Zum Inhalt springen

Eines deutschen Mannes Bild/2. Grenchen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Moritz Busch
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Grenchen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 166–168
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[166]

Eines deutschen Mannes Bild.

2. Grenchen.

Im December 1830 brach, vorzüglich durch die Bemühungen des trefflichen Munzinger, im Kanton Solothurn das Regiment der Geschlechter zusammen und mit ihm die alte „gute“ Zeit der Ausbeutung des Volkes durch Einzelne, der Rechtspflege, die mehr Unrechtspflege war, der vernachlässigten Verkehrsmittel, der verkommenen Schulen. Mit energischer Hand griff die siegreiche liberale Partei ihr Reformwerk an, mit Zähigkeit widerstand demselben die besiegte, indem sie dabei von der Geistlichkeit unterstützt wurde, die nichts versäumte, um das Volk gegen die neue Ordnung der Dinge aufzureizen. Namentlich mußten mehrere Gemeinden [167] gewaltsam dazu gebracht werden, Schulen einzurichten. Später dankten sie dem Landammann für diesen Zwang. Daß es auch ohne äußere Nöthigung ging, wenn der rechte Mann sich fand, die Gemüther praktisch aufzuklären, soll hier durch einen Abschnitt aus dem Leben des Mannes gezeigt werden, der im ersten Capitel dieser Mittheilungen zu charakterisiren versucht wurde.

Am Ostermontag 1838 wurde in der Kirche von Grenchen, der größten Gemeinde des Kantons, ein Lehrer für die neuerrichtete Bezirksschule eingeführt. Die Gemeinde war katholisch, der Lehrer Protestant und aus politischen Gründen aus Deutschland nach der Schweiz übergesiedelt. Sein Name aber war Karl Mathy, derselbe, der zehn Jahre später deutscher Reichsminister war und abermals zwanzig Jahre später als Premier von Baden starb.

Grenchen, durch ein jetzt aus der Schweiz und dem Elsaß vielbesuchtes Heilbad ausgezeichnet, liegt in den Vorhügeln des Jura über der Thalebene der Aar in einer Gegend von ebenso lieblichem als großartigem Charakter. Im Vordergrund das Dorf, das sich in einzelnen Häusern und Gruppen von solchen, von Gärten und Saatfeldern umgeben und von den Armen eines schnellen, klaren Baches durchflossen, den Berg hinaufzieht. Im Westen die Spiegel der Seen von Murten, Neuenburg und Biel. Im Osten und Süden die weißen Riesenhäupter der Alpenkette. Die Einwohner nähren sich als Ackerwirthe, Sennen und Waldarbeiter. Sie sind ein hochgewachsener, kräftiger Menschenschlag von echtem Alemannenblut, fleißig, geschickt, sich in jeder Lage zurecht zu finden, und von so urthümlicher Ehrlichkeit, daß verschlossene Thüren bei ihnen unbekannt sind und daß es ein Unerhörtes war, als vor etlichen Jahren einmal im Dorfe eine Uhr gestohlen wurde. Nur einen Mangel hatte in den Augen des gesitteten Europäers der Grenchner: er stand im Rufe unbändiger Wildheit und starker Neigung, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen.

Das war der Ort und das Volk, wo Mathy von jenem Ostermontag an das Schulscepter führen sollte. Es war etwas aus den Leuten zu machen, aber es war – wie wenigstens ferne Freunde besorgten – auch Gefahr vorhanden, daß die wilden Grenchner dem Apostel der Aufklärung das Schicksal des heiligen Bonifacius bereiteten oder, deutlicher gesprochen, den fremden Ketzer kurzweg todtschlugen.

