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Einer der Unversöhnlichen!

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Textdaten
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Autor: Th. W.
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Titel: Einer der Unversöhnlichen!
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 505–510
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Einer der Unversöhnlichen!

Im Haag bewegte sich am Morgen des 28. Juni vom sogenannten „plaats“ aus ein stattlicher Leichenzug nach einem der Friedhöfe der holländischen Residenzstadt; der Himmel war mit düsteren Wolken bedeckt und häufige Regenschauer ergossen sich mit nur kurzen Unterbrechungen über die Häupter der dem Zuge folgenden Menge. Es wurde ein Mann zu Grabe getragen, der mit dem edelsten Herzen und der reinsten Gesinnung für die erhabenste Idee, das Glück und die Freiheit seines Vaterlandes, gekämpft hat, dessen Leben eine ununterbrochene Kette von Täuschungen und schmerzlichen Entbehrungen bildete und der, ebenso wie jener [506] unbeugsame Römer Cato, bis zum letzten Athemzuge seinem Glauben und seiner Ueberzeugung treu, in fremdem Lande, fern vom schönen Vaterlande, die lebensmüden Augen schloß.

Es war Armand Barbès, dem viele aus Frankreich herübergekommene Republikaner und eine beträchtliche Anzahl der Haag’schen Bevölkerung die letzte Ehre erwiesen.

Im Frühjahr 1830 kam ein junger Mann zu Etienne Arago, der damals Director des Vaudeville war; derselbe war aus dem südlichen Frankreich gekommen und brachte einen Empfehlungsbrief eines Freundes an Arago mit, in welchem der letztere aufgefordert wurde, den Ueberbringer ebenso zu empfangen, wie den Schreiber des Briefes selbst.

„Wohlan mein Herr!“ sagte Arago. „Die Freunde meiner Freunde sind auch die meinigen. Sie kommen wohl nach Paris, um Paris und ohne Zweifel hauptsächlich unsere Theater zu sehen? Sie wünschen Zutritt in’s Vaudeville? ich werde dafür sorgen, daß Ihr Name noch diesen Abend in die Liste derer eingetragen wird, welche jederzeit freien Eintritt haben.“

„Bürger!“ sagte der junge Mann mit der unnachahmlichen Grazie des südlichen Accents, „ich bin nicht nach Paris gekommen, um Paris zu sehen. Ich bin jung; aber mein Name, mein Vermögen, mein Leben, das ist’s, was ich Ihnen bringe, und ich möchte dieses der Republik weihen!“

Er hat dieses Versprechen gehalten; der Preis war ein hoher: beinahe siebenzehn Jahre seines Lebens brachte er im Gefängnisse, sechszehn in der freiwilligen Verbannung zu!

Armand Barbès war auf der Insel Guadeloupe am 18. September 1809 geboren. Sein Vater war ein katholischer Geistlicher gewesen, hatte aber während der großen Revolution die Mönchskutte mit dem Secirmesser vertauscht, studirte Medicin, ging dann nach Guadeloupe, wo er sich durch seine ausgezeichnete Praxis ein bedeutendes Vermögen erwarb. Eine reizende Creolin, die er in einer schweren Krankheit behandelt, reichte ihm die Hand; so kehrte er im Beginn der zwanziger Jahre nach Frankreich zurück und kaufte sich ein kleines Gut, Fourtou, wo er der Erziehung seiner Kinder lebte.

Von diesen ging Armand nach Paris, um die Rechte zu studiren und schon im Jahre 1837 sehen wir ihn als Mitglied der geheimen Gesellschaft der Jahreszeiten und mit seinem Freund Bernard, der am 28. Juni mit gebrochener, von Thränen erstickter Stimme das letzte „Adieu, Barbès!“ ihm in’s Grab nachrief, stand er bald an der Spitze des geheimen Bundes, in welchem noch die unverfälschte Tradition der Principien von 1789 und 1793 fortlebte, dem die Republik als Ziel und höchstes Ideal vorschwebte, und der in der Erreichung dieses Zieles vor keinem Mittel zurückschrecken zu dürfen glaubte. Dem Erbtheil der romanischen Race gemäß, jener unerbittlichen, schnurgeraden, vor keinen Folgen zurückweichenden Logik, zog man auch hier die letzten Consequenzen der Revolution und ihrer Extravaganzen, und als Ideal schwebte hier der unglückliche Cajus Gracchus der französischen Revolution, Baboeuf, vor, jener überzeugungstreue und fanatische Schwärmer, der den Neubau der menschlichen Gesellschaft nur auf der Grundlage der Gütergemeinschaft für möglich und erfolgreich hielt.

