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Entstehung der Arten/Eilftes Kapitel

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Zehntes Kapitel Entstehung der Arten (1860)
von Charles Darwin, übersetzt von Heinrich Georg Bronn
Zwölftes Kapitel

[353]

Eilftes Kapitel.


Geographische Verbreitung.


Die gegenwärtige Verbreitung der Organismen lässt sich nicht aus den natürlichen Lebens-Bedingungen erklären. — Wichtigkeit der Verbreitungs-Schranken. — Verwandtschaft der Erzeugnisse eines nämlichen Kontinentes. — Schöpfungs-Mittelpunkte. — Ursachen der Verbreitung sind Wechsel des Klimas, Schwankungen der Boden-Höhe und mitunter zufällige. — Die Zerstreuung während der Eis-Periode über die ganze Erd-Oberfläche erstreckt.


     Bei Betrachtung der Verbreitungs-Weise der organischen Wesen über die Erd-Oberfläche besteht die erste wichtige Thatsache, welche uns in die Augen fällt, darin, dass weder die Ähnlichkeit noch die Unähnlichkeit der Bewohner verschiedener Gegenden aus klimatischen u. a. physikalischen Bedingungen erklärbar ist. Alle, welche diesen Gegenstand studirt haben, sind endlich zu dem nämlichen Ergebniss gelangt. Das Beispiel Amerikas würde schon allein genügen, Diess zu beweissen. Denn alle Autoren stimmen darin überein, dass, mit Ausschluss des nördlichen um den Pol her ziemlich zusammenhängenden Theiles, die Trennung der alten von der neuen Welt eine der ersten Grundlagen der geographischen Vertheilung der Organismen bilde. Wenn wir aber den weiten Amerikanischen Kontinent von den mitteln Theilen der Vereinten Staaten an bis zu seinem südlichsten Punkte durchwandern, so begegnen wir den aller-verschiedenartigsten Lebens-Bedingungen, den feuchtesten Strichen und den trockensten Wüsten, hohen Gebirgen und grasigen Ebenen, Wäldern und Marschen, Seen und Strömen mit fast jeder Temperatur. Es gibt kaum ein Klima oder eine Bedingung in der alten Welt, wozu sich nicht eine Parallele in der neuen fände, so ähnlich wenigstens, als Diess zum Fortkommen der nämlichen Arten erforderlich wäre; denn es ist ein äusserst seltener Fall, irgend eine Organismen-Gruppe auf einen kleinen Fleck mit etwas eigenthümlichen Lebens-Bedingungen beschränkt zu finden. So z. B. gibt es in der alten Welt wohl einige kleine Stellen, heisser als irgend welche in der neuen; und doch haben diese keine eigenthümliche Fauna oder [354] Flora. Aber ungeachtet dieses Parallelismus in den Lebens-Bedingungen der alten und der neuen Welt, wie weit sind ihre lebenden Bewohner verschieden!

     Wenn wir in der südlichen Halbkugel grosse Landstriche in Australien, Süd-Afrika und West-Südamerika zwischen 25°—35° S. Br. mit einander vergleichen, so werden wir manche in allen ihren natürlichen Verhältnissen einander äusserst ähnliche Theile finden, und doch würde es nicht möglich seyn, drei einander unähnlichere Faunen und Floren ausfindig zu machen. Oder wenn wir die Natur-Produkte Süd-Amerikas im Süden vom 35° Br. und im Norden vom 25° Br. mit einander vergleichen, die mithin ein sehr verschiedenes Klima bewohnen, so zeigen sich dieselben einander weit näher verwandt, als die in Australien und Afrika in fast einerlei Klima lebenden sind. Und analoge Thatsachen lassen sich auch in Bezug auf die Meeres-Thiere nachweisen.

     Als zweite allgemeine Thatsache fällt uns auf, dass Schranken verschiedener Art oder Hindernisse freier Wanderung mit den Verschiedenheiten zwischen Bevölkerungen verschiedener Gegenden in engem und wesentlichem Zusammenhange stehen. So die grosse Verschiedenheit fast aller Land-Bewohner der alten und der neuen Welt mit Ausnahme der nördlichen Theile, wo sich beide nahezu berühren und vordem bei einem nur wenig abweichenden Klima die Wanderungen der Bewohner der nördlich-gemässigten Zone in ähnlicher Weise möglich gewesen seyn dürften, wie sie noch jetzt von Seiten der arktischen Bevölkerung stattfinden. Wir erkennen dieselbe Thatsache in der grossen Verschiedenheit zwischen den Bewohnern von Australien, Afrika und Süd-Amerika wieder; denn diese Gegenden sind fast so vollständig von einander geschieden, als es nur immer möglich ist. Auch auf jedem Festlande sehen wir die nämliche Erscheinung; denn auf den entgegengesetzten Seiten hoher und zusammenhängender Gebirgs-Ketten, grosser Wüsten und mitunter sogar nur grosser Ströme finden wir verschiedene Erzeugnisse. Da jedoch Gebirgs-Ketten, Wüsten u. s. w. nicht ganz unüberschreitbar sind oder noch nicht so lange als die zwischen den [355] Festländern gelegenen Weltmeere bestehen, so sind diese Verschiedenheiten dem Grade nach viel kleiner als die in verschiedenen Kontinenten.

     Wenden wir uns nach dem Meere, so finden wir das nämliche Gesetz. Keine andern zwei Meeres-Faunen sind so verschieden von einander als die an den östlichen und den westlichen Küsten Süd- und Mittel-Amerikas. Da ist fast kein Fisch, keine Schnecke, kein Krabbe gemeinsam. Und doch sind diese grossen Faunen nur durch die schmale Landenge von Panama von einander getrennt. Westwärts von den Amerikanischen Gestaden erstreckt sich ein weiter und offener Ozean mit nicht einer Insel zum Ruheplatz für Auswanderer; hier haben wir eine Schranke andrer Art, und sobald diese überschritten ist, treffen wir auf den östlichen Inseln des stillen Meeres auf eine neue und ganz verschiedene Fauna. Es erstrecken sich also drei Meeres-Faunen nicht weit von einander in parallelen Linien weit nach Norden und Süden in sich entsprechenden Klimaten. Da sie aber durch unübersteigliche Schranken von Land oder offenem Meer von einander getrennt sind, so bleiben sie völlig von einander verschieden. Gehen wir aber von den östlichen Inseln im tropischen Theile des stillen Meeres noch weiter nach Westen, so finden wir keine unüberschreitbaren Schranken mehr; unzählige Inseln oder zusammenhängende Küsten bieten sich als Ruheplätze dar, bis wir nach Umwanderung einer Hemisphäre zu den Küsten Afrikas gelangen; aber in diese weiten Flächen theilen sich keine wohl-charakterisirten verschiedenen Meeres-Faunen mehr. Obwohl kaum eine Schnecke, ein Krabbe oder ein Fisch jenen drei Faunen an der Ost- und der West-Küste Amerikas und im östlichen Theile des stillen Ozeans gemeinsam ist, so reichen doch viele Fisch-Arten vom stillen bis zum Indischen Ozean und sind viele Weichthiere den östlichen Inseln der Südsee und den östlichen Küsten Afrikas unter sich fast genau entgegenstehenden Meridianen gemein.

     Eine dritte grosse Thatsache, schon zum Theil in den vorigen mitbegriffen, ist die Verwandtschaft zwischen den Erzeugnissen eines nämlichen Festlandes oder Weltmeeres, obwohl die [356] Arten verschiedener Theile und Standorte desselben verschieden sind. Es ist Diess ein Gesetz von der grössten Allgemeinheit, und jeder Kontinent bietet unzählige Belege dafür. Demungeachtet fühlt sich der Naturforscher auf seinem Wege von Norden nach Süden unfehlbar betroffen von der Art und Weise wie Gruppen von Organismen der Reihe nach einander ersetzen, die in den Arten verschieden aber offenbar verwandt sind. Er hört von nahe verwandten aber doch verschiedenen Vögeln ähnliche Gesänge, sieht ihre ähnlich gebauten Nester mit ähnlich gefärbten Eiern. Die Ebenen der Magellans-Strasse sind von einem Nandu (Rhea Americana) bewohnt, und im Norden der La-Plata-Ebene[WS 1] wohnt eine andre Art derselben Sippe, doch kein ächter Strauss (Struthio) oder Emu (Dromaius), welche in Afrika und beziehungsweise in Neuholland unter gleichen Breiten vorkommen. In denselben La-Plata-Ebenen[WS 1] finden wir das Aguti (Dasyprocta) und die Hasenmaus (Lagostomus), zwei Nagethiere von der Lebensweise unsrer Hasen und Kaninchen und mit ihnen in gleiche Ordnung gehörig, aber einen rein Amerikanischen Organisations-Typus bildend. Steigen wir zu dem Hoch-Gebirge der Cordilleren hinan, so treffen wir die Berg-Hasenmaus (Lagidium); sehen wir uns am Wasser um, so finden wir zwei andre Südamerikanische Typen, den Coypu (Myopotamus) und Capybara (Hydrochoerus) statt des Bibers und der Bisamratte. So liessen sich zahllose andre Beispiele anführen. Wie sehr auch die Inseln an den Amerikanischen Küsten in ihrem geologischen Bau abweichen mögen, ihre Bewohner sind wesentlich Amerikanisch, wenn auch von eigenthümlichen Arten. Schauen wir zurück nach nächst-früheren Zeit-Perioden, wie sie im letzten Kapitel erörtert worden, so finden wir auch da noch Amerikanische Typen vorherrschend auf dem Amerikanischen Festlande wie in Amerikanischen Meeren. Wir erkennen in diesen Thatsachen ein tief-liegendes organisches Band, in Zeit und Raum vorherrschend über gegebene Land- und Wasser-Flächen, unabhängig von ihrer natürlichen Beschaffenheit. Der Naturforscher müsste nicht sehr wissbegierig seyn, der sich nicht versucht fühlte, näher nach diesem Bande zu forschen. [357]

     Diess Band besteht nach meiner Theorie lediglich in der Vererbung, derjenigen Ursache, welche allein, soweit wir Sicheres wissen, gleiche oder ähnliche Organismen, wie die Varietäten sind, hervorbringt. Die Unähnlichkeit der Bewohner verschiedener Gegenden wird der Umgestaltung durch Natürliche Züchtung und, in einem ganz untergeordneten Grade, dem unmittelbaren Einflusse äussrer Lebens-Bedingungen zuzuschreiben seyn. Der Grad der Unähnlichkeit hängt davon ab, ob die Wanderung der herrschenderen Lebenformen aus der einen Gegend in die andre rascher oder langsamer in spätrer oder früherer Zeit vor sich gegangen; er hängt von der Natur und Zahl der früheren Einwanderer, von deren Wirkung und Rückwirkung im gegenseitigen Kampfe ums Daseyn ab, indem, wie ich schon oft bemerkt habe, die Beziehung von Organismus zu Organismus die wichtigste aller Beziehungen ist. Bei den Wanderungen kommen die oben erwähnten Schranken wesentlich in Betracht, wie die Zeit bei dem langsamen Prozess der Natürlichen Züchtung. Weitverbreitete und an Individuen reiche Arten, welche schon über viele Mitbewerber in ihrer eignen ausgedehnten Heimath gesiegt, werden beim Vordringen in neuen Gegenden die beste Aussicht haben neue Plätze zu gewinnen. Unter den neuen Lebens-Bedingungen ihrer späteren Heimath werden sie häufig neue Abänderungen und Verbesserungen erfahren; sie werden den andern noch überlegener werden und Gruppen abändernder Nachkommen erzeugen. Aus diesem Prinzip fortschreitender Vererbung mit Abänderung ergibt sich, wie es zugeht, dass Untersippen, Sippen und selbst ganze Familien, wie es so gewohnter und anerkannter Maassen der Fall, auf gewisse Flächen beschränkt erscheinen.

