Elektromagnetische Theorie der Strahlung (1905)

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Autor: Max Abraham
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Titel: Theorie der Elektrizität, Zweiter Band: Elektromagnetische Theorie der Strahlung
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Erscheinungsdatum: 1905
Verlag: B. G. Teubner
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Erscheinungsort: Leipzig
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Kurzbeschreibung: Die für die Lorentzsche Elektronentheorie, und später die Relativitätstheorie, relevanten §§ 22 und 42-44 wurden transkribiert.
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Inhalt
§ 22. Das Lorentzsche Elektron.
§ 42. Die Lichtzeit in einem gleichförmig bewegten System.
§ 43. Der Versuch von Michelson.
§ 44. Die Lorentzsche und die Cohnsche Optik bewegter Körper.
§ 22. Das Lorentzsche Elektron.

Gewisse Schwierigkeiten, welche in der Optik bewegter Körper auftreten (vgl. § 44), haben H. A. Lorentz veranlaßt[1], unserer auf der kinematischen Grundhypothese (VII) fußenden Dynamik des Elektrons eine andere gegenüber zu stellen, welche diese Grundhypothese aufgibt. H. A. Lorentz behält nicht nur die allgemeinen Grundgleichungen (I bis V) bei, sondern auch die dynamische Grundgleichung (VI), welche verlangt, daß die resultierenden elektromagnetischen Kräfte des äußeren und des vom Elektron selbst erregten Feldes einander im Sinne der Mechanik starrer Körper das Gleichgewicht halten. Er nimmt indessen das Elektron nicht als „starr“ an, sondern läßt eine Formänderung desselben zu. Im Ruhezustande soll das Elektron eine Kugel vom Radius sein; bei der Bewegung aber soll es sich parallel der Bewegungsrichtung im Verhältnis

kontrahieren. Das gleichförmig translatorisch bewegte Elektron soll demnach ein Heaviside-Ellipsoid sein.

Wir wollen die Lagrangesche Funktion, sowie die elektromagnetische Energie und Bewegungsgröße eines solchen Lorentzschen Elektrons berechnen. Das elektromagnetische Feld bestimmt sich aus den Ansätzen des § 18; die Anwendung der dort gegebenen Transformation (105) gestaltet sich hier besonders einfach. Das bewegte System ist ein Heaviside-Ellipsoid; geht man durch Streckung parallel der Bewegungsrichtung im Verhältnis zum ruhenden System über, so erhält man eine Kugel vom Radius . Die Energie dieser Kugel ist, im Falle der Flächenladung,

(124)

Die Lagrangesche Funktion, welche nach (104b) im Falle gleichförmiger Bewegung der Kräftefunktion entgegengesetzt gleich ist, wird, gemäß (106d),

(124a)

Ferner folgt aus (102) und (106)

(124b)

und daher aus (101d) und (105)

(124c)

Hieraus und aus (101f) bestimmt sich die -Komponente des Vektors , welcher die Dichte der elektromagnetischen Bewegungsgröße anzeigt:

Durch Integration über das Feld des Systemes , dessen Volumelemente denen des ruhenden Systemes durch (105) zugeordnet, und daher im Verhältnis

verkleinert sind, folgt

(124d)
Beachtet man ferner, daß in das Feld dasjenige einer ruhenden Kugel ist, daß mithin aus Symmetriegründen

gilt, so erhält man

Der Betrag des der Bewegungsrichtung des Heaviside-Ellipsoides parallelen Vektors wird demnach

(124e)

Aus der so bestimmten elektromagnetischen Bewegungsgröße folgt, auf Grund der allgemeinen Beziehung (103), die doppelte magnetische Energie

(124f)

Hieraus und aus (124a) erhält man, für die gesamte elektromagnetische Energie des Heaviside-Ellipsoides, den Ausdruck

(124g)

H. A. Lorentz nimmt nun an, daß die träge Masse des Elektrons rein elektromagnetischer Art ist; demgemäß zieht er, neben der elektromagnetischen Bewegungsgröße (124e), eine materielle Bewegungsgröße nicht in Rechnung. Er erhält auf Grund der Formeln (115) und (115a), für die longitudinale und transversale Masse

(125)
(125a)

stellt dabei den gemeinsamen Grenzwert beider Massen bei langsamer Bewegung vor, der im Falle der Flächenladung durch (117b), im Falle der Volumladung durch (117c) gegeben wird. Nach dem in § 18 bewiesenen Satze geht der Wert von im Falle der Volumladung aus dem im Falle der Flächenladung gültigen Werte durch Multiplikation mit hervor; mit demselben Faktor sind demnach die Ausdrücke der Lagrangeschen Funktion (124a), der Bewegungsgröße (124e) und der elektromagnetischen Energie (124g) beim Übergang zur Volumladung zu multiplizieren.

Versucht man, die longitudinale elektromagnetische Masse des Lorentzschen Elektrons auf Grund der Formeln (115b) und (124g) zu berechnen, indem man annimmt, daß die Energie des Elektrons rein elektromagnetischer Natur ist, so gelangt man zu einem Ergebnis, welches zu (125) in Widerspruch steht. Das kann nicht wundernehmen; haben wir doch in § 19 gesehen, daß die Relation (111b), welche die Identität der aus der elektromagnetischen Energie und aus der elektromagnetischen Bewegungsgröße abgeleiteten Werte der Masse ausspricht, auf der Annahme einer unveränderlichen Ladungsverteilung beruht. Für das Lorentzsche Elektron, welches der Grundhypothese (VII) nicht gehorcht, gilt diese Relation ebensowenig, wie die Gleichungen (111) und (111a), welche Impuls und Energie mit der Lagrangeschen Funktion verknüpfen. In der Tat, nach (124a) ist

(126)

während nach (124e) und (125a)

ist.

Während für das „starre“ Elektron die Differenz dieser beiden Größen verschwindet, hat sie für das deformierbare Elektron den von Null verschiedenen Wert

(126a)

Da nun allgemein gilt:

so folgt

Hieraus ersieht man, daß (115) und (115b) nicht zu demselben Werte der longitudinalen Masse führen können. Bestimmt man die Masse durch die elektromagnetische Bewegungsgröße, so ist, für das Lorentzsche Elektron, (115b) zu ersetzen durch

(126b)

Da die longitudinale Masse des Lorentzschen Elektrons sich nicht aus der elektromagnetischen Energie allein ableiten läßt, so müssen wir, um das Energieprinzip aufrechtzuerhalten, diesem Elektron eine innere Energie nicht elektromagnetischer Art zuschreiben. In der Tat, es soll sich ja das Elektron bei einer Zunahme der Geschwindigkeit abplatten; dabei wird gegen die elektrodynamischen Kräfte, mit denen sich die Volumelemente abstoßen, Arbeit geleistet. Während für das starre Elektron die Zunahme der elektromagnetischen Energie gleich der von der äußeren Kraft geleisteten Arbeit ist, findet das hier nicht mehr statt. Die Zunahme der elektromagnetischen Energie bei einer Beschleunigung ist, für das Lorentzsche Elektron, größer, als die Arbeit der äußeren Kräfte.

Die innere Energie , durch deren Annahme man das Energieprinzip aufrechterhalten kann, darf nicht als kinetische Energie im Sinne der gewöhnlichen Mechanik betrachtet werden; denn in diesem Falle würde jede Berechtigung dafür wegfallen, daß Bewegungsgröße im Sinne der gewöhnlichen Mechanik nicht angenommen wird. Immerhin kann von der Geschwindigkeit abhängen, da ja diese die Form des Elektrons bestimmt. Die Energiegleichung verlangt

(127)

und der Impulssatz

(127a)
Durch Kombination dieser beiden Sätze erhält man

oder

(127b)

Für gleichförmige Bewegung ist nun

Für quasistationäre Bewegungen wird diese Beziehung als gültig angesehen; und es wird , wie , als Funktion der jeweiligen Geschwindigkeit betrachtet. Es wird mithin

(127c)

Da ferner, bei stationärer und quasistationärer Bewegung, für das Lorentzsche Elektron aus Symmetriegründen der Impuls parallel der Bewegungsrichtung ist, so gilt

(127d)

Nach (127b) sollen nun die Ausdrücke (127c) und (127d) einander gleich sein, und zwar für beliebige Werte der Beschleunigung; hieraus folgt die Relation

(128)

Dieselbe ist als Verallgemeinerung der Relation (111) anzusehen; sie geht in jene über, wenn man eine Energie nicht elektromagnetischer Art ausschließt.

