkes unter einander mit allerhand Waffen kämpfen mußten, bis einer todt oder doch kampfunfähig auf dem Platze blieb. Oft stellte man auch wilde Thiere ihnen als Gegner zum Kampfe gegenüber. Begeben wir uns nach flüchtiger Durchmusterung der Gemächer dieser „verthierten Söldlinge" nach dem Schauplatze jener grauenvollen Kampfspiele, deren Nachklänge wir noch in den Stiergefechten Spaniens und des südlichen Frankreichs zu erkennen haben. Es ist dies das im südöstlichsten Winkel der alten Stadt gelegene Amphitheater, bis zu welchem wir eine gute Viertelstunde weit über die noch unter der Erd- und Aschendecke schlummernden Theile der Stadt hinwegschreiten müssen. Dieses Gebäude ist unter allen Denkmälern Pompeji’s am Besten erhalten und macht, besonders wenn man im Innern unten auf dem Kampfplatze stehend an den Reihen der rings umher noch in ungestörter Fügung über einander hinlaufenden Sitzstufen emporschaut, einen großartigen Eindruck. Die Form des Ganzen, so wie auch des von den Sitzreihen der Zuschauer umgürteten und tiefer als diese liegenden Kampfplatzes ist die eines länglichen Kreises, die man mit dem mathematischen Ausdrucke eine Ellipse nennt; an den beiden Enden der großen Axe derselben befindet sich je ein breiter Zugang zum Kampfplatze. Betrachtet man das Gebäude von außen, so sieht man rings umher zwei Reihen übereinander sich erhebender Bogen, innerhalb deren gewölbte Gänge hinter den Sitzreihen umherlaufen. Auf diesen Wölbungen ruhen die steinernen Sitzstufen, die recht wohl Raum für 15,000 Zuschauer darbieten. Offenbar strömten, wenn solche Kampfspiele Statt fanden, nicht blos die Bewohner der Stadt, sondern auch der Umgegend von weit und breit zusammen, um sich an dem blutigen, aber als Modesache mit unglaublicher Leidenschaft begehrten Schauspiele [15] des gegenseitigen Mordens gemeiner Menschen und edler Thiere zu ergötzen.

Selbst auf die Gefahr hin, meine Leser durch unsere allzu lange Wanderung zu ermüden, muß ich sie doch noch bitten, mir vom Amphitheater ans außerhalb der Stadtmauern über mit Buschwerk und Maulbeerbäumen bewachsene Höhen nach der entgegengesetzten, nordwestlichen Ecke der Stadt zu folgen. Wir betreten hier eine außerhalb der Stadt gelegene Straße, die man wegen der vielen an ihren beiden Seiten errichteten Grabmäler die Gräberstraße genannt hat. Es war nämlich eine schöne Sitte des Alterthums, besonders der alten Römer, ihre Todten an den Heerstraßen zu bestatten, damit jeder vorübergehende Wanderer auf dem Denkmale den Namen des Verstorbenen lesen und ihm ein frommes „Ruhe sanft“ zurufen möge. Zwischen diesen Grabmälern, unter denen wir auch die Ruinen zweier einstmals zierlich eingerichteter und mit Malereien geschmückter Landhäuser und einiger andern Gebäude bemerken, gelangen wir zum Stadtthore, das, in seinen obern Theilen verfallen, uns einen Haupteingang, dessen Breite fast der der Straße gleichkommt, und zu beiden Seiten desselben zwei überwölbte, auf die Trottoirs der Straße führende Pförtchen zeigt. Das Ganze ist aus kleinen mit Mörtel verbundenen Steinen erbaut und mit feiner Tünche überzogen. Wir treten wieder ein in die Stadt und wandern zwischen den Ruinen unbedeutender Häuser, unter denen mehrere sich noch deutlich als Schenken und Wirthshäuser zu erkennen geben, hindurch nach einem einzeln stehenden Bogen, der den Eingang zu einer der breitesten Straßen der Stadt, welche nach der Nordseite des Marktplatzes hinführt, bildet. In dieser Straße zieht ein ausgedehntes, an seinen vier Seiten von vier Straßen begrenztes Gebäude unsere Aufmerksamkeit auf sich, das außer einer Anzahl nach den Straßen herausgehender Gemächer, die zu Kaufläden dienten, eine für eine alte Stadt eben so wie für die orientalischen Städte der Gegenwart ganz unentbehrliche Anlage enthält; ich meine die öffentlichen Bäder, die im Alterthume außer ihrer eigentlichen Bestimmung zugleich die Stelle unserer Kaffeehäuser und Kasinos vertraten. Ziemlich in der Mitte des Ganzen findet sich ein offener, zu Spaziergängen bestimmter Hof, an welchen sich dann eine Anzahl Gemächer anschließen, die mit Wölbungen verschiedener Art überdeckt, an den Wänden mit mehr oder weniger zierlichen Gemälden und erhabenen Arbeiten (Reliefs) in Stuck verziert, den verschiedenen Zwecken geselliger Unterhaltung, des Auskleidens und des Badens in kaltem und warmem Wasser dienten. In dem für das kalte Bad bestimmten Zimmer ist ein großes Bassin von weißem Marmor, in welches man auf zwei Stufen hinabsteigt, angebracht. Zu den warmen Bädern diente eine viereckige, ebenfalls aus weißem Marmor gefertigte Wanne. Alle diese Räumlichkeiten, neben denen man auch noch die Vorrichtungen zur Heizung bemerkt, waren für die Männer bestimmt; hinter ihnen befinden sich ganz ähnliche, aber etwas kleinere Gemächer zum Gebrauche der Frauen.

Doch wir sind des langen Umherwanderns und des vielen Schauens müde, und würden gern zu unserer Erquickung selbst in die viereckige Wanne steigen, wäre nicht das Wasser versiegt und das Feuer erloschen. Es bleibt uns also nichts übrig, als schleunig nach dem Wirthshause an der Eisenbahn zurückzukehren, und uns dort bis zur Ankunft des Zuges von Nocera, der uns nach Neapel zurückführen wird, in anderer Weise zu restauriren.



  1. Wir haben diese schöne Vogelansicht von Pompeji mit Erlaubniß des Verlegers dem Prachtwerke von Overbeck: „Pompeji in seinen Gebäuden, Alterthümern und Kunstwerken“ entnommen, auf das wir unsere Leser, so wie alle Kunstfreunde überhaupt hiermit aufmerksam machen. Es ist das Ausführlichste und durch seine schönen Illustrationen auch das Instruktivste, was noch über Pompeji erschienen.
    D. Red.