Erinnerungen aus dem Kriege mit Frankreich (7)

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Autor: Moritz Busch
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Titel: Erinnerungen aus dem Kriege mit Frankreich. 7. Im Hause der Madame Jeffé. – Beschreibung desselben. – Unser Leben in Versailles.
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 65-68
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Erinnerungen aus dem Kriege mit Frankreich.
Von Moritz Busch.
7. Im Hause der Madame Jeffé. – Beschreibung desselben. – Unser Leben in Versailles.

Am 6. October, dem Tage nach unserem Eintreffen in Versailles, äußerte Keudell gegen mich, drei Wochen könne unser Aufenthalt hier wohl dauern, und diese Meinung kam mir ganz glaubwürdig vor; denn man war durch den bisherigen Verlauf des Krieges an rasche Erfolge gewöhnt. Wir blieben aber, wie man weiß und wie der Minister geahnt haben muß, da er sich schon am 7. seinen Pelz von Berlin schicken ließ, fünf ganze Monate, und da sich überdies in dem Hause, wo unser Quartier war, wie ebenfalls bekannt, sehr wichtige Dinge abspielten, so wird eine ausführliche Beschreibung unserer Wohnung vermuthlich willkommen sein.

Das Haus, welches der Bundeskanzler bewohnte, gehörte einer Madame Jeffé, der Wittwe eines wohlhabenden Tuchfabrikanten, die mit ihren beiden Söhnen kurz vor unserer Ankunft nach der Picardie geflüchtet war und zu Hütern ihres Eigenthums nur ihren Gärtner und dessen Frau zurückgelassen hatte. Es steht auf der Rue de Provence, welche die Avenue de St. Cloud kurz vor ihrem oberen Ende mit dem tiefer gelegenen Boulevard de la Reine verbindet, und trägt die Nummer 14. Die Straße gehört zu den stilleren von Versailles und nur ein Theil derselben zeigt dicht neben einander stehende Häuser. Die Lücken zwischen den übrigen sind Gärten, die von der Straße durch Mauern geschieden sind, über welche hier und da Baumwipfel schauen. Auch unser Haus, wenn man von der Avenue kommt, rechts gelegen, liegt zu beiden Seiten frei. Es tritt einige Schritte von der Straße zurück, über der sich vor ihm eine kleine Terrasse erhebt, welche mit der das Ganze abschließenden Mauer endigt. Die Einfahrt durch die letztere, ein eisernes Gitterthor, neben dem eine kleine Pforte sich öffnet und an der in den letzten Monaten eine schwarz-weiß-rothe Fahne wehte, befindet sich links. Auf der Rechten überragt eine stattliche Edeltanne das Gebäude. Letzteres ist eine Villa, die gelblich getüncht ist und in der Front fünf Fenster hat, welche mit weißen Jalousien versehen sind. Auf das hohe Parterre folgt ein zweites Geschoß, dann ein Kniestock mit Mansardenfenstern, wie das abgeplattete Dach mit Schiefer gedeckt.

Vom Hofe hinter dem Eingange zu dem Grundstücke steigt man auf einer steinernen Freitreppe nach der Hauptthür des Hauses hinauf, durch die man auf einen Vorsaal gelangt, auf welchen rechts die große Treppe, links die Thür zu einer kleinen Hinterstiege, sowie zwei hohe Flügelthüren münden. Letztere führen in ein mäßig großes auf den Garten hinaussehendes Zimmer, welches für uns zum Speisesaal eingerichtet wurde. Eine dritte Flügelthür, dem Eingang gegenüber, geht in den Salon, eine vierte, rechts von jener, in das Billardzimmer, aus dem man in einen langen, von Glas und Eisen construirten und mit allerlei Pflanzen und Bäumen, sowie mit einem kleinen Springbrunnen geschmückten Wintergarten tritt, während sich an [066] der Wand gegenüber eine Thür nach einer kleinen Stube öffnet, welche die Bibliothek des seligen Herrn Jeffé enthält. Unter der Haupttreppe hin gelangt man durch einen Gang in die nach der Terrasse zu gelegene Küche.

