Eine zahme Robinsonade

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Autor: M. E. Plankenau
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Titel: Eine zahme Robinsonade.
Aus meinem Tagebuche
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 835–838
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Über das Auflaufen eines Handelsschoners auf ein Korallenriff in den Bahamas, das kurzzeitige Leben auf einem nahen Eiland und die Hilfe von sogenannten „Wreckers“
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Eine Robinsonade auf dem Korallenriff.
Nach einer Skizze von M. E. Plankenau.

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Eine zahme Robinsonade.

Aus meinem Tagebuche, von M. E. Plankenau.

(Mit Abbildung.)


Am 23. Mai 1867 verließen wir mit unserm Schooner „Ricardo“ den Hafen von New-York und segelten wohlgemuth nach dem sonnigen Süden. Unser Ziel war Baracoa, am Ostende der Insel Cuba gelegen, wo wir eine Ladung der vielbegehrten Tropenfrüchte für New-York einnehmen wollten.

Den treuen Lesern der Gartenlaube ist unser kleines Fahrzeug schon bekannt; es ist dasselbe, in dem ich jenen furchtbaren Hurricane erleben sollte, den ich schon im Jahrgange 1870, Seite 153, geschildert habe. Am Bord befand sich fast die nämliche Bemannung; der alte Capitain führte das Schiff, und sein treuester Begleiter, der riesige Neufundländer Hund, von dem er stets behauptete, daß er jeden Curs genau kenne, war ebenfalls anwesend; nur eine Persönlichkeit war überzählig und doch der Liebling Aller: Mary, des alten Graukopfs jüngstes Töchterlein, ein blondköpfiger Backfisch und ein Wildfang von reinstem Wasser. Die hellen Röckchen derselben waren überall im Schiffe zu sehen, und an Mary lag es sicherlich nicht, wenn sie noch nicht hoch oben auf den Masten geflattert hatten; das aber erlaubte „Pa“ nicht, trotz der inständigsten Bitten, und Mary mußte sich begnügen, auf dem Bollwerke sitzend, sehnsüchtig nach der luftigen Höhe unserer Mastbäume oder in die Ferne zu schauen und mit den Häckchen gegen die Planken zu trommeln.

Um die Kette der Bahama-Inseln zu passiren, hatten wir den Caicos-Canal gewählt, in dessen Mitte, zwischen den Inseln Acklin und Inagua, sich ein gefährliches Hinderniß befand, ein Korallenbau, das Hogsty-Riff. Am Abend des 4. Juni mußten wir ganz in der Nähe desselben sein und hielten doppelt scharfe Wacht, während unser Schooner, vor einer günstigen Ostbrise leicht zur Seite geneigt, mit gleichmäßigem Rauschen die Fluth durchschnitt. Es war stockfinster geworden, und ein leichter Dunst ließ uns zuweilen kaum eine Schiffslänge weit irgend Etwas erkennen; dennoch hielten wir die Gefahr nicht für groß, da bis unmittelbar zum Riffe für uns genügende Wassertiefe vorhanden war und wir bei so günstigem Winde, sobald das weiße Wasser der Brandung durch die Nacht leuchtete, unsern Schooner sofort umlegen und das Hinderniß umsegeln konnten.

Der Capitain war selbst nach vorn gegangen; nach einem letzten Rundblicke und einem scharfen Hinausforschen in die Dunkelheit wandte er sich eben zurück, als plötzlich gerade unter uns ein kurzes dumpfes Rumpeln das ganze Fahrzeug erbeben machte. Einen Moment standen wir wie gelähmt – selbst der Unerfahrene begreift sofort die volle Bedeutung dieses Geräusches – dann sprangen wir instinctiv nach dem Tauwerk der Segel. Umwenden war unsere einzige Rettung; aber ehe noch der vorwärtsschießende Schooner dem Drucke des Steuers gehorchen konnte, ertönte schon das ominöse Rumpeln von Neuem; ein langer Wellenkamm hob uns empor, trug uns eine Strecke vorwärts und setzte, sich in glänzenden Schaummassen überrollend, den Schooner so unsanft auf festen Boden nieder, daß wir fast Alle das Deck maßen. Der vordere Topmast brach mit lautem Krachen und kam mit seinem Tauwerk prasselnd von oben; schwerfällig fiel das Fahrzeug zur Seite: wir saßen fest, mitten auf dem Hogsty-Riff.

