Einleitung über Leben und Schriften Isaak's von Ninive

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Autor: Gustav Bickell
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Titel: Einleitung über Leben und Schriften Isaak’s von Ninive
Untertitel:
aus: Bibliothek der Kirchenväter, Band 38, Seite 275–290.
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Auflage: 1
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Jos. Koesel’sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Kempten
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[275]
Einleitung

über Leben und Schriften Isaak’s von Ninive.


In der Vorrede zu diesem Band hatten wir die Absicht ausgesprochen, das ascetische Werk Isaak’s von Ninive vollständig für die „Bibliothek der Kirchenväter“ zu übersetzen, und zwar auf Grund der lobenden Urtheile der wenigen Gelehrten, welche damals schon Gelegenheit gefunden hatten, dasselbe in seinem ganzen Umfange und im Original kennen zu lernen. Wir müssen aber gestehen, daß unsere eigene Beschäftigung mit demselben uns zu der Ansicht bestimmte, es sei wohl für die Geschichte der mystischen Theologie wichtig, werde aber in praktisch-erbaulicher Hinsicht unsere Zeit weniger ansprechen, und ein geehrter Herr Recensent möchte vielleicht sein Urtheil, man könne nicht nur bei Cyrillonas, Baläus, Aphraates u. s. w., sondern sogar bei dem großen heil. Ephräm kaum fünf oder sechs Seiten durchlesen, mit etwas mehr Recht in Bezug auf unseren Isaak wiederholen. Aus diesem Grunde schrieben wir in London nur die sechs ersten Abhandlungen Isaak’s ab, so daß die Leser statt des versprochenen Ganzen nur einen verhältnißmäßig kleinen Theil erhalten.

[276] Über den Verfasser der hier vorliegenden ascetischen Unterweisungen haben wir fast keine Nachrichten[1] ausser der folgenden, von Joseph Simon Assemani (Bibl. Orient. I. S. 444) abgedruckten Einleitung zu der arabischen Übersetzung seines Werkes: „Dieser große Heilige Isaak war seiner Heimath nach ein Orientale (d. h. aus dem persischen Reiche), seiner Nationalität nach ein Syrer. Er lebte mit seinem Bruder zusammen als Mönch in dem großen Kloster des h. Mar Matthäus (bei Mossul oder Ninive, vgl. S. 10). Wegen ihrer großen Weisheit und ihrer Fortschritte in der klösterlichen Vollkommenheit wurde sein Bruder zum Klostervorsteher und Aufseher der Mönche erwählt; der h. Isaak selbst aber zog sich, nachdem er es in den Vorschriften des gemeinsamen Lebens zur höchsten Vollendung gebracht hatte, in eine von dem Kloster einige Meilen entfernte Zelle zurück, um sich ganz dem Stillschweigen, der Einsamkeit und der vollständigen Lostrennung von allen Dingen hinzugeben. Und obgleich ihn sein Bruder fortwährend durch Briefe zur Rückkehr in das Kloster zu bewegen suchte, so gab er ihm doch hierin nicht nach.[2] Nachdem sich der Ruf seiner [277] Weisheit und Heiligkeit verbreitet hatte, wurde er zum Bischof der großen Stadt Ninive erwählt. Am ersten Tag, den er in der bischöflichen Zelle zubrachte, kamen zwei Männer zu ihm, um bei ihm Recht zu suchen. Der Eine behauptete, der Andere sei ihm Geld schuldig, und forderte es von ihm zurück; Dieser gestand zwar die Schuld ein, bat aber um einen kurzen Aufschub, bis er im Stande sein würde, sie zu bezahlen. Aber jener unselige Reiche weigerte sich und sprach: Ich will mein Geld von ihm wieder haben; wo nicht, so werde ich ihn dem Richter überliefern. Da erwiderte ihm der h. Isaak: Das heilige Evangelium gebietet ja, daß du sogar von einem Räuber nicht zurückfordern sollst, was er dir weggenommen hat; mußt du da nicht um so mehr mit Diesem Geduld haben? Darauf antwortete der Elende: Laß das Gerede vom Evangelium gut sein! Da dachte der h. Isaak: Wenn man hier dem Evangelium nicht gehorchen will, warum bin ich dann hierher gekommen, und was könnte ich wirken? Nachdem der Heilige überdieß noch bemerkt hatte, daß die Übung des einsamen Lebens unter der Verwaltung des Episcopats Schaden litt, so verließ er sein Bisthum, gab Alles auf und floh in die heilige sketische Wüste, wo er sein ganzes noch übriges Leben zubrachte und die höchste Stufe der Heiligkeit erreichte. Er war Lehrer und Führer der ganzen Schaar der Mönche und ein Hafen der Erlösung für alle; und diese vier Bücher der Belehrung über den Ordensstand hat er mit höchster Beredsamkeit geschrieben. Der Segen seiner Gebete möge uns beschützen, Amen! Dieser Heilige hat im Anfange des siebten Jahrtausends der Welt gelebt.“

