Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838 und 1839/Erster Theil/II
II.
Das Ministerium. — Der König. — Zug bis Betelu. — Combinirte Operation des Feindes. — Der Infant Don Sebastian und sein Gefolge. — Schlacht von Oriamendi. — Gefecht bei Galdácano. — Rückblick auf den Kriegsschauplatz und Stärke der carlistischen Truppen. — Ueber die Intriguen im Hauptquartier. — Herr von Corpas und die Camarilla. — Azcoitia und Loyola. — Pater Sil und die Jesuiten. — Der spanische Clerus. — Die Fremdenlegion. — Abmarsch nach Tolosa und Aufenthalt daselbst.
(11. März bis Ende April 1837.)
[27] Andoain liegt auf der Straße von Bayonne nach Vitoria und Madrid. Die Vortrefflichkeit der großen spanischen Heerstraßen, die das Reich in den Hauptrichtungen durchziehen, ist bekannt. Sie sind nur Römerwerken zu vergleichen und scheinen Jahrtausenden zu trotzen. Nach beinahe vierjährigem Kriege, während dem für ihren Unterhalt nichts geschehen, waren sie weit besser als die französischen Chausseen. Kühne Bogen über Abgründe gespannt, durchsprengte Felsen, hohe Mauern gegen das Erdgerölle, Parapete von Marmor oder Quadersteinen, unterirdische Abzugskanäle für Gießbäche, sind hier häufige Erscheinungen. In geringen Entfernungen stehen Wasserbecken in Stein gehauen zum Tränken der Lastthiere. Diese Straßen sind hauptsächlich der weisen Regierung Carl’s III. zu verdanken; nur schade, daß ihrer zu wenig sind und [28] daß, seither fast nicht fortgesetzt, die Communication im Innern des Landes von einer Provinzialstadt zur andern erschwert bleibt. In grellem Gegensatze zu den Hauptstraßen, sind die Nebenwege in mancher Jahreszeit fast gar nicht zu benützen, immer holperig und schlecht, und meistens nur für Saumthiere. Die Hauptstraßen und Nebenwege spielen eine große Rolle in allen spanischen Kriegen dieses Jahrhunderts. Erstere gehörten ausschließlich den regelmäßigen Truppen, letztere waren Domäne der Guerillas. Selten nur wagt es ein Guerilléro, die Hauptstraße zu betreten, den offenen Kampf gegen Artillerie und Cavallerie vermeidend; regelmäßige Truppen hingegen haben seit dem Independenzkriege es nie versucht, auf Bergpfaden vorzudringen, ohne sogleich dafür zu büßen. Als die navarresischen und baskischen Thäler sich für Carl V. erklärten, war es ihre erste Sorgfalt, die Hauptstraßen an den Grenzen ihrer Bezirke zu zerstören und alle Brücken in die Luft zu sprengen. So glich das carlistische Land, seiner Communicationsmittel beraubt, von Sierren, der französischen Grenze und dem Meere, wie von natürlichen Bollwerken umgeben, einer großen Festung. Nur im Innern litt man die freie Verbindung [29] auf den wenigen Heerstraßen, uns eine Wohlthat, wenn wir sie betreten durften, gewohnt, Bergsteige zu erklimmen und durch enge Schluchten uns mühsam durchzuwinden.
Andoain liegt, wie gesagt, an einer dieser großen Straßen, etwa fünf spanische Leguas von Yrun. Es ist eine kleine Stadt von ziemlich freundlichem Aussehen. Das Hauptgebäude, die Pfarrei, war damals in den königlichen Pallast umgewandelt. Nach spanischer Sitte heißt die zeitweilige Wohnung des Monarchen der königliche Pallast. So wurden Decrete aus Andoain und anderen noch viel unbedeutenderen Orten, manchmal aus einer Bauerhütte datirt: „Gegeben in Unserm königlichen Pallaste zu Andoain etc.“ Hier fällt mir ein altspanisches Privilegium ein, das ich später oftmals erwähnen hörte. Wenn ein König von Spanien auf Reisen oder Märschen in einem Privathause übernachtete, wurde, nachdem er sich entfernt, eine eiserne Kette über dem Hausthor auf ewige Zeiten aufgehängt. Der Henker und seine Knechte durften dann nie – die Alguazile und Gensdarmen nur nach eingeholter höherer Bewilligung – in ein solches mit der Kette begnadigtes Haus treten. Jedes infamirende [30] Verbrechen des Hausherrn zog den Verlust der Kette nach sich. – Hätte Carl V. gesiegt und die alten Rechte und Gewohnheiten wieder hergestellt, wie viele ärmliche Bauerhütten, halbverloren mitten in den wildesten Sierren, würden die Kette vindicirt haben. – In den Pallast begab ich mich denn also Tags nach meiner Ankunft. Zwei Wachen hielten vor der Thüre. Sie gehörten zur sogenannten Hatschiergarde (guardia de Alabarderos), trugen jedoch von dieser altspanischen Waffe nur den Namen. Sie bestand aus hundert jungen Leuten, meist Offizierssöhne, die als Cadeten eintraten, ausschließlich mit 25 berittenen navarresischen Garde du Corps die Person des Königs bewachten und nach einiger Dienstzeit als Unterlieutenants in die Linie versetzt wurden. Jede der drei baskischen Provinzen stellte zwanzig, Navarra vierzig. Ein Obrist befehligte sie, ihre Offiziere hatten zwei Grade mehr als die Linie. Sie trugen himmelblaue Oberröcke mit rothem Vorstoß und weißen Knöpfen, krapprothe Beinkleider, blaue Boïna mit silberner Troddel und englische Carabiner mit langem Bajonnett. Im Hausflur des Pallastes oder der Pfarrei saßen und lagen ein Dutzend dieser Garden um ein Kohlenfeuer, ihre Gewehre [31] an die Wand gelehnt. Im ersten Stockwerke waren die Bureaux des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten, welches in Spanien das Vorrecht hat, stets im königlichen Pallaste zu sein. Der damals interimistische Chef dieses Ministeriums, Herr von Sierra, früher Botschaftssecretair unter dem Herzoge von San Carlos in Wien, ein kleines stilles, bescheidenes Männchen, schien von seiner Verwunderung, mitten im Kriegsgetümmel zu sein, sich noch nicht erholt zu haben. Er ist ein redlicher, gewissenhafter Mann, und sicher war es nicht seine Schuld, wenn König Carl’s V. auswärtige Angelegenheiten keine glücklichere Wendung nahmen. Nächst ihm bestand das Ministerium aus zwei Secretairen, Herrn von Orellana, bereits unter Ferdinand VII. in der Diplomatie, und Herrn Tamariz, einem noch jungen Manne, gegenwärtig Cabinetssecretair des Königs in Bourges. Der Dritte oder eigentlich Erste, Herr von Mon, ein Mann von bedeutenden Fähigkeiten, war seit Kurzem von den Geschäften entfernt und lebte zurückgezogen in Tolosa. Herr von Sierra hatte vor einigen Monaten, gleich nach Austritt des „Universal-Ministers“ Erro, die Leitung der auswärtigen [32] Geschäfte übernommen. In seinem Cabinet fand ich seine übrigen Collegen, den Bischof von Leon, Minister der Gnaden und Justiz und Präsident des Ministerraths, den Finanz-Minister Don Pedro Diaz de Labandéro und den Kriegs-Minister, General Cabañas. Jeder dieser Herren hatte eine gehörige Anzahl Secretaire. Mir kam dieses Ministerium sehr groß vor, für so wenig Geschäfte und so ärmliche Zustände, und es schien mir immer, daß