Einleitung über Leben und Schriften des Rabulas

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Autor: Gustav Bickell
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Titel: Einleitung über Leben und Schriften des Rabulas
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aus: Bibliothek der Kirchenväter, Band 38, S. 155-165
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Auflage: 1
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Jos. Koesel’sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Kempten
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[155]
Einleitung

über Leben und Schriften des Rabulas.




Da wir die ausführliche Biographie des Rabulas, welche alsbald nach seinem Tode zu Edessa abgefaßt wurde und in einem Manuscript des sechsten Jahrhunderts vorliegt, vollständig mittheilen werden, so können wir uns hier auf einen kurzen Überblick seines Lebenslaufes beschränken, unter besonderer Hervorhebung der von dem alten syrischen Biographen theils übergangenen, theils ungenau dargestellten Ereignisse. Daß der Verfasser dieser Biographie ein Edessener war, ergibt sich schon aus ihrem ersten Satze, in welchem er Edessa „unsere Stadt“ nennt. Als Zeitgenossen des Rabulas gibt er sich dadurch ausdrücklich zu erkennen, daß er sich da, wo er über dessen Bekehrung berichtet, auf mündliche Mittheilungen beruft, die ihm Rabulas selbst gemacht habe, ausserdem aber auch durch die bestimmte und anschauliche Art seiner Darstellung, die reiche Fülle seiner positiven Angaben und die lebendige Erinnerung an die Persönlichkeit des Gefeierten, welche überall durchschimmert. Zudem scheint es, als setze er den Nestorius als noch lebend voraus. Der [156] Biograph war wohl ein Kleriker der edessenischen Kirche, welcher mit größtem Eifer seinem Bischof in der Bekämpfung der nestorianischen Irrlehre zur Seite stand. Ja, er mochte zu denen gehören, welche der Rechtgläubigkeit der orientalischen Bischöfe und insbesondere des späteren Bischofs Ibas von Edessa, auch nach ihrer Unterwerfung unter die ephesinischen Beschlüsse, nicht recht trauten. Wenigstens scheinen einige Äusserungen eine versteckte Pointe gegen diesen Nachfolger des Rabulas zu enthalten, der übrigens nirgends genannt wird. Wenn unser Panegyriker von „Einer Natur und Person des ewigen Sohnes“ spricht, so ist zwar sehr leicht denkbar, daß das Wort „Natur“ hier, wie so oft, von monophysitischen Abschreibern hinzugefälscht wäre; doch auch ohne diese Annahme läßt sich die Rechtgläubigkeit des Verfassers vertheidigen, wenn wir nur erwägen, daß er vor Ausbruch der eutychianischen Streitigkeiten schrieb, und daß auch der heilige Cyrill, bei ausdrücklicher Anerkennung der zwei Naturen, deren hypostatische Vereinigung durch die Formel „Eine incarnirte Natur“ bezeichnete. Auch setzt der Panegyriker an der erwähnten Stelle hinzu, daß sowohl die Gottheit als die Menschheit Christi in ihrer Eigenthümlichkeit bewahrt bleibe, was seine rechtgläubige Gesinnung ausser Zweifel setzt. Übrigens brauchen wir wohl kaum auf den hohen kirchengeschichtlichen Werth dieser Biographie besonders hinzuweisen; sie entwirft ein geradezu unschätzbares, ins Einzelne ausgeführtes Bild des kirchlichen Lebens in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts. Aus einem solchen Gesammtbilde ergibt sich auf eine wahrhaft überwältigende Weise die absolute Identität der damaligen katholischen Kirche mit der gegenwärtigen. Auch fehlt es nicht an einzelnen Beweisstellen für das hl. Meßopfer, die Transsubstantiation, die Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien, das Purgatorium, die Kanonicität der deuterocanonischen Bücher, den Werth des Fastens und der Ordensgelübde, die Verpflichtung des Klerus zum Cölibat, die gänzliche Unauflöslichkeit des Ehebandes, sowie für manche andere Lehren und Einrichtungen unserer Kirche.

