Entstehung der Arten/Zwölftes Kapitel

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Eilftes Kapitel Entstehung der Arten (1860)
von Charles Darwin, übersetzt von Heinrich Georg Bronn
Dreizehntes Kapitel
[387]
Zwölftes Kapitel.


Geographische Verbreitung.
(Fortsetzung.)


Verbreitung der Süsswasser-Bewohner. — Die Bewohner der ozeanischen Inseln. — Abwesenheit von Batrachiern und Land-Saugthieren. — Beziehungen zwischen den Bewohnern der Inseln und der nächsten Festländer. — Über Ansiedelung aus den nächsten Quellen und nachherige Abänderung. — Zusammenfassung der Folgerungen aus dem letzten und dem gegenwärtigen Kapitel.

     Da See’n und Fluss-Systeme durch Schranken von Trockenland von einander getrennt werden, so möchte man glauben, dass Süsswasser-Bewohner nicht im Stande seyen sich aus einer Gegend in weite Ferne zu verbreiten. Und doch verhält sich [388] die Sache gerade entgegengesetzt. Nicht allein haben viele Süsswasser-Bewohner aus ganz verschiedenen Klassen selbst eine ungeheure Verbreitung, sondern einander nahe verwandte Formen herrschen auch in auffallender Weise über die ganze Erd-Oberfläche vor. Ich besinne mich noch wohl der Überraschung, die ich fühlte, als ich zum ersten Male in Brasilien Süsswasser-Erzeugnisse sammelte und die Süsswasser-Schaaler und -Kerbthiere mitten in einer ganz verschiedenen Bevölkerung des Trockenlandes den Britischen so ähnlich fand.

     Doch kann dieses Vermögen weiter Verbreitung bei den Süsswasser-Bewohnern, wie unerwartet es auch seyn mag, in den meisten Fällen, wie ich glaube, daraus erklärt werden, dass sie in einer für sie sehr nützlichen Weise von Sumpf zu Sumpf und von Strom zu Strom zu wandern fähig sind; woraus sich denn die Neigung zu weiter Verbreitung als eine nothwendige Folge ergeben dürfte. Doch können wir hier nur wenige Fälle in Betracht ziehen. Was die Fische betrifft, so glaube ich, dass eine und dieselbe Spezies niemals in den Süsswassern weit von einander entfernter Kontinente vorkommt; wohl aber verbreitet sie sich in einem nämlichen Festlande oft weit und in anscheinend launischer Weise, so dass zwei Fluss-Systeme einen Theil ihrer Fische miteinander gemein haben, während andre Arten jedem derselben eigenthümlich sind. Einige wenige Thatsachen scheinen ihre gelegenheitliche Versetzung aus einem Fluss in den andern zu erläutern, wie deren in Ostindien schon öfters von Wirbelwinden bewirkte Entführung durch die Luft, wonach sie als Fisch-Regen wieder zur Erde gelangten, und wie die Zählebigkeit ihrer aus dem Wasser entnommenen Eier. Doch bin ich geneigt, die Verbreitung der Süsswasser-Fische vorzugsweise geringen Höhenwechseln des Landes während der gegenwärtigen Periode zuzuschreiben, wodurch manche Flüsse veranlasst worden sind, sich in andrer Weise miteinander zu verbinden. Auch lassen sich Beispiele anführen, dass Diess ohne Veränderungen in den wechselseitigen Höhen durch Fluthen bewirkt worden ist. Der Löss des Rheines bietet uns Belege für ansehnliche Veränderungen der Boden-Höhe in einer ganz neuen [389] geologischen Zeit dar, wo die Oberfläche schon mit ihren jetzigen Arten von Binnenmollusken bevölkert war. Die grosse Verschiedenheit zwischen den Fischen auf den entgegengesetzten Seiten von Gebirgs-Ketten, die schon seit früher Zeit die Wasserscheide der Gegend gebildet und die Ineinandermündung der beiderseitigen Fluss-Systeme gehindert haben müssen, scheint mir zum nämlichen Schlusse zu führen. Was das Vorkommen verwandter Arten von Süsswasser-Fischen an sehr entfernten Punkten der Erd-Oberfläche betrifft, so gibt es zweifelsohne viele Fälle, welche zur Zeit nicht erklärt werden können. Inzwischen stammen einige Süsswasser-Fische von sehr alten Formen ab, welche mithin während grosser geographischer Veränderungen Zeit und Mittel gefunden haben sich durch weite Wanderungen zu verbreiten. Zweitens können Salzwasser-Fische bei sorgfältigem Verfahren langsam ans Leben im Süsswasser gewöhnt werden, und nach Valenciennes gibt es kaum eine gänzlich aufs Süsswasser beschränkte Fisch-Gruppe, so dass wir uns vorstellen können, ein Meeres-Bewohner aus einer übrigens dem Süsswasser angehörigen Gruppe wandre der See-Küste entlang und werde demzufolge abgeändert und endlich in Süsswassern eines entlegenen Landes zu leben befähigt.

     Einige Arten von Süsswasser-Konchylien haben eine sehr weite Verbreitung, und verwandte Arten, die nach meiner Theorie von gemeinsamen Ältern abstammen und mithin aus einer einzigen Quelle hervorgegangen sind, walten über die ganze Erd-Oberfläche vor. Ihre Verbreitung setzte mich anfangs in Verlegenheit, da ihre Eier nicht zur Fortführung durch Vögel geeignet sind und wie die Thiere selbst durch Seewasser getödtet werden. Ich konnte daher nicht begreifen, wie es komme, dass einige naturalisirte Arten sich rasch durch eine ganze Gegend verbreitet haben. Doch haben zwei von mir beobachtete Thatsachen — und viele andre bleiben zweifelsohne noch fernerer Beobachtung anheim gegeben — einiges Licht über diesen Gegenstand verbreitet. Wenn eine Ente sich plötzlich aus einem mit Wasserlinsen bedeckten Teiche erhebt, so bleiben oft, wie ich zweimal gesehen habe, welche von diesen kleinen Pflanzen [390] an ihrem Rücken hängen, und es ist mir geschehen, dass, wenn ich einige Wasserlinsen aus einem Aquarium ins andre versetzte, ich ganz absichtlos das letzte mit Süsswasser-Mollusken des ersten bevölkerte. Doch ist ein andrer Umstand vielleicht noch wirksamer. Im Betracht, dass Wasser-Vögel mitunter in Sümpfen schlafen, hängte ich einen Enten-Fuss in einem Aquarium auf, wo viele Eier von Süsswasser-Schnecken auszukriechen im Begriffe waren, und fand, dass bald eine grosse Menge der äusserst kleinen eben ausgeschlüpften Schnecken an dem Fuss umherkrochen und sich so fest anklebten, dass sie von dem heraus-genommenen Fusse nicht abgeschabt werden konnten, obwohl sie in einem etwas mehr vorgeschrittenen Alter freiwillig davon abliessen. Diese frisch ausgeschlüpften Weichthiere, obschon zum Wohnen im Wasser bestimmt, lebten an dem Enten-Fusse in feuchter Luft wohl 12-20 Stunden lang, und während dieser Zeit kann eine Ente oder ein Reiher wenigstens 600-700 Englische (140 Deutsche) Meilen weit fliegen und sich dann wieder in einem Sumpfe oder Bache niederlassen, vielleicht auf einer ozeanischen Insel, wenn ein Sturm denselben erfasst und über’s Meer hin verschlagen hatte. Auch hat mich Sir Ch. Lyell benachrichtigt, dass man einen Wasserkäfer (Dyticus) mit einer ihm fest ansitzenden Süsswasser-Napfschnecke (Ancylus) gefangen hat; und ein andrer Wasserkäfer aus der Sippe Colymbetes kam einst an Bord des Beagle geflogen, als dieser 45 Englische Meilen vom nächsten Lande entfernt war; wie viel weiter er aber mit einem günstigen Winde noch gekommen seyn würde, Das vermag niemand zu sagen.