     Wie schon im letzten Kapitel bemerkt worden, so glaube ich an kein Gesetz nothwendiger Vervollkommnung; so wie die Veränderlichkeit der Arten eine unabhängige Eigenschaft ist und von der Natürlichen Züchtung nur so weit ausgebeutet wird, als es den Individuen in ihrem vielseitigen Kampfe ums Daseyn zum Vortheile gereicht, so besteht auch für die Modifikation der verschiedenen Spezies kein gleiches Maass. Wenn z. B. eine Anzahl von Arten, die miteinander in unmittelbarer Mitbewerbung [358] stehen, in Masse nach einer neuen und nachher isolirten Gegend auswandern, so werden sie wenig Modifikation erfahren, indem weder die Wanderung noch die Isolirung an sich etwas dabei thun. Jene Prinzipien kommen hauptsächlich nur in Betracht, wenn man Organismen in neue Beziehungen unter einander, weniger wenn man sie in Berührung mit neuen Lebens-Bedingungen bringt. Wie wir im letzten Kapitel gesehen, dass einige Formen ihren Charakter seit ungeheuer weit zurückgelegenen geologischen Perioden fast unverändert behauptet haben, so sind auch manche Arten über weite Räume gewandert, ohne grosse Veränderungen zu erleiden.

     Nach diesen Ansichten liegt es auf der Hand, dass verschiedene Arten einer Sippe, wenn sie auch die entferntesten Theile der Welt bewohnen, doch ursprünglich aus gleicher Quelle entsprungen, vom nämlichen Stammvater entstanden seyn müssen. Was diese Arten betrifft, welche im Verlaufe ganzer geologischer Perioden sich nur wenig verändert haben, so hat es keine Schwierigkeit anzunehmen, dass sie aus einerlei Gegend hergewandert sind; denn während der grossen geographischen und klimatischen Veränderungen, welche seit alten Zeiten vor sich gegangen, sind Wanderungen auf jede Entfernung möglich gewesen. In vielen andern Fällen aber, wo wir Grund haben zu glauben, dass die Arten einer Sippe erst in vergleichungsweise neuer Zeit entstanden sind, ist die Schwierigkeit weit grösser. Ebenso ist es einleuchtend, dass Individuen einer Art, wenn sie jetzt auch weit auseinander und abgesondert gelegene Gegenden bewohnen, von einer Stelle ausgegangen seyn müssen, wo ihre Ältern zuerst erstanden sind; denn, so wie es im letzten Abschnitte erläutert worden, ist es unglaublich, dass spezifisch gleiche Individuen von verschiedenen Stamm-Arten abstammen können.

     So wären wir denn bei der neuerlich oft von Naturforschern erörterten Frage angelangt, ob Arten je an einer oder an mehren Stellen der Erd-Oberfläche erzeugt worden seyen. Zweifelsohne mag es da sehr viele Fälle geben, wo es äusserst schwer zu begreifen ist, wie die gleiche Art von einem Punkte aus nach den verschiedenen entfernten und abgesonderten Gegenden [359] gewandert seyn solle, wo sie nun gefunden wird. Demungeachtet drängt sich die Vorstellung, dass jede Art nur von einem ursprünglichen Geburtsorte ausgegangen seyn müsse, durch ihre Einfachheit dem Geiste auf. Und wer sie verwirft, verwirft die vera causa, die gewöhnliche Zeugung mit nachfolgender Wanderung, um zu einem Wunder seine Zuflucht zu nehmen. Es wird allgemein zugestanden, dass die von einer Art bewohnte Gegend in der Regel zusammenhängend ist; und wenn eine Pflanzen- oder Thier-Art zwei von einander so weit entfernte oder durch solche Schranken getrennte Punkte bewohnt, dass sie nicht leicht von einem zum andern gewandert seyn kann, so betrachtet man Diess als etwas Merkwürdiges und Ausnahmsweises. Die Fähigkeit über Meer zu wandern, ist bei Land-Säugthieren vielleicht mehr als bei irgend einem andern organischen Wesen beschränkt; und wir finden damit übereinstimmend auch keinen unerklärbaren Fall, wo dieselbe Säugthier-Art sehr entfernte Punkte der Erde bewohnte. Kein Geologe findet eine Schwierigkeit darin anzunehmen, dass Grossbritannien ehedem mit dem Europäischen Kontinente zusammengehangen sey und mithin die nämlichen Säugethiere besessen habe. Wenn aber dieselbe Art an zwei entfernten Punkten der Welt erzeugt werden kann, warum finden wir nicht eine einzige Europa und Australien oder Süd-Amerika gemeinsam angehörige Säugethier-Art? Die Lebens-Bedingungen sind nahezu die nämlichen, so dass eine Menge Europäischer Pflanzen und Thiere in Amerika und Australien naturalisirt worden sind, und sogar einige der ureinheimischen Pflanzen Arten sind genau dieselben an diesen zwei so entfernten Punkten der nördlichen und der südlichen Hemisphäre! Die Antwort liegt, wie ich glaube, darin, dass Säugthiere nicht fähig sind die Wanderung zu machen, während einige Pflanzen mit ihren manchfaltigen Verbreitungs-Mitteln diesen weiten und unterbrochnen Zwischenraum zu überschreiten vermochten. Der mächtige Einfluss, welchen geographische Schranken aller Art auf die Verbreitungs-Weise geübt, wird nur unter der Voraussetzung begreiflich, dass weitaus der grösste Theil der Spezies nur auf einer Seite derselben erzeugt worden ist und Mittel zur Wanderung [360] nach der andern Seite nicht besessen hat. Einige wenige Familien, viele Unterfamilien, sehr viele Sippen und eine noch grössre Anzahl von Untersippen sind nur auf je eine einzelne Gegend beschränkt, und mehre Naturforscher haben die Bemerkung gemacht, dass die meisten natürlichen Sippen, diejenigen nämlich, deren Arten alle am nächsten mit einander verwandt sind, örtlich oder auf eine Gegend angewiesen zu seyn pflegen. Was für eine wunderliche Anomalie würde es nun seyn, wenn eine Stufe tiefer unten in der Reihe die Individuen einer Art sich geradezu entgegengesetzt verhielten und die Arten nicht örtlich, sondern in zwei oder mehr ganz verschiedenen Gegenden erzeugt worden wären!

     Daher scheint mir, wie so vielen andern Naturforschern, die Ansicht die wahrscheinlichere zu seyn, dass jede Art nur in einer einzigen Gegend entstanden, aber nachher von da aus so weit gewandert seye, als Mittel und Subsistenz unter früheren und gegenwärtigen Bedingungen gestatteten. Es kommen unzweifelhaft auch jetzt noch viele Fälle vor, wo sich nicht erklären lässt, auf welche Weise diese oder jene Art von einer Stelle zur andern gelangt ist. Aber geographische und klimatische Veränderungen, welche sich in den neuen geologischen Zeiten zuverlässig ereignet, müssen den früher bestandnen Zusammenhang der Verbreitungs-Flächen vieler Arten unterbrochen haben. So gelangen wir zur Erwägung, ob diese Ausnahmen von der Ununterbrochenheit der Verbreitungs-Bezirke so zahlreich und so gewichtiger Natur sind, dass wir die durch die vorangehenden Betrachtungen wahrscheinlich gemachte Meinung, dass jede Art nur auf einem Felde entstanden und von da so weit als möglich gewandert seye, aufzugeben genöthigt werden? Es würde zum Verzweifeln langweilig seyn, alle Ausnahms-Fälle aufzuzählen und zu erörtern, wo eine und dieselbe Art jetzt an verschiedenen weit von einander entfernten Orten lebt; auch will ich keinen Augenblick behaupten, für viele dieser Fälle eine genügende Erklärung wirklich geben zu können. Doch möchte ich nach einigen vorläufigen Bemerkungen die wichtigsten Klassen solcher Thatsachen erörtern, wie insbesondere das Vorkommen von einerlei Art auf [361] den Spitzen weit von einander gelegener Bergketten, oder im arktischen und antarktischen Kreise zugleich; dann, zweitens (im folgenden Kapitel) die weite Verbreitung der Süsswasser-Bewohner, und drittens, das Vorkommen von einerlei Landthier-Arten auf Festland und Inseln, welche durch Hunderte von Meilen offnen Meeres von einander getrennt sind. Wenn das Vorkommen von einer und der nämlichen Art an entfernten und vereinzelten Fundstätten der Erd-Oberfläche sich in vielen Fällen durch die Voraussetzung erklären lässt, dass diese Art von ihrer Geburts-Stätte aus dahin gewandert seye, dann scheint mir in Anbetracht unsrer gänzlichen Unbekanntschaft mit den früheren geographischen und klimatischen Veränderungen so wie mit manchen zufälligen Transport-Mitteln die Annahme, dass Diess die allgemeine Regel gewesen seye, bei Weitem die richtigste zu seyn.