[157] Wir fassen nun, das im Panegyrikus ausführlich Erzählte in eine kurze Übersicht zusammen. Rabulas war in der Stadt Kenneschrin, von den Griechen Chalcis genannt, von reichen und vornehmen Eltern geboren; sein Vater war Heide und sogar Götzenpriester, seine Mutter Christin. Im Besitze einer klassischen Bildung, großer Güter und einer hohen, ihm vom Kaiser übertragenen Ehrenstelle (nach dem alsbald zu erwähnenden Biographen des hl. Alexander wäre er Präfekt gewesen) widerstand er lange dem Zureden seiner Mutter, sich zum Christenthum zu bekehren, obgleich er auf ihren Wunsch eine christliche Gattin genommen hatte. Aber zwei Wunder, bei denen er zugegen war, und Unterredungen mit den Bischöfen Eusebius von Kenneschrin und Acacius von Aleppo brachten ihn zum Glauben. Die alte, von einem Schüler des Gefeierten verfaßte Lebensbeschreibung des hl. Alexander, des Stifters der Akömeten (mitgetheilt bei den Bollandisten, zum fünfzehnten Januar), nennt diesen Heiligen als den Haupturheber der Bekehrung unseres Rabulas; jedoch dürfte der auf eigenen Mittheilungen des Rabulas beruhende Bericht seines Panegyrikers den Vorzug vor dem auch sonst mitunter ungenauen des Biographen Alexanders verdienen. Immerhin bleibt es möglich, daß beide Biographen Recht haben und ihre Berichte sich, statt sich zu widersprechen, nur gegenseitig ergänzen. Wir werden daher den Theil der Biographie Alexanders, welcher sich auf Rabulas bezieht, nach dem Panegyrikus anhangsweise mittheilen. Nachdem Rabulas eine Pilgerfahrt nach Jerusalem unternommen und im Jordan die Taufe empfangen hatte, verzichtete er auf seinen gesammten Besitz und trat, nachdem seine Gattin Nonne geworden war, in dem Kloster des hl. Abraham bei Kenneschrin als Mönch ein. Eine Zeit hindurch lebte er als Anachoret in einer Höhle, kehrte aber später auf Bitten der Brüder wieder in das Kloster zurück.

Nach dem Tode des Bischofs Diogenes von Edessa wurde Rabulas auf einer Synode in Antiochien im Jahre 412 zu dessen Nachfolger ernannt. Die syrische Biographie entwirft ein schönes Bild von dem erbaulichen, abgetödteten [158] Wandel, den er als Bischof, wie früher als Ordensmann, führte, von seinem Eifer für die Disciplin des Klerus und das Seelenheil der Gläubigen, von seiner Sorge für Arme und Kranke, wodurch wir viele wichtige Aufschlüsse über die damaligen kirchlichen Einrichtungen erhalten. Wir erwähnen hier nur noch die bei anderen Schriftstellern gelegentlich vorkommenden Notizen über das Episkopat unseres Rabulas. Nach der Chronik von Edessa hätte er auf Befehl des Kaisers eine jüdische Synagoge in eine dem hl. Stephanus geweihte Kirche verwandelt. Der Verfasser der Biographie des hl. Alexander erzählt, Rabulas habe die heidnischen Zöglinge der in Edessa bestehenden Schulen, in welche die Vornehmen der umliegenden Gegenden ihre Söhne zu schicken pflegten, in jedem Monat zweimal zu sich kommen lassen, um sie im Christenthum zu unterweisen, und sie vor ihrer Rückkehr in die Heimath getauft. Der Kirchenhistoriker Theodorus Lector endlich berichtet von einer Erblindung des Rabulas.

Sehr kurz und ungenau behandelt unser Panegyriker die nestorianischen Streitigkeiten, in welchen Rabulas eine so bedeutende Rolle spielte. Nach seiner Darstellung hätte derselbe von Anfang an den Nestorianismus consequent bekämpft, während er doch auf dem Concil zu Ephesus nachweisbar noch bis in den September 431 zu Johann von Antiochien und dessen schismatischem Gegenconcil hielt, welches den Nestorius vertheidigte, den hl. Cyrill dagegen apollinaristischer Irrthümer beschuldigte und für abgesetzt erklärte. Es sind noch zwei von Rabulas mitunterschriebene Briefe dieser Partei vorhanden, der eine an Klerus und Volk von Hierapolis, der andere an die Bevollmächtigten, welche in Konstantinopel die Sache des Gegenconcils bei der Regierung vertheidigen sollten.

