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Milo vom fünfzehnten Regiment

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Titel: Milo vom fünfzehnten Regiment
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 68–72
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Milo vom fünfzehnten Regiment.

Es war im Jahre 1864, als nach langem und eintönigem Friedens- und Garnisons-Leben die Kriegstrompete erschallte, um die schleswig-holsteinischen Landeskinder vom dänischen Drucke zu befreien. In langen Reihen zogen die Regimenter aus den alten Heerstraßen nach Norden; mit Sang und Klang ging’s zum frischen fröhlichen Krieg hinaus. Der wohlbeleibte Commandeur des ersten Bataillons des damaligen fünfzehnten Infanterieregimentes in Minden hatte das Zeichen zum Rendezvous geben lassen. Die einzelnen Compagnien sammelten sich truppweise um ihren Führer, warfen das feldkriegmarschmäßige Gepäck bei Seite und gruppirten sich rechts und links zur Seite des Chausseegrabens. Die jugendlich kräftigen Gestalten, lauter Söhne der „rothen Erde“, fühlten trotz ihres frischen Muthes das Bedürfniß nach ein wenig Ruhe. Galt es ja doch augenblicklich auch nur, die blanken Waffen gegen den so beliebten Pumpernickel und westfälischen Schinken zu führen, welcher nebst obligatem „Schluck“ dem Brodbeutel behaglich entnommen wurde.

„Was ist Dir, Milo?“ schallte es aus dem Munde einiger Cameraden dem sonst so heiteren Flügelmanne entgegen. „Schmeckt’s nit, was Dir das Gretche noch beim Abschied eingepackt? Trink’, Bruder, und sei lustig! Es geht ja in den Krieg.“ Der Angeredete reckte seine riesige Körpergestalt bei den letzten Worten hoch auf, erfaßte krampfhaft die dargebotene Feldflasche und leerte sie bis zur Nagelprobe. „So, das that wohl,“ rief er kopfnickend, „aber essen, nein, essen kann ich nit.“ Fast in demselben Augenblicke entstand eine allgemeine Aufregung unter den frühstückenden Soldaten. Ein Hund kam querfeldein auf drei Beinen dahergehinkt. Die Zunge hing dem Thiere aus dem mit Schaum bedeckten Maule, und erschöpft vom Laufe blieb er zu Milo’s Füßen liegen. „Nimm Dich in Acht, Milo! Der Hund ist toll,“ rief es von allen Seiten; „rührt ihn nicht an!“ Erschreckt wichen fast Alle vor dem erschöpft auf dem Boden liegenden Thiere zurück, nur Milo allein fühlte keine Scheu. Er reichte dem willkommenen Gaste das verschmähte Frühstück, welches das Thier brockenweise mit heißhungeriger Gier verschlang. Die in der Nähe befindlichen Officiere waren gleichfalls auf den Hund aufmerksam geworden.

Der Hauptmann, der soeben mit dem Compagniearzt herantrat, rief: „Nun Doctor, was meinen Sie – scheint Ihnen das Thier gefährlich?“ - „Wir wollen sehen – Wasser herbei!“ Schnell hatten einige der Soldaten dem Befehle Folge geleistet und die bereits entleerten Feldflaschen in einer in der Nähe befindlichen Lache mit Wasser gefüllt. Man reichte dies dem halb verschmachteten Hunde im Deckel eines Kochgeschirres, und mit sichtlichem Behagen leckte derselbe die kühlende Labung hinunter. „Das ist ein sicheres Anzeichen, Herr Hauptmann, der Hund ist nicht wasserscheu, mithin auch ungefährlich.“ Mittlerweile hatte Milo schon den blutenden Hinterfuß seines Schützlings erfaßt und mit Geschick einen langen Holzsplitter aus demselben entfernt. Die Wunde wurde ausgewaschen, das Verbandszeug herausgeholt und ein schnell zurecht geschnittener Streifen Leinewand um den kranken Fuß gebunden. Das Thier leckte mit sichtbarer Dankbarkeit seinen Wohlthäter die Hände und richtete die klugen Augen auf die Umstehenden, gleichsam, als wollte es sagen: das werde ich Euch niemals vergessen, Ihr Lieben. Von diesem Moment ab wich der Hund nicht mehr von der Seite seines Wohlthäters. „Und er gehört der Compagnie,“ rief es in der Runde, „und soll so heißen wie unser Flügelmann: ‚Milo‘.“ Der Hauptmann nickte Beifall, meinte aber zweifelnd: wenn er nur bleibt. Und er blieb. – Woher der braun- und weißgefleckte Hühnerhund gekommen, ob er sich auf der Jagd oder sonst wo verlaufen, das kümmerte von jetzt ab Niemand mehr. Auf dem rechten Flügel, dicht an der Seite seines gleichnamigen Wohlthäters, hielt Milo gleichen Schritt mit der Compagnie. Und so blieb es während des ganzen grausig kalten Feldzuges.