Der plötzliche, jede weitere Bewegung hemmende Stoß hatte endlich auch Mary aus dem festen Schlummer glücklicher Jugend erweckt, und weiß wie eine Schneeflocke wirbelte sie an Deck und zu ihrem „Pa“. Ein Blick gab ihr die Gewißheit, daß wir gescheitert waren, aber zu hoch und trocken zum Ertrinken lagen; ein zweiter gab ihr die für eine angehende Dame noch schrecklichere Gewißheit, daß sie sich in einer überaus tropischen Nachtkleidung befinde, und schnell und stumm, wie sie gekommen, flog sie wieder davon und tauchte in die Kajüte hinab. – Nachmals habe ich mit der lieben jungen Freundin noch oft recht herzlich über dies kleine Intermezzo gelacht, von dem sie immer schelmisch behauptete, es sei ein Traum überreizter Phantasie gewesen; denn in so stockfinsterer Nacht lasse sich überhaupt nichts sehen, nicht einmal die mächtige Brandung, viel weniger ein kleines Mädchen. Dieser Vorwurf mußte immer treffen, denn es war und ist unbegreiflich, daß wir nicht eher „weißes Wasser“ sahen, als bis das Schiff mitten drin war.

Besonders gefährlich war unsere Situation vorläufig keineswegs, wir hatten weder Sturm, noch schwere See; zuweilen nur hob sich eine lange Welle an der Außenseite des Riffes und rollte schäumend und rauschend über dasselbe hinweg, unsern Schooner rüttelnd und schaukelnd, oder auch einige Fuß weiterschiebend. Ohne weiteres Zögern machten mir uns nun während der Nacht daran, das Cargo über Bord zu werfen, um unser Fahrzeug möglichst zu erleichtern.

Als der Tag graute, war unser Werk kaum halb gethan, erschöpft hielten wir inne, um zu rasten und Umschau zu halten. Etwa hundert Schritt westlich von uns lag eine kleine Insel mit einem räthselhaften verfallenen Gemäuer; sie war vollständig öde, nur Tausende von Seevögeln umschwärmten ihren gemeinschaftlichen Ruheplatz. Wir hatten einen sogenannten Key vor uns, ein Inselchen, welches den Abschluß auf dieser Seite des Korallenriffes bildete. Dieses selbst erstreckte sich in einer zwischen vielleicht zweihundert und fünfhundert Fuß schwankenden Breite und an vielen Stellen kaum vom Wasser bedeckt in weitem Bogen nach Osten, dann nach Süden und krümmte sich endlich wieder nach Westen, wo in weiter Ferne ein zweiter Key das Ende des hufeisenförmigen Riffes bezeichnete. Innerhalb desselben befand sich eine ruhige Lagune, in welcher nur hier und da die Farbe des Wassers eine Untiefe verrieth und welche nach Westen hin, zwischen den beiden Inseln hindurch, eine bequeme und sichere Aus- und Einfahrt hat. Im Uebrigen war nichts zu sehen als Himmel und Wasser.