     Bei Erörterung dieses Gegenstandes werden wir Gelegenheit haben noch einen andern für uns gleich-wichtigen Punkt in Betracht zu ziehen, ob nämlich die mancherlei verschiedenen Arten einer Sippe, welche meiner Theorie zufolge einen gemeinsamen Stammvater hatten, von der Wohnstätte ihres Stammvaters ausgegangen seyn (und unterwegs sich etwa noch weiter angemessen entwickelt haben) können. Kann gezeigt werden, dass eine Gegend, deren meisten Bewohner enge verwandt oder aus gleichen Sippen mit den Arten einer zweiten Gegend sind, in früherer Zeit wahrscheinlich einmal Einwanderer aus dieser letzten erhalten hat, so wird Diess zur Bestätigung meiner Theorie beitragen; denn wir begreifen dann aus dem Modifikations-Prinzipe deutlich, warum die Bewohner der einen Gegend denen der andern verwandt sind, da sie aus ihr stammen. Eine vulkanische Insel z. B., welche einige Hundert Meilen von einem Kontinente entfent emporstiege, würde wahrscheinlich im Laufe der Zeit einige Kolonisten erhalten, deren Nachkommen, wenn auch etwas abändernd, doch ihre Verwandtschaft mit den Bewohnern des Kontinents auf ihre Nachkommen vererben würden. Fälle dieser Art sind gewöhnlich und, wie wir nachher ersehen werden, nach der Theorie unabhängiger Schöpfung unerklärlich. Diese Ansicht über die Verwandtschaft der Arten einer Gegend zu [362] denen einer andern ist (wenn wir nun das Wort Varietät statt Art anwenden) nicht sehr von der durch Hrn. Wallace aufgestellten verschieden, wonach »jede Art entstanden ist in Zeit und Raum zusammentreffend mit einer früher vorhandenen nahe verwandten Art«. Ich weiss nun aus seiner Korrespondenz, dass er dieses »Zusammentreffen« der Generation mit Abänderung zuschreibt und dafür eine lange geologische Zeit-Periode zugesteht.

     Die vorangehenden Bemerkungen über ein- oder mehrfältige Schöpfungs-Mittelpunkte führen nicht unmittelbar zu einer andern verwandten Frage, ob nämlich alle Individuen einer Art von einem einzigen Paare oder einem Hermaphroditen abstammen, oder ob, wie einige Autoren annehmen, von vielen gleichzeitig entstandenen Individuen einer Art? Bei solchen Organismen, welche sich niemals kreutzen (wenn dergleichen überhaupt existiren), muss nach meiner Theorie die Art von einer Reihenfolge vervollkommneter Varietäten herrühren, die sich nie mit andern Individuen oder Varietäten gekreutzt, sondern einfach einander ersetzt haben, so dass auf jeder der aufeinanderfolgenden Umänderungs- oder Verbesserungs-Stufen alle Individuen von einerlei Varietät auch von einerlei Stammvater herrühren müssen. In der Mehrzahl der Fälle jedoch und namentlich bei allen Organismen, welche sich zu jeder einzelnen Fortpflanzung paaren oder sich oft mit andern kreutzen, glaube ich, dass während des langsamen Modifikations-Prozesses die Individuen der Spezies bei der Kreutzung sich nahezu gleichförmig erhalten haben, so dass viele derselben sich gleichzeitig abänderten und der ganze Betrag der Abänderung auf jeder Stufe nicht von der Abstammung von einem gemeinsamen Stammvater herrührt. Um zu erläutern, was ich meine, will ich anführen, dass unsre Englischen Rasse-Pferde nur wenig von den Pferden jeder andern Züchtung abweichen, aber ihre Verschiedenheit und Vollkommenheit nicht davon haben, dass sie von einem einzigen Paare abstammen, sondern dieselbe der während vieler Generationen angewendeten Sorgfalt bei Auswahl und Erziehung vieler Individuen verdanken.

     Ehe ich auf nähere Erörterung über diejenigen drei Klassen von Thatsachen eingehe, welche der Theorie von den »einzigen [363] Schöpfungs-Mittelpunkten« die meisten Schwierigkeiten darbieten, muss ich den Verbreitungs-Mitteln noch einige Worte widmen.

     Verbreitungs-Mittel.) Sir Ch. Lyell u. a. Autoren haben diesen Gegenstand sehr angemessen erörtert. Ich kann hier nur einen kurzen Auszug von den wichtigsten Thatsachen liefern. Klima-Wechsel mag auf Wanderung der Organismen vom grössten Einflusse gewesen seyn. Eine Gegend mit änderndem Klima kann eine Hochstrasse der Auswanderung gewesen und jetzt ungangbar seyn; ich muss daher diesen Gegenstand zunächst mit einigem Detail behandeln. Höhen-Wechsel des Landes kommt dabei wesentlich in Betracht. Eine schmale Landenge trennt jetzt zwei Meeres-Faunen; taucht sie unter oder ist sie früher untergetaucht, so werden beide Faunen zusammenfliessen oder vordem untergeflossen seyn. Wo dagegen sich jetzt die See ausbreitet, da mag vormals trocknes Land Inseln oder selbst Kontinente mit einander verbunden und so Landbewohner in den Stand gesetzt haben von einer Seite zur andern zu wandern. Kein Geologe bestreitet, dass grosse Veränderungen der Boden-Höhen während der Periode der jetzt lebenden Organismen-Arten stattgefunden haben, und Edw. Forbes behauptet, alle Inseln des Atlantischen Meeres müssten noch unlängst mit Afrika oder Europa, wie gleicherweise Europa mit Amerika zusammengehangen haben. Andre Schriftsteller haben hypothetisch der Reihe nach jeden Ozean überbrückt und fast jede Insel mit dem nächsten Festlande verbunden. Und wenn sich die Argumente von Forbes bestätigen liessen, so müsste man gestehen, dass es kaum irgend eine Insel gebe, welche nicht noch neuerlich mit einem Kontinente zusammenhing. Diese Ansicht zerhaut den gordischen Knoten der Verbreitung einer Art bis zu den entlegensten Punkten und beseitigt eine Menge von Schwierigkeiten. Aber nach meiner besten Überzeugung sind wir nicht berechtigt, so ungeheure Veränderungen innerhalb der Periode der noch jetzt lebenden Arten anzunehmen. Es scheint mir, dass wir genug Beweise von grossen Schwankungen des Bodens in unsrem Kontinente besitzen, doch nicht von Bewegungen so ausgedehnt und in solcher Richtung, dass sich mittelst derselben eine [364] Verbindung Europas mit Amerika und den dazwischen gelegenen Atlantischen Inseln noch in der jetzigen Erd-Periode ergäbe. Dagegen gestehe ich gerne die vormalige Existenz mancher jetzt im Meere begrabener Inseln zu, welche vielen Pflanzen- und Thier-Arten bei ihren Wanderungen als Ruhepunkte dienen konnten. In den Korallen-Meeren erkennt man, nach meiner Meinung, solche versunkene Inseln noch jetzt mittelst der auf ihnen stehenden Korallen-Ringe oder Atolls. Wenn es einmal vollständig eingeräumt seyn wird, wie es eines Tages vermuthlich noch geschehen wird, dass jede Art nur eine Geburts-Stätte gehabt, und wenn wir im Laufe der Zeit etwas Bestimmteres über die Verbreitungs-Mittel erkennen, so werden wir im Stande seyn die frühere Ausdehnung des Landes mit einiger Sicherheit zu berechnen. Dagegen glaube ich nicht, dass es je zu beweisen seyn wird, dass jetzt vollständig getrennte Kontinente noch in neuerer Zeit wirklich oder nahezu miteinander und mit den vielen noch vorhandenen ozeanischen Inseln zusammenhingen. Manche Thatsachen in der Vertheilung, wie die grosse Verschiedenheit der Meeres-Faunen an den entgegengesetzten Seiten fast jedes grossen Kontinentes und ein gewisser Grad von Beziehungen (wovon nachher die Rede seyn wird) zwischen der Verbreitung der Säugthiere und der Tiefe des Meeres: diese und noch manche andere scheinen mir sich der Annahme solcher ungeheuren geographischen Umwälzungen in der neuesten Periode zu widersetzen, wie sie durch die von E. Forbes aufgestellten und von vielen Nachfolgern angenommenen Ansichten nöthig werden. Die Natur und Zahlen-Verhältnisse der Bewohner ozeanischer Inseln scheinen mir gleicherweise die Annahme eines früheren Zusammenhangs mit den Festländern zu widerstreben. Eben so wenig ist ihre meist vulkanische Zusammensetzung der Annahme günstig, dass sie blosse Trümmer versunkener Kontinente seyen; denn wären es ursprüngliche Spitzen von Bergketten des Festlandes gewesen, so würden doch wenigstens einige derselben gleich andern Gebirgs-Höhen aus Graniten, metamorphischen Schiefern, alten organische Reste führenden Schichten u. dgl. statt immer nur aus Kegeln vulkanischer Massen bestehen. [365]

     Ich habe nun noch einige Worte von den sogenannten »zufälligen« Verbreitungs-Mitteln zu sprechen, die man besser »gelegenheitliche« nennen würde. Doch will ich mich hier auf die Pflanzen beschränken. In botanischen Werken findet man bemerkt, dass diese oder jene Pflanze für weite Aussaat nicht gut geeignet ist. Aber was den Transport derselben durch das Meer betrifft, so lässt sich behaupten, dass es bei den meisten derselben noch ganz unbekannt ist, wie es mit der Möglichkeit desselben steht. Bis zur Zeit, wo ich mit Hrn. Berkeley’s Hilfe einige wenige Versuche darüber angestellt, war nicht einmal bekannt, in wie weit Saamen dem schädlichen Einflüsse des Salz-Wassers zu widerstehen vermögen. Zu meiner Verwunderung fand ich, dass von 87 Arten 64 noch keimten, nachdem sie 28 Tage lang in See-Wasser gelegen; und einige wenige thaten es sogar nach 137 Tagen noch. Es ist beachtenswerth, dass gewisse Ordnungen viel stärker als andre vom Salz-Wasser angegriffen werden. So gingen von neun Leguminosen acht zu Grunde, und sieben Arten der unter einander verwandten Ordnungen der Hydrophyllaceae und Polemoniaceae waren nach einem Monate todt. Der Bequemlichkeit wegen wählte ich meistens nur kleine Saamen ohne Fruchthülle, und da alle schon nach wenigen Tagen untersanken, so können sie natürlich keine weiten Räume des Meeres durchschiffen, mögen sie nun ihre Keim-Kraft im Salzwasser bewahren oder nicht. Nachher wählte ich grössre Früchte mit Kapseln u. s. w., und von diesen blieben einige lange Zeit schwimmend. Es ist wohl bekannt, wie verschieden die Schwimm-Fähigkeit einer Holzart im grünen und im trocknen Zustande ist. Ich dachte mir daher, dass Fluthen wohl Pflanzen oder deren Zweige forttragen und dann ans Ufer werfen könnten, wo der Strom, wenn sie erst ausgetrocknet wären, sie aufs Neue ergreifen und dem Meere zuführen könnte; daher nahm ich von 94 Pflanzen-Arten trockne Stengel und Zweige mit reifen Früchten daran und legte sie ins Wasser. Die Mehrzahl versank sogleich; doch einige, welche grün nur sehr kurze Zeit an der Oberfläche geblieben, hielten sich nun länger. So sanken reife Haselnüsse unmittelbar unter, schwammen aber, wenn sie vorher ausgetrocknet worden, 90 [366] Tage lang und keimten dann noch, wenn sie gepflanzt wurden. Eine Spargel-Pflanze mit reifen Beeren schwamm 23 Tage, nach vorherigem Austrocknen aber 85 Tage, und ihre Saamen keimten noch. Die reifen Früchte von Helosciadium sanken in zwei Tagen, schwammen aber nach vorgängigem Trocknen 90 Tage und keimten hierauf. Im Ganzen schwammen von den 94 getrockneten Pflanzen 18 Arten 28 Tage lang und einige davon sogar noch viel länger. Es keimten also 64/87 = 0,74 der Saamen-Arten nach einer Eintauchung von 28 Tagen, und schwammen 18/94 = 0,19 der getrockneten Pflanzen-Arten mit reifen Saamen (doch z. Th. andre Arten als die vorigen) noch über 28 Tage; und würden daher, so viel man aus diesen Thatsachen schliessen darf, die Saamen von 0,14 der Pflanzen-Arten einer Gegend ohne Nachtheil für ihre Keim-Kraft 28 Tage lang von See-Strömungen fortgetragen werden können. In Johnston’s physikalischem Atlas ist die mittle Geschwindigkeit der Atlantischen Ströme auf 33 See-Meilen im Tag (manche laufen 60 M. weit) angegeben; und somit könnten jene Saamen bei diesem Mittel 924 See-Meilen weit fortgeführt werden und, wenn sie dann strandeten und vom Winde sofort auf eine passende Stelle weiter landeinwärts getrieben würden, noch keimen.