Hier tritt der bereits in § 16 erörterte Zusammenhang der kinematischen Grundgleichung (VII) mit dem Grundgedanken des elektromagnetischen Weltbildes deutlich hervor. Für das starre Elektron gilt (111) allgemein, es folgt daher aus (128)

d. h. eine etwa angenommene Energie nicht elektromagnetischer Art würde bei einer Änderung der Geschwindigkeit sich nicht ändern. Etwa angenommene innere Kräfte nicht elektromagnetischer Natur würden dabei keine Arbeit leisten. Unsere auf der Grundgleichung (VII) fußende Dynamik des Elektrons braucht daher solche Kräfte und eine solche Energie nicht einzuführen, eine „potentielle“ Energie ebensowenig, wie eine kinetische. Die Lorentzsche Dynamik des Elektrons sieht gleichfalls die träge Masse als rein elektromagnetische an, und schließt daher eine kinetische Energie im Sinne der gewöhnlichen Mechanik aus. Sie muß indessen eine „potentielle“ innere Energie des Elektrons einführen. Aus (128), im Verein mit (126a) und (126), folgt:

(128a)

und, durch Integration,

(128b)

hier sind die Werte, welche und für das ruhende Elektron besitzen. Aus (124a) folgt

(128c)

Diese Formel gibt an, wie die „potentielle“ Energie des Lorentzschen Elektrons mit wachsender Geschwindigkeit abnimmt. Für Lichtgeschwindigkeit, wo dasselbe in eine Kreisscheibe übergeht, wird gleich Null, mithin die potentielle Energie

(128d)

Wir können daher auch schreiben

(129)

Diese potentielle Energie nicht elektromagnetischer Art muß man dem Lorentzschen Elektron zuschreiben, wenn man das Energieprinzip aufrechtzuerhalten wünscht.

Bei diesem Ergebnis wird man sich kaum beruhigen; man wird vielmehr weiter fragen, nach welchem Gesetz die inneren Kräfte wirken sollen, die sich aus einer solchen potentiellen Energie herleiten. Nur indem man hierüber bestimmte Annahmen macht, wird man über das Verhalten des Lorentzschen Elektrons bei allgemeineren Bewegungen (nicht quasistationären oder nicht rein translatorischen) etwas Bestimmtes aussagen können. Man kann daran denken, elastische Kräfte zwischen den benachbarten Volumelementen des Elektrons anzunehmen, und eine Theorie des deformierbaren Elektrons von der in § 16 angedeuteten Art zu entwickeln. Eine solche Theorie würde die Trägheit des Elektrons erklären, aber nicht rein elektromagnetisch; sie würde die kinetische Energie zurückführen auf die weniger gut verstandene potentielle Energie und auf die elektromagnetische Energie. Auf einer solchen Dynamik des Elektrons läßt sich kein elektromagnetisches System der Physik aufbauen. Wenn man in die Dynamik des Elektrons elastische Kräfte einführt, so ist es logisch unmöglich, die Elastizität der Materie durch Zurückführung auf die Mechanik der Elektronen rein elektromagnetisch zu deuten.

H. A. Lorentz hat gezeigt, daß die Formel (125a) für die transversale Masse die Versuche Kaufmanns nicht wesentlich schlechter darstellt, als unsere Formel (117a). Es ist zu hoffen, daß weitere experimentelle Untersuchungen darüber entscheiden, welche von den beiden Theorien in dieser Hinsicht den Vorzug verdient. Sollte die Entscheidung zugunsten des Lorentzschen Elektrons fallen, so würde dieses Ergebnis gegen die Möglichkeit eines rein elektromagnetischen Weltbildes Zeugnis ablegen. Die Hoffnung, in den Elektronen die kleinsten Bausteine des Weltgebäudes gefunden zu haben, würde dann als fehlgeschlagen zu betrachten sein.

§ 42. Die Lichtzeit in einem gleichförmig bewegten System.

Wir hatten in § 39 die Aberration des Fixsternlichtes erklärt, indem wir zeigten, daß nach der Lorentzschen Theorie die Richtung des von einem mit der Geschwindigkeit bewegten Beobachter wahrgenommenen relativen Strahles durch den Vektor bestimmt ist (Gleichung 209)

(232)

d. h. durch den Vektor der Relativgeschwindigkeit von Licht und Beobachter. Unter war dabei die Geschwindigkeit der Erde zu verstehen. Berücksichtigt man nur die Umlaufsbewegung um die Sonne, indem man eine gemeinsame Bewegung des gesamten Sonnensystemes zunächst außer acht läßt, so ist nahezu konstant; es ist

(232a)

Welchen Einfluß hat nun die Erdbewegung auf dasjenige Licht, welches von irdischen Lichtquellen entsandt wird? Läßt sich nicht durch Beobachtung dieses Lichtes, also durch optische Versuche im Laboratorium, die Bewegung der Erde feststellen? Diese Frage führt uns dazu, die Lichtfortpflanzung in einem gleichförmig bewegten Systeme zu behandeln.

Die Richtung des absoluten, zur Zeit in einem Aufpunkte eintreffenden Strahles ist durch den Radiusvektor bestimmt (Abb. 2 S. 87), der vom Orte des Entsendens aus nach dem Aufpunkte hin gezogen ist. In befand sich die Lichtquelle zu einer um die Latenszeit zurückliegenden Zeit . Zur Zeit , wo das Licht in anlangt; befindet sich die Lichtquelle im Punkte ; sie hat die Strecke zurückgelegt. Der nach dem Aufpunkte hin von dem gleichzeitigen Orte der Lichtquelle aus gezogene Fahrstrahl mag jetzt mit (statt mit ) bezeichnet werden. Es ist

(232b)

Da die absolute Strahlrichtung anzeigt, so ist

es folgt mithin aus (232) und (232b)

(232c)

Es wird demnach die Richtung des relativen Strahles durch den von der gleichzeitigen Lage der Lichtquelle aus gezogenen Fahrstrahl angezeigt, d. h. in einem gleichförmig bewegten Systeme sieht man die Lichtquelle dort, wo sie sich gerade befindet. Die gemeinsame Bewegung von Lichtquelle und Beobachter ist demnach durch Beobachtung der Strahlrichtung durchaus nicht festzustellen.

Ähnlich wie mit der Richtung verhält es sich mit der Farbe des Lichtes. Hatten wir doch bereits in § 14 gezeigt, daß bei einer gemeinsamen gleichförmigen Translation der Lichtquelle und des Beobachters die Dopplersche Korrektion fortfällt. Die Schwingungen irdischer Lichtquellen werden von einem mit der Erde bewegten Beobachter richtig gezählt. Auf die wahrgenommene Farbe ist demnach die Erdbewegung gleichfalls ohne Einfluß.

Dagegen sollte man vermuten, daß die Erdbewegung durch Messung der Lichtzeit sich feststellen ließe. Denn die seit dem Augenblicke des Entsendens verstrichene Zeit ist konstant auf Kugeln, die um den Ort des Entsenders (Abb. 2) gezogen sind. Der gleichzeitige Ort der Lichtquelle liegt exzentrisch zu diesen Wellenflächen. Es maß demnach die Latenszeit eine andere in dem bewegten Systeme sein als in dem ruhenden, und es fragt sich, ob nicht hier die Beobachtung einsetzen und einen wahrnehmbaren Einfluß der Erdbewegung feststellen könnte. Diese Frage bedarf der genaueren Untersuchung.