Der Schooner lag mitten auf dem hier kaum dreihundert Fuß breiten, fast ebenen compacten Felsen an der nördlichen Biegung des Walles und während der Ebbe in durchschnittlich zwei Fuß Wassertiefe. Auf improvisirter Leiter konnten wir über Bord steigen und bequem das ganze Fahrzeug umwaten; es hatte nirgends schlimme Beschädigungen erlitten, nur das Ruder war angesprungen und aus seiner unteren Befestigung gelöst, ebenso ein Theil der Kupferung vom Schiffsbauche abgerissen. Nach kurzer Orientirung fuhr der Capitain mit einem Theil der Leute im Boote nach der nahen Insel, und wir dehnten, in dem klaren warmen Wasser umherwatend, unsere Untersuchungen indessen auf größere Strecken des Riffes aus und zwar zum Nachtheil unserer Fußbekleidung, der von dem scharfkantigen Gestein übel mitgespielt wurde.

Mary, welche mit dem Hunde allein an Bord geblieben war, nahm sich unterdessen die, wie ihr dünkte, durch die Verhältnisse gerechtfertigte Freiheit, flink wie ein Eichhörnchen in den Wanten der sehr schräg liegenden Masten emporzuklettern – natürlich nur in der liebenswürdigen Absicht, uns vor sich etwa nahenden Haifischen zu warnen. Leider hatte sie den Spruch nicht beachtet: Bedenke das Ende! Als es Zeit wurde, wieder herabzusteigen, war dies leichter gedacht als gethan. Die Höhe erschien ihr auf einmal ganz ungeheuer, und wenn das Aufsteigen auch den Reiz der Neuheit hatte, das Niedersteigen auf schmaler schwankender Strickleiter und mit den so hinderlichen Röckchen schien doch gar zu schwierig; so saß sie denn rathlos oben auf den Kreuzhölzern, die sich lange schon wundern mochten ob des seltenen Besuches. Es war eine verzweifelte Situation für die arme Mary und sie fühlte sich immer unbehaglicher in ihrer selbstverschuldeten Gefangenschaft; endlich blieb nichts Anderes übrig, als den Wildfang herabzuholen – und sie hielt mich merkwürdig fest umschlungen während der Niederfahrt. Der anlangende „Pa“ durfte sich wohl mit der Versicherung begnügen, daß sein unternehmendes Töchterchen zum ersten und letzten Male einen Mast bestiegen habe. –

Die Insel war vortrefflich geeignet, uns als Stapelplatz für die noch vorhandene Ladung zu dienen; in dem ruhigen flachen Wasser war die Ueberführung letzterer, welche zum größten Theil aus Bauholz bestand, nicht schwierig. Konnten wir den Schooner nach seiner Erleichterung nicht wieder flott machen, so blieb [837] nichts übrig, als im Boote nach der Insel Inagua zu segeln und von dort Hülfe zu holen.

Am folgenden Tage war der Rest der Ladung auf dem Eiland geborgen und wir begannen uns dort häuslich einzurichten. Unser kleines Reich umfaßte nur wenige Acker Land. Von einem flachen sandigen Strande, welcher nach Westen sich ungefähr zweihundert Schritte weit als eine schmale niedrige Sandzunge fortsetzte, erhob sich ein kleines länglich rundes Plateau, dessen ebene Oberfläche vielleicht zehn Fuß über Fluthmarke lag und spärlich mit Gras und niedrigem Gestrüpp bewachsen war; nur zwei dünne, kaum mannshohe Cedern bemühten sich auf diesem Sandhaufen einen Wald darzustellen. Das schon erwähnte Gemäuer erwies sich als ein niedriger, massiv aus Korallengestein aufgemauerter halbverfallener Thurm, von dessen ehemals wahrscheinlich trichterförmig vertiefter Zinne eine noch vorhandene enge Durchlaßöffnung das aufgefangene Regenwasser nach einer dicht daneben befindlichen sauber ausgemauerten Cisterne geleitet hatte. Durch einen Hurricane war das gesammte Bauwerk wahrscheinlich zertrümmert, die Cisterne in Folge dessen längst überflüssig. Auch Spuren von früheren Schiffbrüchigen fanden wir: einen Feuerheerd, Stücke von eisernen Faßreifen, ein verrostetes Messer, zerbrochene Thonpfeifen, Fetzen von Segeltuch und am Westende des Plateaus drei einsame Gräber. Ein Theil der Thurmtrümmer war an diesem in Form einer rohen Mauer aufgebaut und mochte Unglücklicheren, als wir waren, einen kümmerlichen Schutz gewährt haben. Uns wurde es nicht schwer, mit dem prächtigen Baumaterial, welches wir gerettet hatten, eine geräumige Hütte zu errichten und sie ganz behaglich auszustatten; ehe noch die Sonne zu Rüste ging, waren wir eingezogen. Während nun unser Abendessen am Feuer brodelte, schauten wir nach Neuigkeiten aus. Eine Menge schöner, wenn auch vielfach beschädigter Muscheln, Seeigelskelete, Schwämme, Seesterne von allen Formen und die Reste anderer wunderbarer Meeresbewohner waren überall am Strande von den Wellen ausgeworfen und wir halfen Mary eifrig beim Einsammeln derselben, immer neue und schönere Exemplare entdeckend. Auf der westlichen Sandbank waren große Massen von jenem schwimmenden Meerkraut, dem Sargasso, aufgehäuft, welches oft Wiesen von ungeheurer Ausdehnung bildet und mit den Strömungen fast alle Meere durchwandert – gleichsam als der ewige Jude der Pflanzenwelt.