Im Salon befanden sich ein Pianino, Polsterstühle und zwei Spiegel. Auf dem Tischchen vor dem einen stand eine altmodische Stutzuhr, auf der ein dämonartiges Bronzebildchen mit großen Flügeln, welches sich in den Daumen biß – vielleicht ein Conterfei des Hausgeistes der Madame Jeffé, die sich später als ein nichts weniger als liebenswürdiges Frauenzimmer erwies – grinsend den Verhandlungen zusah, die zu den Verträgen mit den süddeutschen Staaten, zur Proclamirung des deutschen Kaisers und Reiches und später zur Uebergabe von Paris und zur Feststellung der Friedenspräliminarien führten, Verträgen, die sämmtlich in diesem Salon unterzeichnet wurden. Ein weltgeschichtliches Zimmer also. Auf dem andern Spiegeltischchen lag am Tage nach unserm Einzuge eine Karte von Frankreich, auf der die Fortschritte der französischen Armee durch eingesteckte Nadeln mit bunten Köpfen bezeichnet waren. „Vermuthlich von Madame,“ sagte der Minister, als ich mir’s betrachtete. „Aber sehen Sie, blos bis Wörth.“ Das Billardzimmer wurde zum Bureau für die Räthe, den Secretär und die Chiffreurs eingerichtet. Ein Theil des Wintergartens nahm, als im Januar starker Frost eintrat, das Commando auf, welches die Wachtposten vor dem Eingange stellte und zuerst aus Linieninfanterie, dann aus grünen Jägern bestand. In der Bibliothek machten sich’s Ordonnanzen, Kanzleidiener, hin und wieder ein dickbäuchiger lederner Depeschensack, der auch Nichtofficielles, z. B. unsere Winterkleider, zu befördern die Gefälligkeit hatte, und einige Tage lang ein großer Haufen französischer Briefe bequem, welcher die Fracht eines von unseren Soldaten aufgefangenen Luftballons gebildet hatte.

Geht man die Haupttreppe hinauf, so gelangt man zunächst wieder auf einen Vorsaal, der durch eine viereckige Oeffnung in seiner Decke und ein über derselben im Dache angebrachtes flaches Fenster eine Art Halblicht erhält. Zwei Thüren führen von hier in die Zimmer, welche der Minister inne hatte, zwei Stübchen, von denen keines tiefer als neun und breiter als sechs Schritte ist. Das eine, dessen Fenster die rechte Seite der Gartenfront des Hauses einnehmen, bildete sein Arbeitszimmer und zugleich sein Schlafgemach und war nur nothdürftig möblirt. Rechts an der Wand, der Thür gegenüber, stand sein Bett und weiterhin, in einer Art Nische oder Alkoven, ein Waschapparat. An der nächsten Wand befand sich eine Mahagonykommode mit messingenen Griffen zum Ausziehen der Schubladen, aus der sich in den letzten Monaten die Cigarrenkisten aufschichteten, welche Bremer Wohlthäter ihm gesandt hatten. Die Vorhänge vor den Fenstern waren von dunkelgrundigem geblümtem Wollenstoff. An der vierten Wand öffnete sich der Kamin. Ein Sopha, welches bisweilen vor das Feuer in letzterem gerückt wurde, ein Tisch in der Mitte der Stube, an dem der Minister, den Rücken den Fenstern zugekehrt, arbeitete und auf dem Landkarten nicht fehlten, endlich einige Stühle vervollständigten die, wie man sieht, überaus einfache Ausstattung des Gemaches.