Es ist wahr, die Gemeinde hatte die Bezirksschule freiwillig errichtet, und der Lehrer war der Mann ihrer Wahl. Aber diese Wahl war nur die der Mehrheit gewesen, und auch diese Mehrheit, aufgeweckten Sinnes zwar, aber ungebildet, hatte keinen rechten Begriff von dem Nutzen guten Unterrichts. Die Minderheit aber, angestachelt von den Ultramontanen, trug dem neuen Lehrer bitteren Groll entgegen. Die schwarze Presse schmähte ihn, den Gemeinderath, die Regierung in der ihr geläufigen Weise. Die Geistlichen in Grenchen wurden angewiesen, nach Möglichkeit, gegen die Schule zu wirken. Sie leisteten darin Einiges, aber nicht viel. Der Pfarrer war als stattlicher Mann von Einfluß auf die Frauen, allein statt zu streiten, zog er vor, in Ruhe und Behagen sich mit Geigenspiel zu vergnügen. Er hielt eine Anzahl Knaben vom Besuch des Unterrichts ab und setzte niemals einen Fuß in die Schule. Der Caplan hatte seine Freude an Landwirthschaft und Bienenzucht und kümmerte sich nur, so viel er mußte, um theologische Dinge oder sonst um wissenschaftliche Gegenstände. Im Uebrigen war er ein guter Mensch, der zugab, daß es einem rechtschaffenen Nichtkatholiken im Jenseits wie guten Heiden gehen könne, und welcher der Schule nicht gefährlich war. Auch die benachbarten Franciscaner, fleißige und gelehrte Leute, waren ihr eher förderlich als hinderlich.

Aber es gab bedenklichere Elemente im Orte. Zunächst war ein großer Theil der Frauen gegen die Neuerung überhaupt, dann gegen den ketzerischen Wolf im katholischen Schafpferch. Dann waren vorzüglich Leute, welche durch die neue Ordnung der Dinge aus Gemeindeämtern verdrängt worden, Feinde der Schule, und unter diesen gab es recht tückische Gesellen. „Von einem derselben,“ so erzählt Mathy selbst, „nahm ich die Milch für den Hausbedarf. Die Kinder erkrankten, sie glühten im Fieber; wir erfuhren, daß uns die Milch von einer kranken Kuh gegeben worden und daß die Verkäufer sich dessen rühmten.“

Die Ränke dieser Gegner bewirkten, daß die Schule zuerst nur ein Dutzend Schüler zählte, wenig für eine Gemeinde, die über zweitausend Mitglieder hatte und von Dörfern umgeben war, denen die Anstalt ebenfalls offen stand. Erst die Leistungen der Schule konnten ihr bessern Willen gewinnen. Doch kam vorher einige Verstärkung. Das reformirte Nachbardorf Lengnau im Kanton Bern fragte bei den katholischen Solothurnern an, ob Knaben aus ihm der Besuch der Bezirksschule gestattet sei, die Antwort lautete bejahend, und alsbald erschien von dort ein Zuwachs von acht bis zehn jungen Leuten. Dieses Beispiel wirkte auf die solothurner Nachbardörfer. Es stellten sich einzelne Schüler aus Staad, Bettlach, Selzach, später selbst aus dem französischen Jura ein.

Der Zuzug von außen stimmte allmählich auch das Uebelwollen gegen die Schule in Grenchen selbst einigermaßen um, und nach einiger Zeit hatte die Anstalt schon gegen vierzig Zöglinge. Mathy änderte den vorgeschriebenen Unterrichtsplan nach dem Bedürfniß um und fand nicht nur die Billigung der Regierung, sondern dieselbe sprach auch den Wunsch aus, es möge an den übrigen Bezirksschulen ebenso gehalten werden. Im Sommer hielt er nur von sechs bis zehn Uhr Schule, damit die Knaben noch zu Haus- und Feldarbeiten verwendet werden konnten. Die Lehrgegenstände beschränkte er in der Zahl, gab ihnen aber mehr Inhalt. Mit Eifer wurden deutsche und französische Sprache, Geschichte und Geographie, Arithmetik und Geometrie betrieben, und es war eine Freude, zu sehen, „wie weit man in kurzer Zeit fähige naturwüchsige Knaben bringen kann, wenn man allen Schwulst wegläßt, die Dinge einfach darstellt und den Einzelnen in seiner geistigen Arbeit zweckmäßig unterstützt“.

Für besonders Befähigte that der Lehrer etwas mehr als vorgeschrieben. Er gab ihnen in besondern Stunden Unterricht im Lateinischen und benutzte diese Gelegenheit, um ihren Gesichtskreis zu erweitern und ihren Lerntrieb zu leiten. Sie bildeten einen Kern, welcher der Schule festeren Halt gab; denn ihr ernstes gesetztes Wesen imponirte Allen. „Ich habe in den drei Jahren meines Lehramts“, so berichtet Mathy, „nie eine Strafe verhängt. Verhielt sich ein Knabe faul oder unwahr, so pflegte ich der Ermahnung zur Besserung die Andeutung beizufügen, daß die übrigen Schüler keine schlechten Burschen unter sich dulden würden. Es ist wohl vorgekommen, daß nach Beendigung der Stunde, in welcher eine solche Warnung nöthig geworden, von geringer Entfernung her Töne, die nicht gerade Jubel bedeuteten, zu meinen Ohren drangen; allein ich unterließ es, mich nach der Ursache zu erkundigen.“