Die erwähnte Landzunge schien auch der Schlafplatz für eine Unzahl von Seevögeln zu sein, welche sich allmählich einstellten und uns in dichten Schwärmen umkreisten. Ein Paar riesige Fregattvögel segelten, in stolzer Ruhe ihre mächtigen Schwingen breitend, hoch über der uns umwirbelnden Sippschaft; einen reizenden Gegensatz hierzu bildete eine wunderschöne zierliche Seeschwalbe, perlgrau mit schwarzem Köpfchen, welche so zutraulich war, daß sie unermüdlich von einem zum andern flatterte, eine Zeit lang über unseren Köpfen schwebend uns mit neugierigen klugen Augen musterte und dann mit leisem „Schirp! Schirp!“ wieder davon flog. – Nach und nach zogen die lärmenden Vogelschaaren ab; sie mochten wohl eingesehen haben, daß für sie und uns die Insel zu klein sei, und so durften wir auf eine ungestörte Nachtruhe hoffen.

Leider aber sollten wir das Thierleben unseres Asyles in noch viel unangenehmerer Weise kennen lernen, denn es gab auch noch Bewohner, die, selbst wenn sie Flügel gehabt hätten, uns schwerlich das Feld geräumt haben würden. Wohl hatten wir am Tage schon eine Menge der originellen Einsiedlerkrebse gesehen und waren genöthigt gewesen unsere Provisionen vor ihren beharrlichen Angriffen in Sicherheit zu bringen; auch die spinnengleichen Laufkrabben hatten wir in großer Anzahl vorgefunden – was aber nun folgen sollte, überstieg alle Begriffe.

Während die Schatten der Nacht sich um uns ausbreiteten, verzehrten wir gemüthlich unser Abendbrod. Mary, welche etwas aus der Hütte holen wollte, sprang in fliehender Eile wieder heraus, sich mit einem Satz auf ein Faß rettend vor den „ekelhaften Dingern“. Die Laterne zeigte uns bald die schöne Bescheerung. Die ganze Hütte wimmelte von Einsiedlerkrebsen und Laufkrabben, welche ganz ungestört ihren Einmarsch gehalten hatten; unsere Lagerstätten, Kleidungsstücke und sonstigen Utensilien waren mit den Eindringlingen bedeckt. Und immer neue Schaaren rückten heran, die ganze Insel war lebendig; in kleinen und großen Abtheilungen, wie Soldaten marschirten sie mühsam durch den weichen Sand, über Stock und Stein, langsam aber sicher vorwärtskommend: ein Heer von Gewappneten, von denen jeder mit seinem weichen Hinterleibe in einer irgendwo aufgelesenen ihm passenden Muschel saß, welche er gewissenhaft überall mit sich herumschleppte und in welche er sich bei drohender Gefahr auch mit dem gepanzerten Vorderleibe sofort zurückzog und die Oeffnung mit der einen großen querüber gelegten Scheere verschloß. Sie kamen vom Thurm, von umherliegenden Trümmern, sogar vom Ende der Insel nach unserem Lager in zahlloser Menge mit ihren Muscheln von Wallnuß- bis fast zur Faustgröße; über sie hinweg, neben ihnen vorüber rasselten wie leichte Cavallerie Hunderte von flinken Laufkrabben mit ihrer urkomischen Seitwärtsbewegung; wir hatten vollauf zu thun uns der Plagegeister zu erwehren.