     Nach mir stellte Martins[1] ähnliche Versuche, doch in bessrer Weise an, indem er Kistchen mit Saamen in’s wirkliche Meer versenkte, so dass sie abwechselnd feucht und wieder der Luft ausgesetzt wurden, wie wirklich schwimmende Pflanzen. Er versuchte es mit 98 Saamen-Arten, meistens verschieden von den meinigen, und darunter manche grosse Früchte und auch Saamen von solchen Pflanzen, welche in der Nähe des Meeres wachsen, was wohl dazu beitrug die mittle Länge der Zeit, während welcher sie sich schwimmend zu halten und der schädlichen Wirkung des Salz-Wassers zu widerstehen vermochten, etwas zu vermehren. Anderseits aber trocknete er nicht vorher die Früchte mit den Zweigen oder Stengeln, was einige derselben befähigt haben würde, länger zu schwimmen. Das Ergebniss war, dass [367] 18/98 = 0,185 Saamen-Arten 42 Tage lang schwammen und dann noch keimten. Ich bezweifle jedoch nicht, dass Pflanzen, die mit den Wogen treiben, sich länger schwimmend erhalten als jene, welche so wie in unseren Versuchen gegen jede Bewegung geschützt sind. Daher wäre es vielleicht sicherer anzunehmen, dass die Saamen von etwa 0,10 Arten einer Flora nach dem Austrocknen noch eine 900 Meilen weite Strecke des Meeres durchschwimmen und dann keimen können. Die Thatsache, dass die grösseren Früchte länger als die kleinen schwimmen, ist interessant, weil grosse Saamen oder Früchte nicht wohl anders als schwimmend aus einer Gegend in die andere versetzt werden können; daher, wie Alph. DeCandolle gezeigt hat, solche Pflanzen beschränkte Verbreitungs-Bezirke besitzen.

     Doch können Saamen gelegenheitlich auch auf andre Weise fortgeführt werden. So gelangt Treibholz zu den meisten Inseln in der Mitte des weitesten Ozeans; und die Eingebornen der Korallen-Inseln des Stillen Meeres verschaffen sich härtere Steine für ihr Geräthe fast nur von den Wurzeln der Treibholz-Stämme; die Taxen für diese Steine bilden ein erhebliches Einkommen ihrer Könige. Wenn nun unregelmässig geformte Steine zwischen die Wurzeln der Bäume fest eingewachsen sind, so sind auch zuweilen noch kleine Parthien Erde dahinter eingeschlossen, mitunter so genau, dass nicht das Geringste davon während des längsten Transportes weggewaschen werden könnte. Und nun kenne ich einen Fall genau, wo aus einer solchen vollständig eingeschlossenen Parthie Erde zwischen den Wurzeln einer 50jährigen Eiche drei Dikotyledonen-Saamen gekeimt haben. So kann ich ferner nachweisen, dass zuweilen todte Vögel lange auf dem Meere treiben ohne verschlungen zu werden, und dass in ihrem Kropfe enthaltene Saamen lange ihre Keim-Kraft behalten; Erbsen und Wicken z. B., welche sonst schon zu Grunde gehen, wenn sie nur wenige Tage im Wasser liegen, zeigten sich zu meinem grossen Erstaunen noch keimfähig, als ich sie aus dem Kropfe einer Taube nahm, welche schon 30 Tage lang auf künstlich bereitetem Salzwasser geschwommen.

     Lebende Vögel haben unfehlbar einen grossen Antheil am [368] Transport lebender Saamen. Ich könnte viele Falle anführen um zu beweisen, wie oft Vögel von mancherlei Art durch Stürme weit über den Ozean verschlagen werden. Wir dürfen wohl als gewiss annehmen, dass unter solchen Umständen ihre Schnelligkeit oft 35 Engl. Meilen in der Stunde betragen mag, und manche Schriftsteller haben sie viel höher angeschlagen. Ich habe nie eine nahrhafte Saamen-Art durch die Eingeweide eines Vogels passiren sehen, wogegen harte Saamen und Früchte unangegriffen selbst durch die Gedärme des Wälschhuhns gehen. Im Laufe von zwei Monaten sammelte ich in meinem Garten aus den Exkrementen kleiner Vögel 12 Arten Saamen, welche alle noch gut zu seyn schienen, und einige von ihnen, die ich probirte, haben wirklich gekeimt. Wichtiger ist jedoch folgende Thatsache. Der Kropf der Vögel sondert keinen Magensaft aus und benachtheiligt nach meinen Versuchen die Keimkraft der Saamen nicht im mindesten. Nun sagt man, dass, wenn ein Vogel eine grosse Menge Saamen gefunden und gefressen hat, die Körner nicht vor 12—18 Stunden in den Magen gelangen. In dieser Zeit aber kann ein Vogel leicht 500 Meilen weit fortgetrieben werden; und wenn Falken, wie sie gerne thun, auf den ermüdeten Vogel Jagd machen, so kann dann der Inhalt seines Kropfes bald umhergestreut seyn. Hr. Brent benachrichtigt mich, dass ein Freund von ihm es aufgegeben hat, Botentauben von Frankreich nach England fliegen zu lassen, weil die Falken deren zu viele bei ihrer Ankunft an der Englischen Küste vertilgten. Nun verschlingen einige Falken und Eulen ihre Beute ganz und brechen nach 12-20 Stunden Ballen unverdauter Federn wieder aus, die, wie ich aus Versuchen in den Zoological Gardens weiss, oft noch keimfähige Saamen enthalten. Einige Saamen von Hafer, Weitzen, Hirse, Kanariengras, Hanf, Klee und Mangold keimten noch, nachdem sie 12—20 Stunden in den Magen verschiedener Raubvögel verweilt hatten, und zwei Mangold-Saamen wuchsen sogar, nachdem sie zwei Tage und vierzehn Stunden dort gewesen waren. Süsswasser-Fische verschlingen Saamen verschiedener Land- und Wasser-Pflanzen; Fische werden oft von Vögeln verzehrt, und so können jene Saamen von [369] Ort zu Ort ausgestreut werden. Ich brachte mancherlei Saamen-Arten in den Magen todter Fische und gab diese sodann Pelikanen, Störchen und Fischadlern zu fressen; diese Vögel gaben einige Stunden später die Saamen in ihren Exkrementen wieder von sich oder brachen sie in Gewöll-Ballen aus. Mehre dieser Saamen besassen alsdann noch ihre Keim-Kraft; andre dagegen verloren sie jederzeit durch diesen Prozess.

     Obwohl Schnäbel und Füsse der Vögel gewöhnlich ganz rein sind, so hängen doch oft auch Erd-Theile daran. In einem Falle trennte ich 22 Gran thoniger Erde von dem Fusse eines Feldhuhns, und in dieser Erde befand sich ein Steinchen so gross wie ein Wicken-Saamen. Daher mögen auf dieselbe Art auch Saamen zuweilen auf grosse Entfernungen fortgeführt werden, indem sich nachweisen lässt, dass der Ackerboden überall voll von Sämereien steckt. Erwägt man, wie viele Millionen Wachteln jährlich das Mittelmeer überfliegen, so wird man die Möglichkeit nicht bezweifeln, dass wohl auch einmal ein paar kleine Saamen an ihren Füssen mit herüber oder hinüber gelangen. Doch werde ich auf diesen Gegenstand noch zurückkommen.

     Bekanntlich sind Eisberge oft mit Steinen und Erde beladen; auch Buschholz, Knochen und selbst einmal ein Vogel-Nest hat man darauf gefunden; daher wohl nicht zu zweifeln ist, dass sie mitunter auch, wie Lyell bereits angenommen, Saamen von einem zum andern Theile der arktischen oder antarktischen Zone, und in der Glacial-Zeit sogar von einem Theile der jetzigen gemässigten Zonen zum andern geführt haben. Da auf den Azoren eine im Verhältniss zu den übrigen zum Theile dem Festlande näher gelegenen Inseln des Atlantischen Meeres grosse Anzahl Europäischer Pflanzen und (wie Hr. H. C. Watson bemerkt) insbesondere solcher Arten vorkommt, die einen etwas nördlicheren Charakter haben, als der Lage entspricht, so vermuthete ich, dass ein Theil derselben mit Eisbergen in der Glacial-Zeit dahin gelangt seye. Auf meine Bitte fragte Sir Ch. Lyell Hrn. Hartung, ob er erratische Blöcke auf diesen Inseln gefunden habe, und erhielt zur Antwort, dass grosse Blöcke von Granit u. a. nicht auf den Inseln anstehenden Gesteinen dort vorkommen. [370] Wir dürfen daher getrost folgern, dass Eisberge vordem ihre Bürden an der Küste dieser mittel-ozeanischen Inseln abgesetzt haben, und so ist es wenigstens möglich, dass auch einige Saamen nordischer Pflanzen mit dahin gelangt sind.