Noch war kein Jahr verflossen, als man im Dorfe merkte, daß die Schule nütze. Die begabteren Knaben wurden vielfach zum Schreiben und Uebersetzen deutscher und französischer Briefe, zur Prüfung und Abfassung von Rechnungen und Aehnlichem in Anspruch genommen. Man sah sie auf dem Felde Messungen vornehmen und Höhen oder Entfernungen trigonometrisch bestimmen. Man hörte einen Knaben von fünfzehn Jahren vor versammelter Gemeinde eine Rede für seinen in Gant gerathenen Vater halten, und derselbe sprach mit solchem Ausdruck, solchem Geschick und solcher Wärme, daß den harten Männern Die Thränen in den Bart rollten. „So lernen sie reden in der Schule,“ sagte man. Von da an stand die Anstalt fest, und als im zweiten Jahr der Landammann mit mehreren Mitgliedern des Regierungsrathes auf Mathy’s Wunsch eine Prüfung der Schüler vornahm und Alles gut ging, war die Schule als eingelebt in die Gemeinde zu betrachten.

Die Osterzeit des Jahres 1840 brachte den Grenchnern eine große Leistung der Schule. In früherer Zeit halten sie ähnliche Stücke aufgeführt, wie das bekannte Passionsspiel in Oberammergau, eine Sitte, die allmählich außer Uebung gekommen war. Jetzt erinnerten Knaben den Lehrer daran, äußerten ihm den Wunsch, wieder einmal etwas der Art zu haben, und baten ihn um Rath, wie das zu machen. Er überlegte die Sache, erkundigte sich weiter, wie man es mit jenen Darstellungen gehalten, und schlug endlich das vaterländische Trauerspiel „Hans Waldmann“ zur Ausführung vor, welches die bekannte Geschichte jenes Bürgermeisters von Zürich zum Gegenstände hat, der in seiner Vaterstadt als Brecher der Adelsherrschaft und Reformator auftrat, dann aber die Volksgunst verlor und schließlich enthauptet wurde. Der Vorschlag gefiel, da es dem Stücke nicht an aufregenden Scenen, Aufständen, Gefechten, Kettengeklirr und Waffengerassel fehlte, und die Schüler gingen rüstig an das Werk. Sie bildeten mit älteren Burschen einen Verein mit Vorstand, Seckelmeister und Schreiber, vertheilten mit [168] Geschick die Rollen, schrieben sie aus und machten sich an’s Auswendiglernen. Den Winter hindurch gab es häufige Proben, die von Mathy geleitet wurden und Manche, besonders aber die Darsteller der Hauptfiguren, ganz erheblich förderten, so daß sie später das höchste Lob ernteten. Daneben aber hatte dieser künstlerische Eifer noch anderen guten Erfolg. Mit frohem Erstaunen berichteten die Gemeinderäthe, daß im Orte, was seit Menschengedenken unerhört, nicht eine einzige Schlägerei vorkomme. Die Burschen saßen eben nicht in den Wirthshäusern, sondern zu Hause, um ihre Rollen einzuüben, oder sie waren bei der Einrichtung des Theaters beschäftigt.

Das letztere entstand in einem Flügel des Badehauses. Den Plan zur Bühne erdachte der Maler Disteli in Solothurn, der auch die Zeichnungen zu den Costümen lieferte. Das nöthige Holz wies der Gemeinderath im Walde an, wo es die Burschen fällten, um es zur Verarbeitung in Bretter nach der Sägemühle zu schleppen. Zu Dekorationen verhalf das Unglück eines Schauspieldirectors, der in Biel vor seinen Gläubigern mit Hinterlassung seiner Theatergeräthschaften flüchtig geworden. Die höhere Kunstfertigkeit erfordernden Costüme baute der Dorfschneider mit seinen Gesellen, die übrigen wurden von den Mädchen und Frauen Grenchens beschafft. Die Helme und Harnische, Schwerter, Spieße und Hellebarden lieferte der reiche Schatz des Solothurner Zeughauses, ja die Regierung lieh aus demselben sogar eine alte Feldschlange aus den Burgunderkriegen.