Die Officiere und Mannschaften der Compagnie wetteiferten mit einander in der Pflege des treuen Hundes und theilten nicht selten den letzten Bissen Brod mit ihm. Als aber das fünfzehnte Regiment in seine Garnison Minden zurückkehrte, da war auch Milo noch an der Spitze der ersten Compagnie zu finden. Schwer wurde dem Flügelmann der Abschied von dem treuen Genossen, als er, zur Reserve entlassen, in seine Heimath abging und sehen mußte, wie Milo sich entschied bei seiner Compagnie zu verbleiben. Der rechte Flügel war und blieb der Platz, welchen der treue Compagiehund bei allen größeren Exercitien behauptete. Fand ihn der Hauptmann bei solcher Gelegenheit nicht an seinem Platze, dann war sicher dessen erste Frage: „Wo ist Milo?“

Die schönsten Feiertage für den Hund waren diejenigen, an welchen sich die Compagnie auf Wache befand. An solchen Tagen pflegte Milo den Leib sorglos auf den Lagern der postenstehenden Soldaten, er wußte genau, daß diese ihn nicht überraschen konnten. In den Nachmittagsstunden jedoch suchte er seine Leute auf. Trat dann die Wache in’s Gewehr, so faßte Milo neben dem wachhabenden Unterofficier Posto und verfolgte mit den Augen die passirenden Officiere in vollkommen militärischer Weise, sodaß jene nicht selten zur Heiterkeit gestimmt wurden. Zum großen Herbstmanöver, welches im nächsten Jahre stattfand, sollte Milo in der Garnison zurückbleiben. Aus diesem Grunde hatte man ihn in eine im ersten Stock gelegene Kammer eingesperrt. Die Klagetöne, welche der Hund hierüber erhob, verstummten erst gegen Morgen. Man glaubte, er sei eingeschlafen, doch er war ausgeflogen. Die zerbrochene Fensterscheibe zeigte, welchen Weg das treue Thier genommen, nun seiner lieben Compagnie nachzueilen.

„Milo ist da,“ klang es andern Tags von Mund zu Mund in der sechs Meilen weit von Minden entfernt marschirenden Compagnie. „Milo ist aus der Festung ausgerückt.“

„Aber er muß hinter der Front bleiben,“ lautete der Befehl des Hauptmanns, „wir sind hier nicht im Felde.“

Dies geschah freilich nicht immer. Der Spürsinn des Jagdhundes machte hier seine Rechte geltend; wenn es durch Kraut- und Rübenfelder ging, dann blieb er eben nicht hinter der Front. Zum großen Gaudium Aller trug er sogar eines Tages einen angeschossenen Hasen herbei und legte denselben pflichtschuldigst zu den Füßen des Feldwebels nieder. Mann befand sich gerade im Bivouac. Das Wild wurde unter Jubel am provisorischen Spieße gebraten, und der Hauptmann theilte lachend mit den Officieren der Compagnie die im Deckel eines Kochgeschirres dargereichten Keulen. Das beendete Manöver [069] wurde einerseits als ein Nachspiel des Schleswiger Feldzuges betrachtet, andererseits konnte es als ein Vorspiel für das kommende Jahr gelten. Denn kaum hatte die Frühlingssonne des Jahres 1866 wärmere Strahlen auf unsere Mutter Erde gesandt, da zogen auch schon wieder schwere Gewitterwolken am politischen Himmel sich zusammen. Es war jene sorgenschwere bange Zeit, in welcher Preußen fast isolirt den Kampf gegen die sich vereinigenden Bruderstämme aufnahm. In der alten Festung Minden rüstete man sich auf’s Neue zum Ausmarsch.