Diese Zeitangabe[3] ist nach der Chronologie der Septuaginta [278] zu verstehen, welche die Geburt Christi um das Jahr 5500 nach Erschaffung der Welt ansetzt. Demnach müßte Isaak von Ninive gegen Anfang des sechsten Jahrhunderts gelebt haben. Hiermit stimmt überein, daß er den im Jahr 521 verstorbenen Jakob von Sarug citirt, sowie die dem Areopagiten Dionysius zugeschriebenen Werke, welche eben um diese Zeit zuerst bekannt wurden. Mehr gegen Ende des sechsten Jahrhunderts würde er gelebt haben, wenn er wirklich, wie Assemani behauptet, einen Brief an den im Jahre 593 gestorbenen jüngeren Styliten Simeon den Thaumastoriten (so genannt, weil er von seinem 20. Lebensjahre bis zu seinem Tod 55 Jahre lang auf dem „wunderbaren Berge“ bei Antiochien gestanden hat) geschrieben hätte. Aber P. Cozza hat schlagend nachgewiesen,[4] daß Simeon der Thaumastorite unmöglich der Empfänger jenes Briefes sein kann. Denn alle Handschriften bezeichnen denselben entweder einfach als den Abt Simeon oder als einen Abt Simeon aus Cäsarea. Dagegen wird er nirgends ein Stylit genannt, ebensowenig Thaumstorite; denn die Behauptung Assemani’s, die correcteren Handschriften gäben ihm letzteren Namen, ist ganz irrig und muß auf einer Verwechslung mit dem Prädikat „Thaumaturg“ beruhen, welches ihm allerdings in einigen Handschriften beigelegt wird. Diese äusseren Beweisgründe werden durch die inneren vollkommen bestätigt. Es ist schwer denkbar, daß Simeon der Thaumastorite, das Orakel seiner Zeit, die vielen irrigen Ansichten gehegt haben sollte, wegen deren Isaak seinen Correspondenten zurecht weist. Überhaupt würde der ganze, etwas von oben herab klingende Ton des Briefes einem solchen Heiligen gegenüber im höchsten Grade vergriffen sein. So beruft sich Simeon auf das Beispiel einiger gefeierten Altväter, um zu beweisen, daß man die Pflege der Armen und Kranken zu Gunsten ungestörter [279] Beschaulichkeit vernachlässigen solle, worauf ihm Isaak entgegnet, das dürften wohl solche der Welt ganz abgestorbene Asceten thun, nicht aber Leute wie sein Adressat, der gar weit von deren Vollkommenheit entfernt sei und noch in weltlichen Dingen und im Umgange mit Menschen seine Erholung suche. Ja weiterhin sagt Isaak, aus den Äusserungen Simeon’s müsser er schließen, daß Dieser bereits einen Anfang in der Reinigung des Herzens und dem eifrigen Denken an Gott gemacht habe; das sei wohl, wenn es wirklich auf Wahrheit beruhe, etwas Großes, er wünschte aber, Simeon hätte es nicht selbst von sich ausgesagt. Welche dummdreiste Unverschämtheit würde in dem Anschlagen eines solchen Tones gegenüber einem Heiligen wie dem Thaumastoriten Simeon liegen, welcher der Welt und allem irdischen Troste auf’s vollständigste entsagt hatte, seit seinem fünften Lebensjahre als Stylit überhaupt keinen „Umgang mit Menschen“ mehr haben konnte, siebenzig Jahre hindurch in steter Gebetseinigung mit Gott und fast absoluter Nahrungs- und Schlaflosigkeit auf Säulen stand und von allen Zeitgenossen als ein unerhörtes Wunder der Gnade angestaunt wurde! Wir brauchen also kaum noch auf den Umstand hinzuweisen, daß der Brief auch nicht die leiseste Anspielung auf das Säulenstehen enthält, um in dem Adressaten nicht den Thaumastoriten, sondern irgend einen sonst unbekannten Abt Simeon aus Cäsarea mit Sicherheit zu erkennen. Demnach ist auch als Zeitalter Isaak’s von Ninive die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts festzuhalten.