     In Berücksichtigung, dass manche der oben erwähnten und andre wohl später zu entdeckende Transport-Mittel ganze Jahrhunderte und Jahrtausende alljährlich in Thätigkeit gewesen, würde es nach meiner Ansicht eine wunderbare Thatsache seyn, wenn nicht auf diesen Wegen viele Pflanzen mitunter in weite Fernen versetzt worden wären. Diese Transport-Mittel werden zuweilen zufällige genannt, was nicht ganz richtig ist, indem weder die See-Strömungen noch die vorwaltende Richtung der Stürme zufällig sind. Indessen ist von diesen Mitteln wohl keines im Stande, keimfähige Saamen in sehr grosse Fernen zu versetzen, indem die Saamen weder ihre Keimfähigkeit im Seewasser lange behalten, noch in Kropf und Eingeweiden der Vögel weit transportirt werden können. Wohl aber genügen sie, um dieselben gelegenheitlich über einige Hundert Meilen breite See-Striche hinwegzuführen und so von Kontinent zu Insel, oder von Insel zu Insel, aber nicht von einem Kontinente zum andern zu fördern. Die Floren entfernter Kontinente werden auf diese Weise mithin nicht in hohem Grade gemengt werden, sondern so weit getrennt bleiben, als wir sie jetzt finden. Die Ströme würden ihrer Richtung nach niemals Saamen von Nord-Amerika nach Britannien bringen können, wie sie deren von Westindien aus an unsre Küsten spülen, wo sie aber, selbst wenn sie auf diesem langen Wege noch ihre Lebenskraft bewahrt haben, nicht das Klima zu ertragen vermögen. Fast jedes Jahr werden 1—2 Land-Vögel durch Stürme von Nord-Amerika über den ganzen Atlantischen Ozean bis an die Irischen und Englischen Küsten getrieben; Saamen aber könnten diese Wanderer nur auf eine Weise mit sich bringen, nämlich in dem zufällig an ihren Füssen hängenden Schmutz, was doch immer an sich schon ein seltener Zufall ist. Und wie gering wäre selbst in diesem Falle die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Saame in einen günstigen Boden gelange, keime und zur Reife komme. Doch wäre [371] es ein grosser Irrthum zu folgern, dass, weil eine schon wohl-bevölkerte Insel, wie Grossbritannien ist, in den paar letzten Jahrhunderten (was übrigens doch schwer zu beweisen steht) durch diese gelegenheitlichen Transport-Mittel keine Einwanderer aus Europa oder einem andern Kontinente aufgenommen, auch sparsam bevölkerte Inseln selbst in noch grössren Entfernungen vom Festlande keine Kolonisten auf solchen Wegen erhalten könnten. Ich zweifle nicht, dass aus 20 zu einer Insel verschlagenen Saamen- oder Thier-Arten, auch wenn sie viel weniger bevölkert wäre als Britannien, kaum mehr als eine so für diese neue Heimath geeignet seyn würde, um nun dort naturalisirt zu werden. Doch ist Diess, wie mir scheint, kein bedeutender Einwand hinsichtlich dessen, was durch solche gelegenheitliche Transport-Mittel im langen Verlaufe der geologischen Zeiten geschehen konnte, während der Hebung und Bildung einer Insel und bevor sie mit Ansiedlern vollständig besetzt war. Auf einem fast noch öden Lande, wo noch keine oder nur wenige Insekten und Vögel jedem neu ankommden Saamen-Korne nachstellen, wird dasselbe leicht zum Keimen und Fortleben gelangen, wenn es anders für dieses Klima passt.

     Zerstreuung während der Eis-Zeit.) Die Übereinstimmung so vieler Pflanzen- und Thier-Arten auf Berges-Höhen, welche Hunderte von Meilen weit durch Tiefländer von einander getrennt sind, wo die Alpen-Bewohner nicht fortkommen können, ist eines der schlagendsten Beispiele des Vorkommens gleicher Arten auf von einander entlegenen Punkten, ohne anscheinende Möglichkeit einer Wanderung von einem derselben zum andern. Es ist in der That merkwürdig, so viele Pflanzen-Arten in den Schnee-Gegenden der Alpen oder Pyrenäen und wieder in den nördlichsten Theilen Europa’s zu sehen; aber noch merkwürdiger ist es, dass die Pflanzen-Arten der Weissen Berge in den Vereinten Staaten Amerika’s alle die nämlichen wie in Labrador und ferner nach Asa Gray’s Versicherung die nämlichen wie auf den höchsten Bergen Europa’s sind. Schon vor langer Zeit, im Jahre 1747, veranlassten ähnliche Thatsachen Gmelin zu schliessen, dass einerlei Spezies an verschiedenen Orten unabhängig [372] von einander geschaffen worden seyn müssen, und wir würden dieser Meinung vielleicht noch zugethan geblieben seyn, hätten nicht Agassiz u. A. unsre Aufmerksamkeit auf die Eis-Zeit gelenkt, die, wie wir sofort sehen werden, diese Thatsachen sehr einfach erklärt. Wir haben Beweise fast jeder möglichen Art, organische und unorganische, dass in einer sehr jungen geologischen Periode Zentral-Europa und Nord- Amerika unter einem arktischen Klima litten. Die Ruinen eines abgebrannten Hauses erzählen ihre Geschichte nicht so verständlich, wie die Schottischen und Wales’schen Gebirge mit ihren geschrammten Seiten, polirten Flächen, schwebenden Blöcken von den Eis-Strömen berichten, womit ihre Thäler noch in später Zeit ausgefüllt gewesen. So sehr war das Klima in Europa verschieden, dass in Nord-Italien riesige Moränen von einstigen Gletschern herrührend jetzt mit Mays und Wein bepflanzt sind. Durch einen grossen Theil der Vereinten Staaten bezeugen erratische Blöcke und von treibenden Eisbergen und Küsten-Eis geschrammte Felsen mit Bestimmtheit eine frühere Periode grosser Kälte.

     Der frühere Einfluss des Eis-Klima’s auf die Vertheilung der Bewohner Europa’s, wie ihn Edw. Forbes so klar dargestellt, ist im Wesentlichen folgender. Doch wir werden die Veränderungen rascher verfolgen können, wenn wir annehmen, eine neue Eis-Zeit rücke langsam an und verlaufe dann und verschwinde so, wie es früher geschehen ist. In dem Grade wie bei zunehmender Kälte jede weiter südlich gelegene Zone der Reihe nach für arktische Wesen geeigneter wird und ihren bisherigen Bewohnern nicht mehr zusagen kann, werden arktische Ansiedler die Stelle der bisherigen einnehmen. Zur gleichen Zeit werden auch ihrerseits diese Bewohner der gemässigten Gegenden südwärts wandern, wenn ihnen der Weg nicht versperrt ist, in welchem Falle sie zu Grunde gehen müssten. Die Berge werden sich mit Schnee und Eis bedecken, und die früheren Alpen-Bewohner werden in die Ebene herabsteigen. Erreicht mit der Zeit die Kälte ihr Maximum, so bedeckt eine einförmige arktische Flora und Fauna den mitteln Theil Europa’s bis im Süden der Alpen und Pyrenäen und bis nach Spanien hinein. Auch die [373] gegenwärtig gemässigten Gegenden der Vereinigten Staaten bevölkern sich mit arktischen Pflanzen und Thieren und zwar nahezu mit den nämlichen Arten wie Europa; denn die jetzigen Bewohner der Polar-Länder, von welchen so eben angenommen worden, dass sie überall nach Süden gewandert, sind rund um den Pol merkwürdig einförmig. Nimmt man an, dass die Eis-Zeit in Nord-Amerika etwas früher oder später als in Europa angefangen, so wird auch die Auswanderung nach Süden etwas früher oder später beginnen, was jedoch im End-Ergebnisse keinen Unterschied macht.

     Wenn nun die Wärme zurückkehrt, so ziehen sich die arktischen Formen wieder nach Norden zurück und die Bewohner der gemässigteren Gegenden rücken ihnen unmittelbar nach. Wenn der Schnee am Fusse der Gebirge schmilzt, werden die arktischen Formen von dem entblössten und aufgethauten Boden Besitz nehmen; sie werden immer höher und höher hinansteigen, wie die Wärme zunimmt und ihre Brüder in der Ebene den Rückzug nach Norden hin fortsetzen. Ist daher die Wärme vollständig wieder hergestellt, so werden die nämlichen arktischen Arten, welche bisher in Masse beisammen in den Tiefländern der alten und der neuen Welt gelebt, nur noch auf abgesonderten Berg-Höhen und in der arktischen Zone beider Hemisphären übrig seyn.

     Auf diese Weise begreift sich die Übereinstimmung so vieler Pflanzen-Arten an so unermesslich weit von einander entlegenen Stellen, als die Gebirge der Vereinten Staaten und Europa’s sind. So begreift sich ferner die Thatsache, dass die Alpen-Pflanzen jeder Gebirgs-Kette mit den gerade oder fast gerade nördlich von ihnen lebenden Arten in nächster Beziehung stehen; die Wanderung bei Eintritt der Kälte und die Rückwanderung bei Wiederkehr der Wärme wird im Allgemeinen eine gerade südliche und nördliche gewesen seyn. Denn die Alpen-Pflanzen Schottland’s z. B. sind nach H. C. Watson’s Bemerkung und die der Pyrenäen nach Ramond spezieller mit denen Skandinaviens verwandt, wie die der Vereinten Staaten und die Sibirischen mehr mit den im Norden dieser Länder lebenden Arten übereinstimmen. [374] Diese Ansicht, gegründet auf den zuverlässig bestätigten Verlauf einer früheren Eis-Zeit, scheint mir in so genügender Weise die gegenwärtige Vertheilung der alpinen und arktischen Arten in Europa und Nord-Amerika zu erklären, dass, wenn wir in noch andern Regionen gleiche Spezies auf entfernten Gebirgs-Höhen zerstreut finden, wir auch ohne einen weiteren Beweis schliessen dürfen, dass ein kälteres Klima ihnen vordem durch zwischen-gelegene Tiefländer zu wandern gestattet habe, welche seitdem zu warm für dieselben geworden sind.

     Wenn das Klima seit der Eis-Zeit je einigermaassen wärmer als jetzt gewesen wäre (wie einige Geologen aus der Verbreitung der fossilen Gnathodon-Muscheln in den Vereinten Staaten geschlossen), dann würden die Bewohner der gemässigten und der kalten Zone noch in sehr später Zeit etwas nach Norden vorgerückt seyn, um sich noch später wieder in ihre jetzige Heimath zurückzuziehen; doch habe ich keinen genügenden Beweis für eine solche wärmere Periode, die nach der Eis-Zeit eingeschaltet gewesen wäre.