Das fünfzehnte Regiment und mit ihm Milo’s Compagnie sollten die baierische Grenze besetzen. Jetzt entstand kein Zweifel – der bewährte Combattant durfte mitziehen. In aller Hast ging’s per Dampf dem Süden zu. In Hannover hatte man wegen Stockung der Militärzüge einen kurzen Aufenthalt, und als die Compagnie spät am Abend eine gute Strecke über die ehemalige Hauptstadt des blinden Königs hinaus war und sich anschickte, die Quartiere für die Nacht zu beziehen, da wurde der Hund vermißt. Milo war weg und blieb trotz aller Nachfrage verschwunden. Einige Leute entsannen sich, daß er auf dem Bahnhofe in Hannover einer kleinen Freundin nachgelaufen war. Diese mußte zur Verführerin unseres Milo geworden sein. In der Hast des Einsteigens war er deswegen nicht vermißt worden, weil Jeder der Leute glaubte, Milo befinde sich in einem andern Coupé.

„Wir müssen unter allen Umständen unsern Milo wieder haben,“ rief der Hauptmann erregt, noch ehe er die Quartierbillets vertheilen ließ. „Unterofficier Schulze, Sie besteigen sofort mit zwei Mann eine Reservemaschine, fahren zurück nach Hannover und kehren nicht eher wieder, bis Sie den Hund gefunden haben.“

Noch ehe am andern Morgen das Signal zum Ausrücken geblasen wurde, befand sich der Wiedergefundene zu Aller Freude wieder bei der Compagnie.

Die kriegerische Situation wurde ernster und immer ernster; schon war die baierische Grenze überschritten, und mit voller Musik rückte das fünfzehnte Regiment gen Kissingen vor. Voran die erste Compagnie und auf ihrem rechten Flügel der treue Compagniehund. An dem Ufer eines Wassers tummelten sich spielend einige Bauernkinder. Erschrocken über den ungewohnten Anblick der in der Sonne blitzenden Helme und Gewehre, liefen die Kleinen schreiend durch einander. Ein kleines Mädchen hatte dabei das Unglück, zu fallen und rollte das ziemlich steile Ufer hinab in das Wasser. Der Commandeur warf seinen Schimmel schnell herum, rief dem Milo einige verständnisvolle Worte zu, und noch ehe derselbe geendet, war das treue Thier mit wenigen kräftigen Sprüngen am Orte der Gefahr. Geschickt faßte er die sich aufblähenden Röckchen des versinkenden Kindes und erreichte in wenigen Secunden, den Körper vor sich herschiebend, schwimmend das Ufer. Die händeringende Mutter, die mittlerweile herbeigeeilt, war noch Zeuge von Milo’s rettender That. Zur allgemeinen Freude war das Kind mit dem bloßen Schrecken davongekommen. Milo aber befand sich im andern Augenblicke wieder an seinem gewohnten Platze bei den ohne Aufenthalt weiter marschirenden Truppen. Er schüttelte den nassen Körper ab und richtete die klugen Augen mit einem gewissen Ernst auf diejenigen, welche ihm schmeichelnde Worte zuriefen, als wollte er ihnen sagen: Ich habe nichts als meine Pflicht gethan.