     Was die Pflanzen betrifft, so ist es längst bekannt, was für eine ungeheure Ausbreitung manche Süsswasser- und selbst Sumpf-Gewächse auf den Festländern und bis zu den entferntesten Inseln des Weltmeeres besitzen. Diess ist nach Alph. DeCandolle’s Wahrnehmung am deutlichsten in solchen grossen Gruppen von Landpflanzen zu ersehen, aus welchen nur einige Glieder an Süsswassern leben; denn diese letzten pflegen sofort eine viel grössre Verbreitung als die übrigen zu erlangen. Ich glaube, dass die günstigeren Verbreitungs-Mittel diese Erscheinung [391] erklären können. Ich habe vorhin der Erd-Theilchen erwähnt, welche, wenn auch nur selten und zufällig einmal, an Schnäbeln und Füssen der Vögel hängen bleiben. Sumpfvögel, welche die schlammigen Ränder der Sümpfe aufsuchen, werden meistens schmutzige Füsse haben, wenn sie plötzlich aufgescheucht werden. Nun lässt sich nachweisen, dass gerade Vögel dieser Ordnung die grössten Wanderer sind und zuweilen auf den entferntesten und ödesten Inseln des offenen Weltmeeres angetroffen werden. Sie können sich nicht auf der Oberfläche des Meeres niederlassen, wo der noch an ihren Füssen hängende Schlamm abgewaschen werden könnte; und wenn sie ans Land kommen, werden sie gewiss alsbald ihre gewöhnlichen Aufenthalts-Orte an den Süsswassern aufsuchen. Ich glaube kaum dass die Botaniker wissen, wie beladen der Schlamm der Sümpfe mit Pflanzen-Saamen ist; ich habe jedoch einige kleine Beobachtungen darüber gemacht, deren zutreffendsten Ergebnisse ich hier mittheilen will. Ich nahm im Februar drei Esslöffel voll Schlamm von drei verschiedenen Stellen unter Wasser, am Rande eines kleinen Sumpfes. Dieser Schlamm getrocknet wog 63/4 Unzen. Ich bewahrte ihn sodann in meinem Arbeitszimmer bedeckt 6 Monate lang auf und zählte und riss jedes aufkeimende Pflänzchen aus. Diese Pflänzchen waren von mancherlei Art und 537 im Ganzen; und doch war all’ dieser zähe Schlamm in einer einzigen Untertasse enthalten. Diesen Thatsachen gegenüber würde es nun geradezu unerklärbar seyn, wenn es nicht mitunter vorkämme, dass Wasser-Vögel die Saamen von Süsswasser-Pflanzen in weite Fernen verschleppten und so zur immer weitern Ausbreitung derselben beitrügen. Und derselbe Zufall mag hinsichtlich der Eier einiger kleiner Süsswasser-Thiere in Betracht kommen.

     Auch noch andre und mitunter unbekannte Kräfte mögen dabei ihren Theil haben. Ich habe oben gesagt, dass Süsswasser-Fische manche Arten Sämereien fressen, obwohl sie andre Arten, nachdem sie solche verschlungen haben, wieder auswerfen; selbst kleine Fische verschlingen Saamen von mässiger Grösse, wie die der gelben Wasserlilie und des Potamogeton. [392] Hunderte und abermals Hunderte von Reihern u. a. Vögeln gehen täglich auf den Fischfang aus; wenn sie sich erheben, suchen sie oft andre Wasser auf oder werden auch zufällig übers Meer getrieben; und wir haben gesehen, dass Saamen oft ihre Keimkraft noch besitzen, wenn sie in Gewölle, in Exkrementen u. dgl. einige Stunden später wieder ausgeworfen werden. Als ich die grossen Saamen der herrlichen Wasserlilie, Nelumbium, sah und mich dessen erinnerte, was Alphons DeCandolle über diese Pflanze gesagt, so meinte ich ihre Verbreitung müsse ganz unerklärbar seyn. Doch Audubon versicherte, Saamen der grossen südlichen Wasserlilie (nach Dr. Hooker wahrscheinlich das Nelumbium speciosum) im Magen eines Reihers gefunden zu haben, und, obwohl es mir als Thatsache nicht bekannt ist, so schliesse ich doch aus der Analogie, dass, wenn ein Reiher in solchem Falle nach einem andern Sumpfe flöge und dort eine herzhafte Fisch-Mahlzeit zu sich nähme, er wahrscheinlich aus seinem Magen wieder einen Ballen mit noch unverdautem Nelumbium-Saamen auswerfen würde; oder der Vogel kann diese Saamen verlieren, wenn er seine Jungen füttert, wie er bekanntlich zuweilen einen Fisch fallen lässt[1].

     Bei Betrachtung dieser verschiedenen Verbreitungs-Mittel muss man sich noch erinnern, dass, wenn ein Sumpf oder Fluss z. B. auf einer neuen Insel eben erst entsteht, er noch nicht bevölkert ist und ein einzelnes Sämchen oder Ei’chen gute Aussicht auf Fortkommen hat. Auch wenn ein Kampf ums Daseyn zwischen den Individuen der wenigen Arten, die in einem Sumpfe beisammen leben, bereits begonnen hat, so wird in Betracht, dass die Zahl der Arten gegen die auf dem Lande doch geringer ist, der Wettkampf auch wohl minder heftig als der zwischen den Landbewohnern seye; ein neuer Eindringling, aus der Fremde angelangt, würde mithin auch mehr Aussicht haben eine Stelle [393] zu erobern, als ein neuer Kolonist auf dem trocknen Lande. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass einige und vielleicht viele Süsswasser-Bewohner tief auf der Stufenleiter der Natur stehen und wir mit Grund annehmen können, dass solche tief organisirte Wesen langsamer als die höher ausgebildeten abändern, demzufolge dann ein und die nämliche Art Wasser-bewohnender Organismen längre Zeit wandern kann, als die Arten des trocknen Landes. Endlich müssen wir der Möglichkeit gedenken, dass viele Süsswasser-bewohnende Spezies, nachdem sie sich über ungeheure Flächen verbreitet, in den mitteln Gegenden derselben wieder erloschen seyn können. Aber die weite Verbreitung der Pflanzen und niederen Thiere des Süsswassers, mögen sie nun ihre ursprüngliche Form unverändert bewahren oder in gewissem Grade verändern, hängt nach meiner Meinung hauptsächlich von der Leichtigkeit ab, womit ihre Saamen und Eier durch andere Thiere und zumal höchst flugfertige Süsswasser-Vögel von einem Gewässer zum andern oft sehr entfernt gelegenen verschleppt werden können. Die Natur hat wie ein sorgfältiger Gärtner ihre Saamen von einem Beete von besondrer Beschaffenheit genommen und sie in ein andres gleichfalls angemessen zubereitetes verpflanzt.

     Bewohner der ozeanischen Inseln.) Wir kommen nun zur letzten der drei Klassen von Thatsachen, welche ich als diejenigen bezeichnet habe, welche die grössten Schwierigkeiten für die Ansicht darbieten, dass, weil alle Individuen sowohl der nämlichen Art als auch nahe-verwandter Arten von einem gemeinsamen Stammvater herkommen, auch alle von gemeinsamer Geburtsstätte aus sich über die entferntesten Theile der Erd-Oberfläche, deren Bewohner sie jetzt sind, verbreitet haben müssen. Ich habe bereits erklärt, dass ich nicht wohl mit der Forbes’schen Ansicht übereinstimmen kann, wonach alle Inseln des Atlantischen Ozeans noch in der gegenwärtigen neuesten Periode mit einem der zwei Kontinente ganz oder fast ganz zusammengehangen haben sollen. Diese Ansicht würde zwar allerdings einige Schwierigkeiten beseitigen, dürfte aber keineswegs alle Erscheinungen hinsichtlich der Insel-Bevölkerung erklären. [394] In den nachfolgenden Bemerkungen werde ich mich nicht auf die blosse Frage von der Vertheilung der Arten beschränken, sondern auch einige andre Thatsachen erläutern, welche sich auf die zwei Theorien, die der selbstständigen Schöpfung der Arten und die ihrer Abstammung von einander mit fortwährender Abänderung beziehen.