Der Eingang zur Hütte wurde unten durch vorgenagelte Bretter abgeschlossen und an Dach und Hinterwand ringsum Sand aufgeschüttet, dann erst befreiten wir das also abgesperrte Innere gründlich von den unangenehmen Nachtgästen. Als wir uns endlich zur Ruhe begeben konnten, hörten wir mit schadenfrohem Behagen, wie das unermüdliche Heer, nach Zugängen suchend, in dichten Massen auf den Dachwänden über uns herumkrabbelte, bis zum Giebel aufstieg und von dort zuweilen wie eine förmliche Krabbenlawine lustig wieder hinabkollerte.

Am nächsten Morgen erblickten wir einen großen englischen Dreimaster kaum zwei Meilen entfernt, welcher unter vollen Segeln nach Norden steuerte, ohne sich um uns zu kümmern. Doch waren wir recht wohl bemerkt worden, denn als das Fahrzeug eine Wendung machte, da ließ der schlaue Brite ein großes Stück Segeltuch über das Hintertheil hinabhängen, um den dort befindlichen Namen des Schiffes zu verdecken.

Während wir dem davonsegelnden Fahrzeuge nachschauten und sein Verhalten lebhaft erörterten, hatte sich auch der Koch zu uns gesellt und vergaß beim Zuhören ganz das angerichtete Frühstück. So wurde uns denn auch noch die Ueberraschung, unsere Plagegeister an diesem in voller Thätigkeit zu finden – wäre die Kaffeekanne nicht so unzugänglich gewesen, so hätten wir in ihr statt des aromatischen Trankes sicherlich verbrühte Krabben und eine entsprechende Bouillon gefunden.

Unser schwarzer Kochkünstler begann in seiner Verzweiflung einen tragikomischen Vernichtungskrieg gegen seine speciellen Feinde zu führen, bis endlich die kluge Mary vorschlug, dieselben in die so wie so unbrauchbare Cisterne zu werfen. Diese eignete sich vortrefflich zum Krabbenzwinger, da sie nach oben sich verjüngte und ihre glatten Wände unersteiglich schienen. Wir begannen denn auch sofort die Jagd auf unsere Peiniger; der Koch ersann sogar geistreiche Fallen, indem er allerlei Gefäße mit Ködern versah oder mit Speckschwarte ausrieb, dieselben an leicht zugänglichen Orten aufstellte und, wenn sie voller Krabben waren, in die Cisterne entleerte. So warfen wir dieselben scheffelweise hinab, ohne uns jedoch Ruhe zu verschaffen; zu zahllos war das Heer unserer Feinde – der freundliche Leser möge dies daraus schließen, daß in meinem Tagebuche regelmäßig die lakonische Bemerkung wiederkehrt: „Die Krabben fressen uns fast auf.“

Am nächsten Tage entdeckten wir wieder ein Segel, welches von Osten her sich uns näherte; wir erkannten bald einen winzigen Schooner, dessen ganzes Aussehen verrieth, daß er mit Wreckers besetzt war, welche uns ganz sicherlich Hülfe brachten. Diese berühmten Wreckers der westindischen Inseln sind kühne, verwegene Männer, welche mit dem untrüglichen Instinct vielerfahrener Seeleute im wildesten Sturm mit ihren kleinen Fahrzeugen hinauseilen nach gefährlichen Orten, um gestrandetes Gut zu bergen. Sie kennen ihre ganze Inselwelt genau, alle Canäle, Bänke, Riffe, und schweifen rastlos umher, dabei auch fischend, Schildkröten jagend, versunkene Schätze hebend, oder Kaufmannsgüter transportirend, und führen ein unglaublich wildes, gefahrvolles Abenteurerleben. Ihre eigentliche Heimath sind die Inselchen der Florida-Riffe.