Aus dem Dreieck der Vektoren und folgt

oder

Die Auflösung dieser quadratischen Gleichung ergibt als Wert des (stets positiven)

(233)

Wir führen an Stelle des Fahrstrahles mit den Komponenten

den Vektor ein, mit den Komponenten

(233a)

Diesen Zusammenhang zwischen dem Fahrstrahl im bewegten Systeme und dem eingeführten Hilfsvektor wollen wir symbolisch darstellen durch

(234)

Deutet man als Koordinaten eines Systemes , so entsteht dieses System aus dem betrachteten bewegten Systeme durch eine Streckung parallel der Bewegungsrichtung im Verhältnis . Die Einführung eines solchen ruhenden Hilfssystemes hat uns schon früher (§ 18 S. 163, Gleichung 105), bei der Behandlung der gleichförmigen Translation elektrischer Ladungen, gute Dienste geleistet.

Jetzt können wir (233) schreiben

Division durch ergibt für die Lichtzeit die Gleichung
(235)

Dabei ist die Lichtzeit in dem ruhenden Hilfssysteme , aus welchem das bewegte System durch eine Kontraktion parallel der Bewegungsrichtung, im Verhältnis , hervorgeht.

Wir wollen zunächst nur Größen erster Ordnung in berücksichtigen, Größen der Ordnung jedoch streichen. Begnügen wir uns mit dieser Annäherung, so haben wir durch 1 zu ersetzen. Es wird dann das System identisch mit . Wir können daher (235) schreiben

(235a)

Dabei ist die Lichtzeit, die in dem ruhenden Systeme zur Durchlaufung einer gewissen Strecke erforderlich ist. Wird nun das System in Bewegung gesetzt und die gleiche Strecke im relativen Strahlengang im System durchlaufen, so entspricht dem zugehörigen absoluten Strahlengang im Raume die Lichtzeit . Wie wir sehen, ist größer oder kleiner als , je nachdem der relative Strahl einen spitzen oder stumpfen Winkel mit der Bewegungsrichtung einschließt. Die Differenz der Lichtzeiten im bewegten und im ruhenden Systeme ist von der ersten Ordnung in ; man sollte meinen, daß sie der Messung zugänglich wäre. Sie wäre es auch, wenn es möglich wäre, die an zwei verschiedenen Punkten des bewegten Systemes gemessenen Zeiten mit beliebiger Genauigkeit aufeinander zu beziehen; das ist indessen nicht möglich.

Am genauesten ist die Zeit durch optische oder elektrische Signale festzulegen. Wir denken uns ein ruhendes System; einen Punkt desselben wählen wir als Bezugspunkt. In dem Momente, den wir als Anfang der Zeitrechnung festlegen, geben wir von aus ein Lichtzeichen. Ein in befindlicher Beobachter wird zur Zeit des Eintreffens des Signales die Zeit notieren, die sich als Quotient aus dem Lichtwege und der universellen Konstanten der Grundgleichungen berechnet. Zwei in und befindliche Beobachter können so durch Lichtzeichen, oder allgemeiner durch elektrische Zeichen, ihre Chronometer vergleichen. Diese Vergleichung beruht auf der Isotropie der Lichtfortpflanzung, welche für ein ruhendes System von unseren Grundgleichungen gefordert wird. Die Zeit , die an so verglichenen und gleichlaufenden Uhren abgelesen wird, ist es, die in den Grundgleichungen auftritt. Ihre Definition setzt die Existenz eines absolut ruhenden Bezugssystemes voraus.

Nun beziehen sich aber unsere Zeitmessungen in Wirklichkeit auf ein bewegtes System, in welchem die Lichtfortpflanzung nicht mehr nach allen Richtungen mit derselben Geschwindigkeit vor sich geht. Dennoch wollen wir uns die Vergleichung der in und befindlichen Chronometer in der oben angegebenen Weise ausgeführt denken, indem wir die Bewegung des Systemes unberücksichtigt lassen und so verfahren, als ob die relative Geschwindigkeit des Lichtes auch jetzt noch unabhängig von der Richtung, und zwar gleich , wäre. Die so für die Punkte des gleichförmig bewegten Systemes festgelegte Zeit wollen wir mit H. A. Lorentz die „Ortszeit” des betreffenden Punktes nennen. Offenbar besteht zwischen der Ortszeit und der allgemeinen Zeit eben diejenige Beziehung, die oben für und abgeleitet wurde,

(236)

Kontrollieren wir die Chronometer, indem wir ein Lichtzeichen umgekehrt von nach übermitteln und den im relativen Strahlengange zurückgelegten Lichtweg in Rechnung ziehen, so finden wir ihre Angaben bestätigt. Die Gangdifferenz zweier die allgemeine Zeit und die Ortszeit anzeigender Uhren, die in stattfindet, verschwindet nämlich wieder, wenn man zu zurückkehrt. Die Differenz zwischen Ortszeit und allgemeiner Zeit ist eben nur eine Funktion des Ortes im gleichförmig bewegten Systeme; sie verschwindet daher beim Durchlaufen eines im bewegten System geschlossenen Weges. Gibt man die Lichtzeichen nicht direkt von nach , sondern schaltet eine Reihe von Zwischenstationen ein, so gelangt man zu demselben Werte der Ortszeit; es kommt nur die Differenz der parallel der Bewegungsrichtung des Systemes gemessenen Koordinaten von Endpunkt und Anfangspunkt des im relativen Strahlengang durchlaufenen Lichtweges in Frage; diese gibt, mit multipliziert, die Abweichung der Ortszeit von der allgemeinen Zeit an.

Aus der Definition der Ortszeit fließt nun die selbstverständliche Folgerung: Die zur Durchlaufung einer gegebenen Strecke im bewegten System erforderliche Lichtzeit ist von der Geschwindigkeit des Systemes unabhängig (was Größen erster Ordnung in anbelangt), wenn sie durch die Differenz der Ortszeiten gemessen wird, die dem Entsenden und dem Eintreffen des Lichtes entsprechen. Die so gemessene Lichtzeit ist eben nicht , sondern ; jedoch ist der durch geteilte im relativen Strahlengange durchlaufene Lichtweg. Dieser Lichtweg ist für eine Strecke von gegebener Länge von deren Orientierung gegen die Bewegungsrichtung des Systemes unabhängig.

Wir sind jetzt in der Lage, zu beurteilen, inwieweit die Beobachtung den Einfluß der Erdbewegung auf die Lichtzeit feststellen könnte. Wird die Lichtzeit mit Hilfe von rotierenden Spiegeln, Zahnrädern oder dergleichen gemessen, so kommt es darauf an, durch welche Mittel die Stellung derselben reguliert wird. Wird sie durch optische oder elektromagnetische Mittel reguliert, so kommt das auf dasselbe heraus, als wenn die Zeitmessung nach Ortszeit geschieht. Alsdann fällt jeder Einfluß der Erdbewegung fort, es ergibt sich dieselbe Lichtzeit, ob nun der Strahl parallel oder entgegen der Bewegungsrichtung der Erde sich fortpflanzt. Um den Einfluß der Erdbewegung festzustellen, bedarf es einer nicht elektromagnetischen Kontrolle der Apparate. Dabei müßte die Stellung der rotierenden Spiegel oder Zahnräder so genau reguliert sein, daß Abweichungen in ihrer Stellung, wie sie in der Zeit vorkommen, mit Sicherheit vermieden sind; diese Zeit ist aber höchstens gleich dem Bruchteil der Lichtzeit. Eine so genaue mechanische Kontrolle des Ganges der Apparate dürfte kaum durchführbar sein. Steht man auf dem Standpunkte der elektromagnetischen Weltanschauung, welche die mechanischen Kräfte auf elektromagnetische zurückzuführen strebt, so würde man auch eine solche mechanische Regulierung als eine Regulierung nach Ortszeit anzusehen haben; man müßte dann erwarten, daß der Versuch, den Einfluß der Erdbewegung auf die Lichtzeit zu entdecken, unter allen Umständen ein negatives Ergebnis hätte.