mit einem tüchtigen Secretair und einem redlichen Cassier die Angelegenheiten des Königs weit besser von Statten gegangen wären. Ich will hierdurch keinen Tadel auf diese Herren werfen und beklage nur die ganze Weise der Geschäftsführung. Die obengenannten Minister sind gewiß sämmtlich ehrliche Männer, ihrem Herrn treu ergeben, für den sie Gut und Blut geopfert hätten; doch glaube ich, es war keiner von ihnen an seinem Platze. Der Bischof von Leon hatte seine royalistischen Grundsätze bereits im geheimen Rathe Ferdinand’s VII. bethätigt; er war Carl V. nach Portugall und England gefolgt und hatte viel zu dem Entschlusse des Königs beigetragen, sich der Führung des Baron de los Valles anzuvertrauen. Er selbst unternahm [33] ungeachtet seines vorgerückten Alters und großer Corpulenz die beschwerliche Reise von England nach Spanien, ward in Frankreich gefangen genommen, und kaum frei, trachtete er von neuem sich mit dem Könige zu vereinigen, was ihm denn durch Hülfe eines für die carlistische Sache sehr verdienten Mannes in Bordeaux, meines Freundes, des neapolitanischen General-Consuls Meyer, gelang. An der Treue und Hingebung des Bischofs konnte nicht gezweifelt werden; doch nun alt und schläfrig geworden, gab er sich jedem Eindrucke hin, und war eben so leicht zu überzeugen, als von seinen Entschlüssen abzubringen. In der letzten Zeit seines politischen Wirkens befand er sich ganz in Händen seines ränkesüchtigen Secretairs Don Ramon Pecondon. Daß der Bischof von Leon im Ministerium Null war, ist leicht erklärlich. Sein Einfluß wäre entscheidend und von den glücklichsten Folgen gewesen, wenn er männlichen Willen gehabt und seine guten Vorsätze durchzuführen gewußt hätte. – Eine Particularität mag hier erwähnt werden: zu einer gewissen sehr kritischen Zeit, ungefähr ein Jahr später, als die sogenannte apostolische, oder eigentlich ultra-absolutistische monacale Parthei mit ihren schädlichen Eingriffen [34] immer mehr überhand nahm, brachte ein Camerlengo des Papstes, Monsignor Amat, dem Bischofe von Leon ein Schreiben Seiner Heiligkeit, welches ernste Ermahnungen und bittern Tadel über das Einmischen der Geistlichkeit in Staats-Angelegenheiten enthalten haben soll. Der gute Bischof, der von dem Inhalte desselben eine dunkle Ahnung haben mochte, gerieth in solche Angst, daß er es mehrere Tage versiegelt in der Brusttasche trug, ehe er sich entschließen konnte, es zu eröffnen. Dieser Zug bezeichnet den Mann, der damals an der Spitze der Geschäfte stand.
Sein College, der Finanzminister Labandéro, unter Ferdinand VII. General-Intendant von Aragon, hatte auch erst seit Austritt Erro’s das Portefeuille übernommen. Schwach, gutmüthig und redlich, wäre er für gewöhnliche Zeiten ein tauglicher Finanzbeamte gewesen. Die königlichen Bons, die er creirte, zeugen jedoch von Unfähigkeit für seinen Posten, dessen Haupterforderniß war, baares Geld, nicht aber unumsetzbare Papiere zu schaffen, und noch weniger, die fremden Subsidien schnell zu verausgaben. Dazu kam noch, daß er das Unglück hatte, der zärtliche Vater zweier nichtswürdiger Söhne zu sein, beide Intendanten in [35] seinem Ministerium. Der jüngere wurde vieler Gründe halber während der königlichen Expedition vom General Moreno seiner Stelle als Armee-Intendant entsetzt, worauf er die eines General-Intendanten von Catalonien, der größten und reichsten Provinz Spaniens, erhielt! Dort konnte er mit den ausgedehntesten Vollmachten, unter alleiniger Controle seines schwachen Vaters und der bestochenen Junta nach Willkühr schalten, bis der Graf de España dem Unfuge ein Ende machte. Ueber die Rolle, die Don Caspar de Labandéro, so hieß er, bei der Ermordung dieses Feldherrn spielte, will ich hier schweigen, um nicht dem Gange der Ereignisse vorzueilen. Ein Hauptmißgriff des Finanzministers war, daß er sich der alten spanischen Gewohnheit einer complicirten Administration nicht entschlagen konnte. Eine große Anzahl Officianten wurden von ihm theils beibehalten, theils eingeführt, und alle Finanzbeamten, die royalistischer Grundsätze verdächtig, von der christinischen Regierung abgeschafft wurden, konnten sicher sein, durch Labandéro Unterkunft zu finden. Es wimmelte im Hauptquartier und in Oñate (dem Sammelplatz aller unnütz Rationen Beziehenden, Ojalatéros genannt) von Intendanten, [36] Comptabilitätsbeamten, Einnehmern, Ordonnateurs, Schatzmeistern, ja es gab sogar Thürhüter (huissiers de la porte) des Finanzministeriums, alle unbeschäftigt und dem Lande eine drückende Last. Es hätte eines energischen Charakters bedurft, um diesem Unfuge und vorzüglich den grenzenlosen Verschleuderungen von Geld und Lebensmitteln ein Ende zu machen. Labandéro taugte bei dem besten Willen nicht dazu; emsig beschäftigt, ein paar hundertmal alle Tage seinen Namen zu unterschreiben, ließ er Alles angehen. Hierin glich er etwas seinem Collegen im Kriegsdepartement, obgleich Letzterer in Vielem bei weitem vorzuziehen war. Don Manuel de Medina Verdes y Cabañas gehört einem vornehmen andalusischen Hause an und ist der Typus des alten spanischen Edelmanns. Stets formell, war er gegen Jedermann unerschöpflich in Verbeugungen und Ceremonien, um sie in gleichem oder größerem Maße wieder zu empfangen. Seine Grundsätze wankten nie; nie hatte er einen politisch schwachen Moment, der doch gewöhnlich in jedes Menschen Leben, wenigstens einmal, einzutreffen pflegt. Unerschütterlich fest in dem, was er für Recht und Pflicht hielt, hat er vielfache Beweise dieser [37] Festigkeit seiner Grundsätze gegeben. – Als er auf Ferdinand’s VII. Befehl an der Verfolgung Bessières’s Theil nahm, sollte er dafür mit dem Stern des militairischen St. Ferdinand-Ordens begnadigt werden, den er mit der Antwort ablehnte: Er habe gegen seine Ueberzeugung wohl dem Könige gehorchen können, doch belohnt wolle er dafür nicht werden. Erzogen in der Furcht Gottes und des Königs, war seine religiöse und politische Ueberzeugung auf das Innigste verwebt, und es wäre unmöglich gewesen, die Eine von der Andern zu trennen. Doch nun drückten ihn Jahre und viele Leiden, und er zog meist vor, die Dinge ihren Gang gehen zu lassen, um nicht unnöthig Kummer und Verdruß zu erleben. Seine Liebe zu seinen Söhnen, die vielleicht etwas schnell avancirten, ward ihm zum Verbrechen gemacht; doch sind beide tüchtige junge Leute, tapfere Soldaten gewesen. Der eine ward auf eine schändliche Weise ermordet. Des andern letztes öffentliches Auftreten übergehe ich gern. Er wurde so hart geprüft, daß hier wohl Nachsicht stattfinden kann. Die größte Schonung aber ist Schweigen.