Der kleine Schooner – die „Evelina“ von Nassau, Capitain Nilson – segelte, von kundiger Hand geführt, bis dicht an die Insel, warf Anker und sandte ein mit Farbigen besetztes Boot herüber, in welchem sich ein Weißer befand: das Ideal eines stahlharten Seemannes, von hünenartiger Gestalt, mit einem prächtigen, von schneeweißen Locken umflatterten Kopf und freundlichen [838] blauen Augen. Nach kurzer Begrüßung und einer Schilderung des Unglücksfalles fuhren wir zum Schooner. Das Resultat der Untersuchung war ein günstiges: wenn kein Sturm ausbräche, würden wir spätestens bei der nächsten Springfluth loskommen, er (der Capitain) wolle uns mit seiner Mannschaft helfen; wir hatten dafür zweitausend Dollars Gold zu zahlen.

Da der beste Weg vom Riff herunter nach der Lagune führte, war es zunächst geboten, unser Fahrzeug umzudrehen, da wir es rückwärts nicht wohl bewegen konnten. Es begann nun eine emsige Thätigkeit: Anker und Kabel wurden ausgebracht, mächtige Flaschenzüge herbeigeschafft und daran verankert, Stützen und Böcke zum Schieben und Heben an der einen Schiffsseite befestigt und endlich der gesammte Apparat bei günstigem Wasserstande in Thätigkeit gesetzt. Leider stieg die Fluth noch nicht hoch genug und wir konnten mit äußerster Anstrengung vorläufig nur sehr geringe Erfolge erzielen. Doch sollte uns bald ausreichende Hülfe werden. Von Westen näherten sich drei Segel, welche das erfahrene Auge des Capitains der „Evelina“ sogleich als Wreckers erkannte, bald tauchte auch im Süden ein viertes auf und am nächsten Morgen fanden sich noch zwei weitere Fahrzeuge ein. Die kleine Flotte ankerte dicht an der Insel; die Führer derselben einigten sich schnell über ihren Antheil am Rettungsgelde und waren nun mit ihrer ganzen zweckentsprechenden Ausrüstung und ungefähr sechszig Leuten bereit, das Werk zu fördern.

Während die Schaar unserer Hülfstruppen ihre umsichtigen Vorbereitungen traf, segelten wir in unserem Boote am Riffe entlang, um uns diesen wunderbaren Korallenbau näher anzusehen. Die Nachkommen der kleinen Baumeister, die vor Jahrtausenden schon ihr Werk begonnen hatten, waren namentlich an der Außenseite des Riffes noch in voller Thätigkeit. Es war ein seltener Genuß, in das krystallklare Wasser wie in einen Zaubergarten hinabzuschauen, während wir langsam dahinglitten: die vieltheiligen Korallenzweige schimmerten in wunderbar duftiger Farbenpracht, Seeanemonen leuchteten wie einzelne Blüthen herauf, große und kleine Fische, mit den lebhaftesten Farben gezeichnet und oft höchst seltsam geformt, schlüpften zwischen dem Gestein hin und her. Seefedern, Sterne, Igel, Walzen von allen Größen und Formen und viele andere unnennbare Gestalten, welche man kaum für Thiere halten konnte, trieben dort ihr Wesen; häßliche nackende Polypen hingen in Spalten und Löchern und ließen ihre langen Fangarme spielen, unzählige Muschelthiere bis zur Größe eines Kopfes klebten am Gestein, aber der schmutzige Ueberzug ihrer Gehäuse ließ die Schönheit derselben, wie wir sie in Sammlungen bewundern, kaum ahnen. Die meisten derselben ließen sich in der Tiefe schwer vom Felsen unterscheiden; nur den wohlgeübten Tauchern, welche wir von den Wreckers requirirten, hatten wir es zu danken, daß wir eine reiche Auswahl prächtiger und tadelloser Muscheln zum Andenken mit uns nehmen konnten.