Einige Tage später folgte das Gefecht bei Kissingen. Die blauen Bohnen pfiffen um die Köpfe der Fünfzehner, und Milo, als hätte er den Soldaten die bekannte Bewegung abgesehen, duckte sich jedes Mal mit ihnen, wenn das gefürchtete Geräusch ertönte. Schon mancher der Braven lag dahingestreckt und netzte den grünen Wiesengrund mit seinem Blute, als auch unsern Milo das Geschick ereilte. Eine feindliche Gewehrkugel durchbohrte ihm den oberen Theil der Schnauze, mit der er noch vor einigen Tagen ein junges Menschenleben aus dem todbringenden Wasser getragen. Laut heulend und sich windend vor Schmerz, brach das Thier an der Seite eines ebenfalls verwundeten Unterofficiers seiner Compagnie zusammen. In solchen Moment ist Jeder mit sich selbst beschäftigt. Nicht achtend des Jammers und der Schmerzen der gefallenen Cameraden, denkt er im Kampfgewühl so lange nur an das eigene Ich, bis auch ihn vielleicht ein gleiches Schicksal erreicht. Der neben Milo liegende Verwundete wurde durch dessen fortgesetztes klägliches Gewinsel nach und nach aus seiner Ohnmacht aufgeweckt. Ferner schon tönte das Knattern des Kleingewehrfeuers, aber noch immer schlugen die Kugeln hin und wieder rechts und links neben den Daliegenden ein. Seiner eigenen Schmerzen nicht achtend, öffnete der Unterofficier mit schnellem Entschluß seine Kleider, riß ein Stück Leinen aus seinem Hemd und legte, so gut es eben ging, dem treuen Thiere einen Verband um das blutende Maul; an seine eigene Wunde hatte er dabei noch nicht gedacht. Erst spät am Abend erschien das Sanitätscorps, um auch hier seine traurige Aufgabe zu erfüllen. Der Unterofficier erbat sich vom Arzte, welcher Beide verband, die Erlaubniß, seinen Milo mit in das Lazareth nehmen zu dürfen. Selbstverständlich wurde dieser Wunsch gewährt, und sechs Wochen lagen die Beiden als gute Cameraden neben einander gebettet.

Die Compagnie kehrte nach beendetem Feldzuge nach Minden zurück. An ihrer Spitze schritt stolz einher der mit einem Eichenlaubkranz geschmückte Compagniehund. So stolz, daß er das Gekläff der ihn umringenden Hunde mißachtete und auf das Geheiß der Soldaten, die Kläffer zu vertreiben, fast unwillig ob dieser Zumuthung, stolzen Hauptes weitertrabte. Am andern Morgen erschien Milo zum Appell geschmückt mit den aus Blei gegossenen Feld-Ehrenzeichen, ja man hatte ihm sogar an das lederne Halsband rechts und links einen Gefreitenknopf angenäht. „Die bleiernen Ehrenzeichen will ich mir gefallen lassen, aber die Knöpfe, Leute, das sind wirkliche militärische Abzeichen – die müssen weg,“ befahl der Hauptmann lächelnd. An Stelle deren erhielt Milo ein schönes Halsband mit der Aufschrift: „Milo, 1. Cp. d. 2. Westf. Inf.-Rgmts. Prinz d. Niederlande.“

Bei Uebergabe der Compagnie rief der scheidende Hauptmann dem neuen Compagniechef zu: „Ich übergebe Ihnen auch unsern Milo. In zwei Feldzügen hat er Freud’ und Leid mit uns getheilt, und sollte, was Gott verhüten möge, einmal wieder die Kriegstrompete erschallen, so wird er sich auch das dritte Mal im Felde bewähren.“ Nun, diese Zeit war nicht allzu fern. Schon einige Jahre später wehte die Kriegsluft von den nahen französischen Grenzen über den Rhein nach Westfalen. Die Fünfzehner waren unter den Ersten, welche die französische Grenze überschritten. Der Popanz der Zuaven und Turcos erwies sich nur zu bald als unhaltbar und die Feuerprobe des Lulu als Humbug. Unaufhaltsam marschirten auch die Fünfzehner weiter und weiter in das Herz von Frankreich, und an der Spitze ihrer ersten Compagnie Milo, der treue Compagniehund. Bei allem Kriegsglücke gab es indessen auch Tage, wo man nichts zu beißen und zu brocken hatte. Nach vielen Tagemärschen hatte die Compagnie eines Tages in einem verlassenen Schlosse eine wohlthuende Ruhestätte gefunden. Die Proviantcolonne konnte bei dem allgemeinen Kriegsgewirr schon seit einigen Tagen nicht mehr erreicht werden. Der Schloßcastellan, ein alter, sich taub stellender Franzose, kam der einmarschirenden Compagnie in kriechender Weise entgegen.