     Nur wenige Arten aller Klassen bewohnen ozeanische Inseln, im Vergleich zu gleich grossen Flächen festen Landes, wie Alphons DeCandolle in Bezug auf die Pflanzen und Wollaston hinsichtlich der Insekten behaupten. Betrachten wir die erhebliche Grösse und die manchfaltigen Standorte Neuseelands, das über 780 Englische Meilen Breite hat, und vergleichen die Arten seiner Blüthen-Pflanzen, nur 750 an der Zahl, mit denen einer gleich grossen Fläche am Kap der guten Hoffnung oder in Neuholland, so müssen wir, glaube ich, zugestehen, dass etwas von den physikalischen Bedingungen ganz Unabhängiges die grosse Verschiedenheit der Arten-Zahlen veranlasst hat. Selbst die einförmige Umgegend von Cambridge zählt 847 und das kleine Eiland Anglesea 764 Pflanzen-Arten; doch sind auch einige Farne und einige eingeführte Arten in diesen Zahlen mitbegriffen und ist die Vergleichung auch in einigen andern Beziehungen nicht ganz richtig. Wir haben Beweise, dass das kahle Eiland Ascension bei seiner Entdeckung nicht ein halbes Dutzend Blüthen-Pflanzen besass; jetzt sind viele dort naturalisirt, wie es eben auch auf Neuseeland und auf allen andern ozeanischen Inseln der Fall ist. Auf St. Helena nimmt man mit Grund an, dass die naturalisirten Pflanzen und Thiere schon viele einheimische Natur-Erzeugnisse gänzlich oder fast gänzlich vertilgt haben. Wer also der Lehre von der selbstständigen Erschaffung aller einzelnen Arten beipflichtet, der wird zugestehen müssen, dass auf den ozeanischen Inseln keine hinreichende Anzahl bestens angepasster Pflanzen und Thiere geschaffen worden seye, indem der Mensch diese Inseln ganz absichtlos aus verschiedenen Quellen viel besser und vollständiger als die Natur bevölkert hat.

     Obwohl auf ozeanischen Inseln die Arten-Zahl der Bewohner im Ganzen dürftig, so ist doch das Verhältniss der endemischen, [395] d. h. sonst nirgends vorkommenden Arten oft ausserordentlich gross. Diess ergibt sich, wenn man z. B. die Anzahl der endemischen Landschnecken auf Madeira, oder der endemischen Vögel im Galapagos-Archipel mit der auf irgend einem Kontinente gefundenen Zahl vergleicht und dann auch die beiderseitige Flächen-Ausdehnung gegeneinander hält. Dieses war nach meiner Theorie zu erwarten; denn, wie bereits erklärt worden, sind Arten, welche nach langen Zwischenzeiten gelegenheitlich in einen neuen und abgeschlossenen Bezirk kommen und dort mit neuen Genossen zu kämpfen haben, in ausgezeichnetem Grade abzuändern geneigt und bringen oft Gruppen modifizirter Nachkommen hervor. Daraus folgt aber keineswegs, dass, weil auf einer Insel fast alle Arten einer Klasse eigenthümlich sind, auch die der übrigen Klassen oder auch nur einer besondren Sektion derselben Klasse eigenthümlich seyn müsse; und dieser Unterschied scheint theils davon herzurühren, dass diejenigen Arten, welche nicht abänderten, leicht und gemeinsam eingewandert sind, so dass ihre gegenseitigen Beziehungen nicht viel gestört wurden, theils kann er aber auch von der häufigen Ankunft unveränderter Einwandrer aus dem Mutterlande und der nachherigen Kreutzung mit vorigen bedingt seyn. Hinsichtlich der Wirkung einer solchen Kreutzung ist zu bemerken, dass die aus derselben entspringenden Nachkommen gewiss sehr kräftig werden müssen, indem selbst eine zufällige Kreutzung wirksamer zu seyn pflegt, als man voraus erwarten möchte. Ich will einige Beispiele anführen. Auf den Galapagos-Eilanden gibt es 26 Landvögel, wovon 21 (oder vielleicht 23) endemisch sind, während von den 11 Seevögeln ihnen nur zwei eigenthümlich angehören, und es liegt auf der Hand, dass Seevögel leichter als Landvögel nach diesen Eilanden gelangen können. Bermuda dagegen, welches ungefähr eben so weit von Nord-Amerika, wie die Galapagos von Süd-Amerika, entfernt liegt und einen eigenthümlichen Boden besitzt, hat nicht eine endemische Art von Landvögeln, und wir wissen aus Herrn J. M. Jones’ trefflichem Berichte über Bermuda, dass sehr viele Nord-Amerikanische Vögel auf ihren grossen jährlichen Zügen diese Insel theils regelmässig und theils auch [396] einmal zufällig berühren. Madeira besitzt nicht eine eigenthümliche Vogel-Spezies, und viele Europäische und Afrikanische Vögel werden, wie mir Hr. E. V. Harcourt gesagt, alljährlich dahin verschlagen. So sind diese beiden Inseln Bermuda und Madeira mit Vögel-Arten besetzt worden, welche schon seit langen Zeiten in ihrer früheren Heimath mit einander gekämpft haben und einander angepasst worden sind. Nachdem sie sich nun in ihrer neuen Heimath angesiedelt, hat jede Art den andern gegenüber ihre alte Stelle und Lebensweise behauptet und mithin keine neuen Modifikationen erfahren. Auch ist jede Neigung zur Abänderung durch die Kreutzung mit den fortwährend aus dem Mutterlande unverändert nachkommenden neuen Einwanderern gehemmt worden. Madeira ist ferner von einer wundersamen Anzahl eigenthümlicher Landschnecken-Arten bewohnt, während nicht eine einzige Art von Weichthieren auf seine Küsten beschränkt ist. Obwohl wir nun nicht wissen, auf welche Weise die meerischen Schaalthiere sich verbreiten, so lässt sich doch einsehen, dass ihre Eier oder Larven vielleicht an Seetang und Treibholz ansitzend oder an den Füssen der Wadvögel hängend weit leichter als Land-Mollusken 300-400 Meilen weit über die offne See fortgeführt werden können. Die verschiedenen Insekten-Klassen auf Madeira scheinen analoge Thatsachen darzubieten.

     Ozeanische Inseln sind zuweilen unvollständig in gewissen Klassen, deren Stellen anscheinend durch andere Einwohner derselben eingenommen werden. So vertreten auf den Galapagos Reptilien und auf Neuseeland Flügel-lose Riesen-Vögel die Stelle der Säugthiere. Was die Pflanzen der Galapagos betrifft, so hat Dr. Hooker gezeigt, dass das Zahlen-Verhältniss zwischen den verschiedenen Ordnungen ein ganz anderes als sonst allerwärts ist. Solche Erscheinungen setzt man gewöhnlich auf Rechnung der physikalischen Bedingungen der Inseln; aber diese Erklärung dünkt mir etwas zweifelhaft zu seyn. Leichtigkeit der Einwanderung ist, wie mir scheint, wenigstens eben so wichtig als die Natur der Lebens-Bedingungen gewesen.

     Rücksichtlich der Bewohner abgelegener Inseln lassen sich viele merkwürdige kleine Erscheinungen anführen. So haben [397] z. B. auf gewissen nicht mit Säugthieren besetzten Eilanden einige endemische Pflanzen prächtig mit Häkchen versehene Saamen; und doch gibt es nicht viele Beziehungen, die augenfälliger wären, als die Eignung mit Haken besetzter Saamen für den Transport durch die Haare und Wolle der Säugthiere. Dieser Fall bietet nach meiner Meinung keine Schwierigkeit dar, indem Haken-reiche Saamen leicht noch durch andere Mittel von Insel zu Insel geführt werden können, wo dann die Pflanze etwas verändert, aber ihre widerhakenigen Saamen behaltend eine endemische Form bildet, für welche diese Haken nun einen eben so unnützen Anhang bilden, wie es rudimentäre Organe, z. B. die runzeligen Flügel unter den zusammen-gewachsenen Flügeldecken mancher insularen Käfer sind. Auch besitzen Inseln oft Bäume oder Büsche aus Ordnungen, welche anderwärts nur Kräuter darbieten; nun aber haben Bäume, wie Alph. deCandolle gezeigt hat, gewöhnlich nur beschränkte Verbreitungs-Gebiete, was immer die Ursache dieser Erscheinung seyn mag. Daher ergibt sich dann ferner, dass Baum-Arten wenig geeignet sind, entlegene organische Inseln zu erreichen; und eine Kraut-artige Pflanze, wenn sie auch keine Aussicht auf Erfolg im Wettkampfe mit einem schon vollständig entwickelten Baume hat, kann, wenn sie bei ihrer ersten Ansiedelung auf einer Insel nur mit andern Kraut-artigen Pflanzen allein in Mitbewerbung tritt, leicht durch immer höher strebenden Wuchs ein Übergewicht über dieselben erlangen. Ist Diess der Fall, so mag Natürliche Züchtung der Wuchs Kraut-artiger Pflanzen, die auf einer ozeanischen Insel wachsen, aus welcher Ordnung sie immer seyn mögen, oft etwas zu verstärken und dieselben erst in Büsche und endlich in Bäume zu verwandeln geneigt seyn.

