Einige Bemerkungen über den Welzheimer Wald

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Textdaten
Autor: Justinus Kerner
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Titel: Einige Bemerkungen über den Welzheimer Wald, ein im Königreich Württemberg liegendes Waldgebiet
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aus: Morgenblatt 1816 Nr. 203 Google
Herausgeber: Josef Gaismaier
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Entstehungsdatum: 1816
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Hesse & Becker Verlag
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Justinus Kerners poetische Werke in vier Bänden, hrsg. von Josef Gaismaier, Bd. 4, Leipzig o.J.: Hesse & Becker Verlag, S. 297-300 Scans auf Commons
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Einige Bemerkungen über den Welzheimer Wald, ein im Königreich Württemberg liegendes Waldgebiet.
(Morgenblatt 1816, Nr. 203.)

Es haben wohl wenige Länder Deutschlands so viele Beschreibungen einzelner Ortschaften und Gegenden aufzuweisen wie Württemberg. Besonders ist es in neuerer Zeit durch eine Reihe erschienener Topographien, z. E. von Sulz, Kannstatt, Stuttgart, Gmünd, Eßlingen, Ulm, Wildbad usw. möglich geworden, einst in einer allgemeinen Topographie Württembergs ein vollständiges Bild dieses gesegneten Gartens zu entwerfen. Desungeachtet ist noch manche Gegend Württembergs, die für sich ein charakteristisches geschlossenes Ganzes bildet, wenig untersucht und kaum im Vorübergehen in weitläufigen Werken erwähnt.

Unter solche Gegenden möchte ich vor allen diejenige zählen, die man unter dem Namen des Welzheimer Waldes begreift. Es kann nicht der Zweck dieses kleinen Aufsatzes sein, eine Topographie dieses Landstriches zu liefern; nur in leichten Andeutungen soll er bezeichnen, wie sehr derselbe einer genauern Untersuchung und Beschreibung wert wäre.

Ein nicht unbedeutend hohes, gegen Nordost von dem Kocher und der Roth, gegen Südwest von der Rems und der Murr und gegen Südost von der Leine begrenztes, auf seinen Flächen und Vertiefungen vielfach mit Tannen und Fichten bewachsenes Gebirge, auf dessen Ebene Welzheim und Kaiserbach als Hauptorte erscheinen, ist es, was im weitern Sinne unter dem Namen des Welzheimer Waldes begriffen wird.

Der erste Blick in diese Gebirge und Wälder, auf diese einzeln zerstreut liegenden Weiler, Höfe und Mühlen, gibt [298] keine Ansiedlung aus neuerer Zeit zu erkennen; alles spricht von einem hier in frühern Zeiten ausgedehnter obgewalteten Menschenleben. In Tiefen von Seen, auf weit ausgebreiteten Heiden, in Waldungen, stößt man hier vielfältig auf Überreste zertrümmerter Gebäude. Tannen, vor Jahrhunderten entsprossen, wurzeln aus vom Erdreich bedeckten Mauern und Gewölben, die sich dem Wanderer nur durch den dumpfen Nachhall seines Fußtritts verraten. Ausgehöhlte riesige Linden, Überreste uralter Buchen, teils noch aus trockener Erde ragend, teils in Stein verwandelt in Seen aufgefunden, zeugen von vergangenem kräftigerem Leben.

Neuere Waldungen geben noch durch die bestimmten Abteilungen ihres Bodens zu erkennen, daß sie einst beackertes Land waren. Ortsbenennungen, wie z. B. Kaiserbach, wo ein Bad Barbarossas gewesen sein soll, deuten auf die blühenden Zeiten der Hohenstaufen; wie auch das edle Gebirge Staufens aus ferner Himmelsbläue als ein freundlicher Schutzgeist über diese Gegend hinschaut. Aber noch in fernere Zeitalter führt uns der über die ganze Bergfläche nächst an Welzheim hinlaufende römische Grenzwall und die bei Welzheim aus den Tiefen der Erde gegrabenen Münzen und Altäre der Römer, z. E. ein noch unversehrter mit einem Lorbeerkranz und Dreizack gezierter Denkstein der 22. Legion. Auch eine römische, mehrere Pfund schwere Lampe von Metall und das Bild einer Vesta von gleicher metallischer Komposition wurde in neuester Zeit dort erhoben.

Aber nicht bloß in den Tiefen der Erde, in versunkenen Steinen und Stämmen, auch an dem noch fortlebenden Menschenstamme selbst finden wir Spuren eines einst kräftiger geführten charakteristischen Lebens.