Nix manger, messieurs,“ gab er achselzuckend auf die allseitig an ihn gerichtete Frage zurück. „Prussiens, Prussiens, nix manger,“ wiederholte der alte Sünder mit einer Leichenbittermiene.

„Ach was, nix manscheh – die Ausreden kennen wir; komm’, Milo! Wir wollen einmal das Franzosennest durchsuchen.“ Und nun ging’s vom Boden bis zum Keller, Milo immer vorauf, angefeuert durch den Zuruf der Soldaten: „Such’, such’, Milo! Hier giebt’s was zu essen.“ Der Alte hatte seine Vorräthe gut verwahrt. Milo indessen, unverdrossen spürend, führte seine Begleiter immer tiefer in die endlos scheinenden Kellerräume des Schlosses. Jetzt schien das Ende erreicht zu sein. Eine weiß übertünchte Mauer schloß den letzten Raum ab. „Komm’, Milo! Es ist vergebens, die Franzosen haben Alles weggeschleppt.“ Der Hund aber war von dieser Wand nicht wegzubringen. Er kratzte winselnd an derselben herum, als wollte er sie mit seinen scharfen Krallen aufreißen. Es mußte Etwas dahinter stecken. Schnell war ein Feldbeil herbeigeholt und das provisorische Hinderniß mit wenigen Schlägen beseitigt. Den erstaunten Soldaten that sich nun ein weiter Raum auf, wohlgefüllt mit allerlei Raritäten. Das war ein Jubel. Milo erhielt zum Lohne das erste Paar Mettwürste, deren eine lange Reihe in militärischer Ordnung an einer besonderen Vorrichtung hingen. Der Burgunder perlte in den feingeschliffenen französischen [070] Gläsern und das erste Hoch galt unserm Compagniehunde.

„Morgen wollen wir uns noch ein kräftiges Frühstück mitnehmen,“ hieß es. „Die Brodbeutel sollen bis obenan gefüllt werden – das wird uns der Hauptmann wohl erlauben.“ Es kam jedoch anders. Dem Jubel des Tages folgte eine aufregende Nacht. Die Fünfzehner hatten die ermüdeten Glieder frühzeitig auf die weichen Daunen der französischen Schloßbetten niedergestreckt und träumten süß von den Genüssen des Tages. Die Straßburger Gänseleberpasteten thürmten sich verlockend vor den schnarchenden Soldaten auf; der Rothwein perlte fort und fort in den anklingenden Gläsern, und dazwischen knallten die Champagnerpfropfen. Doch – war das Traum oder Wirklichkeit? Milo erhob seine laut schallende Stimme, und dazwischen knallte es auch. – Das waren aber nicht die geträumten Pfropfen des Brauseweines – das waren weit in die Nacht hinein schallende Flintenschüsse, die als Alarmsignal ertönten. Die ausgestellten Vorposten hatten einen umherschleichenden Trupp Franctireurs mit einer Gewehrsalve verscheucht, und in solchem Falle galt es immer Vorsicht. Mit der Nachtruhe war’s vorbei. Es wurde schleunigst aufgebrochen. Wer dachte wohl jetzt noch daran, die Brodbeutel zu füllen?

Man fand bald das ganze in der Nähe verstreut liegende Regiment auf den Beinen, da alle Vorzeichen zu einem bevorstehenden Gefecht eingetroffen. Noch ehe der Morgen graute, begann der Kampf. Die Westfalen befanden sich bald mitten im dumpfen Treffen. Das war ein heißer Tag. Und als der Abend mit unaufhaltsam strömendem Regen hereinbrach, da hatte man den überlegenen Feind zwar zurückgedrängt, viele aber der tapferen Fünfzehner lagen todt oder verstümmelt auf dem Schlachtfelde.