Über die Rechtgläubigkeit Isaak’s läßt sich aus seinen Schriften keine sichere Entscheidung treffen, da diese nur selten eigentlich dogmatische Gegenstände berühren. Eine der von nestorianischen Abschreibern herrührenden syrischen Handschriften seines Werkes in London (die andere ist an beiden Stellen defekt) enthält zu Anfang der dritten von uns übersetzten Abhandlung eine Anerkennung zweier Naturen in Christo, wodurch also jedenfalls ein monophysitischer Verfasser ausgeschlossen wäre, in einer späteren, hier nicht übersetzten Abhandlung aber eine Beziehung auf den [280] Kommentar des Theodor von Mopsuestia zur Apostelgeschichte unter maßlos überschwänglichen Lobpreisungen dieses Mannes. Letztere wird jedoch von einer monophysitischen Randbemerkung für nestorianische Interpolation erklärt; und in der That scheint darauf die Zwecklosigkeit der Beziehung (sie ist nämlich kein eigentliches Citat, sondern es wird nur nach irgend einer unbedeutenden, selbstverständlichen Bemerkung hinzugefügt, daß sich auch Theodorus in seinem Kommentar zur Apostelgeschichte und in allen seinen Schriften so ausspreche) und der hierzu gar keinem Verhältniß stehende, sonst bei Isaak unerhörte, bombastische Schwulst hinzudeuten, mit welchem der Mopsuestener gefeiert wird. Dieses nur in einer syrischen Handschrift vorkommende Citat aus Theodor von Mopsuestia wird mehr als aufgewogen durch ein Citat aus dem Genesiscommentar des h. Cyrill von Alexandrien (in der Leipziger Ausgabe S. 363), welches jedenfalls so viel beweist, daß er zur Zeit der Abfassung seines Werkes kein Nestorianer sein konnte, sondern nur entweder Monophysit oder Katholik.

Den sichersten Anhaltspunkt, um das Glaubensbekenntniß unseres Isaak zu bestimmen, dürften die Angaben bieten, daß er Mönch im Matthäuskloster und später Bischof von Ninive war, welche von der schon erwähnten Biographie, letztere auch von den syrischen, griechischen und arabischen Handschriften seines Werkes, bezeugt werden.

Bekanntlich zwang gegen Ende des 5. Jahrhunderts die persische Regierung allen ihren christlichen Unterthanen den Nestorianismus auf, gleichsam als Staatsreligion zweiter Klasse, wobei die aus Edessa vertriebenen Professoren der dortigen Perserschule, und unter diesen namentlich Barsaumas, der sich zum Bischof von Nisibis aufwarf und eine Nonne heirathete, als brauchbare Werkzeuge des Königs Pheroz gegen die stattsfeindliche, unpatriotische „römische“ Kirche dienten. Als Barsaumas, von persischen Soldaten begleitet, in das Matthäuskloster eindringen wollte, entflohen die Bewohner desselben, so daß er nur zwölf Mönche und den Bischof Barsahde daselbst antraf, welche er gefangen nach [281] Nisibis abführen und dort später hinrichten ließ. Diesen Barsahde nennt Barhebräus sowohl Metropoliten des Matthäusklosters als auch von Ninive,[5] indem wahrscheinlich schon damals die später bei den Jakobiten nachweisbare Gewohnheit bestand, daß der Bischof von Ninive in dem Matthäuskloster residirte; vielleicht war Dieß sogar schon im Anfang des 4. Jahrhunderts bei Aphraates der Fall. Nach seinem Besuch im Matthäuskloster zog Barsaumas auch in Ninive ein, wo er neunzig Priester im Kloster Biznitha und viele andere Christen in der Umgebung der Stadt ermorden ließ.