So stand ich denn in dem kleinen Cabinete Herrn von Sierra’s, der frühern Wohnung des Caplans [38] von Andoain, den vier bedeutendsten Männern carlistischer Administration gegenüber. Der Bischof von Leon war an seiner violetten Tracht, dem grünseidnen Hute und dem goldenen Episcopalkreuz leicht kennbar. Ich zog das ihm bestimmte Empfehlungsschreiben hervor; er versicherte mich, der König sei bereits von meiner Ankunft in Kenntniß gesetzt und würde mich am folgenden Morgen nach der Messe empfangen. Es war ein Uhr geworden, vier und zwanzig Hautboisten der Garde ließen sich während der königlichen Tafel vernehmen. Carl V. aß nach altspanischer königlicher Sitte stets allein um diese Stunde; der dienstthuende Kammerherr klopfte an die Cabinetsthüre und rief: „Señor! la Comida,“ worauf sich der König in das Tafelzimmer begab und der Hof-Caplan, damals der bekannte Pfarrer von los Arcos, Don Juan Echeverria, das Tischgebet hielt. Die niedere Dienerschaft trug die Schüsseln bis an die Thüre, wo die Kammerdiener (ayuda de Camara, Gentilshommes ordinaires) sie übernahmen und den Kammerherren, die den König umstanden, einhändigten. Diese hatten allein das Recht die königliche Person zu bedienen. Wer Kammerherrn-Rang (entrada) hatte, genoß den [39] Vorzug, den König essen zu sehen. – Wenn man, an deutsche Hofsitte gewöhnt, zum ersten Mal mitten in diese lebenden Traditionen altspanischer Etikette versetzt wird, kann man sich eines sonderbaren Gefühles nicht erwehren, besonders wenn es in Bauerhütten ist, daß an deren Ausübung so streng gehalten wird. In den düsteren weiten Hallen des Escurial mögen sie sich gewiß besser ausnehmen, obgleich Deutsche sich an gewisse Dinge nie gewöhnen werden. So zum Beispiel sah ich in Andoain zwei Männer, die Obersten-Galons trugen, mit Schüsseln herumgehen; es waren die Kammerdiener des Königs, während einer seiner Kammerherren, der Marquis del Monesterio, Capitains-Uniform trug. – Der Kammerdiener des Infanten Don Sebastian, der auch an der Person seines Herrn allen Dienst seines Postens verrichtete, setzte sich nach vollendeter Toilette Seiner Königlichen Hoheit mit zu Tische, freilich am untersten Platze, dem Infanten gegenüber. Er war Rittmeister und hatte den sonderbaren Namen Conejo y Guisado (Kaninchen und Ragout), nach der spanischen Gewohnheit den Namen der Mutter dem väterlichen beizufügen. Ueber dieses Zusammenleben mit der Valetaille erzählte mir [40] einst der ebenso geistreiche als liebenswürdige königlich sächsische Gesandte zu Paris, Herr von Könneritz, folgende Anecdote. Wenn Ferdinand VII. von den Lustschlössern (Sitios Reales) aus, Landparthieen machte, wich er stets von der strengen Etikette ab und lebte mit seiner Umgebung. Kammerherren und Kammerdiener speisten dann mit dem Könige. – Einst begleitete der Prinz Maximilian von Sachsen seinen königlichen Schwiegersohn. Als man sich zu Tische setzte, frug Ferdinand VII. den Prinzen, warum sein Kammerdiener nicht komme, und alles Sträubens ungeachtet mußte der sächsische Diener des Prinzen erscheinen und an der königlichen Tafel Platz nehmen, zur großen Verlegenheit Beider.
Tags nach meiner Ankunft in Andoain begab ich mich in die Messe; es war Sonntag den 12. März. Umgeben von Garden und Gefolge, am Thore von der Geistlichkeit empfangen, trat der König in die Kirche und kniete an der Evangelium-Seite unter dem Baldachin, der stets mitgeführt wurde. Ein langes, gesungenes Hochamt ward unter Begleitung der Garde-Musik abgehalten. Nach dem Evangelium hielt der Hofprediger Fray Domingo, ein franziskaner Mönch [41] aus Puente la Reina, eine spanische Predigt, indem er den König anredete und sich allein an ihn zu wenden schien. Als er geendet, predigte ein baskischer Geistlicher dasselbe für die baskischen Zuhörer. Dieß dauerte sehr lange, so daß ich erst gegen ein Uhr zur Audienz kam. Ich trug das erste Mal das carlistische Kriegscostüm, einen eng anschließenden, dunkelblauen kurzen Oberrock mit zwei Reihen gelber Knöpfe, worauf die königliche Lilie von Bourbon mit der Umschrift: Carlos quinto; krapprothe Beinkleider mit schwarzem Besatz und scharlachrothe Boïna mit silberner Troddel. Die weiße Boïna mit schwarzer Troddel war damals ein Abzeichen der Generalität und Adjutantur und ein Vorrecht von Zumalacarregui dem fünften Bataillon von Guipuzcoa gegeben, Chapelchuris deßhalb genannt.
Der König bewohnte den zweiten Stock des Pfarrhauses; zwei kleine Zimmer bildeten sein ganzes Appartement; vor der äußeren Thüre hielten zwei Garde du Corps. Die dienstthuenden Kammerherren, Adjutant und Kammerdiener, befanden sich auf Treppe und Flur. Don José de Villavicencio, Sohn des Marquis de Alcántara, der Liebling [42] und treueste Diener des Königs, war im Dienst als Kammerherr. Er ist eine jener immer seltener werdenden Erscheinungen mit gänzlicher Selbstverläugnung, seinem Herrn im Glück und Unglück folgend. Er hat nie begriffen, daß der König ihn für seine Aufopferungen je zu belohnen hätte. Nach spanischer Etikette öffnete ich leise die Thüre des königlichen Cabinets und rief: „Sire!“ indem ich meinen Namen hinzusetzte. So stand ich denn das erste Mal vor König Carl V. Ich war so ergriffen als ich mich vor dem unglücklichen Monarchen befand, der seinem großen Ahn Pelayo gleich, mit dem Degen in der Faust sein Reich wieder zu erobern gekommen, daß ich kaum ein Wort hervorzubringen im Stande war. Der König redete mich sehr gnädig an und sprach vom gestrigen Tage, vom zweiten Bataillon von Guipuzcoa und von allen seinen braven Vertheidigern, die, setzte er traurig hinzu, er nicht zu bezahlen und nicht zu belohnen im Stande sei. Ich kann nicht sagen, wie jedes dieser königlichen Worte mich erschütterte. Carl’s V. Gestalt ist weder schön noch imposant, doch kam er mir in diesem ärmlichen Pfarrhause, in der einfachsten Kleidung, so groß und würdevoll vor, wie kein Monarch [43] der Erde im vollsten Glanze majestätischer Herrlichkeit. Ich gelobte mir selbst, mehr als ich durch Worte auszudrücken im Stande war, in freudigen und traurigen Tagen ihn nicht zu verlassen und alles Ungemach mit ihm redlich zu theilen.