Jedoch haben die neuen, von Overbeck herausgegebenen syrischen Dokumente wenigstens in so weit die Auffassung des Panegyrikers bestätigt, als sie beweisen, daß Rabulas zu Anfang des Streites, vor dem Concil von Ephesus, bereits den Nestorianismus bekämpfte. Es findet sich nämlich unter denselben das Fragment eines Briefes an den Bischof Andreas [159] von Samosata aus dem Winter 430–431, worin Rabulas diesem wegen seiner Widerlegung der zwölf Anathematismen des hl. Cyrill Vorwürfe macht. Das Fragment lautet folgendermaßen: „An meinen Herrn, den hochwürdigsten, Gott liebenden Bischof Andreas, Rabulas. So sehr ich auch bestrebt war, mit deiner Gottesfurcht zusammenzutreffen, so wurde ich doch bald durch Krankheit, bald durch die Härte des Winters, bald durch die Ungeneigtheit deiner Gottesfurcht daran verhindert. Wenn wir uns persönlich in liebevoller Gesinnung über Alles besprochen hätten, wäre es uns vielleicht erspart geblieben, durch schlimme Nachrichten aus der Ferne beunruhigt zu werden. Nun aber zwingt mich eine mir zugegangene Abhandlung an deine Gottesfurcht zu schreiben, welche eine Widerlegung der angeblich von dem gottesfürchtigen Bischof Cyrill verfaßten zwölf Kapitel enthält. Anfangs nun glaubte ich, die Schrift rühre von dem ehrwürdigen Nestorius her, weil sich gerade diejenigen Lehren, wegen deren wir alle insgesammt Jenen tadeln, deutlich in ihr wiederfinden. Als man uns aber versicherte, sie sei von deiner Heiligkeit, da staunten wir. Ich mußte dir also schreiben, um durch eine eigenhändige Antwort deiner Frömmigkeit den wahren Sachverhalt zu erfahren. Denn die Trennung der Naturen von einander, besonders nach der Vereinigung, setzt mich in Verwirrung, da sie uns zwei Söhne statt des Einzigen bringt, wie der bewunderungswürdige Anastasius[1] mitten in Konstantinopel gesagt hat: Ich bekenne den Vater, den Sohn, den heiligen Geist und unseren Herrn Jesum Christum. Ich aber bin weit entfernt, allem Diesem beizustimmen; denn ich kann nichts Derartiges freudig hinnehmen und ertragen, noch auch mich solcher Gotteslästerungen theilhaftig machen.“ In den Fragmenten aus der Antwort des Andreas kommt noch die Notiz vor, daß ihn Rabulas angeblich vor versammelter Gemeinde anathematisirt habe.

An der Echtheit dieser Fragmente ist wohl nicht zu zweifeln, da auch ein späterer Brief des Andreas an Alexander [160] von Hierapolis, sowie der Kirchenhistoriker Theodorus Lector die Maßregeln des Rabulas gegen jene Schrift des Andreas bestätigen. Im Anfang des Streites, ehe die Anathematismen des hl. Cyrill erschienen, rieth ja auch der Patriarch Johannes von Antiochien dem Nestorius, sich dem päpstlichen Ultimatum zu unterwerfen und den Ausdruck „Gottesmutter“ anzuerkennen. Hierzu kommt nun noch, daß Rabulas nach dem Panegyrikus zu Konstantinopel in Gegenwart des Nestorius, also vor dem ephesinischen Concil, eine Predigt gegen dessen Häresie gehalten hat, eine Angabe, die durch einige Stellen dieser noch vorhandenen Predigt bestätigt zu werden scheint.