     Die arktischen Formen werden während ihrer südlichen Wanderung und Rückkehr nach Norden nahezu dem nämlichen Klima ausgesetzt gewesen und, was gleichfalls zu bemerken, in Masse beisammen geblieben seyn; daher sie denn auch in ihren gegenseitigen Beziehungen nicht sonderlich gestört und mithin, nach den in diesem Bande vertheidigten Prinzipien, nicht allzugrosser Umänderung ausgesetzt worden wären. Etwas anders würde es sich jedoch mit unsern Alpen-Bewohnern verhalten, welche bei rückkehrender Wärme sich vom Fusse der Gebirge immer höher an deren Seiten bis zu den Gipfeln hinan geflüchtet haben. Denn es ist nicht wahrscheinlich, dass alle dieselben arktischen Arten auf weit getrennten Gebirgs-Ketten zurückgeblieben sind und dort seither fortgelebt haben. Auch werden die zurückgebliebenen aller Wahrscheinlichkeit nach sich mit alten Alpen-Pflanzen gemengt haben, welche schon vor der Eis-Zeit die Gebirge bewohnten und für die Dauer der kältesten Periode in die Ebene herabgetrieben wurden; sie werden ferner einem etwas abweichenden klimatischen Einflusse ausgesetzt gewesen seyn. [375] Ihre gegenseitigen Beziehungen können hiedurch etwas gestört und sie selbst mithin zur Abänderung geneigt geworden seyn; und so ist es wirklich der Fall. Denn, wenn wir die gegenwärtigen Alpen-Pflanzen und -Thiere der verschiedenen grossen Europäischen Gebirgs-Ketten verglichen, so finden wir zwar im Ganzen viele identische Arten, von welchen aber manche als Varietäten auftreten, andre als zweifelhafte Formen schwanken, und einige wenige als verschiedene doch nahe verwandte oder stellvertretende Arten erscheinen.

     Bei Erläuterung dessen, was nach meiner Meinung während der Eis-Periode sich wirklich zugetragen, unterstellte ich, dass bei deren Beginn die arktischen Organismen rund um den Pol so einförmig wie heutigen Tages gewesen seyen. Aber die vorangehenden Bemerkungen beziehen sich nicht allein auf die strenge arktischen Formen, sondern auch auf viele subarktische und auf einige Formen der nördlich-gemässigten Zone; denn manche von diesen Arten sind ebenfalls übereinstimmend auf den niedrigeren Bergen und in den Ebenen Nord-Amerika’s und Europa’s, und man kann mit Grund fragen, wie ich denn die Übereinstimmung der Formen, welche in der subarktischen und der nördlich-gemässigten Zone rund um die Erde am Anhange der Eis-Periode stattgefunden haben muss, erkläre? Heutzutage sind die Formen der subarktischen und nördlich-gemässigten Gegenden der alten und der neuen Welt von einander getrennt durch den atlantischen und den nördlichsten Theil des stillen Ozeans. Als während der Eis-Zeit die Bewohner der alten und der neuen Welt weiter südwärts als jetzt lebten, müssen sie auch durch weitere Räume des Ozeans vollständiger von einander geschieden gewesen seyn. Ich glaube, dass die oben erwähnte Schwierigkeit zu umgehen ist, wenn man sich nach noch früheren Klima-Wechseln in einem entgegengesetzten Sinne umsieht. Wir haben nämlich guten Grund zu glauben, dass während der neuern Pliocän-Periode vor der Eis-Zeit, wo schon die Mehrzahl der Erd-Bewohner mit den jetzigen von gleichen Arten gewesen, das Klima wärmer war als jetzt. Wir dürfen daher annehmen, dass Organismen, welche jetzt unter dem 60. Breite-Grad leben, in der Pliocän-Periode [376] weiter nördlich am Polar-Kreise unter dem 66°-67° Br. wohnten, und dass die eigentlich arktischen Wesen auf die unterbrochenen Land-Striche näher bei den Polen beschränkt waren. Wenn wir nun einen Globus ansehen, so werden wir finden, dass unter dem Polar Kreise meist zusammen-hängendes Land von West-Europa an durch Sibirien bis Ost-Amerika vorhanden ist. Und diesem Zusammenhange des Circumpolar-Landes und der ihm entsprechenden freien Wanderung in einem schon günstigeren Klima schreibe ich den nothwendigen Grad von Einförmigkeit in den Bewohnern der subarktischen und nördlich-gemässigten Zone der alten und neuen Welt vor der Eis-Zeit zu.

     Von dem Glauben ausgehend, dass, wie schon oben gesagt, unsre Kontinente langezeit in fast nahezu der nämlichen Lage gegen einander geblieben, wenn sie auch theilweise beträchtlichen Höhen-Schwankungen unterworfen gewesen, habe ich grosse Neigung die erwähnte Ansicht noch weiter auszudehnen und zu unterstellen, dass in einer noch früheren und wärmeren Zeit, in der ältern Pliocän-Zeit nämlich, eine grosse Anzahl der nämlichen Pflanzen- und Thier-Arten das fast zusammenhängende Circumpolar-Land bewohnt habe, und dass diese Pflanzen und Thiere sowohl in der alten als in der neuen Welt langsam südwärts zu wandern anfingen, wie das Klima kühler wurde, lange vor Anfang der Eis-Periode. Wir sehen nun ihre Nachkommen, wie ich glaube, meistens in einem abgeänderten Zustande die Zentral-Theile von Europa und den Vereinten Staaten bewohnen. Von dieser Annahme ausgehend begreift man dann die Verwandtschaft, bei sehr geringer Gleichheit, der Arten von Nord-Amerika und Europa, eine Verwandtschaft, welche bei der grossen Entfernung beider Gegenden und ihrer Trennung durch das Atlantische Meer äusserst merkwürdig ist. Man begreift ferner die von einigen Beobachtern wahrgenommene sonderbare Thatsache, dass die Natur-Erzeugnisse Europa’s und Nord-Amerika’s während der letzten Abschnitte der Tertiär-Zeit näher mit einander verwandt sind, als sie es in der vorangehenden Zeit waren; denn in dieser wärmeren Zeit sind die nördlichen Theile der alten und der neuen Welt durch Zwischenländer in zusammen-hängenderer [377] Weise mit einander verbunden gewesen, die aber seither durch Kälte zur Auswanderung unbrauchbar gemacht worden sind.

     Sobald während der langsamen Temperatur-Abnahme in der Pliocän-Periode die gemeinsam ausgewanderten Bewohner der alten und neuen Welt südwärts vom Polar-Kreise angelangt waren, wurden sie vollständig von einander abgeschnitten. Diese Trennung trug sich, was die Bewohner der gemässigteren Gegenden betrifft, vor langen langen Zeiten zu. Und als damals die Pflanzen- und Thier-Arten südwärts wanderten, werden sie sich mit den Eingebornen der niedrigeren Breiten gemengt und in der einen Gegend Amerikanische und in der andern Europäische Arten zu neuen Mitbewerbern bekommen haben. Hier ist demnach Alles zu reichlicher Abänderung der Arten angethan, weit mehr als es hinsichtlich der auf südlichen Alpen-Höhen abgeschnitten zurückgelassenen Polar-Bewohner beider Welttheile der Fall gewesen ist. Davon rührt es her, dass, wenn wir die jetzt lebenden Erzeugnisse gemässigterer Gegenden der alten und der neuen Welt mit einander vergleichen, wir nur sehr wenige identische Arten finden (obwohl Asa Gray kürzlich gezeigt, dass deren Anzahl grösser ist, als man bisher angenommen hatte); aber wir finden in jeder grossen Klasse viele Formen, welche ein Theil der Naturforscher als geographische Rassen und ein andrer als unterschiedene Arten betrachten, zusammen mit einem Heere nahe verwandter oder stellvertretender Formen, die bei allen Naturforschern für eigene Arten gelten.

     Wie auf dem Lande, so kann auch in der See eine langsame südliche Wanderung der Fauna, welche während oder etwas vor der Pliocän-Periode längs der zusammen-hängenden Küsten des Polar-Kreises sehr einförmig gewesen, nach der Abänderungs-Theorie zur Erklärung der vielen nahe verwandten Formen dienen, welche jetzt in ganz gesonderten Gebieten leben. Mit ihrer Hilfe lässt sich, wie ich glaube, das Daseyn einer Menge noch lebender und tertiärer stellvertretender Arten an den östlichen und westlichen Küsten des gemässigteren Theiles von Nord-Amerika erklären, so wie die bei weitem auffallendere Erscheinung vieler nahe verwandter Kruster (in Dana’s ausgezeichnetem [378] Werke beschrieben), einiger Fische und andrer Seethiere im Japanischen und im Mittelmeere zugleich, in Gegenden mithin, welche jetzt durch einen grossen Kontinent und fast eine ganze Hemisphäre von Äquatorial-Meeren von einander getrennt sind.

     Diese Fälle von Verwandtschaft, ohne Identität, zwischen den Bewohnern jetzt getrennter Meere wie zwischen den früheren und jetzigen Bewohnern der gemässigten Länder Nord-Amerika’s und Europa’s sind aus der Schöpfungs-Theorie unerklärbar. Wir können nicht sagen, sie seyen ähnlich geschaffen zur Anpassung an die ähnlichen Natur-Bedingungen der beiderlei Gegenden; denn wenn wir z. B. gewisse Theile Süd-Amerika’s mit den südlichen Kontinenten der alten Welt vergleichen, so finden wir Striche in beiden, die sich hinsichtlich ihrer Natur-Beschaffenheit einander genau entsprechen, aber in ihren Bewohnern sich ganz unähnlich sind.

     Wir müssen jedoch zu unsrer unmittelbaren Aufgabe zurückkehren, nämlich zur Eis-Zeit. Ich bin überzeugt, dass Edw. Fobbes’ Theorie einer grossen Erweiterung fähig ist. In Europa haben wir die deutlichsten Beweise einer Kälte-Periode von den West-Küsten Britanniens ostwärts bis zur Ural-Kette und südwärts bis zu den Pyrenäen. Aus den im Eise eingefrorenen Säugthieren und der Beschaffenheit der Gebirgs-Vegetation zu schliessen, war Sibirien auf ähnliche Weise betroffen gewesen. Längs dem Himalaya habe Gletscher an 900 Engl. Meilen von einander entlegenen Punkten Spuren ihrer ehemaligen weiten Erstreckung nach der Tiefe hinterlassen; und in Sikkim sah Dr. Hooker Mays wachsen auf alten Riesen-Moränen. Im Süden des Äquators haben wir einige unmittelbare Beweise früherer Eis-Thätigkeit in Neuseeland, und das Wiedererscheinen derselben Pflanzen-Arten auf weit von einander getrennten Bergen dieser Insel spricht für die gleiche Geschichte. Wenn sich ein bereits veröffentlichter Bericht bestätigt, so liegen direkte Beweise solcher Thätigkeit auch in der süd-östlichen Spitze Neu-Hollands vor.