Wir haben uns hier darauf beschränkt, die Fortpflanzung des Lichtes im leeren Raume zu behandeln, von der Mitwirkung dielektrischer Körper haben wir abgesehen. Das erhaltene Ergebnis jedoch gilt auch in allgemeineren Fällen, wie von H. A. Lorentz auf Grund der Feldgleichungen des § 36 bewiesen worden ist[2]; beschränkt man sich auf Größen erster Ordnung in und auf unmagnetisierbare Nichtleiter, so gilt folgender Satz: Die Vektoren und hängen im gleichförmig bewegten Systeme in derselben Weise von der Ortszeit und den relativen Koordinaten ab, wie im ruhenden Systeme und von der allgemeinen Zeit und den Koordinaten abhängen. In derselben Weise entsprechen einander die von der Verschiebung der Polarisationselektronen herrührenden elektrischen Momente im bewegten und im ruhenden System. Dabei ist angenommen, daß die quasielastischen Kräfte, welche die Elektronen in die Gleichgewichtslage ziehen, keine Änderung erster Ordnung durch die Bewegung erfahren; von der elektromagnetischen Masse, die bei dispergierenden Körpern ins Spiel kommt, folgt dies aus unseren früheren Entwickelungen. Das Fehlen eines bemerkbaren Einflusses erster Ordnung der Erdbewegung auf das von irdischen Lichtquellen herrührende Licht ist auch bei Mitwirkung wägbarer durchsichtiger Körper mit der Elektronentheorie sehr wohl vereinbar. Es erklärt sich ebenso wie das negative Ergebnis zahlreicher auf die Entdeckung eines Einflusses der Erdbewegung hinzielender rein elektromagnetischer Versuche auf Grund dieser Theorie, ohne daß es notwendig wäre, zu neuen Hypothesen seine Zuflucht zu nehmen.


§ 43. Der Versuch von Michelson.

Wir wollen uns jetzt nicht mehr auf Größen erster Ordnung in beschränken, sondern den exakten Ausdruck (235) der Lichtzeit zugrunde legen. Es stellt dabei die Lichtzeit in dem ruhenden Hilfssystem vor, das aus dem bewegten System durch eine Streckung parallel der Bewegungsrichtung, im Verhältnis , entstanden ist. Zwei Fahrstrahlen in bzw. in sind durch (234) aufeinander bezogen.

Es werde nun der Fahrstrahl des bewegten Systemes im relativen Strahlengange zweimal durchlaufen, einmal in hinläufigem, das andere Mal in rückläufigem Sinne. Es seien und die entsprechenden Lichtzeiten. Nach (235) ist dann

(237)

die gesamte, für den Hinweg und Rückweg erforderliche Lichtzeit.

Der gesamte, im absoluten Strahlengang zurückgelegte Lichtweg ist

(237a)

Wir denken uns nun in diejenigen Punkte , die auf einer um als Mittelpunkt geschlagenen Kugel vom Radius liegen. Würde das System ruhen, so wäre der gesamte Lichtweg für alle diese Punkte der gleiche, nämlich . Die Bewegung des Systemes bringt es nun, wie Gleichung (237a) besagt, mit sich, daß der Lichtweg ein anderer ist, je nach dem Winkel, den der relative Strahl mit der Richtung der Bewegung einschließt. Denn einer Kugel in entspricht in ein parallel der -Achse im Verhältnis gestrecktes Rotationsellipsoid; derjenige Radiusvektor dieses Rotationsellipsoides, welcher dem betreffenden Fahrstrahl entspricht, ist nach (237a) für die Länge des absoluten Lichtweges maßgebend. Vergleicht man insbesondere zwei Fahrstrahlen gleicher Länge in , von denen der erste parallel, der zweite senkrecht zur Bewegungsrichtung weist, so verhalten sich die entsprechenden Radienvektoren in nach (234) wie ; in demselben Verhältnis müssen nach (237a) die Längen der beiden, im absoluten Strahlengange durchlaufenen Lichtwege stehen. Die Differenz derselben ist demnach

(237b)

wenn Größen vierter und höherer Ordnung in gestrichen werden.

Auf die Entdeckung dieser zuerst von Maxwell aus der Annahme ruhenden Äthers abgeleiteten Differenz der Lichtwege, welche zwei parallel bzw. senkrecht zur Erdbewegung gerichteten relativen Strahlen entsprechen, zielte der Versuch von A. Michelson[3] hin. Es wurden zwei Lichtstrahlen zur Interferenz gebracht, welche, von derselben Lichtquelle ausgehend, längs zweier zueinander senkrechter Arme und sich fortgepflanzt hatten und dort durch Spiegel zurückreflektiert waren. Indem jedes Lichtbündel mehrmals hin und her reflektiert wurde, konnte die Länge des Lichtweges auf 22 m gebracht werden. Es wurde nun zuerst der Arm in Richtung der Erdbewegung gestellt und dann durch Drehung des Apparates um einen rechten Winkel der Arm in diese Lage gebracht. Dabei wäre eine Verschiebung der Interferenzstreifen zu erwarten gewesen. In Bruchteilen der Wellenlänge des verwandten Natriumlichtes gemessen, beträgt die für die Verschiebung maßgebende doppelte Differenz der beiden Lichtwege

(237c)

Die erhaltenen Verschiebungen der Interferenzstreifen aber waren kleiner als 0,02 des Streifenabstandes.

Das negative Ergebnis des Michelsonschen Interferenzversuches spricht gegen die Annahme ruhenden Äthers, mithin auch gegen die Lorentzsche Theorie, falls die bei der Ableitung von (237b) stillschweigend gemachte Voraussetzung zutrifft, daß die Abmessungen der festen Körper auf der bewegten Erde die gleichen sind, die sie auf der ruhenden Erde wären. Läßt man die Möglichkeit einer Dimensionsänderung infolge der Erdbewegung zu, so sind die Betrachtungen entsprechend abzuändern. In der Tat haben Fitzgerald und H. A. Lorentz das negative Ergebnis des Michelsonschen Versuches erklärt, indem sie zur Hypothese der Kontraktion der Materie infolge der Erdbewegung ihre Zuflucht nahmen: Es sollen die Körper infolge der Erdbewegung eine Kontraktion im Verhältnis parallel der Bewegungsrichtung erfahren, derart, daß die Punkte, die auf der ruhenden Erde auf einer Kugel liegen würden, auf der bewegten Erde auf einem Heaviside-Ellipsoid liegen.

Betrachtet man in dem gleichförmig bewegten Systeme die Punkte , die auf einem Heaviside-Ellipsoide um liegen, und vergleicht die Lichtwege, welche nach (237a) dem relativen Strahlengang entsprechen, so findet man, daß sie alle den gleichen Wert haben. Denn geht man hier in der durch (234) angezeigten Weise zu dem ruhenden Hilfssysteme über, so stellt sich heraus, daß dem Heaviside-Ellipsoide in eine Kugel in entspricht, daß demnach allen Radienvektoren des Heaviside-Ellipsoides derselbe Wert von und folglich, nach (237a), derselbe absolute Lichtweg zukommt. Nach der Fitzgerald-Lorentzschen Hypothese ist demnach ein positives Ergebnis des Interferenzversuches ausgeschlossen; nicht nur, was Größen zweiter Ordnung, sondern auch, was Größen beliebiger Ordnung anbelangt. Wird der Arm statt beim Michelsonschen Versuch der Richtung der Erdbewegung parallel gestellt, so wird im Verhältnis verkürzt, im Verhältnis verlängert und die hierdurch bedingte Veränderung der Lichtwege kompensiert gerade die infolge der Bewegung der Erde stattfindende, so daß keine Verschiebung der Interferenzstreifen zu erwarten ist.