Wir müssen also wohl annehmen, daß Rabulas von Anfang an mehr auf der Seite des hl. Cyrill als auf der des Nestorius stand, auf dem Concil aber von der schismatischen Minorität, zu welcher sein Patriarch und fast alle orientalischen Bischöfe gehörten, sich allmählich einreden ließ, die Majorität habe rücksichtslos gegen die Orientalen, ungerecht gegen Nestorius gehandelt und wolle häretische Übertreibungen des Cyrillus dogmatisiren. Jedoch kehrte er früher als die übrigen orientalischen Bischöfe von dieser vorübergehenden Verirrung zurück und wirkte dann bis zu seinem Tode mit dem glühendsten Eifer für den Sieg der Rechtgläubigkeit. Dieser Umschwung fand im Winter 431–432 statt, wahrscheinlich durch eine Reise nach Konstantinopel veranlaßt, wo ihn der neuerwählte orthodoxe Patriarch Maximianus vollständig mit der Lehre des hl. Cyrill aussöhnte und ihn zu dem Entschlusse brachte, alle Kräfte zur Vertilgung des Nestorianismus in seiner Kirchenprovinz aufzubieten.[2] Da die meisten Bischöfe des antiochenischen Patriarchats [161] noch einige Zeit hindurch in ihrer Opposition gegen das ephesinische Concil verharrten, so konnte es nicht ausbleiben, daß die Maßregeln, welche Rabulas als Bischof von Edessa und Metropolit von Osrhoene gegen den Nestorianismus traf, ihn mit seinen Collegen in Conflict brachten. So klagte Andreas von Samosata kurz vor Ostern 432 in einem Brief an den Erznestorianer Alexander von Hierapolis, daß Rabulas die „Rechtgläubigen“ in Edessa verfolge. Er belege alle Gegner des Cyrill und alle Leser der Bücher Theodors von Mopsuestia mit dem Banne und lasse jene Bücher verbrennen. Auch lehre er nur eine Natur in Christo und verbanne die Andersdenkenden. Die „Rechtgläubigen“ zu Edessa seien noch unschlüssig, ob sie sich offen von seiner Kirchengemeinschaft lossagen sollten. Bald darauf erließ eine antiochenische Synode ein Schreiben an die Bischöfe von Osrhoene, welches die Beschuldigung gegen Rabulas, er verfolge die Orthodoxen und vertreibe sie aus Edessa und den umliegenden Gegenden, erwähnt und jene auffordert, wenn Dieß wahr sei, die kirchliche Gemeinschaft mit ihm auf so lange aufzuheben, bis er in Antiochien zur Untersuchung gezogen sei.

Doch kamen diese Drohungen nicht zur Ausführung, da vielmehr während des ganzen Jahres 432 die Unionsverhandlungen zwischen Cyrill und den Orientalen betrieben wurden, an welchen Rabulas eifrig mitwirkte. So haben wir einen Brief des hl. Cyrillus an ihn, worin er über die ungenügenden Zugeständnisse der Orientalen klagt. Im Frühjahr 433 kam dann endlich der kirchliche Friede und die Wiedervereinigung der Orientalen mit der Gesammtheit auf Grund der ungetrübten Wahrheit zu Stande. Die wenigen hartnäckig an der Häresie festhaltenden Bischöfe wurden nun unter Mitwirkung des weltlichen Armes unschädlich gemacht, und auch eine Mittelpartei, welche namentlich an der Condemnation des Nestorius Anstoß nahm, fand sich bald vollständig zurecht. Zu letzterer gehörte Andreas von Samosata, welcher sich bald nach Abschluß der Union zwischen Cyrillus und Johannes zu Rabulas begab, um sich durch seine Vermittlung reconciliiren zu lassen.