Der nächste Morgen bot ein trauriges Bild der Verwüstung. Milo’s Compagnie war, an der Spitze kämpfend, am härtesten bedrängt gewesen, und wer von denn völlig Durchnäßten mit heiler Haut davon gekommen, dem waren gewiß die Glieder von Kälte und Nässe sämmtlich steifgefroren. Wo in dieser Verwirrung Milo geblieben, das wußte von den sich nach und nach zusammenfindenden übriggebliebenen Mannschaften der ersten Compagnie Keiner zu sagen. Das arme Thier wird wohl auch hinüber sein, wie leider so viele unserer Cameraden, hieß es – sonst hätte er uns sicher wieder gefunden. Schon war der Befehl zum schleunigen Weitermarsch eingetroffen und deshalb keine Zeit zu verlieren. Mißmuthig und niederschlagen marschirte die Compagnie in langen Eilmärschen ohne ihren treuen Compagniehund weiter. Erst in Dôle, einem französischen Städtchen, gönnte man den Leuten wieder ein wenig Rast. Das sechszigste Regiment hatte hier bereits Quartier genommen, und bei der allgemeinen Ueberfüllung mußten die Fünfzehner, so gut es eben ging, Quartier suchen.

„Cameraden, ich habe unsern Milo gesehen,“ ertönte es mit einem Male aus dem Munde des Hornisten, „dort in jenem weißen Hause befindet er sich bei den Sechszigern.“

Fort war alle Betrübniß, alle Ermüdung; man dachte nicht mehr daran, das langersehnte Quartier zu finden; es galt vor Allem, sich davon zu überzeugen, ob der Trompeter recht gesehen hatte. Das bezeichnete weiße Haus wurde fast bestürmt, und kaum hatten die Fünfzehner sich vor denselben gezeigt, als sie auch das wohlbekannte Gebell ihres Milo vernahmen. Aber er kam nicht fröhlich zu ihnen herangesprungen, wie sie es sonst gewöhnt waren, die winselnden Töne des treuen Thieres verhallten hinter der sich schließenden Hausthür. Die Westfalen merkten bald, daß ihr Compagniehund wider seinen Willen festgehalten wurde. Die Sechsziger hatten das treue Thier auf dem Schlachtfelde aufgefunden. Von Hunger, Nässe und Kälte vollständig erschöpft, hatte der Hund trotzdem treulich Wache gehalten neben der Leiche eines gefallenen Fünfzehners. Nur mit Gewalt konnten sie denselben von der Stelle fort bringen, an welcher auch er sicherlich seinen Tod gefunden hätte. Aus diesen Grunde glaubten die Sechsziger einen berechtigten Anspruch auf den Findling zu haben und waren nicht dazu zu bewegen, denselben seiner alten Compagnie auszuliefern. Die Angelegenheit ging bis zum oberstcommandirenden General (Freiherr v. d. G.); soviel lag den beiden streitenden Theilen an dem Besitze des Hundes. Erst als von dieser Stelle aus ein bestimmter Befehl erging, erhielten die Westfalen ihren alten Compagniehund zurück.

Die nachtheiligen Folgen der letzten Erlebnisse blieben jedoch für Milo nicht aus. Er erkrankte bedenklich. Mann mußte seine Behandlung einem französischen Thierarzte überlassen, da ein deutscher nicht an Ort und Stelle war. Unter dessen sorgsamer Pflege, welche die Fünfzehner dem feindlichen Arzte heute noch nachrühmen, erholte sich Milo zwar nach und nach, seine bei Kissingen erhaltene Wunde am Kopfe war jedoch wieder aufgebrochen und blieb bis an sein Lebensende eine offene. Bei den ferneren Märschen mußte der Hund seiner Schwäche wegen vielfach gefahren werden. Dies geschah auch nach dem glücklich beendeten Feldzuge auf dem Rückmarsche nach Bar le Duc. In wollene Decken gehüllt, befand sich der Reconvalescent auf dem Victualienwagen. Der Unterofficier, welcher mit der Führung dieses Wagens betraut war, wurde persönlich für den Hund verantwortlich gemacht. Trotzdem passirte es eines Morgens, bei einem sehr eiligen Ausmarsche, daß der seiner Schwäche wegen viel schlafende Hund das Abrücken seiner Compagnie nicht bemerkt hatte und im Quartier zurückgelassen worden war. Erst am Abend vermißte man das Thier, als der Hauptmann sich nach dem Befinden desselben erkundigte. Der Unterofficier stammelte einige unverständliche Worte der Entschuldigung, wurde aber von seinem Vorgesetzten sehr hart angelassen. „Unterofficier, ich habe Sie persönlich für unsern Milo verantwortlich gemacht; entweder schaffen Sie mir denselben bis morgen früh, noch ehe wir weitermarschiren, ober ich stecke Sie drei Tage in Arrest.“