Das andere Stübchen, welches etwas besser, aber keineswegs luxuriös möblirt war, sollte nächst dem Salon im Erdgeschosse zum Empfang Fremder dienen. Es war, wenn ich mich recht entsinne, die Stube des älteren Sohnes der Hausbesitzerin gewesen, und während der Verhandlungen über die Capitulation von Paris widmete man es Jules Favre zu seinen Meditationen und seiner Correspondenz. Es hat nur ein Fenster, welches auf die Seite neben dem Hause, wo die Tanne steht, hinausgeht, und an dem sich Vorhänge von grünem Wollenstoff befinden. Die Tapete ist grau in Grau gefärbt. Die Möbel bestehen in einem Secretär, aus dem zwei Globen und ein Tellurium stehn, einer großen Kommode mit Marmorplatte, einem Sopha, mit baumwollenem Stoff überzogen, der auf rothem Grunde graue und schwarze Paradiesvögel und Zweige zeigt, einem großen und einem kleinen grünbekleideten Lehnstuhle, ein paar Rohrstühlen, einem runden Tische, der in der Mitte steht und auf welchem Schreibmaterialien liegen, endlich einem kleinen Spiegel über dem Kamin. Alle Möbel sind von Mahagony. Vor dem Sopha breitet sich ein kleiner grüner Teppich mit rothen Arabesken aus. Auf dem Kaminsimse befindet sich eine altmodische Uhr mit kriegerischen Emblemen, zwei Obelisken mit brennenden Granaten, Kugeln an Ketten, Trophäen und einem das Schwert zückenden Krieger in römischer Tracht. Ueber der Uhr stehen zwei kleine blaue Vasen mit goldenen Streifen. Die Wände sind mit allerlei Bildern behangen, einem Oelgemälde in ovalem Goldrahmen, das eine hübsche junge Frau in einen schwarzen Kleide, einem andern, das einen Herrn in der Tracht der zwanziger Jahre darstellt, einem Stahlstich nach Raphael’s Madonna delle Sedie, einer Photographie, darauf ein alter Herr und eine alte Dame, einer Landschaft, endlich einer Lithographie, deren Inschrift besagt, daß Gustav Jeffé an der und der Kirche, an dem und dem Tage im Juni 1860 zum ersten Male zur Communion gegangen. Gustav ist der älteste Sohn des Hauses, die Dame in Schwarz vermuthlich dessen Mama in ihren besseren Jahren, das andere Portrait scheint der Großpapa Gustav’s zu sein.

In dem Zimmer, dessen Thür sich links von der zur Stube des Kanzlers führenden öffnet, wohnte Graf Bismarck-Bohlen, ebenfalls nach dem Parke und Garten hinaus, ihm gegenüber, mit Aussicht auf die Straße, Abeken. Neben der Hintertreppe hatte Secretär Bölfing ein Stübchen inne, während ich in der zweiten Etage über Bohlen’s Zimmer untergebracht war. Ich hatte hier ein gutes Bett, zwei Stühle, einen für mich, den andern für etwaigen Besuch, eine geräumige Kommode und einen Tisch, an dem sich’s ganz behaglich arbeitete, obwohl er von keinem Tischler geschaffen, sondern von unserem Tausendkünstler Theiß improvisirt worden war und eigentlich nur aus zwei Böcken bestand, aus denen ein ausgehobener Fensterladen ruhte. Für den Kunstfreund in mir hatte Herr Jeffé senior, nach Bericht der Gärtnersfrau ein leidenschaftlicher Maler und Zeichner, durch einige seiner artistischen Leistungen gesorgt, die unter Glas und Rahmen an den Wänden hingen. Der Naturfreund fand in dem erst herbstlichen, dann in Winterschnee und silbernem Reif prangenden Park recht artige Befriedigung seiner Wünsche. Gegen den Hauskobold, den Alp und andere nächtliche Ungethüme schützte der geweihte Buchsbaumzweig, der an der Wand hinter meinem Bette befestigt war.