[162] Obgleich sich Rabulas an der Bekämpfung des Nestorianismus überhaupt eifrigst betheiligte, so war doch die Unterdrückung der Schriften des Theodor von Mopsuestia, des Lehrers des Nestorius, gleichsam seine Specialität. Wir sahen vorher, daß er dieselben schon gegen Anfang des Streites anathematisirte und zu verbrennen befahl. Er machte zuerst den hl. Cyrill in einem noch theilweise erhaltenen Schreiben auf die Gefährlichkeit dieser Schriften aufmerksam, worauf ihm dieser Heilige eine zustimmende Antwort mit den größten Lobeserhebungen zusandte. Auch warnte er im Verein mit Acacius von Melitene die armenischen Bischöfe vor den Übersetzungen des Theodorus, welche man unter ihnen zu verbreiten suchte. Zu diesem Eifer gegen die Schriften des Mopsuesteners veranlaßte ihn der Umstand, daß die Anhänger des Nestorius, nachdem ein strenges kaiserliches Verbot gegen dessen Schriften ergangen war, einen Ersatz dafür in den Werken seiner Vorläufer, des Theodor und des Diodor von Tarsus, suchten. Grade in Edessa selbst wurden damals die Schriften Theodors von dem bekannten Priester Ibas, späterem Bischof von Edessa, und zwei anderen Professoren an der Theologenschule für Perser, ins Syrische übersetzt. Ibas war dann auch die Seele des Widerstandes, den Rabulas in seiner eigenen Diöcese fand; zwar schloß er sich der Union zwischen Johannes und Cyrillus an, sprach sich aber auch nachher noch in seinem bekannten Briefe an den persischen Bischof Maris von Hardaschir, der auch sonst manche dogmatische Ungenauigkeiten enthält und die Hauptpersonen auf beiden Seiten ganz schief beurtheilt, sehr bitter über seinen Bischof aus. Er nennt ihn den Tyrannen Edessa’s, welcher den „seligen Theodorus“ anathematisirt habe und dessen Bücher überall zur Verbrennung aufsammeln lasse, um sich dafür zu rächen, daß ihn Theodor einst auf einer Synode widerlegt habe (dieselbe Verleumdung hielten auch nestorianisirende Bischöfe aus Cilicien der Warnung entgegen, welche Rabulas den Armeniern vor den Schriften des Mopsuesteners ertheilte).

Aus den von Andreas und der antiochenischen Synode [163] gebrauchten Ausdrücken scheint hervorzugehen, daß Rabulas einige Anhänger des Nestorius aus Edessa verbannte; doch war diese Maßregel jedenfalls nur von geringer und vorübergehender Bedeutung und darf nicht, wie oft geschehen, mit der Zerstörung der edessenischen Perserschule und der Verbannung ihrer nestorianischen Professoren verwechselt werden, welche der Bischof Cyrus im Jahre 489 vornahm, und welche bekanntlich die Einführung des Nestorianismus in Persien zur Folge hatte. Daß namentlich Barsaumas nicht schon von Rabulas aus Edessa vertrieben wurde und nicht bereits im Jahr 435 sich zum Bischof von Nisibis machte, wie einige syrische Autoren (bei Assemani, Bibl. Or. I, S. 350. 351) behaupten, ergibt sich jetzt klar aus den soeben von Hoffmann aus dem Syrischen übersetzten Akten der ephesinischen Räubersynode. Hier rufen nämlich die Ankläger des Ibas (S. 14), man solle den Perser Barsaumas und die anderen Unheilstifter in die Verbannung schicken. Barsaumas war also im Jahr 449 noch Professor an der Perserschule zu Edessa und flüchtete erst später nach Persien, wie auch Simeon von Betharsam, ein fast gleichzeitiger Schriftsteller, ausdrücklich berichtet.

Der Tod unseres heiligen Bischofs erfolgte am siebenten (nach der edessenischen Chronik am achten) August 435. Der Panegyriker gibt die Zeit seines Episkopats auf vierundzwanzig Jahre und drei Monate an, was aber, da er nach der edessenischen Chronik im Jahre 723 der seleucidischen Ära (also frühestens am ersten Oktober 411 n. Chr.) Bischof wurde, wenigstens um fünf Monate zu viel ist. Ganz falsch ist die Angabe eines dreißigjährigen Episkopats, welche sich bei dem Biographen des hl. Alexander findet.

Zum Nachfolger erhielt er den schon erwähnten Presbyter Ibas, welcher theils aus eigener Schuld (durch seine noch immer nicht ganz überwundenen nestorianischen Sympathien, durch Eigenmächtigkeiten in der kirchlichen Vermögensverwaltung und durch zu große Nachsicht gegen seinen nichtsnutzigen Neffen Daniel, den er zum Bischof von Haran gemacht hatte), theils durch die Intriguen der eutychianischen [164] Partei viel Befeindung von seinen Diöcesanen zu bestehen hatte. Auf zwei Synoden freigesprochen, wurde er von dem berüchtigten Latrocinium Ephesinum abgesetzt, aber von dem Concil zu Chalcedon wieder restituirt, nachdem er seine Orthodoxie auf die bestimmteste Weise bezeugt hatte.