Man könnte nun einwenden, daß die Dimensionsänderungen fester Körper, wenn sie auch sehr klein sind, der Messung zugänglich sein müßten. Das wäre aber nur dann möglich, wenn man die Abmessungen der Körper durch „absolut ruhende“ Maßstäbe messen könnte. Wir sind aber auf solche Maßstäbe angewiesen, die sich mit der Erde bewegen; diese erfahren nach der Kontraktionshypothese bei der Bewegung der Erde dieselbe Längenänderung, wie die zu messenden Körper; eine Kugel des irdischen Maßstabes ist der Kontraktionshypothese zufolge ein Heaviside-Ellipsoid des „absolut ruhenden“ Maßstabes. Mit irdischen Maßstäben kann man diese Behauptung weder bestätigen noch widerlegen. Auch wenn man zur Längenmessung optische Methoden verwendet, ist es selbstverständlich unmöglich, die behauptete Kontraktion der Materie festzustellen. Man würde dann die Länge eines Stabes durch den Lichtweg messen, während beim Michelsonschen Versuch der Lichtweg durch die Länge eines festen Stabes gemessen wird. Der Einfluß der Erdbewegung auf Lichtweg einerseits und Länge des Stabes anderseits kompensiert sich aber gerade so, daß sie auf der bewegten Erde gleich erscheinen, wenn sie auf der ruhenden gleich wären; eine optische oder elektrische Messung kann also niemals die behauptete Anisotropie der Körper auf der bewegten Erde feststellen.

Ein Einfluß der Erdbewegung bleibt jedoch nach (237a) bestehen. Während in dem ruhenden Systeme , in welches die Erde, zur Ruhe gebracht, übergehen würde, der Lichtweg gleich wäre, ist der wahre Lichtweg auf der bewegten Erde im Verhältnis vergrößert. Da nun unsere Zeiteinheit unabhängig von optischen Messungen festgelegt ist, so muß die Lichtgeschwindigkeit, gemessen auf der bewegten Erde, im Verhältnis größer sein als die Lichtgeschwindigkeit, gemessen in einem absolut ruhenden Systeme; letztere ist identisch mit der Konstante der Grundgleichungen. Es müßte demnach die universelle Konstante im Verhältnis kleiner sein als die durch irdische Messungen bestimmte Lichtgeschwindigkeit. Die Abweichung beträgt allerdings nur pro Sekunde, sie liegt also durchaus innerhalb der Grenzen der Beobachtungsfehler.

Der soeben erörterte Umstand läßt es als zweckmäßig erscheinen, bei der Abbildung des bewegten Systemes auf das ruhende Hilfssystem gleichzeitig eine neue Zeiteinheit zugrunde zu legen. In der Tat ist die „Ortszeit“ bei Berücksichtigung von Größen zweiter und höherer Ordnung in zu definieren durch

(238)

Wird gestrichen, so geht die so definierte Ortszeit in die im vorigen Paragraphen eingeführte über (Gleichung 236). Wie die in Strenge gültige Gleichung (235) lehrt, ist die durch die Differenz der Ortszeiten gemessene Lichtzeit im bewegten System für jeden, im relativen Strahlengang durchlaufenen Weg die gleiche wie für den entsprechenden Lichtweg des ruhenden Hilfssystemes . Trifft die Behauptung der Kontraktionshypothese zu, daß ein ruhendes System , in Bewegung gesetzt, in das durch

(239)

dargestellte System übergeht, so ist jeder Einfluß der Erdbewegung auf die Lichtzeit ausgeschlossen (auch ein Einfluß zweiter und höherer Ordnung), falls die zur Messung verwandten Apparate optisch oder elektrisch reguliert werden.

Die zur Erklärung des Michelsonschen Versuches eingeführte Kontraktionshypothese erscheint zunächst bedenklich. H. A. Lorentz hat indessen versucht, sie plausibel zu machen, indem er von der Vorstellung ausging, daß die Molekularkräfte, welche die Form fester Körper bestimmen, elektrischer Natur sind. An jedem Moleküle des ruhenden Körpers halten sich, dieser Vorstellung zufolge, die von den übrigen Molekülen herrührenden elektrostatischen Kräfte das Gleichgewicht. Wird nun der Körper in eine gleichförmige Translationsbewegung versetzt, so werden die Molekularkräfte abgeändert, indem zu dem elektrischen Felde ein magnetisches tritt. Wie in § 18 dargelegt wurde, entspricht dem Gleichgewichte der elektrostatischen Kräfte im ruhenden Systeme ein Gleichgewicht der elektromagnetischen Kräfte (hierfür ist jetzt zu schreiben) in einem bewegten Systeme, welches aus durch eine Kontraktion im Verhältnis parallel der Bewegungsrichtung hervorgeht. Dieses bewegte System ist nach (239) kein anderes, als das von der Kontraktionshypothese angenommene System . In würde also an jedem Moleküle Gleichgewicht der Molekularkräfte bestehen, wenn es in dem ruhenden Systeme bestand; allgemein stehen die elektrostatische Kraft auf die ruhende und die elektromagnetische Kraft auf die mitbewegte Einheit der Ladung, die in zwei einander entsprechenden Punkten von bzw. herrschen, in dem durch (106c, S. 165) ausgedrückten Zusammenhange; wir wollen diese Beziehungen symbolisch darstellen durch

(240)

Betrachtet man die Molekularkräfte in ruhenden Körpern als elektrostatische Kräfte und läßt man die Wirkungen der regellosen Molekularbewegungen außer acht, so erscheint es hiernach plausibel, daß ein fester Körper, in Bewegung gesetzt, sich der Bewegungsrichtung parallel im Verhältnis kontrahiert. Allerdings dürfen wir uns nicht verhehlen, daß wir noch weit davon entfernt sind, die Molekularkräfte in ruhenden Körpern auf Grund der elektrischen Auffassung in befriedigender Weise deuten zu können.

Akzeptiert man jene elektrische Deutung der Molekularkräfte, so ist eine mechanische Regulierung der Stellung von Zahnrädern oder rotierenden Spiegeln zum Zwecke der Messung der Lichtzeit (§ 42) als elektromagnetische Regulierung anzusehen; es erscheint alsdann ausgeschlossen, daß die Translationsbewegung der Erde auf die Lichtzeit, die Abmessungen fester Körper oder auf Interferenzversuche nach Art des Michelsonschen irgendwelchen Einfluß beliebiger Ordnung besitzt, der sich einem irdischen Beobachter kundgeben könnte. Dieses folgt aus den bisherigen Erörterungen, soweit nur die Lichtfortpflanzung im leeren Raume in Betracht kommt.

§ 44. Die Lorentzsche und die Cohnsche Optik bewegter Körper.

Läßt die Elektronentheorie ein negatives Ergebnis des Michelsonschen Interferenzversuches auch dann erwarten, wenn die Lichtfortpflanzung nicht im leeren Raume, sondern in einem beliebigen dielektrischen Körper geschieht? Von dieser Frage ausgehend, hat H. A. Lorentz in zwei neueren Arbeiten[4] seine Untersuchungen auf gleichförmig bewegte Systeme ausgedehnt, deren Geschwindigkeit zwar kleiner als die Lichtgeschwindigkeit, aber nicht klein gegen die Lichtgeschwindigkeit ist. Er hat Hypothesen über die Eigenschaften der Elektronen und Moleküle aufgestellt, welche, kombiniert mit der Kontraktionshypothese, geeignet sind, von allen negativen Versuchsergebnissen über den Einfluß der Erdbewegung auf die elektrischen und optischen Erscheinungen Rechenschaft zu geben.