     Sehen wir uns in Amerika um. In der nördlichen Hälfte [379] sind von Eis transportirte Fels-Trümmer beobachtet worden an der Ost-Seite abwärts bis zum 36° und an der Küste des stillen Meeres, wo das Klima jetzt so verschieden ist, bis zum 46° nördlicher Breite; auch in den Rocky Mountains sind erratische Blöcke gesehen worden. In den Cordilleren des äquatorialen Süd-Amerika’s haben sich Gletscher ehedem weit über ihre jetzige Grenze herabbewegt. In Zentral-Chili war ich betroffen von der Struktur eines Detritus-Haufwerks, welches 800' hoch ein Andes-Thal queer durchsetzt, und Diess war, wie ich jetzt überzeugt bin, eine riesige Moräne tief unter jedem noch jetzt dort vorkommenden Gletscher. Weiter südwärts an beiden Seiten des Kontinents, von 41° Br. bis zur südlichsten Spitze, finden wir die klarsten Beweise früherer Gletscher-Thätigkeit in mächtigen von ihrer Geburtsstätte weit entführten Blöcken.

     Wir wissen nicht, ob die Eis-Zeit an allen diesen Punkten auf ganz entgegengesetzten Seiten der Erde genau gleichzeitig gewesen seye; doch fiel sie, in fast allen Fällen wohl erweislich, in die letzte geologische Periode. Eben so haben wir vortreffliche Beweise, dass sie überall, in Jahren ausgedrückt, von ungeheurer Dauer gewesen. Sie kann an einer Stelle der Erde früher begonnen oder früher aufgehört haben, als an der andern; da sie aber überall lange gewährt hat und wenigstens in geologischem Sinne überall gleichzeitig war, so ist es mir wahrscheinlich, dass jedenfalls ein Theil der Glacial-Ereignisse an allen diesen Orten über die ganze Erde hin der Zeit nach genau zusammenfiel. So lange wir nicht irgend einen bestimmten Beweis für das Gegentheil haben, dürfen wir daher unterstellen, dass die Glacial-Thätigkeit eine gleichzeitige gewesen ist an der Ost- und West-Seite Nord-Amerika’s, in den Cordilleren des Äquators und der wärmer-gemässigten Zone wie zu beiden Seiten der südlichen Spitze dieses Welttheiles. Ist Diess anzunehmen erlaubt, so wird man auch annehmen müssen, dass die Temperatur der ganzen Erde in dieser Periode gleichzeitig kühler gewesen ist; doch wird es für meinen Zweck genügen, wenn die Temperatur nur auf gewissen breiten von Norden nach Süden ziehenden Strecken der Erde gleichzeitig niedriger war. [380]

     Von dieser Voraussetzung ausgehend, dass die Erde oder wenigstens breite Meridianal-Streifen derselben von einem Pol zum andern gleichzeitig kälter geworden sind, lässt sich viel Licht über die jetzige Vertheilung identischer und verwandter Arten verbreiten. Dr. Hooker hat gezeigt, dass in Amerika 40—50 Blüthen-Pflanzen des Feuerlandes, welche keinen unbeträchtlichen Theil der dortigen kleinen Flora bilden, trotz der ungeheuren Entfernung beider Punkte, mit Europäischen Arten übereinstimmen; ausserdem gibt es viele nahe verwandte Arten. Auf den hoch-ragenden Gebirgen des tropischen Amerika’s kommt eine Menge besondrer Arten aus Europäischen Sippen vor. Auf den höchsten Bergen Brasiliens sind einige wenige Europäische Sippen von Gardener gefunden worden, welche in den weit-gedehnten warmen Zwischenländern nicht fortkommen. An der Silla von Caraccas fand Al. von Humboldt schon vor langer Zeit Sippen, welche für die Cordilleren bezeichnend sind. Auf den Abyssinischen Gebirgen kommen verschiedene Europäische Formen und einige wenige stellvertretende Arten der eigenthümlichen Flora des Caps der guten Hoffnung vor. Am Cap sind einige wenige Europäische Arten, die man nicht für eingeführt hält, und auf den Bergen einige wenige stellvertretende Formen Europäischer Arten gefunden worden, dergleichen man in den tropischen Ländern Afrika’s noch nicht entdeckt hat. Am Himalaya und auf den vereinzelten Berg-Ketten der Indischen Halbinsel, auf den Höhen von Ceylon und den vulkanischen Kegeln Javas treten viele Pflanzen auf, welche entweder der Art nach mit einander übereinstimmen, oder sich wechselseitig vertreten und zugleich für Europäische Formen vikariiren, aber in den dazwischen gelegenen warmen Tiefländern nicht gefunden werden. Ein Verzeichniss der auf den luftigen Berg-Spitzen Javas gesammelten Sippen liefert ein Bild wie von einer auf Europäischen Gebirgen gemachten Sammlung. Noch viel schlagender ist die Thatsache, dass die Süd-Australischen Formen offenbar durch Pflanzen repräsentirt werden, welche auf den Berg-Höhen von Borneo wachsen. Einige dieser Australischen (Neuholländischen) Formen erstrecken sich nach Dr. Hooker längs der Höhen der Halbinsel [381] Malakka und sind dünne zerstreut einerseits über Indien und andrerseits nordwärts bis Japan.

     Auf den südlichen Gebirgen Neuhollands hat Dr. F. Müller mehre Europäische Arten entdeckt; andre nicht von Menschen eingeführte Spezies kommen in den Niederungen vor, und, wie mir Dr. Hooker sagt, könnte noch eine lange Liste von Europäischen Sippen aufgestellt werden, die sich in Neuholland, aber nicht in den heissen Zwischenländern finden. In der vortrefflichen Einleitung zur Flora Neuseelands liefert Dr. Hooker noch andre analoge und schlagende Beispiele hinsichtlich der Pflanzen dieser grossen Insel. Wir sehen daher, dass über der ganzen Erd-Oberfläche einestheils die auf den höheren Bergen wachsenden Pflanzen, wie anderntheils die in den gemässigten Tiefländern der nördlichen und der südlichen Hemisphäre verbreiteten zuweilen von gleicher Art sind; noch öfter aber erscheinen sie spezifisch verschieden, obwohl in merkwürdiger Weise mit einander verwandt.

     Dieser kurze Umriss bezieht sich nur auf Pflanzen allein; aber genau analoge Thatsachen lassen sich auch über die Vertheilung der Landthiere anführen. Auch bei den Seethieren kommen ähnliche Fälle vor. Ich will als Beleg die Bemerkung eines der besten Gewährsmänner, nämlich des Professors Dana anführen, »dass es gewiss eine wunderbare Thatsache ist, dass Neuseeland hinsichtlich seiner Kruster eine grössre Verwandtschaft mit seinem Antipoden Grossbritannien als mit irgend einem andern Theile der Welt zeigt«. Eben so spricht Sir J. Richardson von dem Wiedererscheinen nordischer Fisch-Formen an den Küsten von Neuseeland, Tasmania u. s. w. Dr. Hooker sagt mir, dass Neuseeland 25 Algen-Arten mit Europa gemein hat, die in den tropischen Zwischenmeeren noch nicht gefunden worden sind.

     Es ist zu bemerken, dass die in den südlichen Theilen der südlichen Halbkugel und auf den tropischen Hochgebirgen gefundenen nördlichen Arten und Formen keine arktischen sind, sondern dem nördlichen Theile der gemässigten Zone entsprechen. Hr. H. C. Watson hat neulich bemerkt, »je weiter man von den polaren gegen die tropischen Breiten voranschreitet, desto weniger [382] arktisch werden die alpinen oder gebirglichen Formen der Organismen.« Viele der auf den Gebirgen wärmerer Gegenden der Erde und in der südlichen Hemisphäre lebenden Arten sind von so zweifelhaftem Werthe, dass sie von einigen Naturforschern als wesentlich verschieden und von andern als blosse Varietäten bezeichnet werden.

     Wir wollen nun zusehen, welche Aufschlüsse die vorangehenden Thatsachen über die durch eine Menge geologischer Beweise unterstützte Annahme gewähren können, dass die ganze Erd-Oberfläche oder wenigstens ein grosser Theil derselben während der Eis-Periode gleichzeitig viel kälter als jetzt gewesen seye. Die Eis-Periode muss, in Jahren ausgedrückt, sehr lang gewesen seyn; und wenn wir berücksichtigen, über welch’ weite Flächen einige naturalisirte Pflanzen und Thiere in wenigen Jahrhunderten sich ausgebreitet haben, so hat diese Periode für jede noch so weite Wanderung ausreichen können. Da die Kälte nur langsam zunahm, so werden alle tropischen Pflanzen und Thiere sich von beiden Seiten her gegen den Äquator zurückgezogen haben, gefolgt von den Bewohnern gemässigter Gegenden, welchen die der Polar-Zonen nachrückten; doch haben wir es mit den letzten in diesem Augenblicke nicht zu thun. Viele der Tropen-Pflanzen erloschen dabei ohne Zweifel; wie viele, kann niemand sagen. Vielleicht waren vordem die Tropen-Gegenden eben so reich an Arten, wie jetzt das Kap der guten Hoffnung und einige gemässigte Theile Neuhollands. Da wir wissen, dass viele tropische Pflanzen und Thiere einen ziemlichen Grad von Kälte aushalten können, so mögen manche derselben der Zerstörung durch eine mässige Temperatur-Abnahme entgangen seyn, zumal wenn sie in die tiefsten geschütztesten und wärmsten Bezirke zu entkommen vermochten. Aber was man hauptsächlich nicht vergessen darf, das ist, dass doch alle Tropen-Erzeugnisse mehr oder weniger gelitten haben müssen. Die Bewohner gemässigter Gegenden, welche näher an den Äquator heranrücken konnten, wurden in einigermaassen neue Verhältnisse versetzt, litten aber weniger. Auch ist es gewiss, dass viele Pflanzen gemässigter Gegenden, wenn sie gegen Mitbewerbung [383] geschützt sind, ein viel wärmeres als ihr eigentliches Klima ertragen können. Daher scheint es mir möglich dass, da die Tropen-Erzeugnisse in leidendem Zustande waren und den Eindringlingen keinen ernsten Widerstand zu leisten vermochten, eine gewisse Anzahl der kräftigsten und herrschendsten Formen der gemässigten Zone in die Reihen der Eingebornen eingedrungen sind und den Äquator erreicht und selbst noch überschritten haben. Der Einfall wurde in der Regel durch Hochländer und vielleicht ein trocknes Klima noch begünstigt; denn Dr. Falconer sagt mir, dass es die mit der Hitze der Tropenländer verbundene Feuchtigkeit ist, welche den perennirenden Gewächsen aus gemässigteren Gegenden so verderblich wird. Dagegen werden die feuchtesten und wärmsten Bezirke den Eingebornen der Tropen als Zufluchtsstätte gedient haben. Die Gebirgs-Ketten im Nordwesten des Himalaya und die lange Cordilleren-Reihe scheinen zwei grosse Invasions-Linien gebildet zu haben; und es ist eine schlagende Thatsache, dass nach Dr. Hooker’s letzter Mittheilung die 46 Blüthen-Pflanzen, welche Feuerland mit Europa gemein hat, alle auch in Nord-Amerika vorkommen, das auf ihrer Marsch-Route gelegen haben muss. Doch zweifle ich nicht daran, dass auch einige Bewohner der gemässigten Zonen sogar in die Tiefländer der Tropen eingedrungen sind und diese überschritten haben, als zur Zeit der grössten Kälte arktische Formen von ihrer Heimath aus 25 Breiten-Grade südwärts vordrangen und das Land am Fusse der Pyrenäen bedeckten. In dieser Zeit der grössten Kälte dürfte dann das Klima unter dem Äquator im Niveau des Meeres-Spiegels ungefähr das nämliche gewesen seyn, wie es jetzt dort in 6000' — 7000' Seehöhe herrscht. In dieser Zeit der grössten Kälte waren meiner Meinung nach weite Räume in den tropischen Tiefländern mit einer Vegetation bedeckt aus Formen tropischer und gemässigter Gegenden zusammengesetzt und derjenigen vergleichbar, welche sich nach Hooker’s lebendiger Beschreibung in wunderbarer Üppigkeit am Fusse des Himalaya entfaltet.