Der Park hinter dem Hause ist nicht groß, aber recht hübsch mit seinen Schlangenwegen, die unter alten, von Epheu und Immergrün übersponnenen Laubbäumen und zwischen dichtem Busch- und Strauchwerk hinlaufen; von der Mauer rechts her rieselt aus moosbedeckten, mit Farrenkraut und breitblätterigen Pflanzen bewachsenen Steinen ein Quell hervor, der ein Bächlein und einen kleinen Teich bildet, auf dem Enten schwimmen. Links an der Mauer ziehen sich von einer Wagenremise aus, über welcher die Gärtnersleute wohnen, eine Reihe von Obstspalieren und vor denselben theils offene, theils mit Glas bedeckte Gemüse- und Blumenbeete hin. In den Gängen des Parkes sah man in hellen Herbstnächten die hohe Gestalt und die weiße Mütze des Kanzlers aus den Büschen in den Mondschein heraustreten und langsam weiter wandeln. Ueber was sann er nach, der schlaflose Mann, welche Gedanken wälzte er in seinem Haupte, der einsame Wanderer, welche Pläne keimten oder reiften ihm in stiller Mitternachtsstunde? – Minder andächtig stimmte ein anderer Freund des Parkes, der ewig junge Musenjünger Abeken, wenn man ihn mit wenig melodischer, aber desto lauterer Stimme des Abends in dem Gesträuche Strophen griechischer Tragiker oder „Wanderers Nachtlied“ recitiren hörte, und fast komisch nahm sich’s aus, wenn der alte Jüngling am nächsten Morgen unter den dürren Blättern am Boden empfindsam nach Veilchen für die Frau Geheime Legationsräthin in Berlin suchte. Doch ziemte sich’s am Ende nicht, daß ich darüber inwendig lächelte; denn ich habe zu bekennen, daß ich, von ihm angesteckt, meiner Frau Doctorin endlich auch einige schickte und Freude damit anrichtete.

Wie man sieht, war nicht das gesammte mobile Auswärtige Amt im Hause der Madame Jeffé einquartiert. Bucher hatte eine stattliche Wohnung auf der Avenue de Paris bezogen. Keudell und die Chiffreurs waren in Häusern untergebracht, die etwas weiter oben aus der Rue de Provence stehen. Graf Hatzfeldt wohnte dem unseren schräg gegenüber. Mehrmals war übrigens davon die Rede, den Kanzler umzuquartieren und ihm ein geräumigeres und eleganter ausgestattetes Haus zur Verfügung zu stellen. Indeß unterblieb die Ausführung, vielleicht weil er selbst das Bedürfniß nach einer solchen Aenderung nicht [067] stark empfand, vielleicht auch, weil er die Stille liebte, die in der verhältnißmäßig einsamen Rue de Provence herrschte.