Barhebräus gibt nicht an, ob die Opfer des Barsaumas Katholiken oder Monophysiten waren; jedenfalls war aber vom Ende des 5. bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts die ganze christliche Bevölkerung Persiens (mit Ausnahme von Tagrit) dem Nestorianismus unterworfen. Die Behauptung des Barhebräus, König Kovad habe dem monophysitischen Bischof Simeon von Betharsam Vollmacht zur Bekämpfung des Nestorianismus verliehen, wird wohl unhistorisch sein. Von katholischen Diöcesen findet sich vollends keine Spur.[6] Alle Bischöfe im persischen Reich waren ohne Zweifel nestorianisch; speziell für Ninive wird um die Mitte des 6. Jahrhunderts ein Bischof dieser Sekte erwähnt.[7] Seit dieser Zeit nahm durch Kriegsgefangene [282] die Anzahl der Katholiken zu, welchen Khosru Anuschirwan in dem Friedensschluß mit dem römischen Reich vom Jahr 561 Religionsfreiheit zusicherte, noch weit mehr aber die der Monophysiten. Letztere stellten damals den ersten Maphrian oder Primas des Orients für ihre persischen Gemeinden auf[8] und setzten sich auch in den Besitz des Matthäusklosters, welches sie wieder zur Wohnung eines Bischofs machten. Barhebräus berichtet nämlich,[9] der armenische Katholikus oder Patriarch Christophorus habe den Mönchen von Mar Matthäus, als er gehört, daß sie sich daselbst wieder versammelt hätten, einen Metropoliten, Namens Garmai, zum Nachfolger des Barsahde geweiht. Daß die Weihe des Garmai nicht alsbald nach der Ermordung des Barsahde, sondern etwa ein halbes Jahrhundert später, zur Zeit des Jakob Baradäus stattfand, ergibt sich aus der Bemerkung des Barhebräus, die syrischen Monophysiten hätten damals im ganzen Orient nur noch einen Bischof (zu Singara) gehabt, was nach einer anderen Stelle[10] erst zur Zeit des Baradäus der Fall war. Auf Garmai folgten als monophysitische Bischöfe zu Mar Matthäus nach einander Tobias, Jesuzache, Sahda, Simeon und Christophorus, welcher den Maruthas im Jahr 629 zum Maphrian weihte. Seit dem Ende des 7. Jahrhunderts besitzen wir eine ununterbrochenene Reihe bestimmter Zeugnisse für den Monophysitismus des Matthäusklosters und seines Bischofs.[11] Nur um die Mitte dieses Jahrhunderts scheint es einmal [283] vorübergehend im Besitz der Nestorianer gewesen zu sein, da Jesujahb von Adiabene, damals Bischof von Ninive, später nestorianischer Patriarch, an die Mönche des Klosters auf dem Berge Lepheph (was nur ein anderer Name für das Matthäusklsoter ist) wie an seine Untergebenen und Glaubensgenossen schrieb.[12] Vielleicht wurde das Kloster damals zeitweilig den Monophysiten entrissen, als Khosru Parwiz allen Christen den Übertritt zum Nestorianismus anbefahl, wie denn überhaupt Jesujahb sehr aggressiv gegen jene Sekte auftrat und sie auch am Bau einer Kirche vor den Thoren Ninive’s verhinderte.[13]

Aus diesem geschichtlichen Überblick ergibt sich, daß Isaak von Ninive, da er in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts lebte, als Mönch zu Mar Matthäus und Bischof von Ninive schwerlich einer anderen Gemeinschaft als der nestorianischen angehört haben konnte. Unter dieser Voraussetzung läßt sich aber seine Verzichtleistung auf das Bisthum und seine Übersiedlung in die sketische Wüste nur als Lossagung vom Nestorianismus auffassen. Denn wie wäre es denkbar, daß er sonst ein Land aufgesucht hätte, in welchem niemals ein Kloster und damals nicht einmal eine Gemeinde von Nestorianern bestand, wo er also entweder auf Gottesdienst und Empfang der Sakramente ganz hätte verzichten oder religiöse Gemeinschaft mit Andersgläubigen unterhalten müssen? Auch ist nicht anzunehmen, daß er daselbst dem Monophysitismus angehangen habe; denn wir wissen aus der „Paradiesleiter“ des Johannes Climacus und der „geistlichen Wiese“ des Johannes Moschus, daß im 6. Jahrhundert die Mönche der sketischen Wüste noch größtentheils der katholischen Kirche angehörten. Erst unter der muhammedanischen Herrschaft schwand der katholische Glaube aus diesen Klöstern, wie überhaupt aus fast ganz Ägypten.