     Was die Abwesenheit ganzer Organismen-Ordnungen auf ozeanischen Inseln betrifft, so hat Bory de St.-Vincent schon längst bemerkt, dass Batrachier (Frösche, Kröten und Molge) nie auf einer der vielen Inseln gefunden worden sind, womit der grosse Ozean besäet ist. Ich habe mich bemühet diese Behauptung zu prüfen und habe sie genau richtig befunden. Wohl hat man mich versichert, dass ein Frosch auf den Bergen der grossen Insel [398] Neuseeland lebe; aber ich vermuthe (wenn die Angabe richtig ist), dass sich diese Ausnahme durch Glacial-Thätigkeit erklären lasse. Dieser allgemeine Mangel an Fröschen, Kröten und Molgen auf so vielen ozeanischen Inseln lässt sich nicht aus ihrer natürlichen Beschaffenheit erklären, indem es vielmehr scheint, dass dieselben recht gut für diese Thiere geeignet wären; denn Frösche sind auf Madeira, den Azoren und auf Mauritius eingeführt worden, um sie als Nahrungsmittel zu vervielfältigen. Da aber bekanntlich diese Thiere so wie ihr Laich durch Seewasser unmittelbar getödtet werden, so ist leicht zu ersehen, dass deren Transport über Meer sehr schwierig seye und sie aus diesem Grunde auf keiner ozeanischen Insel existiren. Dagegen würde es nach der Schöpfungs-Theorie sehr schwer seyn zu erklären, wesshalb sie auf diesen Inseln nicht erschaffen worden seyen.

     Säugthiere bieten einen andern Fall ähnlicher Art dar. Ich habe die ältesten Reisewerke sorgfältig durchgangen und zwar meine Arbeit noch nicht beendigt, aber bis jetzt noch kein unzweifelhaftes Beispiel gefunden, dass ein Land-Säugethier (von den gezähmten Hausthieren der Eingebornen abgesehen) irgend eine über 300 Engl. Meilen weit von einem Festlande oder einer Kontinental-Insel entlegene Insel bewohnt habe; und viele Inseln in viel geringeren Abständen entbehren derselben ebenfalls gänzlich. Die Falklands-Inseln, welche von einem Wolf-artigen Fuchse bewohnt sind, scheinen zunächst eine Ausnahme zu machen, können aber nicht als ozeanisch gelten, da sie auf einer mit dem Festlande zusammen-hängenden Bank liegen; und da schwimmende Eisberge Fels-Blöcke an ihren westlichen Küsten abgesetzt, so könnten dieselben auch wohl einmal Füchse mitgebracht haben, wie Das jetzt in den arktischen Gegenden oft vorkommt. Doch kann man nicht behaupten, dass kleine Inseln nicht auch kleine Säugthiere ernähren können; denn es ist Diess in der That mit sehr kleinen Inseln der Fall, wenn sie dicht an einem Kontinente liegen; und schwerlich lässt sich eine Insel bezeichnen, auf der unsre kleinen Säugthiere sich nicht naturalisirt und vermehrt hätten. Nach der gewöhnlichen Ansicht von der Schöpfung könnte man sagen, dass nicht Zeit zur [399] Schöpfung von Säugthieren gewesen seye; viele vulkanische Inseln sind zwar alt genug, wie sich theils aus der ungeheuren Zerstörung, die sie bereits erfahren, und theils aus dem Vorkommen tertiärer Schichten auf ihnen ergibt; auch ist Zeit gewesen zur Hervorbringung endemischer Arten aus andern Klassen; und auf Kontinenten, nimmt man an, erscheinen und verschwinden Säugthiere in rascherem Wechsel als die andern tieferstehenden Thiere. Aber wenn auch Land-Säugethiere auf ozeanischen Inseln nicht vorhanden, so finden sich doch fliegende Säugthiere fast auf jeder Insel ein. Neuseeland besitzt zwei Fledermäuse, die sonst nirgends in der Welt vorkommen; die Norfolk-Insel, der Viti-Archipel, die Bonins-Inseln, die Marianen- und Carolinen-Gruppen und Mauritius: alle besitzen ihre eigenthümlichen Fledermaus-Arten. Warum, kann man nun fragen, hat die angebliche Schöpfungs-Kraft auf diesen entlegenen Inseln nur Fledermäuse und keine andern Säugthiere hervorgebracht? Nach meiner Anschauungs-Weise lässt sich diese Frage leicht beantworten, da kein Land-Säugthier über so weite Meeres-Strecken hinwegkommen kann, welche Fledermäuse noch zu überfliegen im Stande sind. Man hat Fledermäuse bei Tage weit über den Atlantischen Ozean ziehen sehen und zwei Nord-Amerikanische Arten derselben besuchen die Bermuda-Insel, 600 Engl. Meilen vom Festlande, regelmässig oder zufällig. Ich höre von Mr. Tomes, welcher diese Familie näher studirt hat, dass viele Arten derselben einzeln genommen eine ungeheure Verbreitung besitzen und sowohl auf Kontinenten als weit entlegenen Inseln zugleich vorkommen. Wir brauchen daher nur zu unterstellen, dass solche wandernde Arten durch Natürliche Züchtung der Bedingungen ihrer neuen Heimath angemessen modifizirt worden seyen, und wir werden das Vorkommen von Fledermäusen auf solchen Inseln begreifen, wo sonst keine Land-Säugthiere vorhanden sind.

     Neben der Abwesenheit der Land-Säugthiere auf Inseln, welche von Kontinenten entlegen sind, ist noch eine andre Beziehung in einer bis zu gewissem Grade davon unabhängigen Weise zu berücksichtigen, die Beziehung nämlich zwischen der [400] Tiefe des eine Insel vom Festlande trennenden Meeres und dem Vorkommen gleicher oder verwandter Säugthier-Arten auf beiden. Hr. Windsor Earl hat einige treffende Beobachtungen in dieser Hinsicht über den grossen Malayischen Archipel gemacht, welcher in der Nähe von Celebes von einem Streifen sehr tiefen Meeres durchschnitten wird, der zwei ganz verschiedene Säugthier-Faunen trennt. Auf der einen Seite desselben liegen die Inseln auf mässig tiefen untermeerischen Bänken und sind von einander nahe verwandten oder ganz identischen Säugthier-Arten bewohnt. Allerdings kommen auch in dieser Insel-Gruppe einige wenige Anomalien vor und ist es in einigen Fällen ziemlich schwer zu beurtheilen, in wie ferne die Verbreitung gewisser Säugthiere durch Naturalisirung von Seiten des Menschen bedingt ist; inzwischen werden die eifrigen Forschungen des Hrn. Wallace bald mehr Licht auf die Naturgeschichte dieser Inseln werfen. Ich habe bisher nicht Zeit gefunden, diesem Gegenstand auch in andern Welt-Gegenden nachzuforschen; so weit ich aber damit gekommen bin, bleiben die Beziehungen sich gleich. Wir sehen Britannien durch einen schmalen Kanal vom Europäischen Festlande getrennt, und die Säugthier-Arten sind auf beiden Seiten die nämlichen. Ähnlich verhält es sich mit vielen nur durch schmale Meerengen von Neuholland geschiedenen Eilanden. Die Westindischen Inseln stehen auf einer fast 1000 Faden tief untergetauchten Bank; und hier finden wir zwar Amerikanische Formen, aber von denen des Festlandes verschiedene Arten und Sippen. Da das Maass der Abänderung überall in gewissem Grade von der Zeit-Dauer abhängt und es eher anzunehmen ist, dass durch seichte Meerengen abgesonderte Inseln länger als die durch tiefe Kanäle geschiedenen mit dem Festlande in Zusammenhang geblieben sind, so vermag man den Grund einer oftmaligen Beziehung zwischen der Tiefe des Meeres und dem Verwandtschafts-Grad einzusehen, der zwischen der Säugthier-Bevölkerung einer Insel und derjenigen des benachbarten Festlandes besteht, eine Beziehung, welche bei Annahme einer selbstständigen Schöpfung jeder Spezies ganz unerklärbar bleibt.

     Alle vorangehenden Wahrnehmungen über die Bewohner [401] ozeanischer Eilande, insbesondere die Spärlichkeit der Arten, die Menge endemischer Formen in einzelnen Klassen oder deren Unterabtheilungen, das Fehlen ganzer Gruppen wie der Batrachier und der am Boden lebenden Säugthiere trotz der Anwesenheit fliegender Fledermäuse, die eigenthümlichen Zahlen-Verhältnisse in manchen Pflanzen-Ordnungen, die Verwandlung Kraut-artiger Pflanzen-Formen in Bäume, alle scheinen sich mit der Ansicht, dass im Verlaufe langer Zeiträume gelegenheitliche Transport-Mittel viel zur Verbreitung der Organismen mitgewirkt haben, besser als mit der Meinung zu vertragen, dass alle unsre ozeanischen Inseln vordem in unmittelbarem Zusammenhang mit dem nächsten Festlande gestanden seyen; denn in diesem letzten Falle würde die Einwanderung wohl vollständig gewesen seyn und müssten, wenn man Abänderung zulassen will, alle Lebenformen in gleicherer Weise, der äussersten Wichtigkeit der Beziehung von Organismus zu Organismus entsprechend, modifizirt worden seyn.