Diese Stille und Ruhe war jedoch am Tage nicht so idyllischer Art, wie manche Zeitungscorrespondenten sie damals schilderten. Ich denke dabei nicht an die Trommeln und Pfeifen ab- und heranziehender Bataillone, die man fast täglich auch bei uns hörte, und ebensowenig an den Lärm, den die Ausfälle verursachten, welche zweimal von den Parisern in der Richtung nach uns hin unternommen wurden, ja nicht einmal an die hitzigsten Tage des Bombardements, an die man sich gewöhnte, wie der Müller an das Klappern und Rauschen seiner Räder. Ich meine vorzüglich die vielen Besuche der mannigfaltigsten Art, die der Kanzler in diesen ereignißvollen Tagen empfing, und unter denen sich auch unvollkommene befanden. Manche Stunde glich unser Haus einem Taubenschlage; so viele Bekannte und Fremde gingen ein und aus. Von Paris aus kamen erst nichtofficielle Horcher und Postenträger, später in Favre und Thiers officielle Unterhändler, zuweilen mit mehr oder minder zahlreichen Begleitern. Aus dem Hôtel des Reservoirs erschienen Fürstlichkeiten. Wiederholt war der Kronprinz, einmal auch der König da. Auch die Kirche war unter den Besuchern durch hohe Würdenträger, Erzbischöfe und andere Prälaten vertreten. Berlin schickte Reichstagsdeputationen, Parteiführer, Banquiers; von Württemberg und Baiern stellten sich Minister zum Abschluß von Verträgen ein; die amerikanischen Generale, Mitglieder der fremden Diplomatie in Paris, darunter auch ein schwarzer Gentleman, der Vertreter Haytis, wünschten den vielbeschäftigten Staatsmann in der kleinen Stube oben zu sprechen, und daß auch die Neugier der englischen Reporters sich an ihn heranzudrängen suchte, versteht sich von selbst. Dabei Feldjäger mit gefüllten Depeschensäcken, Kanzleidiener mit Telegrammen, Ordonnanzen mit Nachrichten vom Generalstabe und über dem Allen Arbeiten hochwichtigster Art vollauf, Verdruß und Aerger, getäuschte Erwartungen, die wohlberechtigt gewesen, thörichte Urtheile der deutschen Zeitungen, Wühlereien der Ultramontanen – kurz, es war mitunter schwer zu begreifen, wie sich der Kanzler unter allen diesen Ansprüchen an seine Arbeitskraft und Geduld, unter diesen Störungen und Reibungen im Großen und Ganzen seine Gesundheit (er war in Versailles nur einmal zwei oder drei Tage unwohl) und die Frische bewahrte, die er oft noch spät am Abend in ernster und scherzender Rede an den Tag legte.

Haus der Madame Jeffé in Versailles, Bismarck’s Wohnung.
Nach der Natur aufgenommen.

Erholung gestattete sich der Minister nur wenig. Ein Spazierritt zwischen halb drei und vier Uhr, eine Stunde bei Tische, eine halbe Stunde bei dem darauf folgenden Kaffee im Salon, dann und wann später, nach zehn Uhr Abends, beim Thee noch eine längere oder kürzere Unterhaltung mit Denen, die zu haben waren, ein paar Stunden Schlaf nach der Morgendämmerung – die ganze übrige Zeit des Tages war, wenn nicht ein Ausfall der Franzosen oder sonst eine bedeutendere militärische Action ihn an der Seite des Königs oder allein nach einem Beobachtungsposten rief, dem Studiren und Produciren auf seinem Zimmer oder Besprechungen und Unterhandlungen gewidmet.

Bei Tische sah der Kanzler ziemlich alle Tage Gäste bei sich, und man lernte auf diese Weise fast alle bekannten und berühmten Namen, die in dem Kriege hervortraten, von Angesicht zu Angesicht kennen und hörte sie sich äußern. Wiederholt aß Favre mit uns, erst zögernd, „weil seine Landsleute drinnen hungerten“, dann auf verständigen Rath und Zuspruch hörend und den vielen guten Dingen, die Küche und Keller boten, so rechtschaffen wie Andere Gerechtigkeit widerfahren lassend. Einmal nahm auch Thiers mit seinem gescheidten Gesichte an unserem Diner Theil. Ein anderes Mal erwies uns der Kronprinz die Ehre, mit uns zu speisen und sich die ihm bis dahin nicht bekannten Mitarbeiter des Kanzlers vorstellen zu lassen. Wieder ein anderes Mal war Prinz Albrecht zugegen. Von anderen Gästen und Besuchern des Ministers nenne ich noch den Präsidenten des Bundeskanzleramts, Delbrück, der mehrmals wochenlang in Versailles war, den Herzog von Ratibor, den Fürsten Putbus, von Bennigsen, Simson, von Friedenthal und von Blankenburg, die baierischen Minister Graf Bray und von Lutz, die würtembergischen von Wächter und Mittnacht, ferner den Erzbischof Ledochowski und dann den Nuntius Chigi, Odo Russell, den jetzigen englischen Gesandten beim deutschen Reiche, von Roggenbach und den Fürsten Radziwill. Die Unterhaltung war, wenn der Chef zugegen, immer lebhaft und mannigfaltig, oft lehrreich. Die materiellen Genüsse lieferte zum Theil die Heimath in Gestalt von Liebesgaben, die in fester und flüssiger Gestalt zuweilen in Ueberfülle einliefen, sodaß die Speisekammer sie kaum faßte. Zu den edelsten gehörten eine Sendung Flaschen vom besten Pfälzerwein (wenn ich mich recht erinnere, Deidesheimer Kirchenstück und Forster Hofstück, die Jordan – oder war’s Buhl? – gespendet) und eine riesige Forellenpastete von Friedrich Schulze, dem Wirthe des Leipziger Gartens in Berlin, dessen patriotischer Wohlthätigkeitssinn uns zugleich reichlich mit vortrefflichem Biere versorgte. Zu den rührendsten zähle ich ein Gericht Champignons, welche Soldaten in einer Höhle ober einem Keller gefunden und dem Kanzler gewidmet hatten. Werthvoller noch und poetischer war ein Strauß Rosen, welchen andere Soldaten im feindlichen Feuer gepflückt.