Noch jetzt zeichnet die Bewohner dieses Waldgebirgs ein kräftigerer Körperbau und regsamerer Geist vor denen in den nächstgelegenen Talebenen aus. Auch eine eigene Volkskraft erhielt sich aus alten Zeiten unter ihnen, ist aber [299] leider nur hier und da noch an ergrauten Männern und Weibern zu schauen.

Stolz auf ihre Ahnen, führen die sogenannten Siebenzehner diesen ihren anererbten Ehrentitel in Wort und Schrift fort, eine Benennung, die auf hier bestandene Volksgerichte deutet, von welchen uns die Tadition erzählt; daß sie auf einer der höchsten Stellen des Gebirgs, von wo aus der ganze Welzheimer Wald übersehen wird, und wo sich auch noch auf einer Heide (zwischen Seelach und Nardenheim) Überreste einer Gerichtsstätte finden, gehalten worden seien.

Hier sollen Siebenzehen vor dem unter freiem Himmel versammelten Volke über Leben und Tod gerichtet haben. Der jüngste von ihnen habe die Verpflichtung, den Nachrichter zu machen, gehabt. In einem roten Mantel, in der Rechten ein breites, langes Schwert, sei er erschienen, große Handschuhe von Leder habe er getragen, die er jedesmal nach vollzogenem Urteil wieder von sich geworfen.

Die Nachkömmlinge dieser Siebenzehner hatten durch Jahrhunderte Schwert und Mantel verwahrt, bis der Mantel vielleicht in sich selbst zerfiel, das alte teure Schwert aber in neuerer Zeit (noch jetzt lebende Greise haben noch beide Kleinodien gesehen) zu Brotmessern umgeschmiedet wurde.

Die größern Ortschaften, wie Welzheim, Kaiserbach und Gschwend abgerechnet, besteht die ganze Gegend aus lauter zerstreutliegenden, oft höchst einsam gestellten Weilern, Höfen und Waldmühlen. Der mit Sand untermengte Leimboden eignet sich besonders zum Anbau von Flachs und Haber; auch sind roher Holzhandel und Holzarbeiten aller Art Erwerbszweige dieser Waldbewohner.

Viele kristallhelle Quellen, aus Sandfelsen entsprungen, frei jeder erdigen Beimischung, geben das erfrischendste Trinkwasser und dienen, oft durch künstliche Vorrichtungen, [300] wie die Wieslauf, zu reißenden Bächen angeschwemmt, zum Flößen des Holzes aus nicht zu befahrenden Klüften.

Die Pfarrei Gschwend, die mit der von Welzheim und Kirchenkirnberg den größten Teil dieses Waldgebirges in sich faßt, zeichnet sich besonders durch einen kräftigen Menschenstamm aus, der nicht nur in Hinsicht des Körperbaues, sondern auch durch seine geistigen Fähigkeiten (es finden sich unter ihm nicht talentlose Mechaniker, ja selbst Volksdichter), einen völligen Gegensatz von den Bewohnern der an seinem Fuße gelegenen Täler bildet, namentlich des Roth- und Kochertales, wo Kretinismus fast so auffallend wie in den Tälern der Alpen zu Hause ist, wo die Wasser aus Kalkfelsen entspringen, und die Flüsse in seichten Beeten (?), das Land öfters überschwemmend, dahinschleichen.

Dagegen aber hat auf diesen Gebirgen, namentlich zu Welzheim, der Bandwurm seine Heimat gefunden; auch scheint Siderismus (die Kraft, verborgene Wasser und Metalle zu erfühlen) hier endemisch zu sein.

Ein Mann, der sich als Geschichtsschreiber und Topograph, vor allem aber als Menschenfreund um diese sonst verlassene Gegend äußerst verdient gemacht hat, ist Herr Pfarrer Prescher zu Gschwend, Verfasser der Geschichte und Beschreibung der ehemaligen Reichsgrafschaft Limpurg, eines Werkes, das für diesen neuen Landesstrich Württembergs ganz das ist, was für das alte Württemberg Sattlers gründliche Arbeiten sind.

Möchte dieser gelehrte und tiefdenkende Mann uns seine vieljährigen Untersuchungen über den Welzheimer Wald und besonders über die daselbst sich vorfinden Überreste der Römer nicht lange mehr vorenthalten!

Anmerkungen (Wikisource)

Erstdruck im Morgenblatt vom 23. August 1816: Google

Die Passage zum Siebzehnergericht (siehe Siebzehner bei Welzheim) wurde von den Brüdern Grimm für einen geplanten dritten Band ihrer Deutschen Sagen exzerpiert.

Pfarrer Prescher ist Heinrich Prescher.