Man hat es Barbès zum schwersten Vorwurf gemacht, daß er auf solche Abwege gerathen und die Realisirung der communistischen Ideen, an denen jede Republik scheitern muß, für möglich gehalten hat. Es ist wahr, er hat der Sache der Freiheit dadurch nur geschadet; aber er war kein gewöhnlicher Communist, und wenn die Propheten und Anhänger dieser Lehre sonst in erster Linie ihren Privateigennutz verfolgen und die communistischen Principien zu ihren Gunsten in Anwendung gebracht wissen wollen, so fand bei Barbès das gerade Gegentheil statt: er war bereit, sein Vermögen und seinen Besitz zu Gunsten des allgemeinen und gemeinschaftlichen Besitzes zu opfern; mit offenen Händen hat er zu Hause in Frankreich und in der Verbannung der Noth und der Armuth unter die Arme gegriffen. „Fourtou,“ sagte er, „ist mir ein lieber kleiner Winkel der Erde, auf dem ich erzogen worden bin und an den sich heute noch meine theuersten und lieblichsten Erinnerungen knüpfen. Es gehört – um mich des nichtsnutzigen Ausdrucks des gegenwärtigen Rechts zu bedienen – unserer Familie, und wir werden dasselbe so lange behalten, bis wir es nicht etwa hergeben, sondern nur der menschlichen Gesellschaft zurückerstatten!“ Barbès war Communist, sofern es sich um das Darbringen von Opfern, um das Geben, nicht um das Nehmen handelte. Ein Idealist in des Wortes edelster und bester Bedeutung hat er nie mit den wirklichen Verhältnissen des Lebens gerechnet; er setzte sich über sie hinweg, er sah die Welt vor sich, nicht wie sie war, sondern wie sie sein sollte. Dies war sein Fehler, sein Verbrechen, oder wenn man will, seine Tugend.

Die Welt kennt den Maiaufstand in Paris vom Jahre 1839. Die bleierne Ruhe der politischen Stumpfheit lag nicht nur über Frankreich, sondern über ganz Europa ausgebreitet, die letzten Zuckungen der Revolution von 1830 hatten dem regelmäßigen Pendelschlag eines sich eben nach seiner Bequemlichkeit einrichtenden bürgerlichen Lebens Platz gemacht, kein Mensch dachte an eine Revolution – als von einem der Pariser Quais aus eine bewaffnete Bande sich auf den vor der Conciergerie aufgestellten Posten warf, bald aber den heranrückenden Truppen weichen mußte. Barbès war der Anführer dieser improvisirten Revolution gewesen; er hatte die Franzosen reif für die republikanische Staatsform gehalten; ein großer Theil der Pariser Bevölkerung erfuhr aber erst am andern Morgen, was geschehen war! Verwundet und gefangen wurde er vor den Pairshof gestellt, wo er angeklagt wurde, den Lieutenant Drouineau, der factisch unter den Salven der Insurgenten überhaupt gefallen war, erschossen zu haben. Die Rede, die er vor seinen Richtern hielt, charakterisirt den Mann besser als Alles.