Er nimmt an, daß die Verschiebungen der Polarisationselektronen aus ihrer Gleichgewichtslage, welche die Lichtfortpflanzung in durchsichtigen Körpern begleiten, infolge der Bewegung der Körper in derselben Weise abgeändert werden, wie die nach entsprechenden materiellen Punkten gezogenen Fahrstrahlen (vgl. 239) der Kontraktionshypothese gemäß sich ändern. Da die elektrische Polarisation auf die Volumeinheit berechnet ist, so würde

(241)

den Zusammenhang angeben, in welchem die Polarisationen an entsprechenden Punkten des ruhenden Systemes und des bewegten Systemes stehen. Dabei sind die relativen Geschwindigkeiten der Elektronen gegen die Materie, die in bzw. in stattfinden, auszudrücken durch

bzw.

dieselben sind demnach, mit Rücksicht auf (238) und (239), verknüpft durch

(241a)

Die Beschleunigungen der Elektronen in entsprechenden Punkten von und sind mithin aufeinander bezogen durch

(241b)

Die Grundgleichungen (Ic bis IVc, S. 324) gelten nach der Elektronentheorie für beliebig rasch bewegte unmagnetisierbare Körper. Nimmt man die Definitionsgleichungen (195) und (195a) von und hinzu und setzt:

so gelangt man zu einem für durchsichtige, unmagnetisierbare Körper gültigen Gleichungssysteme, in welchem die wahren Koordinaten und die allgemeine Zeit die unabhängigen Veränderlichen sind. Führt man nun statt dieser die Koordinaten des Hilfssystemes ein und gleichzeitig die Ortszeit , die durch (238) definiert ist, so gelangt man für gleichförmig bewegte Systeme zu einer neuen Form der Grundgleichungen. H. A. Lorentz hat nun gezeigt, daß man dieselbe auf die Form der Grundgleichungen für ruhende Körper reduzieren kann, wenn man statt den durch (241) definierten Vektor und gleichzeitig durch

(242)
(243)

zwei neue Vektoren und einführt. Kennt man für das ruhende Hilfssystem den Verlauf eines elektromagnetischen Vorganges und der mit ihm verbundenen Elektronenbewegung, so geben (242) und (243) die Werte der elektromagnetischen Vektoren und in dem bewegten Systeme an, welche sich der durch (241a, b) dargestellten Elektronenbewegung zuordnen. Durch

(244)

ist dann der relative Strahl in (vgl. 213b, S. 341) dem absoluten Strahle des ruhenden Hilfssystemes zugeordnet.

Dieser Satz von H. A. Lorentz, auf dessen Beweis wir hier verzichten, beruht allein auf den allgemeinen Grundhypothesen der Elektronentheorie, welche in den Grundgleichungen (I bis V) ihren Ausdruck finden. Er gestattet es, die Lösung eines Problemes der Optik des gleichförmig bewegten Systemes zurückzuführen auf die Lösung des entsprechenden Problemes für das ruhende System . Diese Zurückführung ist auch dann möglich, wenn man die besonderen Hypothesen von H. A. Lorentz fallen läßt. Gibt man die Kontraktionshypothese auf, so ist das ruhende Hilfssystem eben nicht mehr dasjenige, in welches der bewegte Körper, zur Ruhe gebracht, übergehen würde. Gibt man die Lorentzsche Hypothese betreffs der Bewegung der Elektronen auf, so sind und nicht mehr die Geschwindigkeiten und Beschleunigungen, welche die Elektronen in dem bewegten Körper, wenn er zur Ruhe gebracht wäre, bei dem betreffenden Strahlungsvorgange wirklich annehmen würden. Alsdann wird eben ein Einfluß der Bewegung auf die Erscheinungen im Prinzip nicht ausgeschlossen sein. Die Kontraktionshypothese besagt nun gerade, daß das bewegte System, zur Ruhe gebracht, von selbst in übergeht. Die Lorentzsche Hypothese über die Bewegung der Elektronen besagt ferner, daß und gerade diejenigen Geschwindigkeiten und Beschleunigungen sind, welche die Elektronen bei dem betreffenden Strahlungsvorgange in dem zur Ruhe gebrachten Körper besitzen würden. Für die relative Strahlung durch entsprechende Flächenelemente in und folgt aus (239) und (244) alsdann

(244a)

Nach H. A. Lorentz ist die relative Strahlung, welche zur Ortszeit auf ein gegebenes Flächenelement von fällt, nur durch den Faktor von der absoluten Strahlung verschieden, welche zur allgemeinen Zeit auf das entsprechende Flächenelement in fällt. Hierdurch ist ausgesprochen, daß nach den Lorentzschen Hypothesen ein Einfluß der Erdbewegung auf die Richtung des relativen Strahles, sowie auf Interferenzerscheinungen auch bei Verwendung lichtbrechender Körper ausgeschlossen ist. Auch eine Doppelbrechung der Körper infolge der Erdbewegung kann dann nicht stattfinden, so daß das negative Ergebnis der auf die Entdeckung einer Doppelbrechung der Ordnung hinzielenden Versuche von Rayleigh[5] und Brace[6] mit dem Lorentzschen Hypothesensystem vereinbar ist. Die Verringerung der Intensität der relativen Strahlung, welche durch (244a) angezeigt wird, würde sich völlig der Beobachtung entziehen.

Wir wollen die Lorentzschen Sätze zu einem Probleme der Optik bewegter Körper in Beziehung bringen, welches wir gelöst haben (§ 14), nämlich dem Probleme des bewegten leuchtenden Punktes. Wir haben dort hauptsächlich die absolute Strahlung zum Gegenstand der Betrachtungen gemacht, welche sowohl für die ausgestrahlte Energie, wie für die ausgestrahlte Bewegungsgröße maßgebend ist. Wir wollen jetzt einige Bemerkungen über die relative Strahlung und über den Lichtdruck anknüpfen, welche ein mit der Lichtquelle mitbewegter Beobachter wahrnehmen würde.

Wir betrachten die Strahlung, welche der mit der Erde bewegte leuchtende Punkt seiner Bewegungsrichtung parallel entsendet; für diese kommen nur die transversalen Schwingungen des emittierenden Elektrons in Betracht, so daß die Strahlung proportional dem Ausdruck (79) auf S. 112 ist; setzen wir , den Winkel zwischen Strahlrichtung und Bewegungsrichtung des Dipols, gleich null, und beachten, daß der Abstand des Aufpunktes von der Lage des leuchtenden Punktes zur Zeit des Entsendens ist, während der Abstand von der gleichzeitigen Lage des leuchtenden Punktes nach (233) ist

so finden wir als Verhältnis der absoluten Strahlungen im bewegten und im ruhenden Systeme

Nach (239) und (241b) ist die parallel der -Achse gemessene Entfernung in im Verhältnis kleiner als diejenige in dem ruhenden Hilfssysteme , während die transversale Beschleunigung des schwingenden Elektrons im Verhältnis größer ist. Demnach wird

(245)

Die absolute Strahlung der Lichtquelle erfährt durch die Bewegung der Lichtquelle Änderungen erster Ordnung in .

Durch den absoluten Strahl ist die Dichte der elektromagnetischen Bewegungsgröße bestimmt und somit der Lichtdruck auf eine ruhende schwarze Fläche. Der Druck auf eine mitbewegte, senkrecht zur Bewegungsrichtung gestellte schwarze Fläche ist

Aus (245) folgt daher
(245a)

Der Strahlungsdruck auf mitbewegte schwarze Flächen erfährt Änderungen erster Ordnung infolge der Erdbewegung; der Druck muß größer sein, wenn die Strahlung parallel, als wenn sie entgegen der Bewegungsrichtung der Erde sich fortpflanzt. Bei der Schwierigkeit, welche die Beobachtung des Lichtdruckes bietet, dürfte es indessen kaum möglich sein, diese geringfügige Änderung festzustellen.

Ist es dagegen eine spiegelnde Fläche, welche vor dem auffallenden Lichte zurückweicht, so ist nach (Gl. 208, S. 335), nach Umkehrung des Vorzeichens von , zu setzen

Aus (245) folgt mithin

(245b)

Der Strahlungsdruck auf mitbewegte Spiegel erfährt keine Änderung infolge der Erdbewegung.