Es hätte wohl kaum dieser Strafandrohung bedurft. Mehrere der Leute meldeten sich freiwillig, denn vergessenen Liebling noch in der Nacht zu suchen. In gestrecktem Carrière fuhr der Unterofficier unter Begleitung der Mannschaften auf dem gekommenen Wege zurück. Sie hatten die Freude, schon unterwegs den Vermißten zu finden. Milo befand sich auf einem Protzkasten der heranziehenden Batterie „Schreiber“. Er hatte sich, als er von seinem ungewöhnlich langen Schlafe erwachte und bemerkte, daß seine Compagnie ausgerückt war, trotz seiner Schwäche auf den Weg gemacht, deren Spur ganz richtig verfolgend. Unterwegs traf er auf die desselben Weges marschirende Batterie. „Es ist der Milo von der ersten Compagnie der Fünfzehner,“ hieß es, „das arme Thier sucht seine Leute; wir wollen ihn aufnehmen; man sieht ja, er kann kaum noch weiter.“ Milo, als habe er diese Ausrufe verstanden, fügte sich willig, als man ihm ein weiches Lager auf dem Protzkasten zurecht machte. Nun aber war er nicht mehr zu halten. Mit heiserem Gebell verabschiedete er sich beim Erscheinen des bekannten Proviantwagens von den freundlichen Artilleristen und nahm denn altgewohnten Platz unter freudiger Begrüßung der in demselben schnellen Tempo zurückkehrenden Fünfzehner ein.

Von dieser Zeit ab betrachtete sich jeder Mann der Compagnie als persönlich verantwortlich für die Pflege des leidenden Compagniehundes. Auf dem Wege zur Garnisonstadt Minden hatte man ihm aus gesammelten französischen bleiernen Geschossen ein „Eisernes Kreuz“ gegossen. Geschmückt mit diesem wohlverdienten Ehrenzeichen zog er unter den wenigen Uebriggebliebenen der ersten Compagnie, welche vor Jahresfrist mit frischem, fröhlichem Muthe zugleich mit ihm in’s Feld gerückt waren, in die alte Festung wieder ein.

Milo erholte sich nach und nach von den vielfach erlittenen Strapazen dieses zwar siegreichen, aber blutigen Feldzuges. Wieder in altgewohnter Weise versah er seinen Dienst in dem ruhigen Garnisonleben. Er zog mit auf Wache, inspicirte die Kammerarbeiter und revidirte vor Allem die Menage, damit die Abfälle der Fleischportionen nicht in unbefugte Magen geriethen. Auf Posten vor der Caserne gestattete er nur Militärpersonen den Eintritt, die verhaßten Civilisten ließ der treugediente Soldatenhund niemals passiren.

Im Sommer 1873 wohnte Milo zum letztens Male einer längeren militärischen Uebung auf der in der Nähe befindlichen Haide bei. Von da ab betrachtete er sich als Pensionär. Die zwölfjährige Militärdienstzeit war mit Ehren beendet; eines besonderen Civilversorgungsscheines bedurfte es bei ihm nicht. Frau K., die ehrsame Casernenwärterin, übernahm seine Versorgung und Pflege. Unter ihrer treuen Fürsorge fristete der Pensionär sein Leben bis zum Beginn des Jahres 1876. Zuletzt schmecktet ihm auch die dargereichten leckersten Bissen, selbst der [072] mit westfälischem Schinken belegte Pumpernickel, nicht mehr. Am Morgen des 2. Januar fand man in der Scheibenkammer der Caserne den treuen Compagniehund Milo – verendet.

Unter großer Theilnahme wurde der „treu Gediente“ ganz in der Nähe der Caserne mit allen militärischen Ehren begraben. Eine Trauerweide haben die Cameraden ihm auf das Grab gesetzt. Ein öffentliches Denkmal diesem treuen Thiere zu setzen, beabsichtigt ein alter Soldat, indem er Milo’s Lebens- und Leidensgeschichte der weitverbreiteten „Gartenlaube“ hiermit zur Veröffentlichung übergiebt.