[284] Immerhin bliebe auch noch die Annahme möglich, daß Isaak stets rechtgläubig gewesen sei, da ihr nur ein negatives Argument entgegensteht, nämlich unsere Unbekanntschaft mit der Existenz von katholischen Diöcesen und Klöstern in Persien zu seiner Zeit. Daß er aber auf jeden Fall in der Gemeinschaft der Kirche gestorben sein muß, beweist schon die Übersetzung seines Werkes in das Griechische durch Mönche des orthodoxen Sabasklosters. Es ist vielfach vermuthet worden, Isaak von Ninive möchte mit dem heil. Anachoreten Isaak identisch sein, welcher, den Dialogen (III, 14) Gregor’s des Großen zufolge, aus Syrien nach Italien reiste, dort bis gegen Ende der Gothenherrschaft lebte und mit wenigen Gefährten ein kleines Kloster in der Nähe von Spoleto bewohnte. Der h. Gregor preist seine Vollkommenheit und erzählt mehrere Beispiele von seiner Wundergabe und prophetischen Erleuchtung. Eine ihm angebotene Ausstattung seines Klosters mit Grundbesitz habe er mit den Worten zurückgewiesen: „Ein Mönch, welcher auf Erden Besitzungen sucht, ist kein Mönch.“ Mit der Chronologie würde die Identificirung dieser beiden Isaake sehr gut stimmen; auch finden sich manche jenem Ausspruch ähnliche Stellen in dem Werke des Niniviten. Doch stehen weit bedeutendere Schwierigkeiten entgegen, wie die Nichterwähnung der bischöflichen Würde bei Gregor’s syrischem Anachoreten und die ausdrückliche Angabe der Biographie, Isaak sei von Ninive nach der sketischen Wüste abgereist und dort bis zu seinem Tode geblieben. Auch scheint uns die Bemerkung Gregor’s, der Anachoret Isaak sei oft in einer so heiteren Geistesstimmung gewesen, daß Solche, die ihn nicht näher kannten, an seiner Heiligkeit hätten zweifeln können, nicht zu dem etwas melancholischen Ton zu passen, welcher in dem Werke des Niniviten vorherrscht. Wir möchten daher, zumal bei der ausserordentlichen Häufigkeit des Namens Isaak unter den Syrern, eher die Verschiedenheit beider Personen von einander annehmen.

Über das große ascetische Werk Isaak’s sagt Ebedjesu in seinem syrischen Schriftstellerverzeichniß: „Isaak von [285] Ninive hat sieben Bände verfaßt über das geistliche Leben, die göttlichen Geheimnisse, Urtheile und Seelenleitung.“ Einen eigentlichen Gesammttitel scheint das Buch von Anfang an nicht gehabt zu haben, da ein solcher weder im syrischen Original[14] noch in der arabischen Übersetzung vorkommt und es auch die griechische Übersetzung nur im Allgemeinen als „ascetische Reden“ bezeichnet. Diese Erscheinung erklärt sich wohl daraus, daß die einzelnen asecetischen Abhandlungen, Briefe und Gespräche nicht von Isaak selbst, sondern von Anderen gesammelt wurden, worauf auch die ganz verschiedene Reihenfolge der Kapitel in den beiden Hauptrecensionen des Werkes hinweist.

Die eine Textgestalt wird durch die von einem Diakon Abdallah, Sohn des Alfadhl,[15] herrührende arabische Übersetzung repräsentirt. Sie besteht aus vier Büchern; das erste zerfällt in 28 Kapitel, das zweite in 45 oder vielmehr, da das 12. und 29. identisch sind, in 44, das dritte ebenfalls in 44, das vierte in 18. Am Ende des ersten Buches wird bemerkt, dasselbe enthalte noch mehr Kapitel, welche aber nur in Syrien vorhanden seien.

Ganz abweichend hiervon ist der syrische Text eingerichtet, welcher sich in zwei monophysitischen Handschriften zu Rom und in zwei nestorianischen zu London erhalten hat. Er umfaßt nur ein einziges Buch, welches als „erster Theil“ der Werke Isaak’s bezeichnet wird (obgleich sich nirgends eine Spur von dem dazu gehörigen zweiten Theil findet) und von dem ersten arabischen Buch Nichts, dagegen von dem Inhalt der drei folgenden wenigstens drei Viertel enthält; das fehlende Viertel entspricht nicht etwa dem Schluß des arabischen Textes, sondern ergibt sich dadurch, [286] daß einzelne Kapitel aus dem zweiten, dritten und vierten arabischen Buch im syrischen Text nicht vorkommen. Aber auch die Reihenfolge der Kapitel ist im Syrischen eine ganz andere als im Arabischen. So bilden z. B. die von uns übersetzten sechs Abhandlungen über das tugendhafte Leben im Syrischen den Anfang des ganzen Werkes, während im Arabischen den drei ersten die sieben Anfangskapitel des zweiten Buches, den drei folgenden aber die vier Anfangskapitel des dritten Buches entsprechen. Übrigens stimmen die syrischen Handschriften auch unter sich selbst nicht ganz überein; namentlich haben die Londoner noch einige Kapitel, welche weder in den römischen Handschriften des syrischen Textes noch in der arabischen Übersetzung vorkommen. Bis jetzt sind erst zwei Kapitel des syrischen Originals im Druck erschienen.[16]