     Ich will nicht läugnen, dass da noch viele und grosse Schwierigkeiten vorliegen zu erklären, auf welche Weise manche Bewohner vereinzelter Inseln, mögen sie nun ihre anfängliche Form beibehalten oder seit ihrer Ankunft abgeändert haben, bis zu ihrer gegenwärtigen Heimath gelangt seyen. Ich will nur ein Beispiel dieser Art anführen. Fast alle und selbst die abgelegensten und kleinsten ozeanischen Inseln sind von Land-Schnecken bewohnt, und zwar meistens von endemischen, doch zuweilen auch von anderwärts vorkommenden Arten. Dr. Aug. A. Gould hat einige interessante Fälle von Land-Schnecken auf den Inseln des stillen Meeres mitgetheilt. Nun ist es eine anerkannte Thatsache, dass Land-Schnecken durch Salz sehr leicht zu tödten sind, und ihre Eier (oder wenigstens diejenigen, womit ich Versuche angestellt) sinken im See-Wasser unter und verderben. Und doch muss es meiner Meinung nach irgend ein unbekanntes aber höchst wirksames Verbreitungs-Mittel für dieselben geben. Sollten vielleicht die jungen eben dem Eie entschlüpften Schneckchen an den Füssen irgend eines am Boden ausruhenden Vogels emporkriechen und dann von ihm weiter getragen werden? Es kam [402] mir vor, als ob Land-Schnecken, im Zustande des Winterschlafs begriffen und mit einem Winterdeckel auf ihrer Schaalen-Mündung versehen, in Spalten von Treibholz über ziemlich breite See-Arme müssten geführt werden können, ohne zu leiden. Ich fand sodann, dass verschiedene Arten in diesem Zustande ohne Nachtheil sieben Tage lang im See-Wasser liegen bleiben können. Eine dieser Arten war Helix pomatia, die ich nach längerer Winterruhe noch zwanzig Tage lang in See-Wasser legte, worauf sie sich wieder vollständig erholte. Da diese Art einen dicken kalkigen Deckel besitzt, so nahm ich ihn ab, und als sich hierauf wieder ein neuer häutiger Deckel gebildet hatte, tauchte ich sie noch vierzehn Tage in See-Wasser, worauf sie wieder vollkommen zu sich kam und davon kroch; indessen weitere Versuche in dieser Beziehung fehlen noch.

     Die triftigste und für uns wichtigste Thatsache hinsichtlich der Insel-Bewohner ist ihre Verwandtschaft mit den Bewohnern des nächsten Festlandes, ohne mit denselben von gleichen Arten zu seyn. Davon liessen sich zahllose Beispiele anführen. Ich will mich jedoch auf ein einziges beschränken, auf das der Galapagos-Inseln, welche 500–600 Engl. Meilen von der Küste Süd-Amerika’s liegen. Hier trägt fast jedes Land- wie Wasser-Produkt ein unverkennbares kontinental-amerikanisches Gepräge. Dabei befinden sich 26 Arten Land-Vögel, von welchen 21 oder vielleicht 23 als eigentümliche und hier geschaffene Arten angesehen werden; und doch ist die nahe Verwandtschaft der meisten dieser Vögel mit Amerikanischen Arten in jedem ihrer Charaktere, in Lebens-Weise, Betragen und Ton der Stimme offenbar. So ist es auch mit andern Thieren und, wie Dr. Hooker in seinem ausgezeichneten Werke über die Flora dieser Insel-Gruppe gezeigt, mit fast allen Pflanzen. Der Naturforscher, welcher die Bewohner dieser vulkanischen Inseln des stillen Meeres betrachtet, fühlt, dass er auf Amerikanischem Boden steht, obwohl er noch einige hundert Meilen von dem Festlande entfernt ist. Wie mag Diess kommen? Woher sollten die, angeblich nur im Galapagos-Archipel und sonst nirgends erschaffenen Arten diesen so deutlichen Stempel der Verwandtschaft mit den in Amerika [403] geschaffenen haben? Es ist nichts in den Lebens-Bedingungen, nichts in der geologischen Beschaffenheit, nichts in der Höhe oder dem Klima dieser Inseln noch in dem Zahlen-Verhältnisse der verschiedenen hier zusammen-gesellten Klassen, was den Lebens-Bedingungen auf den Süd-Amerikanischen Küsten sehr ähnlich wäre; ja es ist sogar ein grosser Unterschied in allen Beziehungen vorhanden. Anderseits aber ist eine grosse Ähnlichkeit zwischen der vulkanischen Natur des Bodens, dem Klima und der Grösse und Höhe der Inseln der Galapagos einer- und der Capverdischen Gruppe ander-seits. Aber welche unbedingte und gänzliche Verschiedenheit in ihren Bewohnern! Die der Inseln des grünen Vorgebirges stehen zu Afrika im nämlichen Verhältnisse, wie die der Galapagos zu Amerika. Ich glaube, diese bedeutende Thatsache hat von der gewöhnlichen Annahme einer unabhängigen Schöpfung der Arten keine Erklärung zu erwarten, während nach der hier aufgestellten Ansicht es offenbar ist, dass die Galapagos entweder durch gelegenheitliche Transport-Mittel[WS 1] oder in Folge eines früheren unmittelbaren Zusammenhangs mit Amerika von diesem Welttheile, wie die Capverdischen Inseln von Afrika aus, bevölkert worden sind, und dass, obwohl diese Kolonisten Abänderungen erfahren haben, sie doch ihre erste Geburts-Stätte durch das Vererblichkeits-Prinzip verrathen.

     Und so liessen sich noch viele analoge Fälle anführen; denn es ist in der That eine fast allgemeine Regel, dass die endemischen Erzeugnisse der Inseln mit denen der nächsten Festländer oder andrer benachbarter Inseln in Beziehung stehen. Ausnahmen sind selten und gewöhnlich leicht erklärbar. So sind die Pflanzen von Kerguelen-Land, obwohl dieses näher bei Afrika als bei Amerika liegt, nach Dr. Hooker’s Bericht sehr enge mit denen der Amerikanischen Flora verwandt; doch erklärt sich diese Abweichung durch die Annahme, dass die genannte Insel hauptsächlich durch strandende Eisberge bevölkert worden seye, welche den vorherrschenden See-Strömungen folgend Steine und Erde voll Saamen mit sich geführt haben. Neuseeland ist hinsichtlich seiner endemischen Pflanzen mit Neuholland als dem [404] nächsten Kontinente näher als mit irgend einer andern Gegend verwandt, wie es zu erwarten ist; es hat aber auch offenbare Verwandtschaft mit Süd-Amerika, das, wenn auch das zweitnächste Festland, so ungeheuer entfernt ist, dass die Thatsache als eine Anomalie erscheint. Doch auch diese Schwierigkeit verschwindet grösstentheils unter der Voraussetzung, dass Neuseeland, Süd-Amerika u. a. südliche Länder vor langen Zeiten theilweise von einem entfernt gelegenen Mittelpunkte, nämlich von den antarktischen Inseln aus bevölkert worden seyen, vor dem Anfange der Eis-Periode. Die, wenn auch nur schwache, aber nach Dr. Hooker doch thatsächliche Verwandtschaft zwischen den Floren der südwestlichen Spitzen Australiens und des Caps der guten Hoffnung ist ein viel merkwürdigerer Fall und für jetzt unerklärlich; doch ist dieselbe auf die Pflanzen beschränkt und wird auch ihrerseits sich gewiss eines Tages noch aufklären lassen.