     So sind, glaube ich, während der Eis-Periode beträchtlich viele Pflanzen, einige Landthiere und verschiedene Meeres-Bewohner [384] von beiden gemässigten Zonen aus in die Tropen-Gegenden eingedrungen und haben manche sogar den Äquator überschritten. Als die Wärme zurückkehrte, stiegen die den gemässigten Klimaten entstammten Formen natürlich an den Bergen hinan und verschwanden aus den Tiefebenen; diejenigen welche den Äquator nicht erreicht hatten, kehrten nord- und süd-wärts in ihre frühere Heimath zurück; jene hauptsächlich nordischen Formen aber, welche den Äquator schon überschritten, wanderten weiter in die gemässigten Breiten der entgegengesetzten Hemisphäre. Obwohl sich aus geologischen Forschungen ergibt, dass die ganze Masse der arktischen Konchylien auf ihrer langen Wanderung nach Süden und ihrer Rückwanderung nach Norden kaum irgend eine wesentliche Modifikation erfahren habe, so ist das Verhältniss doch ein ganz andres hinsichtlich der eingedrungenen Formen, welche sich auf den tropischen Gebirgen und in der südlichen Hemisphäre festsetzten. Von Fremdlingen umgeben geriethen sie mit vielen neuen Lebenformen in Mitbewerbung; und es ist wahrscheinlich, dass Abänderungen in Struktur organischer Thätigkeit und Lebensweise davon die Folge waren und durch Natürliche Züchtung fortgebildet wurden. So leben nun viele von diesen Wanderern, wenn auch offenbar noch verwandt mit ihren Brüdern in der andern Hemisphäre, in ihrer neuen Heimath als ausgezeichnete Varietäten oder eigene Spezies fort.

     Es ist eine merkwürdige Thatsache, worauf Hooker hinsichtlich Amerikas und Alphons DeCandolle hinsichtlich Australiens bestehen, dass offenbar viel mehr identische und verwandte Pflanzen von Norden nach Süden als in umgekehrter Richtung gewandert sind. Wir sehen daher nur wenige südlichen Pflanzen-Formen auf den Bergen von Borneo und Abyssinien. Ich vermuthe, dass diese überwiegende Wanderung von Norden nach Süden der grösseren Ausdehnung des Landes im Norden und der zahlreicheren Existenz der nordischen Formen in ihrer Heimath zuzuschreiben ist, in deren Folge sie durch Natürliche Züchtung und manchfaltigere Mitbewerbung bereits zu höherer Vollkommenheit und Herrschafts-Fähigkeit als die südlicheren Formen gelangt [385] waren. Und als nun beide während der Eis-Periode sich durcheinander mengten, waren die nördlichen Formen besser geeignet die südlichen zu überwinden, — so wie wir heutzutage noch Europäische Einwandrer den Boden von La-Plata und seit 30—40 Jahren auch von Neuholland bedecken sehen. Etwas ähnliches muss sich auch in den tropischen Gebirgen zugetragen haben, welche zweifelsohne schon vor der Eiszeit mit ihren eigenthümlichen Alpen-Bewohnern bevölkert gewesen sind. Auf vielen Inseln sind die eingebornen Erzeugnisse durch die naturalisirten bereits an Menge erreicht oder überboten; und wenn jene ersten jetzt auch noch nicht verdrängt sind, so hat ihre Anzahl doch schon sehr abgenommen, und Diess ist der erste Schritt zum Untergang. Ein Gebirge ist eine Insel auf dem Lande, und die tropischen Gebirge vor der Eis-Zeit müssen vollständig isolirt gewesen seyn. Ich glaube, dass die Erzeugnisse dieser Inseln auf dem Lande vor denen der grösseren nordischen Länder-Strecken ganz in derselben Weise zurückgewichen sind, wie die Erzeugnisse der Inseln im Meer zuletzt überall von den durch den Menschen daselbst naturalisirten verdrängt wurden.

     Ich bin ferne davon zu glauben, dass durch die hier aufgestellte Ansicht über die Ausbreitung und die Beziehungen der verwandten Arten, welche in der nördlichen und der südlichen gemässigten Zone und auf den Gebirgen der Tropen-Gegenden wohnen, bereits alle Schwierigkeiten ausgeglichen sind. Sehr viele bleiben noch zu überwinden. Ich behaupte nicht, die Richtungen und Mittel der Wanderungen oder die Ursachen genau nachweisen zu können, warum die einen und nicht die andern Arten gewandert sind, oder warum gewisse Spezies Abänderung erfahren haben und zur Bildung neuer Formen-Gruppen verwendet worden, während andre unverändert geblieben sind. Wir können nicht hoffen solche Verhältnisse zu erklären, so lange wir nicht zu sagen vermögen, warum eine Art und nicht die andre durch menschliche Thätigkeit in fremden Landen naturalisirt werden kann, oder warum die eine zwei oder drei mal so weit verbreitet, zwei oder drei mal so gemein als die andre Art in der gemeinsamen Heimath ist. [386]

     Ich habe gesagt, dass viele Schwierigkeiten noch zu überwinden bleiben. Einige der merkwürdigsten hat Dr. Hooker in seinen botanischen Werken über die antarktischen Regionen mit bewundernswerther Klarheit auseinandergesetzt. Diese können hier nicht erörtert werden. Nur Das will ich bemerken, dass, wenn es sich um das Vorkommen einer Spezies an so ungeheuer von einander entfernten Punkten handelt, wie Kerguelen-Land, Neuseeland und Feuerland sind, nach meiner Meinung (wie auch Lyell annimmt) Eisberge gegen das Ende der Eis-Zeit hin sich reichlich an deren Verbreitung betheiligt haben dürften. Aber das Vorkommen einiger völlig verschiedenen Arten aus ganz südlichen Sippen an diesem oder jenem entlegenen Punkte der südlichen Halbkugel ist nach meiner Theorie der Fortpflanzung mit Abänderung ein weit merkwürdigeres schwieriges Beispiel. Denn einige dieser Arten sind so abweichend, dass sich nicht annehmen lässt, die Zeit von Anbeginn der Eis-Periode bis jetzt könne zu ihrer Wanderung und nachherigen Abänderung bis zur erforderlichen Stufe hingereicht haben. Diese Thatsachen scheinen mir anzuzeigen, dass sehr verschiedene eigenthümliche Arten in strahlenförmiger Richtung von irgend einem gemeinsamen Zentrum ausgegangen; und ich bin geneigt mich auch in der südlichen so wie in der nördlichen Halbkugel um eine wärmere Periode vor der Eis-Zeit umzusehen, wo die jetzt mit Eis bedeckten antarktischen Länder eine ganz eigenthümliche und abgesonderte Flora besessen haben. Ich vermuthe, dass schon vor der Vertilgung dieser Flora durch die Eis-Periode sich einige wenige Formen derselben durch gelegentliche Transport-Mittel bis zu verschiedenen weit entlegenen Punkten der südlichen Halbkugel verbreitet hatten. Dabei mögen ihnen einige entweder noch vorhandene oder bereits versunkene Inseln als Ruheplätze gedient haben. Und so, glaube ich, haben die südlichen Küsten von Amerika, Neuholland und Neuseeland eine ähnliche Färbung durch gleiche eigenthümliche Formen des Pflanzen-Lebens erhalten.

     Sir Ch. Lyell hat sich in einer der meinen fast ähnlichen Weise in Vermuthungen ergangen über die Einflüsse grosser [387] Schwankungen des Klimas auf die geographische Verbreitung der Lebenformen. Ich glaube also, dass die Erd-Oberfläche noch unlängst einen von diesen grossen Kreisläufen erfahren hat, und dass durch diese Unterstellung in Verbindung mit der Annahme der Abänderung durch Natürliche Züchtung eine Menge von Thatsachen in der gegenwärtigen Vertheilung von identischen sowohl als verwandten Lebenformen sich erklären lässt. Man könnte sagen, die Ströme des Lebens seyen eine kurze Zeit von Norden und von Süden her geflossen und hätten den Äquator gekreutzt; aber die von Norden her seyen so viel stärker gewesen, dass sie den Süden überschwemmt hätten. Wie die Gezeiten ihren Beitrieb in wagrechten Linien abgesetzt am Strande zurücklassen, jedoch an verschiedenen Küsten zu verschiedenen Höhen ansteigen, so haben auch jene Lebens-Ströme ihr lebendiges Drift auf unsern Berg-Höhen hinterlassen in einer von den arktischen Tiefländern bis zu grossen Äquatorial-Höhen langsam ansteigenden Linie. Die verschiedenen auf dem Strande zurückgelassenen Lebenwesen kann man mit wilden Menschen-Rassen vergleichen, die fast allerwärts zurückgedrängt sich noch in Bergfesten erhalten als interessante Überreste der ehemaligen Bevölkerung umgebender Flachländer.


  1. Diese neueren Versuche von Martins vgl. in Bibliothèq. univers. de Genève, 1858, I, 89—92 > Neu. Jahrb. f. Mineral. 1858, 877—878.     D.Übs

Anmerkungen (Wikisource)

  1. a b Im Original Laplata-Ebene(n)


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