Die von den Mönchen Patricius und Abraham im Sabaskloster bei Jerusalem veranstaltete griechische Übersetzung stimmt, was den Inhalt und die Reihenfolge der in ihr enthaltenen Abschnitte betrifft, im Wesentlichen mit dem syrischen Text überein, obgleich sie zuweilen Kapitel hat, die sonst nur im Arabischen vorkommen, auch die Anordnung oft vom Syrischen abweicht und sich in einigen Handschriften mehr dem Arabischen nähert. Diese Übersetzung wurde im Jahre 1770 zu Leipzig von einem griechisch-schismatischen Mönch Nicephorus Theotokius (später Erzbischof von Astrachan) herausgegeben; die Leipziger Universitäts-Bibliothek besitzt ein Exemplar derselben.[17] Der Herausgeber Nicephorus hat die Abhandlungen, welche in den ihm vorliegenden Handschriften sehr verschieden angeordnet waren, nach seiner eigenen willkürlichen Sachordnung abdrucken lassen.

[287] Auf der griechischen Übersetzung beruht die lateinische, welche zuerst 1506 in Venedig gedruckt wurde und seitdem in die verschiedenen patristischen Sammelwerke überging, Anfangs irriger Weise unter dem Namen des Isaak von Antiochien. Bei Migne findet sie sich im I. Theil des 86. Bandes der Patrologia graeca, S. 811 ff. Sie beginnt mit dem dritten Kapitel des syrischen Textes, welches (wie schon bemerkt) dem Anfang des dritten arabischen Buches entspricht, und enthält nur ungefähr die erste Hälfte des in dem griechischen Texte vorliegenden Stoffes. — Ausserdem existirt noch eine äthiopische Übersetzung, über die uns aber nichts Näheres bekannt ist.

Da man, wie es scheint, alle Abhandlungen unseres Isaak, deren man habhaft werden konnte, in dem eben besprochenen Sammelwerk vereinigt hat, so sind fast keine anderen Schriften von ihm vorhanden. Denn auch sein langer Brief an den Abt Simeon von Cäsarea bildet im griechischen Text den Schluß jenes Werkes. Jedoch findet sich in Oxford ein ihm zugeschriebener Hymnus, durch dessen Gesang sich die Mönche nach Beendigung des nächtlichen Officiums am Einschlafen verhindern sollen. Das ausdrückliche Zeugniß der Überschrift wird hier durch die Übereinstimmung der Gedanken und Ausdrücke mit dem ascetischen Werke bestätigt; namentlich gestattet die ganze Art des Gedichtes nicht, den Antiochener Issak als Verfasser zu vermuthen. Ob die Gebete Isaak’s von Ninive, welche öfters in jakobitischen Handschriften vorkommen, selbstständig überliefert oder nur aus dem großen ascetischen Werke entnommen sind, würde sich ohne Vergleichung jener Handschriften nicht entscheiden lassen. Statt dessen wollen wir hier zwei ganz kurze Gebete Isaak’s von Ninive zur Sext aus einer uns gehörenden Handschrift übersetzen:

„Eingeborener aus dem Schooße des Vaters, der du stets durch die Herrlichkeit deines Wesens die geistlichen Welten (d. h. die himmlischen Heerschaaren) in Staunen versetzest, aber aus Liebe zu den Sterblichen deinen hehren Glanz mit dem Vorhange des Fleisches von unseren Gliedern [288] verhüllt und dich der Welt in Niedrigkeit gezeigt hast,[18] würdige mich, o Herr, durch deine Gnade, daß ich durch das Verlangen nach dir diese zeitliche Welt vergesse und nicht mehr des vergänglichen Fleisches gedenke, durch welches mich die Gewalt dieser Welt der Finsterniß gefesselt hält! Präge in deiner Barmherzigkeit meinem innersten Herzen deine verborgenen Geheimnisse ein durch die Einwirkung des heiligen Geistes, so daß ich mich an deinem verborgenen Wesen erfreue durch Seelenregungen, welche ohne zusammengesetzte Augen schauen!“

„O Herr, der du mich äusserlich durch die Kraft deiner heiligen Rechten aus der Welt herausgeführt hast, würdige mich auch der innerlichen Herausführung, daß ich, aller Regungen der sinnlichen Welt entäussert, dir ganz und ausschließlich nachfolge, indem ich Nichts ausser dir sehe, sondern mich nur in die Tiefen deiner hehren Geheimnisse versenke! Läutere mein Herz, o Herr, von irdischen Gedanken und richte meine Regungen auf die Hoffnung der zukünftigen Welt!“