     Das Gesetz, vermöge dessen die Bewohner eines Archipels, wenn auch in den Arten verschieden, zumeist mit denen des nächsten Festlandes übereinstimmen, wiederholt sich zuweilen in kleinerem Maassstabe aber in sehr interessanter Weise innerhalb einer und der nämlichen Insel-Gruppe. Namentlich haben ganz wunderbarer Weise die verschiedenen Inseln des nur kleinen Galapagos-Archipels, wie schon anderwärts gezeigt worden, ihre eigenthümlichen Bewohner, so dass fast auf jeder derselben andre Arten vorkommen, welche aber in unvergleichbar näherer Verwandtschaft zu einander stehen, als die irgend eines andern Theiles der Welt. Und Diess ist nach meiner Anschauungs-Weise zu erwarten gewesen, da die Inseln so nahe beisammen liegen, dass alle zuverlässig ihre Einwanderer entweder aus gleicher Urquelle oder eine von der andern erhalten haben müssen. Aber man könnte gerade die Verschiedenheit zwischen den endemischen Bewohnern der einzelnen Inseln als Argument gegen meine Ansicht gebrauchen; denn man könnte fragen, wie es komme, dass auf diesen verschiedenen Inseln, welche einander in Sicht liegen und die nämliche geologische Beschaffenheit, dieselbe Höhe und das gleiche Klima besitzen, so viele Einwanderer auf [405] jeder in einer andren und doch nur wenig verschiedenen Weise modifizirt worden seyen? Diess ist auch mir lange Zeit als eine grosse Schwierigkeit erschienen, was aber hauptsächlich von dem tief eingewurzelten Irrthum herrührt, die physischen Bedingungen einer Gegend als das Wichtigste für deren Bewohner zu betrachten, während doch nicht in Abrede gestellt werden kann, dass die Natur der übrigen Organismen, mit welchen sie selbst zu kämpfen haben, wenigstens ebenso hoch anzuschlagen und gewöhnlich eine noch wichtigere Bedingung ihres Gedeihens seye. Wenn wir nun diejenigen Bewohner der Galapagos, welche als nämliche Spezies auch in andern Gegenden der Erde noch vorkommen (wobei für einen Augenblick die endemischen Arten ausser Betracht bleiben müssen, weil wir die seit der Ankunft dieser Organismen auf den genannten Inseln erfolgten Umänderungen untersuchen wollen), so finden wir einen grossen Unterschied zwischen den einzelnen Inseln selbst. Diese Verschiedenheit wäre aus der Annahme erklärlich, dass die Inseln durch gelegenheitliche Transport-Mittel bestockt worden seyen, so dass z. B. der Saame einer Pflanzen-Art zu einer und der einer andern zu einer andern Insel gelangt wäre. Wenn daher in früherer Zeit ein Einwandrer sich auf einer oder mehren der Inseln angesiedelt oder sich später von einer zu der andern Insel verbreitet hätte, so würde er zweifelsohne auf den verschiedenen Inseln verschiedenen Lebens-Bedingungen ausgesetzt gewesen seyn; denn er hätte auf jeder Insel mit andern Organismen zu werben gehabt. Eine Pflanze z. B. hätte den für sie am meisten geeigneten Grund auf der einen Insel schon vollständiger von andern Pflanzen eingenommen gefunden, als auf der andern, und wäre den Angriffen etwas verschiedener Feinde ausgesetzt gewesen. Wenn sie nun abänderte, so wird die Natürliche Züchtung wahrscheinlich auf verschiedenen Inseln verschiedene Varietäten begünstigt haben. Einzelne Arten jedoch werden sich über die ganze Gruppe verbreitet und überall den nämlichen Charakter beibehalten haben, wie wir auch auf Festländern manche weit verbreitete Spezies überall unverändert bleiben sehen. [406]

     Doch die wahrhaft überraschende Thatsache auf den Galapagos wie in minderem Grade in einigen anderen Fällen besteht darin, dass sich die neu-gebildeten Arten nicht über die ganze Insel-Gruppe ausgebreitet haben. Aber die einzelnen Inseln, wenn auch in Sicht von einander gelegen, sind durch tiefe Meeres-Arme, meistens breiter als der britische Kanal von einander geschieden, und es liegt kein Grund zur Annahme vor, dass sie früher unmittelbar mit einander vereinigt gewesen seyen. Die Seeströmungen sind heftig und gehen queer durch den Archipel hindurch, und heftige Windstösse sind ausserordentlich selten, so dass die Inseln thatsächlich stärker von einander geschieden sind, als Diess beim Ansehen einer Karte scheinen mag. Demungeachtet sind doch ziemlich viele Arten, sowohl anderwärts vorkommende wie dem Archipel eigenthümlich angehörende, mehren Inseln gemeinsam, und einige Verhältnisse führen zur Vermuthung, dass diese sich wahrscheinlich von einem der Eilande aus zu den andern verbreitet haben. Aber wir bilden uns, wie ich glaube, oft eine irrige Meinung über die Wahrscheinlichkeit, dass nahe verwandte Arten bei freiem Verkehre die eine ins Gebiet der andern vordringen werden. Es unterliegt zwar keinem Zweifel, dass, wenn eine Art irgend einen Vortheil über eine andere hat, sie dieselbe in kurzer Zeit mehr oder weniger ersetzen wird; wenn aber beide gleich gut für ihre Stellen in der Natur gemacht sind, so werden sie wahrscheinlich ihre eigenen Plätze behaupten und für alle Zeit behalten. Wenn wir wissen, dass viele von Menschen einmal naturalisirte Arten sich mit erstaunlicher Schnelligkeit über neue Gegenden verbreitet haben, so sind wir wohl zu glauben geneigt, dass die meisten Arten es ebenso machen würden; aber wir müssen bedenken, dass die in neuen Gegenden naturalisirten Formen gewöhnlich keine nahen Verwandten der Ureinwohner, sondern eigenthümliche Arten sind, welche nach Alph. DeCandolle verhältnissmässig sehr oft auch besondern Sippen angehören. Auf den Galapagos sind sogar viele Vögel, welche ganz wohl im Stande wären von Insel zu Insel zu fliegen, von einander verschieden, wie z. B. drei einander nahe-stehende Arten von Spottdrosseln jede auf ein [407] besonderes Eiland beschränkt sind. Nehmen wir nun an, die Spottdrossel von Chatam-Island werde durch einen Sturm nach Charles-Island verschlagen, das schon seine eigene Spottdrossel hat, wie sollte sie dazu gelangen sich hier festzusetzen? Wir dürfen mit Gewissheit annehmen, dass Charles-Island mit ihrer eigenen Art wohl besetzt ist, indem jährlich mehr Eier dort gelegt werden als auskommen können, und wir dürfen ferner annehmen, dass die Art von Charles-Island für diese ihre Heimath wenigstens eben so gut geeignet ist als der neue Ankömmling. Sir Ch. Lyell und Hr. Wollaston haben mir eine merkwürdige zur Erläuterung dieser Verhältnisse dienende Thatsache mitgetheilt, dass nämlich Madeira und das dicht dabei gelegene Porto Santo viele einander vertretende Landschnecken besitzen, von welchen einige in Fels-Spalten leben; und obwohl grosse Stein-Massen jährlich von Porto Santo nach Madeira gebracht werden, so ist doch diese letzte Insel noch nicht mit den Arten von Porto Santo bevölkert worden; aber auf beiden Inseln haben sich Europäische Arten angesiedelt, weil sie zweifelsohne irgend einen Vortheil vor den eingeborenen voraus hatten. Hiernach werden wir uns nicht mehr sehr darüber wundern dürfen, das die endemischen und die stellvertretenden Arten, welche die verschiedenen Galapagos-Inseln bewohnen, sich noch nicht von Insel zu Insel verbreitet haben. In vielen andern Fällen, wie in den verschiedenen Bezirken eines Kontinentes, mag die frühere Besitzergreifung durch eine Art wesentlich dazu beigetragen haben, die Vermischung von Arten unter gleichen Lebens-Bedingungen zu hindern. So haben die südöstliche und südwestliche Ecke Neuhollands eine nahezu gleiche physikalische Beschaffenheit und sind durch zusammenhängendes Land miteinander verkettet, aber gleichwohl durch eine grosse Anzahl verschiedener Säugethier-, Vögel- und Pflanzen-Arten bewohnt.