„Ich erhebe mich nicht,“ sagte Barbès, „um auf die Anklage zu antworten; ich werde überhaupt auf keine der an mich gestellten Fragen mehr antworten. Wäre außer mir Niemand angeklagt, so würde ich überhaupt das Wort gar nicht ergriffen haben, denn ich stehe ja nicht vor Richtern, an deren Gewissen ich appelliren kann, sondern vor Menschen, die über einen Feind und einen politischen Gegner zu Gericht sitzen. Der 12. Mai hat Ihnen eine große Menge Gefangener überantwortet und hinsichtlich dieser habe ich nur eine Pflicht zu erfüllen. So erkläre ich denn, daß keiner der Bürger, die mit mir am 12. Mai, Mittags um drei Uhr, den bewaffneten Angriff unternahmen, wußte, um was es sich eigentlich handelte. Sie waren vom Comité der ‚Gesellschaft der Jahreszeiten‘ zusammengerufen worden, ohne über das Motiv der Zusammenberufung unterrichtet zu sein; sie glaubten, daß es sich nur um eine Revue handeln würde; erst als sie sich auf dem Platze versammelt hatten, als sie mit Munition versorgt waren, – gab ich das Signal zum bewaffnete Angriff. Die gefangenen Bürger sind also nur die Opfer meiner Verführung; ich, ich allein bin der Schuldige; sie sind unschuldig! ich glaube, daß diese Erklärung Ihnen genügen wird. Noch einmal erkläre ich daher, daß ich das Haupt der Verschwörung war, daß ich den Kampf vorbereitet und begonnen habe, daß auf mir also allein die ganze Verantwortlichkeit liegt. Wenn ich ein Wort über die mir zur Last gelegte Beschuldigung, den Lieutenant Drouineau getödtet zu haben, verliere, so thue ich dies nicht, um mich Ihnen gegenüber zu vertheidigen, denn Sie sind ja meine politischen Gegner und haben mein Urtheil schon vorher gesprochen, sondern, damit mein Land es hört. Ich bin dieser That weder fähig, noch schuldig; hätte ich diesen Officier wirklich getödtet, so wäre es im offenen und ehrlichen Kampfe geschehen; ich bin kein Meuchelmörder, es ist dies eine niederträchtige Verleumdung, mit der man einen Soldaten der Demokratie vernichten will.“

Aus diesen Worten leuchtet in der That ein ungewöhnlicher Edelmuth hervor; Barbès nimmt alle Schuld auf sich, um das Leben und die Existenz seiner Genossen zu retten, und als ihn der Präsident des Gerichtshofes, Pasquier, auffordert, Rede und Antwort zu stehen, erwiderte er kalt: „Wenn der Indianer besiegt und gefangen ist, so schweigt er, und stumm bietet er seinem Feinde das Haupt zum Scalpiren hin.“ Erst nach Verlauf von vierundzwanzig Stunden fand Pasquier die richtige Antwort darauf, und in der folgenden Sitzung sagte er zu Barbès: „Sie haben sich allerdings wie ein echter Wilder benommen,“ worauf Barbès ihm die schneidenden Worte erwiderte: „Die Wilden sind nicht die, welche schweigen und sich scalpiren lassen, sondern die, welche scalpiren!“

Trotz des überwältigenden Eindruckes der Rede Barbès’, trotz der glänzenden Beredsamkeit seiner Vertheidiger, Emanuel Arago und Dupot, wurde Barbès zum Tode verurtheilt. Der Eindruck, den das Todesurtheil auf die Pariser Bevölkerung hervorbrachte, war ein geradezu erschütternder: es wiederholten sich die Scenen jener Tage, als der erste Consul den ruhmbedeckten General Moreau zum Tode verurtheilen ließ, als fünfzigtausend wie durch einen [507] Zauberschlag in Paris verbreitete Placate die Bevölkerung aufforderten, nicht zu dulden, daß der edelste Bürger Frankreichs ermordet werde. So auch hier. Wie auf ein gegebenes Zeichen schlossen sich alle Läden, dreitausend Studenten der Rechte und der Medicin zogen entblößten Hauptes auf die Place de Concorde, um Gnade für den Verurtheilten zu erbitten; Victor Hugo, die Gelegenheit einer Geburt und eines Todesfalles in der königlichen Familie ergreifend, sandte noch um Mitternacht dem Könige die herrlichen Verse:

„Par votre ange envolée ainsi qu’ une colombe!
Par ce royal enfant doux et faible roseau!
Grâce encore une fois! Grâce au nom de la tombe!
     Grâce au nom du berceau!“


(„Wie eine Taube floh Dein Engel Gott entgegen,
Ein Fürstenkind ruht zart und schwach im Arme Dir –
Ueb’ Gnade Du darum, Gnade! des Grabes wegen
 Und um der Wiege willen hier!“)


Der König, gerührt, ließ dem Dichter sagen: „Von mir hat er Gnade, ich muß sie nur noch von meinen Ministern bekommen.“ Es war dies freilich keine Kleinigkeit, denn diese, vor Allem der Marschall Soult, verlangten die Hinrichtung von Barbès; aber er setzte seinen Willen durch; Barbès wurde begnadigt zu – lebenslänglichem Gefängniß!