Bei den umsichtig getroffenen Vorkehrungen und den vielen Kräften, die uns zu Gebote standen, wurde es uns nicht mehr schwer, den Schooner während der nächsten hohen Fluth vorsichtig in die richtige Lage zu bringen und Alles zum Ablauf vorzubereiten. Die Anker und Kabel waren von Neuem ausgelegt worden, und da am folgenden Tage sich auch noch eine frische Ostbrise erhob, rückten wir nun mit jeder Welle erfreulich vorwärts, obgleich das Fahrzeug zuweilen recht unsanft aufsetzte und bedenklich arbeitete. Nach einigen Stunden schon erreichte der Bug das genügend tiefe Wasser der Lagune, und jede herankommende Welle schob den Kiel weiter vom Riff herunter. Kühn geworden, setzten wir endlich das Vordersegel; wuchtig legte sich der Wind gegen die Fläche desselben, uns mit ganzer Kraft helfend, und plötzlich, als wieder eine neue große Welle über das Riff rollte, da dröhnte wieder das dumpfe Rumpeln, das uns vor neun Tagen so ominös in die Ohren geklungen war, von unten herauf, und unter Jubelgeschrei glitt der Schooner wie vom Stapel in’s tiefe Wasser und schaukelte sich bald ruhig vor seinem Anker.

Allerdings war das Gebäude ziemlich gelockert und wir mußten eifrig pumpen, um das eindringende Wasser zu bewältigen, bald aber schlossen sich die Fugen wieder zum größten Theil, und am nächsten Tage konnten wir uns wohlgemuth einschiffen. Die Wreckers brachten uns die noch vorhandene Ladung wieder im Raume unter und schafften uns sogar die in seichtem oder tiefem Wasser verstreut umherliegenden schweren Stücke wieder herbei, so daß wir schließlich fast die Hälfte unseres Cargos noch retteten.

Wir nahmen nun Abschied von unserer Insel. Auf der Höhe des Thurmes befestigten wir in toller Laune ein weithin sichtbares Brett, auf welchem mit Oelfarbe kurz und bündig die Umstände unseres Verweilens verzeichnet waren, und auf die Rückseite dieser Votivtafel schrieben wir, auf Mary’s besonderen Wunsch, mit riesengroßen Buchstaben: „Beware of crabs!“ (Hütet Euch vor Krabben!) Das gutherzige Mädchen hatte nämlich den Gedanken nicht ertragen können, daß die armen Krabben, die uns doch nicht mehr schaden konnten, wie die bekannten beiden Löwen, im Zwinger einander bis auf die erborgten und gestohlenen Muscheln auffressen sollten; sie hatte deshalb ein paar lange Bretter schräg in die Cisterne geschoben, an welchen die Gefangenen schon lustig emporkletterten und bald, wenn sie nämlich Erinnerungsvermögen besaßen, vergeblich nach unserer Fleisch- und Kartoffelschüssel suchen konnten.

Am nächsten Tage segelte unsere kleine Flotte nach der Insel Inagua, wo wir beim Consul im Hafenstädtchen Mathewtown unsere Geschäfte abwickelten und von den Wreckers im besten Einvernehmen schieden. Dann nahmen wir mit Hülfe einiger Handwerker die nothwendigsten Reparaturen vor und lagen endlich nach wenigen Tagen wohlbehalten im kleinen, aber wunderschönen Hafen von Baracoa, unserem Bestimmungsorte.