Kleine Gefechte hatten indeß seit dem 10. täglich an der Linie von San Sebastian stattgefunden. Am 14. Abends kam in das Hauptquartier die Nachricht, daß de Lacy Evans mit der englischen Legion einen entscheidenden Angriff gegen Hernani vorhabe. Diese Stadt liegt auf halbem Wege zwischen Yrun und Andoain, und das Hoflager war beinahe unbedeckt, da die Armee unter dem Infanten Don Sebastian sich in der Baranca de Araquil befand, in der Nähe von Pamplona, Sarsfield gegenüber. Zugleich ward berichtet, Espartéro, eben zum Grafen von Luchana gemacht, und dessen Name erst bekannt zu werden anfing, habe sich mit 30 Bataillons, aus Bilbao in der Richtung von Durango in Bewegung gesetzt und in Galdacano sein Hauptquartier genommen. Der König befahl augenblicklichen Aufbruch. Bei Nacht und Regen standen unsere Pferde und Maulthiere über eine halbe Stunde unter freiem Himmel, worauf [44] jener Befehl wieder zurückgenommen wurde, so daß wir uns erst am 15. Morgens 6 Uhr in Bewegung setzten. Der Marschzug König Carl’s hatte etwas zu Eigenthümliches, als daß er nicht hier beschrieben werden sollte. – Ein Detachement Cavallerie zog voran, hierauf hundert Hatschiere, um die Person des Königs, der in einem weiten Macintosh und mit Wachstuch überzogenem Hute an der Spitze ritt; ihm folgten die sämmtlichen Hofchargen, Ministerien, Adjutanten, fremde Agenten und andere im Hauptquartier beschäftigte Personen; dann große Maulthiere mit der königlichen Equipage, worauf querüber die Küchenmeister und niederen Diener saßen oder auf Ponies ritten; die Lastthiere mit den Papieren der Ministerien, den Kriegs- und Finanz-Cassen und dem Gepäcke des Gefolges, endlich die zu Fuß nachlaufenden Diener der Suite. Den Schluß bildete die sogenannte Escadron der Legitimität durch Zumalacarregui aus den vielen überzähligen oder für die Linie untauglichen Cavallerie-Offizieren gebildet, die sich bei ihm gemeldet. – Ihnen war die Standarte der schmerzenreichen Jungfrau (N. S. de los Dolores, Generalisima de Carlos V.) anvertraut, gestickt von der jetzigen [45] Königin, damaligen Prinzessin von Beyra. Das ganze königliche Gefolge nahm oft eine halbe Legua ein. Wie sehr dieser lange Zug schnelle Märsche und Kriegsoperationen hinderte, kann man leicht denken.
Nach zwei Stunden Marsch kamen wir durch Tolosa, eine freundliche Stadt in einem engen Thale am Oria; dann schlugen wir die Straße nach Navarra ein. Zwei Stunden darauf langten wir in Betelu, einem kleinen Dorfe, an, wo der König Halt machte. Den ganzen Tag vernahm man starkes Feuern in der Richtung von Hernani. Evans war aus San Sebastian gerückt, hatte die Höhen von Amezagaña besetzt, bei Oriamendi Posto gefaßt und schickte sich an, Hernani zu attaquiren. Die schwachen königlichen Streitkräfte an diesem Orte waren genöthigt bis zu letzterer Stadt zu repliiren. Alles stand auf dem Spiel. Das Eindringen in Hernani hätte die Brücke von Andoain, die nicht zerstört worden, gefährdet und die Besetzung von Tolosa uns Guipuzcoa entrissen. Die combinirte Operation, die der Feind damals unternahm, verdient alles militairische Lob, und ohne die ebenso kühne als schnelle Bewegung des Infanten war es um die carlistische Sache geschehen.
[46] Die drei christinischen Generale sollten nämlich an ein und demselben Tage von drei Seiten bis in’s Herz der carlistischen Bezirke eindringen. Hiezu war eine Mitwirkung aller feindlichen Streitkräfte auf den 14. März festgesetzt. Evans, mit der aus 12,000 Mann bestehenden englischen Hülfslegion, verließ, wie erwähnt, an diesem Tage San Sebastian, nachdem er an den vorhergehenden uns in beständigem Alarm gehalten. Ihm gegenüber standen nur sechs guipuzcoanische Bataillone unter dem zweiten General-Commandanten dieser Provinz, Yturriza, dem Brigadier Yturriaga und den Obersten Alzáa und Yturbe. Espartéro andererseits war, wie ebenfalls gesagt worden, aus Bilbao in der Richtung von Durango aufgebrochen, während Sarsfield mit der navarresischen Armee die mobile Colonne des Infanten in Schach halten und gleichzeitig die Baranca de Araquil und die Thäler von Estella bedrohen sollte. Wäre diese wirklich strategische Combination nur von einigem Erfolge gekrönt worden, so konnte Evans Tolosa und die ganze Heerstraße nach Vitoria besetzen, während Espartéro die biscayischen Thäler und durch sie die Hauptstraße von Bilbao nach Tolosa ohne Schwertstreich [47] nahm. Die vereinten Kräfte des Feindes wären sodann über das carlistische Navarra hergefallen und hätten mit einem Schlage das Hauptfoyer der royalistischen Sache zerstört. So war die Lage der Dinge am 13. Morgens; doch beeilte sich Sarsfield zu sehr und unternahm seine Demonstration bereits an diesem Tage, statt am folgenden 14., worauf der Infant mit der navarresischen Division und der mobilen Colonne von 9 Bataillons, 2 Escadrons und einer Batterie gegen ihn vorrückte. Dieß schien Sarsfield nicht vermuthet zu haben; er wollte sich wahrscheinlich so bedeutenden Streitkräften gegenüber in kein ernstes Engagement einlassen und zog sich daher bis hinter Pamplona zurück. Da ließ der Infant als Beobachtungscorps am meist vorgerückten Punkte die navarresische Division unter Garcia und Zaratiegui, zog in aller Stille mit der mobilen Colonne ab, passirte das Thal von Yrurzun, den Engpaß und das Fort de las dos Hermanas, welches diese Thäler abschließt, und traf unvermuthet am 15. Mittags in Betelu wenige Stunden nach dem Könige ein. Es war höchste Zeit, denn Espartéro, in Durango eingerückt, schickte sich an, das Flußgebiet der Deba und die Thäler von [48] Ermua, Eybar und Plasencia zu besetzen, in denen unsere Waffenfabriken gelegen, während andererseits die guipuzcoanischen Bataillons in und um Hernani sich gegen vierfach überlegene Truppen nur mehr mit Verzweiflung vertheidigten. Bereits war die Schanze von Oriamendi mehrmals angegriffen und am Abend des 15. genommen worden; am nächsten Morgen sollte schweres Geschütz aus San Sebastian anlangen, und hätte der Infant nur etwas gezögert, so wäre am 16. Hernani gefallen. –