Im Februar war man so weit, daß man die Theaterzettel austragen konnte. Endlich kam der Tag der ersten der drei Aufführungen, zu denen man sich theils aus dem Wunsche, sich recht vielen Menschen zu zeigen, theils um die Einnahme zu mehren, entschlossen hatte. „Es war Sonntag, der 15. März 1840. Schon am Mittag war das Dorf in Bewegung. Um zwei Uhr ordneten sich die Schauspieler zum Zuge, welcher sich dann auf der alten Landstraße, die sich von Grenchen nach dem Bade, in dessen Gebäude die Aufführung stattfand, an der Höhe hinaufzieht, in Marsch setzte. Noch bedeckte Schnee den Boden, aber die Sonne schien hell. Voran ein Wagen mit einer Blechmusikbande aus Fulda, welche gerade die westliche Schweiz bereiste und jetzt einen feierlichen Marsch spielte. Dann die Ritter und Reisigen, Zwei und Zwei in glänzenden Burgunderharnischen, wohl an die vierzig Pferde. Dann wieder Wagen, geschmückt mit Tannenzweigen und Bändern, besetzt mit den Frauen und Jungfrauen aus Adel und Volk. Den Schluß des Zuges bildete das Fußvolk mit seiner Kanone. Es war kein schlechtes Bild aus alter Zeit. Die Waffen erglänzten im Sonnenschein, und die Gestalten hoben sich scharf von der blendenden Schneedecke.“

Die Aufführung begann gegen drei Uhr und währte etwa vier Stunden. Der Erfolg war ein außerordentlicher. Das gefüllte Haus spendete lauten Beifall. Der Dirigent, Lehrer Mathy, verlebte hinter den Coulissen ängstliche Augenblicke, wenn die kämpfenden Recken trotz aller Ermahnungen mit den langen, scharfen Schwertern aufeinander losschlugen, daß die Funken stoben, indeß lief Alles gut ab. Auf das Spiel folgte ein Abendessen der Acteurs und der Dorfhonoratioren, dann ein Ball. Noch um Mitternacht tanzten die Ritter in ihren schweren Rüstungen, die sie zu Mittag angelegt hatten – ein glänzender Beweis, daß dieses Geschlecht den Vätern, die bei Murten und Granson gefochten, an Körperkraft nicht nachstand.

Glücklich, wie diese erste Vorstellung des „Hans Waldmann“, verliefen auch die beiden folgenden. Das ganze Unternehmen aber hatte die Folge, daß der neue Schulmeister auch in die fröhlichen Erinnerungen des Schweizerdorfes hineinwuchs. Das Haus, in dem er wohnte, stand an der alten Landstraße, dahinter befand sich ein kleiner Obstgarten, hinter diesem eine Wiese, die Futter für zwei Ziegen lieferte. Zu ebener Erde war Mathy’s Wohnstube, im ersten Stock der Schulraum und ein Fremdenzimmer.

Der nähere Umgang des Lehrers mit den Männern des Dorfes kam auch der Schule zu Gute, für deren Bedürfnisse jetzt reichlicher gesorgt, wurde. Die Schüler wetteiferten in Aufmerksamkeiten gegen die Kinder ihres Lehrers. Sie bestellten seinen Garten, mähten ihm sein Heu und brachten es ein, von ihnen erhielt er die frühesten Erdbeeren und, wenn der Bach gefischt wurde, die schönsten Forellen. Ihr Eifer im Lernen wuchs fortwährend. „Die deutschen und französischen Aufsätze der Fähigeren,“ schreibt Mathy in den Erinnerungen, die hier ausgezogen sind, „durften sich sehen lassen. Sie lösten Gleichungen zweiten Grades mit Leichtigkeit, erklärten die Einrichtung der Uhr, der Mühle und der Dampfmaschine, wie die Gesetze, auf denen ihre Wirkung beruht, und lasen im Cornelius Nepos und Cäsar. Der Unterricht in der vaterländischen Geschichte wird in der Schweiz überall sorgfältig betrieben, doch nur in den glänzenderen Partien. Die Schlachten bei Morgarten, Sempach und Murten kennt jedes Kind. Aber die Unterthänigkeit ihrer Regenten, die französischen Pensionen und Gnadenketten werden gewöhnlich mit Stillschweigen Übergängen. Mir schien es zweckmäßig, das Licht nicht ohne den Schatten zu geben.“