Es ist bekannt, daß Madame Roland, vom Revolutionstribunal zum Tode verurtheilt, um die Gunst bat, ihre letzten Gedanken am Fuße des Schaffotes niederschreiben zu dürfen. Man hat ihr diese Gunst versagt; aber Barbès sagt uns so beredt und schön, wie kein Anderer, was er in den Tagen gefühlt und empfunden, welche zwischen dem Urtheilsspruch und der unverhofften Begnadigung verflossen. Diese Schrift hat den Titel: „Zwei Tage zum Tode verurtheilt“; in einfacher, ungekünstelter, aber gerade deshalb den Stempel der Wahrheit an sich tragender Sprache berichtet er uns über die letzten nach seiner Berechnung ihm noch vergönnten Stunden. Wir können uns nicht versagen, unseren Lesern Einiges daraus mitzutheilen. Der edle Charakter Barbès’ erscheint in einem um so strahlenderen Lichte.

Am 12. Juli 1839 war das Urteil gefällt worden und den grausamen Bestimmungen des französischen Strafgesetzbuches gemäß wurde der Verurtheilte sofort in die Zwangsjacke gesteckt, Hosenträger, Halsbinde, Alles, womit man etwa einen Selbstmord begehen könnte, wurde ihm weggenommen: Barbès raucht ruhig seine Pfeife. „Ich empfand kein anderes Gefühl, als das einer leisen Erregung der Energie und eines gewissen Stolzes, daß ich dazu berufen war, für meine Sache zu sterben.“ Er denkt nach über das gewichtige ‚Vielleicht‘, er beginnt sich Vorstellungen zu machen über den Himmel, er steigt mit seinen Gedanken wieder zur Erde herab, und sie befinden sich wieder in ihrem heimischen Elemente, in der solidarischen Einheit und Gleichheit des menschlichen Geschlechtes. „Indessen lag ich ruhig in meinem Bette; noch wenige Augenblicke trennten mich vom Aufgang der Sonne, ein matter Schimmer zog sich an dem Stückchen Himmel, das ich vom Fenster meines Gefängnisses aus sah, hin; einer meiner Wächter, der vielleicht glaubte, daß ich schlafe, seufzte tief auf: ‚der Unglückliche,‘ sagte er zu seinem Cameraden, ‚er schläft! Hätte ihn doch die Kugel, die ihn verwundete, getödtet!‘

Ich ließ in meiner Erinnerung gerade die einzige Hinrichtung, der ich in meinem Leben beigewohnt, vorüberziehen, die blassen Züge des Verurtheilten, seine schlotternden Beine tauchten vor mir auf! Nein, tausendmal nein! Dieser Tod, dem ich jetzt entgegengehe, ist der Sache, der ich diene, viel nützlicher! – – Der Tag bricht an. Jeden Augenblick gewärtig, vom Henker abgeholt zu werden, denke ich an meine Schwester, an meinen Bruder, an Frankreich! Ich nehme Byron zur Hand, und mein Auge fällt auf die herrliche Stelle: ‚die, welche für eine heilige Sache sterben, gehen nicht unter; sie vermehren nur die erhabenen Ideen, die endlich triumphiren und die Welt zur Freiheit führen.‘ Wunderbare Fügung des Schicksals! Der Tag, an dem ich sterben soll, ist der 14. Juli; am 14. Juli vor fünfzig Jahren wurde die Bastille eingenommen! … Der Gefängnißdirector besucht mich: ‚Erhalten Sie sich Ihrer Sache und Ihrer Partei!‘ sagt er zu mir. Ich erwidere ihm: ‚Das einzige Mittel, um in diesem Augenblicke meiner Sache zu dienen, ist dies, daß man mir den Kopf abschlägt; bin ich todt, dann bin ich eine Macht, und dann erst werde ich meinen Feinden zu schaffen machen, und diese Gefahr will ich ihnen nicht ersparen; was diese fünf Fuß Fleisch betrifft, die Sie vor sich sehen, so wissen Sie, daß Gott nicht mit den Feigen ist!‘.“