Man kann sich vorstellen, mit welchem Jubel der junge Feldherr empfangen wurde, der auf eine so glückliche Weise seine militairische Laufbahn zu beginnen schien. Nie werde ich den Moment seiner Ankunft vergessen; er war den ihn begleitenden Truppen vorgeeilt und kam in gestrecktem Galopp an der Spitze einer Escadron Lanciers herangesprengt. Die größten Illustrationen des königlichen Heeres umgaben ihn, jene kühnen Häuptlinge, die damals die Aufmerksamkeit Europa’s auf sich zogen. Ich sah die meisten dieser Männer vor mir stehen, von denen ich so viel gelesen, so lange geträumt hatte; den noch jugendlichen Villarreal, den Gefährten Zumalacarregui’s, [49] der in drei Jahren vom Hauptmann zum Generallieutenant sich geschwungen; – den greisen Moreno, auf dem der Haß aller Liberalen ruhte, damals Chef des Generalstabs und Seele aller Operationen; – den Grafen von Madeira, den Helden zweier Welttheile, der bis zum letzten Augenblick seine Insel gegen die vereinten englisch-pedristischen Flotten vertheidigt, und, nun er für Dom Miguel nicht mehr kämpfen konnte, in Erwartung besserer Tage seinen Degen Carl V. geweiht; – den Pfarrer Merino und Cuevillas, die beiden alten Bandenführer aus dem Independenz-Kriege; – Pablo Sanz, einen noch sehr jungen General und unter Zumalacarregui berühmten Bataillons-Chef; – General Elio, den feinen jugendlichen Militairsecretair des Infanten; durch wenige Tage commandirenden General zur Zeit unserer letzten Agonie; eine der anziehendsten Erscheinungen in unserm Feldlager; – die Obersten Cyprian Fulgosio und José Cabañas, zwei ausgezeichnete Generalstabs-Offiziere; – Tomas Reyna, den Lieblings-Adjutanten Zumalacarregui’s, der ihm sein Schwert vermacht, und der am unglücklichen Schlachttage von Mendigorria in fünf verzweifelten Chargen den König [50] und das Heer rettete; – die beiden Brüder Montenegro, damals Chefs der Artillerie; und noch viele andere, meist junge, zum Theil schon berühmte Offiziere. Es sind noch nicht ganz vier Jahre, seit dieser 15. März vorüber gegangen, und wie viele von ihnen sind nicht mehr! Moreno, Sanz und Cabañas ermordet, der Graf von Madeira und Fulgosio an den Folgen ihrer Wunden gestorben, die Uebrigen führen meist ein elendes und kummervolles Leben in französischen Depôts, mit Noth ringend, von den Ihrigen getrennt. Damals, als ich sie zuerst sah, waren sie im Glanze ihres Ruhmes und voll der gerechtesten Hoffnungen.
Nach zwei Stunden Rast, der mobilen Colonne gegönnt, setzte sich der Infant in Bewegung. Wir marschirten bis Tolosa, wo wir über Nacht blieben.
Donnerstag den 16. März 1837 brach der Infant Don Sebastian um 4 Uhr Morgens auf, an der Spitze von 9 Bataillons, 2 Escadrons und 4 leichten Geschützen. Der Morgen graute eben, und der wolkenlose Himmel versprach einen schönen Tag. Wir marschirten in feierlicher Stille. Jeder Soldat schien von der Wichtigkeit des Moments durchdrungen. Unterwegs [51] kamen einige Ordonnanzen aus Hernani, worauf der Marsch beschleunigt ward. Als wir durch Andoain zogen, das öde und leer vor uns lag, war es vollends Tag geworden. Schon vernahm man starkes Feuern und der Horizont erglühte in heller Röthe. Von der Höhe von Urnieta konnte man das gedehnte Rollen des Kanonendonners deutlich unterscheiden, auch war das Feuer anhaltender geworden. Da begehrten die Soldaten, vom angestrengten Marsch ermüdet, eine Stunde Rast. Villarreal blickte nach der Sonne und wies auf das von Rauchwolken umgebene Hernani: „Ja! aber dann ist es zu spät,“ erwiederte er ruhig, und die Soldaten setzten eifrig ihren Marsch fort. Als die Feinde die ganze lange Heerstraße mit Carlisten bedeckt und an der Höhe immer frische Truppen erscheinen sahen, fingen sie an zu wanken. Auf diese Verstärkung hatten sie nicht gerechnet. Nach einer Stunde waren wir auf dem Schlachtfelde. Alle Positionen des Feindes wurden auf einmal mit dem Bajonett angegriffen, und in einem Nu war er aus allen geworfen. Evans repliirte bis zur Schanze von Oriamendi. Das Grenadier-Bataillon, die Elite des Heeres, stürmte auf der Heerstraße, das erste und fünfte [52] von Guipuzcoa und die beiden von Aragon griffen am linken Flügel, von der Höhe von Santa Barbara aus, die Schanze von Oriamendi und ein dabei gelegenes fortifizirtes Haus an, welches genommen und eine darin befindliche Compagnie vom Regimente Oviedo gefangen wurde. Während dessen attaquirten am rechten Flügel die Brigadiers Sopelana und Yturriza mit einigen alavesischen und guipuzcoanischen Bataillons die Brücke von Ergobia, welche durch die englische Brigade Chichester dominirt wurde. Der Kampf an der Schanze von Oriamendi dauerte fort, und bereits sah sich Evans auf dem Punkte sie aufgeben zu müssen, als ein Bataillon brittischer Marine schleunig herbeieilte und sie besetzte. Schon fingen die Unsern zu zaudern an; doch ein neuer Angriff, und die englischen Marine-Truppen sahen sich isolirt. Die Legion war in vollster Déroute, so daß den Ersteren nichts übrig blieb als ihre Stellung aufzugeben. Es war 5 Uhr Nachmittags. Sobald wir Herren der Schanze von Oriamendi, des wichtigsten Punktes, waren, sah Evans, daß er sich nicht länger halten könne, und befahl allgemeinen Rückzug. Als dieß bekannt worden, ward die Flucht allgemein. Es war [53] kein disciplinirtes Heer mehr, das einen Rückzug antritt, sondern die zügelloseste Bande. Nie seitdem habe ich die jüngsten Rekruten so laufen sehen. Der Infant befahl auf allen Punkten den Feind zu verfolgen, und in wildem Jagen ging es den rothen Röcken nach. Viele wurden gefangen, die meisten gleich niedergemacht. So kamen wir dicht hinter den Flüchtlingen bis zu einer fortifizirten Linie, welche die Feinde vor San Sebastian inne hatten. Da setzten die englischen Kriegsschiffe alle ihre Truppen schnell an’s Land, und in langen dunkeln Massen stellten sich diese auf die Linie zwischen uns und das geschlagene Heer. Wenn die englischen Marine-Truppen uns an jener Linie nicht einer Mauer gleich aufgehalten hätten, so kamen Sieger und Besiegte zu gleicher Zeit bis innerhalb San Sebastian. – Um 6 Uhr Abends ritt der Infant über das Schlachtfeld, dessen Herren wir geblieben waren. Sterbende und Todte bedeckten es. Besonders war die Schanze von Oriamendi furchtbar anzusehen. Haufenweise lagen Leichen in rothen Röcken. Spät Abends kehrten die Truppen unter klingendem Spiele nach Hernani zurück. Wir aßen beim Infanten zu Nacht und statteten ihm unsere Glückwünsche für [54] diesen glänzenden Sieg ab, dessen Folgen hätten entscheidend sein können. Gegen Mitternacht kam ich in mein Quartier zurück. Den Soldaten war dreifache Ration, Extra-Löhnung und Wein verabreicht worden, und trotz Märschen und Gefecht tanzten und sangen sie noch auf Plätzen und Gassen und waren in frohester Laune.