Im Katalog der syrischen Handschriften des britischen Museums wird dem Niniviten Isaak noch ein Gedicht „über die verschiedenen Bestandtheile des Menschengebildes“ und ein anderes, Seligpreisungen enthaltend, zugeschrieben; beide gehören jedoch höchst wahrscheinlich dem Antiochener an.[19] Deßgleichen soll Isaak von Ninive nach dem Katalog der Pariser syrischen Handschriften einen Brief über das Anachoretenleben [289] verfaßt haben; das Manuscript schreibt ihn aber ausdrücklich dem Isaak von Cellia zu, dem bekannten ägyptischen Mönch und Priester aus dem 4. Jahrhundert, welcher für diejenigen Mönche Gottesdienst hielt, die sich als Anachoreten in die Gegend „Cellia“ (in der libyschen Wüste etwa 3 Stunden südwestlich von Nitria) zurückgezogen hatten. Die Vermuthung des Faustus Naironus, Isaak von Ninive sei der Verfasser der syrischen Encyclopädie „Universalbuch für alle Völker“, hat schon Assemani widerlegt.

Inhalt und Bedeutung des großen ascetischen Werkes brauchen wir nicht ausführlich zu besprechen, da der Leser aus den hier übersetzten Abschnitten sich schon ein genügendes Urtheil darüber bilden kann, auch die Zusammenstellung des Ganzen aus einzelnen Abhandlungen eine Disposition ausschließt. Seine Grundgedanken sind die der christlichen Mystik überhaupt, welche, ihrem Wesen nach so alt als das Christenthum selbst, in mehr praktischer Form schon in den Schriften des h. Makarius vollkommen ausgebildet erscheint und kurz vor der Zeit unseres Isaak in den areopagitischen Schriften eine großartige spekulative Basis erhalten hatte. Die mystische Theologie ist, nach der schönen Definition des P. Corderius, eine von Gott eingegossene, den Besitz Gottes zum Gegenstand habende Erfahrungswissenschaft, welche die von jeder Unordnung gereinigte Seele durch die übernatürlichen Akte des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe mit Gott auf’s Innigste vereinigt. Diese Definition umfaßt die drei Stufen des mystischen Weges, die Reinigung von Selbstsucht und Anhänglichkeit an die Welt durch selbstverläugnende Entsagung und Sammlung, die Erleuchtung durch Betrachtung der göttlichen Wahrheiten und Ausübung der übernatürlichen Tugenden, endlich die Vollendung in unmittelbarer Vereinigung der Seele mit Gott bis zur Ekstase der passiven Kontemplation, in welcher die Seele ihre eigene Thätigkeit gewissermaßen ruhen läßt und sich ganz den göttlichen Einwirkungen hingibt. Isaak von Ninive ist einer der ältesten unter den Autoren, welche diese Dinge systematisch [290] und theoretisch behandelt haben, und ist ihm wohl deßhalb noch nicht ganz gelungen, das spekulative Element in seinem Werke mit dem praktischen in die rechte Harmonie zu bringen. Deßhalb erscheinen manche Partieen etwas trocken und das Ganze ungleich, so daß nicht nur die späteren Meisterwerke der mystischen Wissenschaft, sondern auch die älteren ascetischen Schriften, welche unbefangen rein praktisch erbauliche Zwecke verfolgen, einen befriedigenderen Eindruck machen. Doch bietet auch Isaak herrliche Anleitungen zur christlichen Vollkommenheit, und wäre sehr zu wünschen, daß ein im inneren Leben erfahrener Geistesmann uns mit einer Ausgabe seines ganzen Werkes beschenken möge.

Noch müssen wir für die Übersetzung um besondere Nachsicht bitten, da Isaak von Ninive nicht nur an sich zu den schwersten syrischen Schriftstellern gehört, sondern auch die vielen psychologischen und mystischen Kunstausdrücke sehr schwer ins Deutsche übertragen werden können, in welchem sie oft kein Äquivalent haben oder nur ein den meisten Lesern unverständliches.

Die zunächst folgenden sechs Abhandlungen, mit welchen das syrische Originalwerk beginnt, haben wir aus den zwei nestorianischen Handschriften im britischen Museum[20] übersetzt: die beiden monophysitischen zu Rom konnten wir leider nicht vergleichen. Die gesperrt gedruckten Überschriften sind dem syrischen Text, die in Kleindruck der griechischen Übersetzung entnommen.