Die relative Strahlung irdischer Lichtquellen, welche bolometrisch durch schwarze Flächen zu messen ist, ergibt sich aus (211a, S. 338)

Aus (245) folgt somit

(245c)

Diese mit (244) übereinstimmende Beziehung besagt: Die von der Strahlung irdischer Lichtquellen herrührende Wärmeentwickelung in zwei senkrecht zur Richtung der Erdbewegung gestellten schwärzen Flächen ist die gleiche, sei es, daß die Strahlung parallel oder entgegen der Bewegungsrichtung der Erde sich fortgepflanzt hat.

Wir wollen endlich die relative Gesamtstrahlung des bewegten leuchtenden Punktes ermitteln, d. h. die gesamte Wärmeentwickelung in einer mitbewegten, den leuchtenden Punkt einhüllenden schwarzen Fläche. Nimmt man das Mittel über eine Schwingung, so muß im stationären Schwingungszustande die von der Lichtquelle entsandte elektromagnetische Energie der auf die mitbewegte Fläche fallenden gleich sein und die entsandte Bewegungsgröße der auffallenden. Es gibt also der Ausdruck (82) auf S. 118 den relativen Energiestrom durch die bewegte Fläche an. Der im Verhältnis kleinere Ausdruck (83) stellt die resultierende Kraft dar, welche die Strahlung auf die auffangende Fläche ausübt; dies ist die Gegenkraft, welche der Reaktionskraft (83a) der Strahlung auf die Lichtquelle im Sinne des dritten Newtonschen Axiomes entspricht. Im stationären Zustande gilt dieses Axiom, da die elektromagnetische Bewegungsgröße des von der schwarzen Fläche umschlossenen Feldes im Mittel konstant ist; es wird mithin derjenige Teil der ausgestrahlten Energie, welcher mechanischer Arbeit entstammt, wieder in mechanische Arbeit zurückverwandelt. Zieht man diesen Bruchteil vom relativen Energiestrom ab, so erhält man die relative Gesamtstrahlung, welche die Wärmeentwickelung in der schwarzen Fläche angibt. Es wird also derjenige Teil der emittierten Energie, welcher der thermischen und chemischen Energie der Lichtquelle entstammt, an der auffangenden schwarzen Fläche in Wärme verwandelt. Dies ist der Bruchteil der entsandten Energie (vgl. 83c). Wir erhalten schließlich für die relative Gesamtstrahlung

Nach (241b) wird dies

(246)

was vollkommen mit (244a) übereinstimmt.

Treffen die Lorentzschen Annahmen über die Kontraktion der Körper und über die Bewegung der Elektronen zu, so sind und die wirklichen Werte des Strahlvektors und des Lichtdruckes auf der zur Ruhe gebrachten Erde. Es ist dabei zu betonen, daß die Lorentzschen Annahmen nur insofern hypothetisch sind, als sie Größen zweiter und höherer Ordnung in betreffen. Bis auf Größen erster Ordnung folgen sie aus den allgemeinen Grundgleichungen der Elektronentheorie, falls Änderungen erster Ordnung infolge der Erdbewegung in den Abmessungen der Körper, den Massen der Elektronen und den quasielastischen Kräften, welche sie in die Gleichgewichtslage ziehen, ausgeschlossen sind.

Sollen die Lorentzschen Hypothesen über die Bewegung der Elektronen auch in betreff der Größen zweiter und höherer Ordnung der Wirklichkeit entsprechen, so müssen die quasielastischen Kräfte und die Trägheitskräfte der Elektronen gewissen Bedingungen genügen. Um diese Bedingungen abzuleiten, denken wir uns zunächst einen Körper, welcher keine erhebliche Dispersion zeigt. Hier ist die Lichtfortpflanzung durch die quasielastischen Kräfte allein bestimmt, indem die Verschiebung der Elektronen dem Gleichgewichte der quasielastischen Kraft und der äußeren elektrischen Kraft entspricht. Die Verschiebung der Elektronen aus der Gleichgewichtslage wird für den bewegten Körper gerade dann die von Lorentz angenommene sein, wenn die quasielastischen Kräfte infolge der Erdbewegung die gleiche Änderung erfahren wie die elektrischen Kräfte gemäß Gl. 242. Man kann diese Hypothese in derselben Weise plausibel machen wie die entsprechende Hypothese über die Änderung der Molekularkräfte, indem man nämlich die quasielastischen Kräfte in ruhenden Körpern als elektrostatische Kräfte deutet.

Diese Annahme über die quasielastischen Kräfte reicht indessen nur dann aus, wenn bei der Lichtbrechung die Trägheit der Elektronen nicht ins Spiel kommt. Nach der Elektronentheorie ist gerade die Trägheit der Elektronen für die Dispersion maßgebend (vgl. § 29). Handelt es sich um die Lichtfortpflanzung in einem dispergierenden Körper, so hat die Lorentzsche Annahme über die Bewegung der Elektronen gewisse Konsequenzen hinsichtlich der longitudinalen und der transversalen Masse im Gefolge. Es müssen nämlich, wenn anders die Schwingungsgleichung der Elektronen erfüllt sein soll, die Trägheitskräfte in derselben Weise durch die Erdbewegung beeinflußt werden wie die äußeren elektrischen Kräfte und die quasielastischen Kräfte, d. h. in der durch (242) angegebenen Weise. Sollen gleichzeitig die Beschleunigungen der Elektronen in dem bewegten Systeme und in dem ruhenden in dem durch (241b) angegebenen Zusammenhange stehen, so muß für die Masse als Quotient von Kraft und Beschleunigung die Beziehung gelten

(247)

Diese Beziehung drückt in der hier benutzten Symbolik dasselbe aus wie die Gleichungen (125) und (125a) auf S. 203, die für die elektromagnetische Masse des Lorentzschen Elektrons gelten. In der Tat hat H. A. Lorentz jene Annahme über die Form des Elektrons gerade im Hinblick auf die Optik bewegter Körper gemacht. Infolge der Erdbewegung sollen die Elektronen, deren Schwingungen die Geschwindigkeit der Lichtfortpflanzung in den Körpern bestimmen, sich in der gleichen Weise kontrahieren wie die materiellen Körper. Im Ruhezustande Kugeln, sollen sie infolge der Bewegung Heaviside-Ellipsoide werden. Diese Hypothese über die Gestaltsänderung der Elektronen, im Verein mit den übrigen Lorentzschen Hypothesen, verbürgt das Fehlen eines bemerkbaren Einflusses der Erdbewegung auf die Lichtfortpflanzung in festen Körpern. Für flüssige und gasförmige Körper fügt Lorentz noch die Hypothese hinzu, daß die Massen der Moleküle in derselben Weise durch die Erdbewegung abgeändert werden, wie die elektromagnetischen Massen der Elektronen. Alle diese Hypothesen setzen die Durchführbarkeit der elektromagnetischen Weltanschauung voraus.

Wir haben in § 22 auf die Bedenken aufmerksam gemacht, welche der Lorentzschen Hypothese des deformierbaren Elektrons gerade vom Standpunkte des elektromagnetischen Weltbildes aus erwachsen. Von diesem Standpunkte aus mußten wir dem starren Elektron den Vorzug geben. Die Formeln, die wir für dessen elektromagnetische Massen aufgestellt haben (S. 193, Gl. 118b, c), weichen, was Größen der Ordnung anbelangt, von den Lorentzschen durch die Faktoren bzw. ab. Demnach würden sich für die Eigenschwingungen der Elektronen auf der bewegten Erde andere Werte ergeben, wenn man unsere Formeln an Stelle der Lorentzschen setzte und die Hypothese über die quasielastischen Kräfte beibehielte; die Quadrate der Wellenlängen der Eigenschwingungen würden dann in demselben Verhältnisse sich ändern, wie die Werte der Massen. Es würde also die Dauer der longitudinalen und der transversalen Eigenschwingungen der Elektronen infolge der Erdbewegung um Größen der Ordnung voneinander abweichen. Diese Abweichung sollte sich für dispergierende Körper durch eine Doppelbrechung kundgeben; senkrecht zur Richtung der Erdbewegung sollte sich monochromatisches Licht mit verschiedener Geschwindigkeit fortpflanzen, je nachdem es parallel oder senkrecht zur Bewegungsrichtung der Erde polarisiert ist. Eine Doppelbrechung der Körper von dieser Ordnung haben Rayleigh und Brace bei den oben erwähnten Versuchen nicht entdecken können, obgleich die Genauigkeit nach den Angaben der Experimentatoren eine hinreichende gewesen wäre.