Am nächsten Morgen beritt ich das Schlachtfeld; alle Leichen waren über Nacht entblößt worden und lagen nackt da. – Als ich nach Hernani zurückkam, sah ich viele unserer Soldaten, namentlich Guipuzcoaner in den rothen englischen Uniformen einhersteigen, die sie unter ihre grauen Oberröcke angezogen hatten. Diese Manier feindliche Montirungsstücke sich sogleich anzulegen war allgemein üblich, und gab oft unsern Truppen ein sehr buntes Aussehen; auch war es nicht immer aus Noth, da ganz frisch equipirte Bataillons diesem nicht entsagen konnten. Vormittags erließ der Infant einen belobenden und aufmunternden Tagsbefehl; Tedeum ward in der Kirche von Hernani gehalten, und Mittags war große Tafel bei ihm. Gleich darauf gab er Befehl zum Abmarsch und Abends langten wir in Tolosa an. Die Einwohner empfingen [55] uns in enthusiastischem Jubel; die Geistlichkeit und das Ayuntamiento dieser „sehr edeln und getreuen“ Stadt (muy noble y leal villa de Tolosa) erwarteten den Infanten am Thor; die Geistlichen mit Baldachin und Kirchenfahnen, gefolgt von den Mönchen der zwei Klöster und den Brüderschaften; das Ayuntamiento mit vorgetragenen großen silbernen Stäben und voranschreitenden Alguazilen. Sie hatten alle gefürchtet, binnen vier und zwanzig Stunden in die Gewalt der Christinos zu fallen. Die Vergleiche mit Don Juan de Austria und dem großen Condé, den beiden berühmten Siegern aus königlichem verwandtem Geblüte gingen von Mund zu Mund. Don Sebastian ritt einen prachtvollen andalusischen Hengst, goldbrauner Farbe mit langen Mähnen und Schweif, „ächt königlicher Race von Cordova“ (real casta de Córdoba), aus dieser Stadt durch Gomez von seinem Zuge mitgebracht. Der Infant-Generalissimus trug den dunkelblauen carlistischen Oberrock, geschmückt mit dem weißtuchenen Großprioratskreuze von Sankt-Johann und dem goldenen Vließe, weiße Boïna mit schwarzer Troddel und die roth und goldene Feldmarschallsschärpe. Das jugendliche [56] Aussehen des siegreichen Feldherrn, bescheiden alle Glückwünsche und Lobpreisungen ablehnend, gewann alle Herzen. Ihm zur Seite war Moreno, das alte vorsichtige Gegengewicht der raschen Entschlüsse seines Vorgesetzten. Im Freudentaumel des Sieges folgten wir Andere. – Noch mag hier einer Maßregel des Ayuntamiento von Tolosa gedacht werden, die neben ihrer praktischen Seite gewiß auch eine komische hat. Den Gefangenen hatten unsere Soldaten nur das Hemde gelassen. Als sie nun durch Tolosa geführt wurden, hielt das Ayuntamiento einen solchen Aufzug für zu indecent; es wurden sonach Listen der Einwohner, die für geheime oder sogenannte friedliche Christinos (Christinos pacificos) galten, angefertigt, und diese durch die Alguazile genöthigt, die erforderlichen Beinkleider herbeizuschaffen.
Am nächsten Morgen verließen wir Tolosa, an der Spitze der mobilen Colonne, und ritten auf der großen Straße die nach Bilbao führt, in einem reizenden, sehr bergigen Landstriche, bis wir nach etwa vier Stunden Aspeitia erreichten, das Hauptquartier für diese Nacht. Der folgende Tag wurde leider in diesem übrigens ganz angenehmen Städtchen zugebracht. Diese Verzögerung [57] kann für einen großen Fehler gelten, da wir unbedingt Espartéro ohne Aufenthalt hätten aufsuchen und Schlacht anbieten sollen. Es sind später dem bittern Tadel des Königs allerlei Gründe hierüber entgegengestellt worden, unter andern Mangel an Munition und Ermüdung der Truppen. Keiner derselben scheint zureichend. Unter Zumalacarregui schlug man sich oft, wenn jeder Soldat nur vier Patronen bei sich führte, und war doch des Sieges gewiß; das Bajonnett ersetzte das Fehlende. Die wahre Ursache ist wohl in der Scheu zu suchen, vor dreifach überlegenen Kräften die Lorbeeren des letzten Sieges zu gefährden.
Am 20. setzten wir uns in Bewegung und durchzogen das zaubervolle Thal von Aspeitia. Es war so fürchterliches Wetter, daß wir von der reizenden Gegend, von dem prachtvollen Kloster von Loyola und dem lieblichen Azcoytia nichts sehen konnten. Wir hüllten uns in unsere Mäntel, während eisiger Regen herabströmte, und trabten ziemlich verstimmt einher. Nachmittags ward in Elgoibar Halt gemacht. Einige portugiesische Deserteurs vom Cavallerie-Regiment Chaves, zur Hülfslegion des Vizconde das Antas [58] gehörig, meldeten sich beim Infanten. Ihr Corps stand unter Espartéro’s Oberbefehl und sie kamen aus Durango, welches dieser General nebst den umliegenden Dörfern mit 30 Bataillons besetzt hielt. Das Regiment Chaves ist bekanntlich die beste Cavallerie Dom Miguel’s gewesen. Sein Chef ging mit den ganzen 5 Escadrons, ohne Vorwissen eines einzigen Soldaten, zu Dom Pedro über. Obenerwähnte Deserteurs waren ausgesucht schöne Leute, deren reiche Uniform, nach Art polnischer Uhlanen, gegen die einfache Tracht unserer Lanciers sehr abstach.