  1. Ganz werthlos sind die nur aus Isaak’s Buch geschöpften Notizen des Mönches Tacha (bei Mai, Nova Patrum Bibl. VIII., III., S. 188) und der in der Leipziger Ausgabe des griechischen Textes abgedruckten Einleitung. Letztere ist aus späterer Zeit als Tacha, da sie die allgemein gehaltene Bemerkung des Letzteren, Isaak sei „durch göttlichen Beschluß“ Bischof von Ninive geworden, dahin mißversteht, er sei auf eine wunderbare Weise zum Episcopat berufen worden. Auf ihre Angabe, er sei „nicht weit von Edessa“ geboren und erzogen worden, ist natürlich Nichts zu geben.
  2. In dem ascetischen Werke Isaak’s findet sich wirklich ein solches Antwortschreiben an seinen Bruder (in der Leipziger Ausgabe des griechischen Textes, S. 531). — Bekanntlich pflegten sich damals die vollkommensten Mönche, nachdem sie sich lange Zeit als Cönobiten im gemeinschaftlichen Leben des Klosters unter dem Gehorsam geübt hatten, mit Erlaubniß der Oberen als Anachoreten in einsame, vom Verkehr mit den Menschen abgeschlossenen Zellen zurückzuziehen.
  3. Die sonderbare Art der Zeitbestimmung rührt daher, daß Isaak in seinem ascetischen Werke einmal bemerkt, die Dämonen seien 6000 Jahre alt (vgl. die Leipziger Ausgabe der griechischen Uebersetzung, S. 212–213). Der Biograph hat also seine chronologische Notiz nur aus dieser Stelle geschöpft und besaß keine selbstständige Kenntniß von dem Zeitalter Isaak’s.
  4. Im 8. Bande von Mai’s Nova Patrum Bibliotheca, S. XXII.
  5. Bibl. Orient. III., I. S. 393.
  6. Assemani verlegt zwar einen katholischen Bischof Georg von Tagrit in das 6. Jahrhundert (Bibl. Orient. I., S. 465); derselbe kann aber erst um das Jahr 700 gelebt haben, da zwei seiner Schüler Zeitgenossen des jakobitischen Bischofs Elias waren, gegen welchen der h. Johannes Damascenus schrieb. Nach Johannes Moschus muß übrigens gegen Ende des 6. Jahrhunderts eine katholische Kirche zu Nisibis bestanden haben.
  7. Bibl. Orient. II., S. 413.
  8. Die drei ersten Maphriane hatten keinen bestimmten Sitz; erst Maruthas nahm im Jahr 629 seinen Wohnort zu Tagrit. Seit dem 12. Jahrhundert wohnten die Maphriane im Matthäuskloster.
  9. Bibl. Orient. II., S. 411.
  10. Gregorii Barhebraei chronicon, ed. Abbeloos und Lamp, I., S. 218.
  11. Vergl. z. B. Barhebraei chronicon, ed. Abbeloos, I., S. 286; Bibl. Orient. I., S. 465; III, I., S. 196.
  12. Bibl. Orient. III., I., S. 141.
  13. Bibl. Orient. III., I., S. 114.
  14. Bei Assemani (Bibl. Orient. I., S. 449) erscheint die Ueberschrift des ersten syrischen Abschnittes: „Vom Wege des Mönchthums“ nur deßhalb wie ein Gesammttitel, weil er die syrischen Ueberschriften der Eintheilung und Anordnung des arabischen Textes angepaßt hat.
  15. Bibl. Orient. I., S. 208.
  16. In Zingerle’s Monumenta syriaca, I., S. 97–101.
  17. Der Titel dieser überaus seltenen Ausgabe lautet: Τοῦ ὁσίου Πατρὸς ἡμῶν ᾿Ισαὰκ ᾿Επισκόπου Νινευὶ τοῦ Σύρου τὰ εὑρεθέντα ἀσκητικὰ, ἐπιμελείᾳ Νικηφόρου ῾Ιερομοναχοῦ τοῦ Θεοτόκου ἤδη πρῶτον τύποις ἐκδοθέντα.
  18. Bis hieher stimmt obiges Gebet vielfach mit dem Schlusse der dritten von uns übersetzten Abhandlung überein.
  19. Allerdings scheint das erste Kapitel des ersten arabischen Buches des Niniviten eine Uebersetzung des ersteren Gedichts zu sein; Dieß würde aber nur den Verdacht begründen, daß jenes ganze Buch, welches in der syrischen Recension fehlt, unecht und eine Zusammenstellung aus anderen ascetischen Schriftstellern sei. Eine römische Handschrift gibt das Gedicht ausdrücklich als Werk des Antiocheners.
  20. Es sind dieß Cod. add. 14632 und 14633, beide aus dem 10. Jahrhundert. Der Anfang des Cod. 14632 bis zu einer in der Uebersetzung zu bezeichnenden Stelle der fünften Abhandlung ist von einer späteren Hand durch bloßes Abschreiben aus dem Cod. 14633 ergänzt, also ohne selbstständigen kritischen Werth.