Die Nachricht seiner Begnadigung ließ ihn kalt; seine Schwester besuchte ihn, und als ihr der Gefängnißdirector sagte: „Ihr Bruder hatte nicht die mindeste Furcht,“ da antwortete das heldenmüthige Weib: „Das war es auch nicht, was mich beunruhigte; ich wußte wohl, daß er ebenso ruhig das Schaffot bestiegen hätte, als wenn er nach Fourtou gereist wäre!“

Vom 12. Mai 1839 bis zum 25. Februar 1848 saß er im Gefängnisse von Nimes; die Februar-Revolution öffnete die Thür seines Kerkers und erhob ihn zum Range eines Obersten der Nationalgarde.

Wieder war es der Monat Mai, der für ihn verhängnißvoll werden sollte. Enttäuscht durch den Verlauf, den die Revolution genommen, appellirte er wieder an die Waffen und an die Gewalt, unternahm einen bewaffneten Angriff auf die constituirende Versammlung und proclamirte für sich mit wenigen Anhängern auf dem Stadthause die wahre und echte Republick. Am 16. Mai wurde er verhaftet und zur Deportation, was mit lebenslänglichem Gefängniß gleichbedeutend war, verurtheilt. In der Anklageacte fand sich eine Reihe der unwahrsten und lächerlichsten Beschuldigungen: er habe Paris in Brand stecken und der Plünderung preisgeben wollen; er hätte die Rolle Robespierre’s gespielt und den Befehl zur Anfertigung von fünfzig Guillotinen schon ausgefertigt etc. Barbès fand es auch diesmal unter seiner Würde, auf die albernen Fragen, die ihm vorgelegt wurden, zu antworten.

Bis zum 9. October 1854 – also sechs Jahre und drei Monate – saß er im Gefängnisse von Belle-Isle, und hier war es, wo er seine Schrift „Zwei Tage lang zum Tode verurtheilt“ schrieb. Seine Freiheit erhielt er diesmal durch Napoleon den Dritten! Als man ihm die Nachricht davon brachte, sagte er wie aus einem Traume erwachend: „So, man hat also in Frankreich einen Kaiser? Ich habe nichts von ihm verlangt!“

Er weigerte sich auf das Entschiedenste, die kaiserliche Gnade anzunehmen, und als sich trotz seines wiederholten Verlangens die Thüren seines Kerkers für ihn nicht mehr öffneten, reiste er nach Paris. An den Director des damals officiellen „Moniteur universel“ richtete er sofort nach seiner Ankunft folgenden Brief:

„Mein Herr! Ich komme soeben in Paris an, und ich ergreife die Feder mit der Bitte, die folgenden Zeilen in Ihr Journal aufzunehmen. Der Director des Gefängnisses von Belle-Isle hat am 5. d. M. einen kaiserlichen Befehl erhalten, dessen Motive ich nicht untersuchen will, da es nicht meine Gewohnheit ist, die Handlungsweise meiner Feinde zu verdächtigen. Als ich die Nachricht vernahm, da übermannte mich der unnennbare Schmerz des Besiegten, und so lange es mir möglich war, weigerte ich mich, mein Gefängniß zu verlassen. Ich wende mich deshalb an Sie, mein Herr, um desto lauter und deutlicher verstanden zu werden. Was geht es denn denjenigen, der gar kein Recht auf mich hat, überhaupt an, wenn ich mein Vaterland liebe oder nicht? Steht nicht immer der zweite December zwischen mir und ihm? Da er meiner persönlichen Würde zu nahe getreten ist, so halte ich es als loyaler Feind für meine Pflicht, der Welt gegenüber offen zu erklären, daß ich aus allen meinen Kräften gegen die soeben mit mir in Scene gesetzte Maßregel protestire. Ich werde daher noch zwei Tage in Paris bleiben, damit man mich in’s Gefängniß zurückbringen kann; verstreicht dieser Termin, dann werde ich nächsten Freitag Abend freiwillig in’s Exil gehen.

Paris, 11. October 1854, zehn Uhr Morgens.