Am 21. ward um 3 Uhr Morgens Alarm geblasen, und eine Stunde darauf marschirten wir bei fortdauerndem Regen aus. Als um sieben unsere Avantgarde die ersten Häuser Durangos erreichte, zogen eben die letzten Bataillone Espartéro’s in der Richtung nach Bilbao ab. Wir harcelirten seine Arrieregarde während zwei Stunden unter fortwährendem[WS 1] Zurückziehen derselben. In Zornoza versuchten die Feinde sich zu barricadiren, doch ward ihnen keine Zeit gelassen, und das Plänkeln dauerte während anderer zwei Stunden fort, bis Espartéro auf den Höhen von Galdácano einen Theil seiner Truppen deployirte, den Rückmarsch [59] der übrigen zu decken. Villarreal und Elio stellten sich an die Spitze unserer Colonne und erstürmten die feindlichen Positionen, worauf Espartéro hart verfolgt in ziemlicher Unordnung retirirte. Villarreal fiel mit Blitzesschnelle über ihn her, das Gefecht ward sehr heftig, und Espartéro sah sich genöthigt, die Garnison von Bilbao ausrücken zu lassen, seinen Einmarsch in diese Festung zu schützen. Wir waren bis unter die Kanonen derselben gekommen. Die Thore schlossen sich vor uns und wir marschirten nach Durango zurück, wo Don Sebastian in demselben Hause sein Hauptquartier aufschlug, das Espartéro wenige Stunden zuvor verlassen hatte. – Es hatte oftmals dem Könige als Wohnung gedient, und war mit leidlichen Meubles und einigem Comfort versehen. Espartéro hatte die Galanterie gehabt nichts mitnehmen noch zerstören zu lassen, obgleich seine Leute viel Lust dazu gehabt haben sollen. Der französische Maler Isidore Maguès hat in seinem Werke „Don Carlos et ses défenseurs,“ dieses Haus abgebildet. –
Die Affaire bei Galdácano schloß die achttägige Campagne, in welcher der Infant die vereinten Combinationen [60] der drei feindlichen Heere vereitelt hatte, und es dürfte bei diesem Anlasse nicht unpassend scheinen, einen Rückblick auf den Kriegsschauplatz zu dieser Zeit zu werfen.
Nach langer und vergeblicher, wohl auch ungeschickt geführter Belagerung hatte in Folge der Schreckensnacht von Luchana zu Weihnachten 1836 der König jeden Gedanken an den Besitz von Bilbao aufgeben müssen. Villarreal, der das Heer befehligte, und der Graf von Casa-Eguia, der die Belagerung geleitet, wurden von ihren Posten entfernt. Die Armee war durch die letzten Niederlagen und Mißgriffe demoralisirt, Mißtrauen gegen alle Chefs an die Stelle gläubiger Hingebung und religiösen Enthusiasmus getreten. In allen Bataillons fing man an zu murren, auch die Bevölkerung des von den Carlisten besetzten Landes seufzte unter dem Drucke des langen Krieges. Die Subsidien vom Auslande blieben seit einiger Zeit aus, die Munitionen gingen zu Ende, die Vorrathskammern waren leer, und ein harter Winter störte alle Operationen. Gomez, von dessen Expedition man sich goldene Früchte versprochen, kam ohne Geld, mit herabgekommener Truppe und wenigen Pferden [61] zurück. Ein starkes, wohlgerüstetes feindliches Heer, in Ueberfluß mit allem versehen, umgab uns, verstärkt durch 12,000 Engländer, die 6000 Mann starke Fremdenlegion, die unter Bernelle aus Algier gekommen, und 3000 Portugiesen. Die englische Flotte unter Lord John Hay stellte Mannschaft und Material zur Disposition der feindlichen Generale, so oft sie es begehrten. Die Ebrolinie bewacht und die fortifizirten Plätze Logroño, Haro und Miranda stark besetzt, machten jeden Streifzug in die fruchtbaren castilischen Ebenen beinahe unmöglich. Bilbao, Portugalete, San Sebastian und Passages einerseits, Pamplona und Vitoria auf der andern, selbst das kleine Puente la Reina strotzten von schwerem Geschütze und Vorräthen. Die Landgrenze war durch französische Douaniers, Gensdarmerie und Linientruppen gesperrt, und die See durch englische und spanische Kreuzer fast unfahrbar gemacht. Von allen Seiten war unser armes kleines Land wie hermetisch eingeschlossen. Es schien als sollten die Carlisten von Hunger und Elend aufgerieben werden, wenn sie auch dem Schwerdte des Feindes widerstanden.
Zu dieser Zeit bestanden die carlistischen Streitkräfte [62] in Navarra und den baskischen Provinzen aus ungefähr 30,000 Mann Infanterie, 1500 Reitern und ein paar leichten Batterien. Wenn man bedenkt, daß nach den letzten Zählungen vor Ausbruch des Krieges, Navarra und die drei Provinzen zusammen, nur wenig über 500,000 Einwohner zählten, muß dieß ungeheuer erscheinen. Die Infanterie war bataillonweise organisirt, sehr ungleicher Stärke, meistens zwischen 600 und 800 Mann; nur das der Fremden, aus Deserteurs der Algier-Legion bestehend, war schwächer; es zählte nur 450; – die guipuzcoanischen Bataillone hingegen 850. – Jedes war in zwei Elite-Compagnien (Grenadiere und Voltigeurs) und sechs Centrum-Compagnien eingetheilt; ein erster und ein zweiter Commandant befehligten es; drei Bataillone bildeten eine Brigade; sechs, oft acht, je nach den Provinzen, eine Division. Wir hatten damals auf diesem Kriegsschauplatze 44 Bataillone. Es waren die Guiden und elf von Navarra, die Guiden und fünf von Alava[WS 2], acht von Guipuzcoa, acht von Biscaya, die Grenadiere, vier von Castilien, zwei von Nieder-Aragon (durch Brigadier Quilez nach Navarra gebracht) und zwei von Valencia (aus den von Gomez ausgehobenen Rekruten); [63] endlich das Fremden-Bataillon. Hiebei zählt nicht eine mehr nominelle Truppe, die Volontairs von Madrid, aus jungen Leuten und Greisen, Hofdienern und ehemaligen Beamten dieser Hauptstadt bestehend, zur Vertheidigung der Küste in Bermeo und Lequeitio aufgestellt. Dieß Bataillon war nur sehr schwach. Nächstdem gab es einige Compagnien Invalide, zum Dienst an der französischen Grenze verwendet. Zu diesen hatte der langhaarige Bursche gehört, dessen unmilitairische Erscheinung bei meinem Eintritt in Spanien vor dem Hause des Commandanten in Zugarramurdi mir aufgefallen war. Die Linien-Bataillone trugen durchgängig grautuchene Oberröcke mit Vorstoß von verschiedenen Farben nach den Provinzen, krapprothe oder graue Beinkleider und gute Schuhe. Nur in Catalonien und Aragon waren Sandalen die gewöhnliche Fußbekleidung carlistischer