Mathy hielt es für Pflicht, seinen begabteren Schülern weiter zu helfen. Schon vor dem Schlusse des zweijährigen Cursus seiner Anstalt zeigten sich zwei derselben reif für die Cantonsschule in Solothurn, die neben der gelehrten Abtheilung auch eine technische besaß. Da die jungen Leute unbemittelt waren, so mußte auch für ihren Unterhalt gesorgt werden. Mathy sprach deshalb mit dem Landammann und dem Rath für das Erziehungswesen und hatte die Freude, zu sehen, daß dieselben sich zur Unterstützung der Betreffenden bereit zeigten. Auch ein zweites und ein drittes Paar wurde auf diese Weise untergebracht und weiter gefördert. Für die später für die höhere Lehranstalt Gereiften mußte Mathy sich nach andern Mitteln umsehen. Er rieth ihnen, sich an die Capuziner in Solothurn zu wenden, welche durch ihre Vorschriften verbunden waren, armen Studirenden Wohnung und Kost zu geben. Sie folgten dem Rath und hatten es nicht zu bereuen. Aber Landammann Munzinger empfand das übel. Als der Lehrer ihn das nächste Mal in seinem Laden besuchte – der erste Beamte des Cantons, der spätere Bundespräsident der Schweiz, war nämlich Kaufmann –, fragte er verdrießlich, ob Mathy nicht wisse, daß den Knaben bei den Capuzinern Grundsätze eingeprägt würden, die nicht die seinigen seien. „Das weiß ich wohl,“ wurde ihm erwidert, „aber ich weiß noch mehr. Einmal, daß Schüler leben müssen, wenn sie lernen sollen, dann, daß Knaben, welche zwei Jahre bei mir gewesen, so verdorben sind, daß ihnen kein Capuziner mehr hilft.“ – „Dann bin ich auch zufrieden,“ sagte Munzinger.

Das Jahr 1840 brachte Deutschland und der Schweiz den Franzosenlärm. Das Wetter verzog sich, die Kriegswolken schwanden, aber sie hinterließen in Deutschland eine Bewegung in den Gemüthern, welche den nationalen Gedanken in den Vordergrund treten ließ und der eine Reihe politisch erregter Jahre folgte. Diese Zeit führte auch Mathy in das Vaterland zurück. Freunde riefen ihn; im Gefühl, nützen zu können, entsprach er dem Rufe. Aber „es kostete längeren innern Kampf“. Zu Weihnachten ging er. Die Trennung von den Schülern machte er kurz ab. Er schenkte jedem ein Buch, sagte ihnen Lebewohl und entfernte sich schnell.

„Es war ein kalter dunkler Wintermorgen,“ so erzählt Mathy das Ende dieser charakteristischen Episode seines Lebens, „als wir vom Wirthshause, in welchem wir die letzte Nacht zugebracht, abfuhren. Groß war unsere Ueberraschung, als wir in der frühen Stunde und der grimmigen Kälte die Bevölkerung, Männer, Weiber und Kinder, gedrängt vor dem Hause und längs der Landstraße stehen sahen. Sie wollten uns noch einmal die Hand drücken, sie riefen Lebewohl zu, und noch andere Rufe vernahm ich: ,Es ist gefehlt, daß Ihr von uns fortgeht.’ – ,Ihr müßt wiederkommen.’ – ,Ihr sollt das Bürgerrecht haben.’ Sie hoben die Kinder in die Höhe: ,seht ihn noch einmal, seht ihn noch einmal!’ Die Peitsche knallte und der Wagen fuhr davon.“

Mathy ist wiedergekommen zu seinen Grenchnern, mehr als ein Mal, auch von Leipzig aus. Das Solothurner Dorf gehörte zu seinen liebsten Zielpunkten in den Sommerferien, Ob man ihm noch das Bürgerrecht in der Gemeinde verliehen, weiß ich nicht. Er bedurfte seiner nicht, er hatte sich das Bürgerrecht in den Herzen erworben, hier wie allenthalben, wo er gelebt. „Es ist gefehlt, daß Ihr fortgeht,“ sagten ihm auch in Leipzig die trüben Blicke der Freunde in der Scheidestunde, als er in den Wagen gestiegen, der ihn der Heimath zuführen sollte. „Es ist gefehlt, daß Ihr fortgeht,“ werden alle Guten in Baden gegen das Schicksal geklagt haben, als er die letzte Reise antrat in das unbekannte Land, das sie die ewige Heimath nennen.