Bedient wurden wir in der Hauptsache von unsern Kanzleidienern. Was weiblichen Händen überlassen werden mußte, wurde von einer gemieteten Aufwärterin und der Gärtnersfrau besorgt. Letztere erwies sich als eine feuerige französische Patriotin, welche die „Prussiens“ von Herzen haßte und Paris auch dann noch für uneinehmbar hielt, als Favre bereits die Capitulation unterschrieben hatte. Bazaine, Favre, Thiers waren ihr „Verräther“; vom Exkaiser sprach sie nur als von einem „cochon“, welches man, wenn es sich wieder in Frankreich betreffen ließe, auf das Schaffot schicken werde. Dazu blitzten die schwarzen Augen der kleinen, mageren, hektischen Frau so [068] schrecklich und grausam, daß man sich von Rechts wegen hätte fürchten sollen.

Madame Jeffé ließ sich erst in den letzten Tagen vor unserer Abreise sehen und machte, wie bemerkt, keinen vorteilhaften Eindruck. Sie hat dann allerhand Räubergeschichten über uns verbreitet, die von der französischen Presse mit Wohlgefallen nacherzählt wurden. Unter Anderem sollten wir ihr Silberzeug und ihre Tischwäsche eingepackt und mitgenommen haben. Auch habe ihr Graf Bismarck eine werthvolle Pendule entführen wollen. Die erste Behauptung war eine einfache Abgeschmacktheit, da das Haus kein Silberzeug enthielt; es müßte sich denn in einer vermauerter Ecke des Kellers befunden haben, die auf ausdrücklichen Befehl des Chefs ungeöffnet blieb. Die Geschichte von der Pendule aber verlief in ganz anderer Weise, als Madame sie unter die Leute gebracht hat. Die Uhr war die mit dem kleinen bronzenen Dämon im Salon. Die Jeffé bot dieses an sich ziemlich werthlose Möbel dem Kanzler in der Voraussetzung, das Teufelchen daran werde ihm als Zeuge wichtiger Vorgänge von Werth sein, zu einem exorbitanten Preise an. Ich glaube, sie verlangte fünftausend Franken dafür. Sie erreichte aber ihre Absicht, damit ein gutes Geschäft zu machen, nicht, da das Anerbieten der habgierigen und für die rücksichtsvolle Behandlung ihres Hauses undankbaren Frau abgelehnt wurde. „Ich erinnere mich,“ erzählte der Minister später in Berlin, „daß ich dabei die Bemerkung machte, das koboldartige Bildchen an der Uhr, welches eine Grimasse schnitt, könnte ihr als Familienportrait ein liebes Besitzthum sein, und dessen wollte ich sie nicht berauben.“