     Das Prinzip, welches den allgemeinen Charakter der Fauna und Flora der ozeanischen Inseln bestimmt, dass nämlich deren Bewohner, wenn nicht genau die nämlichen Arten, doch offenbar mit den Bewohnern derjenigen Gegenden am nächsten verwandt sind, von welchen aus die Kolonisirung am leichtesten [408] stattfinden konnte, und dass die Kolonisten nachher abgeändert und für ihre neue Heimath geschickter gemacht worden sind: dieses Prinzip ist von der weitesten Anwendbarkeit in der ganzen Natur. Wir sehen Diess an jedem Berg, in jedem See, in jedem Marschlande. Denn die alpinen Arten, mit Ausnahme der durch die Glazial-Ereignisse weithin verbreiteten Formen hauptsächlich von Pflanzen, sind mit denen der umgebenden Tiefländer verwandt; und so haben wir in Süd-Amerika alpine Kolibris, alpine Nager, alpine Pflanzen, aber alle von streng Amerikanischen Formen; und es liegt nahe, dass ein Gebirge während seiner allmählichen Emporhebung aus den benachbarten Tiefländern auf natürliche Weise kolonisirt worden seye. So ist es auch mit den Bewohnern der Seen und Marschen, so weit nicht durch grosse Leichtigkeit der Überführung aus einer Gegend in die andre die ganze Erd-Oberfläche mit den nämlichen allgemeinen Formen versehen worden ist. Wir sehen dasselbe Prinzip bei den blinden Höhlen-Thieren Europas und Amerikas, sowie in manchen andern Fällen. Es wird sich nach meiner Meinung überall bestätigen, dass, wo immer in zwei sehr von einander entfernten Gegenden viele nahe-verwandte oder stellvertretende Arten vorkommen, auch einige identische Arten vorhanden sind, welche in Übereinstimmung mit der vorangehenden Ansicht zeigen, dass in irgend einer früheren Periode ein Verkehr oder eine Wanderung zwischen beiden Gegenden stattgefunden hat. Und wo immer nahe verwandte Arten vorkommen, da werden auch viele Formen seyn, welche einige Naturforscher als besondre Arten und andre nur als Varietäten betrachten. Diese zweifelhaften Formen drücken uns die Stufen in der fortschreitenden Abänderung aus.

     Diese Beziehung zwischen Wanderungs-Vermögen und Ausdehnung einer Art, (seye es in jetziger Zeit oder in einer früheren Periode unter verschiedenen natürlichen Bedingungen) und dem Vorkommen andrer verwandter Arten in entfernten Theilen der Erde ergibt sich in einer noch allgemeinern Weise. Hr. Gould sagte mir vor langer Zeit, dass in denjenigen Vogel-Sippen, welche sich über die ganze Erde erstrecken, auch [409] viele Arten eine weite Verbreitung besitzen. Ich vermag kaum zu bezweifeln, dass diese Regel allgemein richtig ist, obwohl Diess schwer zu beweisen seyn dürfte. Unter den Säugthieren finden wir sie scharf bei den Fledermäusen und in schwächerem Grade bei den Hunde- und Katzen-artigen Thieren ausgesprochen. Wir sehen sie in der Verbreitung der Schmetterlinge und Käfer. Und so ist es auch bei den meisten Süsswasser-Thieren, unter welchen so viele Sippen über die ganze Erde reichen und viele einzelne Arten eine ungeheure Verbreitung besitzen. Es soll nicht behauptet werden, dass in den weit-verbreiteten Sippen alle Arten in weiter Ausdehnung vorkommen oder auch nur eine durchschnittlich grosse Ausbreitung besitzen, sondern nur dass es mit einzelnen Arten der Fall ist; denn die Leichtigkeit, womit weit verbreitete Spezies variiren und zur Bildung neuer Formen Veranlassung geben, bestimmt ihre durchschnittliche Verbreitung in genügender Weise. So können zwei Varietäten einer Art die eine Europa und die andere Amerika bewohnen, und die Art hat dann eine unermessliche Verbreitung; ist aber die Abänderung etwas weiter gediehen, so werden die zwei Varietäten als zwei verschiedene Arten gelten und die Verbreitung einer jeden wird sehr beschränkt erscheinen. Noch weniger soll gesagt werden, dass eine Art, welche offenbar das Vermögen besitzt, Schranken zu überschreiten und sich weit auszubreiten, wie mancher langschwingige Vogel, sich auch weit ausbreiten muss; denn wir dürfen nicht vergessen, dass zur weiten Verbreitung nicht allein das Vermögen Schranken zu überschreiten, sondern auch noch das bei weitem wichtigere Vermögen gehört, in fernen Landen den Kampf ums Daseyn mit den neuen Genossen siegreich zu bestehen. Aber nach der Annahme, dass alle Arten einer Sippe, wenn gleich jetzt über die entferntesten Theile der Erde zerstreut, von einem gemeinsamen Stamm-Vater abstammen, müssten (und Diess ist, glaube ich, der Fall) wenigstens einige Arten eine weite Verbreitung besitzen; denn es ist nothwendig, dass der noch unveränderte Ahne sich unter fortwährender Abänderung weit verbreite und unter verschiedenartigen Lebens-Bedingungen eine günstige Stellung für die Umgestaltung [410] seiner Nachkommen zuerst in neue Varietäten und endlich in neue Arten gewinne.

     Bei Betrachtung der weiten Verbreitung mancher Sippen dürfen wir nicht vergessen, dass viele derselben ausserordentlich alt sind und von einem gemeinsamen Stamm-Vater in einer sehr frühen Periode abstammen müssen; daher in solchen Fällen genügende Zeit war sowohl für grosse klimatische und geographische Veränderungen als für die Verpflanzung-vermittelnde Zufälle, folglich auch für die Wanderung der Arten nach allen Theilen der Welt, wo sie dann in einer den neuen Verhältnissen angemessenen Weise abgeändert worden sind. Ebenso scheint sich aus geologischen Nachweisungen zu ergeben, dass in jeder Hauptklasse die tief-stehenden Organismen gewöhnlich langsamer als die höheren Formen abändern; daher die tieferen Formen mehr in der Lage gewesen sind, ihre spezifischen Merkmale lange zu behaupten und sich damit weit zu verbreiten. Diese Thatsache in Verbindung mit dem Umstande, dass die Saamen und Eier vieler tief-stehenden Formen sich durch ihre ausserordentliche Kleinheit zur weiten Fortführung vorzugsweise eignen, erklärt wahrscheinlich zur Genüge ein Gesetz, welches schon längst bekannt und erst unlängst von Alph. DeCandolle in Bezug auf die Pflanzen vortrefflich erläutert worden ist: dass nämlich jede Gruppe von Organismen sich zu einer um so weitren Verbreitung eigne, je tiefer sie steht.

     Die soeben erörterten Beziehungen, dass nämlich unvollkommene und sich langsam abändernde Organismen sich weiter als die vollkommenen verbreiten, — dass einige Arten weit ausgebreiteter Sippen selbst eine grosse Verbreitung besitzen, — dass Alpen-, Sumpf- und Marsch-Bewohner (mit den angedeuteten Ausnahmen) ungeachtet der Verschiedenheit der Standorte mit denen der umgebenden Tief- und Trocken-Länder verwandt sind, — dann die sehr enge Beziehung zwischen den verschiedenen Arten, welche die einzelnen Eilande einer Insel-Gruppe bewohnen, — und insbesondere die auffallende Verwandtschaft der Bewohner einer ganzen Insel-Gruppe mit denen des nächsten Festlandes: alle diese Verhältnisse sind nach meiner Meinung [411] nach der gewöhnlichen Annahme einer unabhängigen Schöpfung der einzelnen Arten völlig unverständlich, dagegen leicht zu erklären durch die Unterstellung stattgefundener Besiedelung aus der nächsten oder gelegensten Quelle mit nachfolgender Abänderung und besserer Anpassung der Ansiedeler an ihre neue Heimath.

     Zusammenfassung des letzten und des jetzigen Kapitels.) In diesen zwei Kapiteln habe ich nachzuweisen gestrebt, dass, wenn wir unsre Unwissenheit über alle Folgen der klimatischen und Niveau-Veränderungen der Länder, welche in der laufenden Periode gewiss vorgekommen sind, und noch andrer Veränderungen, die in derselben Zeit stattgefunden haben mögen, gebührend eingestehen und unsre tiefe Unkenntniss der manchfaltigen gelegenheitlichen Transport-Mittel (worüber kaum jemals angemessene Versuche veranstaltet worden sind) anerkennen, und wenn wir erwägen, wie oft eine oder die andere Art sich über ein zusammenhängendes weites Gebiet ausgebreitet haben mag, um sofort in den mitteln Theilen desselben zu erlöschen, so scheinen mir die Schwierigkeiten der Annahme, dass alle Individuen einer Spezies wo immer deren Wiege gestanden, von gemeinsamen Ältern abstammen, nicht unübersteiglich zu seyn; und so leiten uns schliesslich Betrachtungen allgemeiner Art insbesondere über die Wichtigkeit der natürlichen Schranken und die analoge Vertheilung von Untersippen, Sippen und Familien zur Annahme dessen, was viele Naturforscher als einzelne Schöpfungs-Mittelpunkte bezeichnet haben.