Schließlich haben wir noch die uns erhaltenen Schriften des Rabulas aufzuzählen, welche fast sämmtlich in Overbeck’s S. Ephræmi Syri aliorumque opera selecta (Oxford 1865) S. 210-248 und 362-378 im syrischen Original abgedruckt sind, woselbst sich auch der syrische Panegyrikus auf unseren Heiligen S. 159-209 findet. Es sind folgende:

1) Von den sechsundvierzig Briefen des Rabulas an Bischöfe, Kaiser, Vornehme und Mönche, welche sein Panegyriker in das Syrische übersetzen wollte, hat sich nur Weniges erhalten, nämlich das bereits mitgetheilte Fragment eines Briefes an Andreas von Samosata nebst Excerpten aus dessen Antwort, ferner zwei Fragmente eines langen Schreibens an den Bischof Gemellinus von Pharan gegen Mönche, welche die Eucharistie zur gewöhnlichen Nahrung herabwürdigten. Das syrische Fragment aus dem Briefe an Cyrill über Theodorus, welches bei Overbeck steht, ist nur ein Theil des längeren Bruchstücks, welches sich lateinisch in den Akten der fünften Synode erhalten hat.[3] Dagegen ist das Antwortschreiben des hl. Cyrill in Overbecks syrischem Texte weit vollständiger mitgetheilt, als in diesen Synodalakten.[4] Noch findet sich in lateinischer Übersetzung ein Brief des hl. Cyrill an Rabulas über die ungenügenden Concessionen der Orientalen.[5]

2) Eine in Konstantinopel gehaltene dogmatische Predigt, deren Schluß leider in der Handschrift fehlt.

3) Canones oder Vorschriften über das Leben des Welt- und Ordensklerus.

4) Hymnen für die Liturgie und das Officium, welche zu den aus das Sedragebet folgenden Kala (vgl. unsere [165] „Ausgewählte Gedichte syrischer Kirchenväter,“ S. 104 und Conspectus rei Syrorum literariæ, S. 96) gehören und sich je nach dem Inhalt der ihnen vorhergehenden Sedren auf verschiedene Objecte beziehen, nämlich auf die Mutter Gottes, die Märtyrer und Heiligen, die Buße, die Verstorbenen, auch auf das Kreuz, die Eucharistie, Auferstehung und Fußwaschung. Diese Hymnen sind nach den acht Kirchentonarten geordnet, nach welchen in einem bestimmten, täglich wechselnden Turnus gesungen wird. Die Hymnen der ersten, vierten und siebenten Tonart sind in den Handschriften ausdrücklich dem Rabulas zugeschrieben; außerdem findet sich eine Anzahl anderer, welche als Dichtungen von Ephräm, Rabulas und Maruthas bezeichnet werden, ohne daß die einzelnen Gedichte ihrem bestimmten Autor vindicirt sind. Manche unter den dem Rabulas beigelegten Hymnen haben die Überschrift „aus dem Griechischen übersetzt“, was gut dazu stimmt, daß unser Autor auch sonst als Übersetzer aus dem Griechischen bekannt ist. Da dieser Band nur syrische Prosaschriften enthalten soll, so können wir keine Proben aus diesen Gedichten mittheilen, obgleich vieles dogmatisch Wichtige darin vorkommt; doch wollen wir wenigstens erwähnen, daß darin Maria die „allein in jeder Beziehung Heilige“ genannt wird (Overbeck, S. 362).

5) Eine in Overbeck’s Ausgabe nicht aufgenommene Übersetzung der Schrift des hl. Cyrill: De recta in Dominum nostrum Jesum Christum fide ad Theodosium imperatorem.

Wir lassen nun zunächst die im Anfang unserer Einleitung besprochene alte syrische Biographie des hl. Bischofs vollständig folgen.


  1. Ein dem Nestorius befreundeter Priester, welchen dieser aus Antiochien mit sich nach Konstantinopel gebracht hatte.
  2. So ist wohl die etwas dunkle Stelle im Briefe des Andreas (bei Mansi, Conciliorum collectio V, S. 821) zu verstehen: Et mihi quidem videtur, quod in Constantinopoli suscipiens literas, quas nunc usque sustinuit, erupisset et impietatem, quam olim conceperat, clarissime peperisset.
  3. Bei Mansi IX, S. 247.
  4. Mansi XI, S. 245.
  5. Bei Mansi V, S. 887.