Das Lorentzsche Hypothesensystem ist, wenn auch vielleicht nicht das einzige, so doch wohl das einfachste, welches jeden bemerkbaren Einfluß der Erdbewegung auf die elektrischen und optischen Eigenschaften der Körper ausschließt. Die Möglichkeit eines solchen auf der Elektronentheorie fußenden Hypothesensystemes zeigt, daß aus dem Fehlen eines solchen Einflusses kein prinzipieller Einwand gegen die Grundhypothesen der Elektronentheorie hergeleitet werden kann. Diese allgemeinen Grundhypothesen lassen sich vielmehr mit speziellen Annahmen über die Elektronen und Moleküle derart vereinigen, daß die elektromagnetischen Vorgänge auf der bewegten Erde merklich mit denjenigen identisch sind, die auf der ruhenden Erde beobachtet werden würden.

Auch wenn man sich auf den Standpunkt der allgemeinen Elektronentheorie stellt, so braucht man doch keineswegs jede einzelne der speziellen Hypothesen von H. A. Lorentz zu akzeptieren. Durfte doch das elektromagnetische Weltbild, dem diese Hypothesen angepaßt sind, nur als ein Programm bezeichnet werden. Und gerade die Lorentzsche Annahme über die Form des Elektrons ist keineswegs mit diesem Programm in Einklang zu bringen. Was ferner die „quasielastischen Kräfte“ anbelangt, welche im Verein mit der Trägheit die Eigenschwingungen der Elektronen bestimmen sollen, so ist deren Natur uns gänzlich unbekannt. Erst wenn wir die Linienspektra eines ruhenden Körpers auf Grund der Elektronentheorie befriedigend werden deuten können, wird es möglich sein, die Optik bewegter Körper sicher zu begründen. Bis dahin sind alle theoretischen Ansätze, welche man der Diskussion des Einflusses der Erdbewegung zugrunde legt, nur von provisorischer Bedeutung und der Abänderung sehr wohl fähig.

In Anbetracht der zahlreichen und vielfach bedenklichen Hypothesen, zu welchen die Lorentzsche Elektrodynamik bewegter Körper ihre Zuflucht nimmt, verdient die von E. Cohn[7] aufgestellte Elektrodynamik bewegter Körper Interesse. Diese Theorie sieht von atomistischen Vorstellungen ab. Sie stellt, der rein phänomenologischen Methode getreu, ein System von Feldgleichungen an die Spitze:

(248)
(248a)
(248b)
(248c)
(248d)

Wie man sieht, ist hier die Hertz-Heavisidesche Analogie der elektrischen und magnetischen Größen gewahrt, welche die Elektronentheorie aufgibt. Für unmagnetisierbare Körper lehrt der Vergleich mit den Grundgleichungen der Lorentzschen Elektrodynamik (S. 324) folgendes: die Abweichung besteht nur darin, daß nicht wie dort die Vektoren und , sondern und zu Vektorprodukten mit vereinigt sind. Diese Abweichung ist von der zweiten Ordnung; hinsichtlich der Größen erster Ordnung in sind die Cohnschen Grundgleichungen den Lorentzschen völlig äquivalent.

Was die Anwendung auf ein gleichförmig bewegtes System anbelangt, so ergibt sich, daß ähnlich wie bei Lorentz die Zurückführung der Grundgleichungen auf diejenigen eines ruhenden Systemes möglich ist; wenn die allgemeine Zeit durch eine Ortszeit ersetzt wird. Dabei ist es aber, um das Fehlen eines Einflusses der Erdbewegung zu erklären, nicht notwendig, eine Kontraktion der Körper anzunehmen; es sind vielmehr die Abmessungen des ruhenden Systemes mit denen des bewegten Systemes identisch. Die im bewegten Systeme gemessenen Längen sind hier die wahren Längen; auch ist die Zeiteinheit beim Übergang zum ruhenden System nicht abzuändern. Es wird also hier ohne hypothetische Annahmen über den Einfluß der Erdbewegung auf die Körper dasselbe erzielt, was Lorentz durch sein Hypothesensystem erreicht.

Die in § 43 gegebene Theorie des Michelsonschen Versuches war von den Feldgleichungen insofern unabhängig, als ihr Gegenstand nur die Lichtfortpflanzung im luftleeren Raume war. Hier würde die Cohnsche Theorie, welche die Kontraktionshypothese fallen läßt, ein positives Ergebnis des Versuches erwarten lassen. Nach Cohn soll das negative Ergebnis daher rühren, daß die Fortpflanzung bei den wirklichen Versuchen in Luft geschah; man dürfte also nach dieser Auffassung die Gleichungen für den leeren Raum hier nicht anwenden, sondern eben die Feldgleichungen, welche für die mit der Erde bewegte Luft gelten sollen.

Handelt es sich nur um den Einfluß sichtbarer Bewegungen auf die elektromagnetischen Vorgänge in wägbaren Körpern, so kann man im Zweifel sein, ob die Lorentzsche oder die Cohnsche Theorie den Vorzug verdient. Eine umfassende Behandlung der Konvektions- und Wellenstrahlung ist indessen auf Grund der Cohnschen Gleichungen bisher nicht durchgeführt worden. Die Theorie von Cohn sieht ab von atomistischen Vorstellungen; für die Ausbildung einer atomistischen Theorie der Elektrizität gibt sie nur die Anweisung: dieselbe so auszubilden, daß für die meßbaren Mittelwerte jene Gleichungen gelten. Sie bleibt den Nachweis schuldig, daß eine solche elektrische Atomistik möglich ist und daß sie die Erfahrungen über Kathodenstrahlen und Radiumstrahlen richtig wiedergibt. Daß die Elektronentheorie dieses leistet, haben wir in dem vorliegenden Bande gezeigt. Wir haben ferner gesehen, daß die Elektronentheorie diese rein elektrischen Strahlungserscheinungen in die engste Verbindung bringt mit gewissen optischen Eigenschaften der Körper, welche in dem Zeemanschen Phänomen, der Dispersion und der magnetischen Drehung der Polarisationsebene sich kundgeben. Eine umfassende elektromagnetische Theorie der Strahlung ist heute nur auf Grund der Elektronentheorie möglich. Jene Verknüpfung der anscheinend verschiedenartigsten Vorgänge ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Elektronentheorie. Diese Errungenschaft wird festzuhalten sein, auch dann, wenn etwa der Fortschritt der Wissenschaft die Grundlagen der Elektrizitätstheorie aufs neue erschüttern sollte.

Anmerkungen

  1. H. A. Lorentz. K. Akad. van Wetensch. te Amsterdam, 12, S. 986, 1904; vgl. auch M. Abraham. Physik. Zeitschr. (6), S. 576, 1904.
  2. H. A. Lorentz. Versuch einer Theorie der elektrischen und optischen Erscheinungen in bewegten Körpern. Leiden 1895.
  3. A. Michelson. American Journal of Science (3) 22, S. 120, 1881. Michelson und Morley. American Journal of Science (3) 34, S. 333, 1887. Phil. Mag. (5) 24, S. 449, 1887.
  4. H. A. Lorentz. Acad. van Wetensch. de Amsterdam 7, S. 507, 1899, und 12, S. 986, 1904.
  5. Rayleigh. Phil. Mag. 4, S. 678, 1902.
  6. D. B. Brace. Phil. Mag. 7, S. 317, 1904.
  7. E. Cohn. Göttinger Nachrichten 1901, Heft 1. Ann. d. Phys. 7, S. 29, 1902. Berliner Sitzungsber. 1904, S. 1294 und 1404.