     Was die verschiedenen Arten einer nämlichen Sippe betrifft, die nach meiner Theorie von einer Geburts-Stätte ausgegangen seyn sollen, so halte ich, wenn wir unsre Unwissenheit so wie vorhin eingestehen und bedenken, dass manche Lebenformen nur sehr langsam abändern und mithin ungeheuer langer Zeiträume für ihre Wanderungen bedurften, die Schwierigkeiten nicht für unüberwindlich, obgleich sie in diesem Falle so wie hinsichtlich der Individuen einer nämlichen Art oft ausserordentlich gross sind. [412]

     Um die Wirkungen des Klima-Wechsels auf die Vertheilung der Organismen durch Beispiele zu erläutern, habe ich die Wichtigkeit des Einflusses der Eis-Zeit nachzuweisen gesucht, welche nach meiner vollen Überzeugung sich gleichzeitig über die ganze Erd-Oberfläche oder wenigstens über grosse meridianale Striche derselben erstreckt hat. Und um zu zeigen, wie manchfaltig die gelegentlichen Transport-Mittel sind, habe ich die Ausbreitungs-Weise der Süsswasser-Bewohner etwas ausführlicher auseinandergesetzt.

     Wenn sich die Schwierigkeiten der Annahme, dass im Verlaufe langer Zeiten die Einzelwesen einer Art ebenso wie die verwandten Arten von einer gemeinsamen Quelle ausgegangen, sich nicht unübersteiglich erweisen, dann glaube ich, dass alle leitenden Erscheinungen der geographischen Verbreitung mittelst der Theorie der Wanderung (hauptsächlich der herrschendern Lebenformen) und darauf-folgender Abänderung und Vermehrung der neuen Formen erklärbar sind. Man vermag alsdann die grosse Bedeutung der natürlichen Schranken — Wasser oder Land — zwischen den verschiedenen botanischen wie zoologischen Provinzen zu erkennen. Man vermag dann die örtliche Beschränkung von Untersippen, Sippen und Familien zu begreifen, und woher es komme, dass in verschiedenen geographischen Breiten, wie z. B. in Süd-Amerika, die Bewohner der Ebenen und Berge, der Wälder, Marschen und Wüsten, in so geheimnissvoller Weise durch Verwandtschaft miteinander wie mit den erloschenen Wesen verkettet sind, welche ehedem denselben Welttheil bewohnt haben. Indem wir erwägen, dass die gegenseitigen Beziehungen von Organismus zu Organismus von höchster Wichtigkeit sind, vermögen wir einzusehen, warum zwei Gebiete mit beinahe den gleichen physikalischen Bedingungen von verschiedenen Lebenformen bewohnt sind. Denn je nach der Länge der seit der Ankunft der neuen Bewohner in einer Gegend verflossenen Zeit, — je nach der Natur des Verkehrs, welcher gewissen Formen gestattete und andern wehrte sich in grösserer oder geringerer Anzahl einzudrängen, — je nachdem diese Eindringlinge in mehr oder weniger unmittelbare Bewerbung miteinander [413] und mit den Urbewohnern geriethen oder nicht, — und je nachdem dieselben mehr oder weniger rasch zu variiren fähig waren: müssen in verschiedenen Gegenden, ganz unabhängig von ihren physikalischen Verhältnissen, unendlich vermanchfachte Lebens-Bedingungen entstanden seyn, — muss ein fast endloser Betrag von organischer Wirkung und Gegenwirkung sich entwickelt haben, — und müssen, wie es wirklich der Fall ist, einige Gruppen von Wesen in hohem und andere nur in gerigem Grade abgeändert, müssen einige zu grossem Übergewicht entwickelt und andre nur in geringer Anzahl in den verschiedenen grossen geographischen Provinzen der Erde vorhanden seyn.

     Nach diesen nämlichen Prinzipien ist es, wie ich nachzuweisen versucht, auch zu begreifen, warum ozeanische Inseln nur wenige, aber der Mehrzahl nach endemische oder eigenthümliche Bewohner haben, und warum daselbst in Übereinstimmung mit den Wanderungs-Mitteln eine Gruppe von Wesen lauter endemische und die andere Gruppe, sogar in der nämlichen Klasse, lauter weltbürgerliche Arten darbietet. Es lässt sich einsehen, warum ganze Gruppen von Organismen, wie Batrachier und Boden-Säugethiere, auf den ozeanischen Inseln fehlen, während die meisten vereinzelt liegenden Inseln ihre eigenthümlichen Arten von Luft-Säugethieren oder Fledermäusen besitzen. Es lässt sich die Ursache einer gewissen Beziehung erkennen zwischen der Anwesenheit von Säugthieren von mehr oder weniger abgeänderter Beschaffenheit und der Tiefe der die Inseln vom Festlande trennenden Kanäle. Es ergibt sich deutlich, warum alle Bewohner einer Insel-Gruppe, wenn auch auf jedem der Eilande von andrer Art, doch innig miteinander und, in minderm Grade, mit denen des nächsten Festlandes oder des sonst wahrscheinlichen Stammlandes verwandt sind. Wir sehen endlich ein, warum in zwei, wenn auch weit von einander entfernten, Länder-Gebieten eine gewisse Wechselbeziehung in der Anwesenheit von identischen Arten, von Varietäten, von zweifelhaften Arten und von verschiedenen aber stellvertretenden Spezies zu erkennen ist.

     Wie der verstorbene Edward Forbes oft behauptet: es besteht ein strenger Parallelismus in den Gesetzen des Lebens durch [414] Zeit und Raum. Die Gesetze, welche die Aufeinanderfolge der Formen in vergangenen Zeiten geleitet, sind fast die nämlichen, wovon in der laufenden Periode deren Unterschiede in verschiedenen Länder-Gebieten abhängen. Wir erkennen Diess aus vielen Thatsachen. Die Erscheinung jeder Art und Arten-Gruppe ist zusammenhängend in der Zeit; denn der Ausnahmen von dieser Regel sind so wenige, dass sie wohl am richtigsten daraus erklärt werden, dass wir deren in den mittlen Schichten vorkommenden Reste nur noch nicht entdeckt haben; — sie ist zusammenhängend im Raume, indem die allerdings nicht seltenen Ausnahmen sich dadurch erklären, dass jene Arten in einer früheren Zeit unter abweichenden Verhältnissen in regelmässiger Weise oder mittelst gelegenheitlichen Transportes über weite Flächen gewandert, aber dann in den mittlen Gegenden derselben erloschen sind. Arten und Arten-Gruppen haben ein Maximum der Entwickelung in der Zeit wie im Raum. Arten-Gruppen, welche in einen gewissen Zeit-Abschnitt oder in einen gewissen Raum-Bezirk zusammengehören, sind oft durch besondre auffallende Merkmale in Skulptur oder Farbe u. s. w. charakterisirt. Wenn wir die lange Reihe verflossener Zeit-Abschnitte mit den mehr und weniger weit über die Erd-Oberfläche vertheilten zoologischen und botanischen Provinzen vergleichen, so finden wir hier wie dort, dass einige Organismen nur wenig differiren, während andre aus andern Klassen, Ordnungen oder auch nur Familien weit abweichen. In Zeit und Raum ändern die tieferen Glieder jeder Klasse gewöhnlich minder als die höhern ab; doch kommen in beiden auffallende Ausnahmen von dieser Regel vor. Nach meiner Theorie sind diese verschiedenen Beziehungen durch Zeit und Raum ganz begreiflich; denn sowohl die Lebenformen, welche in aufeinander-folgenden Zeitaltern innerhalb derselben Theile der Erd-Oberfläche gewechselt, als jene, welche erst im Verhältnisse ihrer Wanderungen nach andern Weltgegenden sich abgeändert, beiderlei Formen sind in jeder Klasse durch das nämliche Band der Generation miteinander verkettet; und je näher zwei Formen in Blutverwandtschaft zu einander stehen, desto näher werden sie sich gewöhnlich auch in Zeit und Raum stehen. [415] In beiden Fällen sind die Gesetze der Abänderung die nämlichen gewesen und sind Modifikationen durch die nämliche Kraft der Natürlichen Züchtung gehäuft worden.


  1. In diesem Falle wäre vielleicht wahrscheinlicher anzunehmen, der Reiher habe einen Fisch verschlungen gehabt, welcher jene Saamen gefressen hatte; und die Saamen würden keimfähig wieder zu Boden gelangt seyn, wenn nun ein Raubvogel den Reiher zerrissen hätte.     D. Übs.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Im Original Transport Mittel


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