A. Barbès.“ 


Man ließ ihn in Ruhe. Er wandte sich zuerst nach Spanien, später nach Brüssel und, von hier ausgewiesen, nach dem Haag, das er seit dieser Zeit nicht mehr verlassen hat. Seine Gesinnungsgenossen, Victor Hugo und seine beiden Söhne, Louis Blanc, Bernard, Rochefort besuchten ihn hier öfters; angesehen und geachtet von der Bevölkerung, unter welcher er lebte – denn das Unglück hat immer etwas Ehrfurchtgebietendes – wohlthätig gegen Arme und Hülflose, denen er mit vollen Händen gab, lebte er seinen Studien und der Pflege seiner durch die langen Gefängnißjahre zerrütteten und geschwächten Gesundheit. Der Zufall wollte es, daß er der sogenannten „Gevangenpoort“ gegenüber wohnte; jenem Gefängnisse der beiden Brüder Jan und Cornelius de Witt, jener unbeugsamen und eifersüchtigen Wächter der republikanischen [508] Staatsform der Niederlande, die jenes Gefängniß nur verließen, um vom Pöbel in Stücke gerissen zu werden! Seine Kräfte schwanden dahin, und als ihn ein Sohn Victor Hugo’s einige Tage vor seinem Tode besuchte, sagte er ihm: „Ich werde die Republik nicht mehr erleben; Ihr könnt sie sehen; bewahrt sie dann gut!“

Jene Schrift: „Zwei Tage lang zum Tode verurtheilt“ schließt mit den Worten: „Ein junger Mann voller Kraft ging ich in den Kerker, und jetzt … o Gott! befürchte keine ungerechten Vorwürfe! Ich glaube mehr als je an die Herrlichkeit deiner Satzungen. Aber sollte die unserem theuren Lande auferlegte Prüfung in diesen Tagen ein Ende nehmen, dann, o Herr! bitte ich dich, dein Auge auf mich zu richten. Meine Arme sind abgemagert, meine Stimme hat die Kraft verloren und mein Gedanke ist eine in meinem Gehirn langsam erlöschende Lampe; aber mein Herz und meine Seele, das weißt du, sind die eines willigen Menschen, und ehe ich dieses Leben verlasse, möchte ich noch jene letzte große Schlacht zwischen Recht und Unrecht mitmachen und das Schwert schwingen im Namen der Gleichheit und Freiheit Frankreichs!“

Er sollte sie nicht mehr erleben, diese große Schlacht; er starb – am Kaiserreich. Von den sechszig Jahren, die er gelebt, brachte er mehr als zweiunddreißig in der Gefangenschaft und im Exile zu; das waren die Dienstjahre und die Wunden dieses tapfern und unerschrockenem Soldaten der Demokratie!

Die Leichenrede am Grabe hielt sein alter Gesinnungsgenosse Louis Blanc. „Was spricht man doch von freiwilliger Verbannung,“ sagte er, „wie wenn es einen Zwang gäbe, der mächtiger wäre als der, welchen das höchste Gut des Menschen, ein ruhiges Gewissen, ausübt? Kann man die Verbannung von Barbès in der That eine freiwillige nennen? Nein, gewiß nicht; denn er wurde ja nicht besiegt … der Sieg der Verfolgten besteht ja gerade aus der Reihe ihrer Niederlagen!“

So ruht er nun in dem Lande der Geuzen, der Witt und Oldenbarneveldts; es war ein bitteres Gefühl in seiner Todesstunde, daß er in fremder und nicht in Frankreichs Erde begraben werden sollte.

Was das Aeußere Barbès’ betrifft, so war er eine hohe, achtunggebietende Gestalt; eherne, stark markirte Gesichtszüge, eine hohe Stirn, buschige Brauen, unter denen ein blitzendes Auge wohnte, das ebenso mit unheimlichem Feuer leuchtete, wie mit treuherziger

[510] Gutmüthigkeit blickte; ein starker Vollbart, halb grau, halb blond – eine Erscheinung, wie wir uns die unbeugsamen und starren Anhänger ihrer Ueberzeugung und ihres politischen Glaubensbekenntnisses vorzustellen pflegen. Es war eine hochherzige, edle Natur; mag er in der Wahl seiner Mittel auch gefehlt haben, so steht die Reinheit seiner Absichten über jede Anfechtung erhaben da, und darum wird sein Name in der Reihe der „Unversöhnlichen“ immer mit Ehren genannt werden.
Th. W.