Soldaten, welche bequeme Art bereits mehrere einzelne Corps in Navarra, besonders in Sommerzeit, nachzuahmen anfingen. Die blaue Boïna mit farbiger Troddel war die allgemeine Kopfbedeckung. Nur die Sappeurs, die mit langen Bärten, kurzen Carabinern und umgehängter Art ihren Bataillons voranschritten, trugen scharlachrothe[WS 3] Boïna, [64] die Chapelchuris (fünftes von Guipuzcoa) weiße, und einige portugiesische, den Castilianern incorporirte Compagnien grüne Boïnas. Die Bewaffnung bestand aus vortrefflichen, meist englischen oder französischen, größtentheils dem Feinde abgenommenen Gewehren. Die Cartusche mit 40 Patronen war nach vorne geschnallt, daran steckte das Bajonnett zur Rechten. Statt Tornister hing ein leinener Sack (moral) auf dem Rücken. Diese Tracht und Bewaffnung, die sich vielleicht auf Paradeplätzen nicht sehr zierlich ausgenommen hätte, war für den Gebirgskrieg und angestrengte Märsche zweckmäßig und bequem. Die Cavallerie bestand durchgängig aus Lanzenreitern. Einige Escadrons, wie die erste und zweite von Navarra (Manuelin und Osma) waren vortrefflich, andere höchst mittelmäßig beritten. Die Escadron zählte gewöhnlich 100 Pferde. Ein halber Zug waren Carabiniers, die zwei Pistolen, Säbel, Carabiner oder Tromblon, aber keine Lanze führten. Die übrigen vierthalb Züge waren mit Säbel, Pistolen und Lanze bewaffnet, woran gelb und rothe Flämmchen. Die Lanzenspitzen wurden mit großer Sorgfalt nach polnischem Modell angefertigt, die Säbel gerade oder wenig gekrümmt, mit großen Körben [65] versehen. Die Sättel waren ein Mittelding von der altspanischen Pritsche und dem Dragoner-Sattel, darüber ein Schaffell geworfen. Die Zäumung konnte nur für spanische oder orientalische Pferde passen; sehr lange gekrümmte Stangen nach arabischer Art, und keine Trensen. Die Packung war leicht und gut. Die Cavallerie hatte durchaus scharlachrothe Boïnas, kurze Jacken von braunem, grünem oder rothem Tuche, je nach den Escadrons, meist graue oder krapprothe Beinkleider mit Lederbesatz, weite spanische Reitermäntel mit großen Kragen von hellgrauem Tuche und rothem Umschlag. Die Trompeter trugen scharlachrothe Mäntel. Die Formation der Cavallerie wurde öfters verändert; einigemal regimentirt, dann zusammengeschmolzen, war es nie möglich, ein gehöriges Schema derselben zu entwerfen. Als der Infant das Commando übernahm, bestand sie aus sechs Escadrons von Navarra, einer von Guipuzcoa, einer (starken) von Alava, einer von Biscaya, vier von Castilien und zwei von Aragon (durch Quilez mitgebracht). Hierbei sind die schon erwähnte Offiziers-Escadron und die Garde-Reiter nicht gerechnet. Die Artillerie war der schwächste Theil. Die ersten Kanonen wurden bekanntlich unter [66] Zumalacarregui durch den Obersten Reyna, Bruder des schon genannten Tomas Reyna, in den Bergschluchten der Amescoas, natürlich nur unvollkommen, gegossen. Seither war eine leidliche Fabrik in Oñate angelegt, und eine Artillerie-Schule dort errichtet worden. Später wurden durch einen Schmied aus Vitoria, der in Oñate sich niedergelassen, aus alten Hufeisen einige Kanonen gehämmert. Sie schossen vortrefflich, sahen so blank und zierlich aus, wie englischer Stahl, und waren so leicht, daß ein Sechszehnpfünder nur so viel wog wie ein bronzener Vierpfünder. – Die beiden Brüder Montenegro, tüchtige Artillerie-Offiziere, dirigirten das Ganze. Bei Luchana und dem Rückzuge vor Bilbao gingen mehrere Piecen verloren, und ich glaube, daß im Jänner 1837 die Feldartillerie aus zwei bespannten Batterien bestand, welche mit den unbespannten etwa 16 bis 18 Stück, Vier-, Sechs- und Achtpfünder und kurze Haubitzen ausmachen mochte. Sie ist nie von sehr entscheidendem Erfolge gewesen.
Die befestigten Punkte waren natürlich mit denen des Feindes nicht zu vergleichen. In Navarra zwei Fortins oberhalb Estella mit 8 Geschützen; die Forts [67] San Gregorio, Monjardin, Ziriza und Dos Hermanas, jedes mit 2 Geschützen; am Arga-Flusse bei Belascoain eins und in der Linie von Zubiri 5. In Alava lag unsere stärkste Befestigung, das von Villarreal neu aufgebaute uralte Schloß von Guebara mit 16 Geschützen, ein sehr wichtiger Punkt, dessen Hauptzweck war, die Garnison von Vitoria zu isoliren. In Biscaya auf der befestigten Insel San Nicolas im Hafen von Lequeitio 2, im Schlosse Bermeo eine, und in dem von San Antonio de Urquiola 2 Kanonen. In Guipuzcoa, im Fort du Parc von Yrun 6, im Castell von Fuentarrabia 8, im Kloster von Hernani 4, auf der Schanze von Oriamendi 2, zusammen 63, meist eiserne Kanonen schweren Calibers.
Unter diesen Umständen, die nichts weniger als hoffnungsvoll waren, stellte der König Ende Jänner 1837 seinen Neffen, den Infanten Don Sebastian, an die Spitze des Heeres. Als Chef seines Generalstabs, wohl auch Mentor des jugendlichen Prinzen, ward ihm der General-Lieutenant Don Vicente Gonzalez Moreno zur Seite gesetzt, der seit der Niederlage von Mendigorria, von Cordova auf’s Haupt geschlagen, vom Commando entfernt worden war. [68] Es hat dem Könige gewiß einen harten Kampf gekostet, ehe er Moreno wieder in Thätigkeit versetzte; denn er kannte die Unpopularität dieses Generals in beiden Heeren, wenn ich mich so ausdrücken darf. Moreno’s von Kindheit auf tief eingewurzelte Ideen von militairischer Disciplin, Subordination und schweigendem Gehorsam konnten den unter den Basken schnell aufgetauchten Häuptlingen nicht gefallen. Seine schroffen, ernsten Manieren, das systematische Wesen des alten Soldaten war ihnen im höchsten Grade zuwider. Vielleicht berücksichtigte er auch zu wenig die Elemente des carlistischen Heeres und hielt zu starr auf altspanisches Reglement und militairische Traditionen. Die aus Freicorps und Guerillas-Banden zusammengesetzten carlistischen Bataillone wollten anders geführt werden, als die alten spanischen und wallonischen Garden. Die Folge davon war eine Spannung zwischen ihm und den Basco-Navarresen oder sogenannten Provinzialen. Diese wurde immer ernster, als Moreno Offiziere hervorzog, die, aus guten Häusern, einige Erziehung genossen und bereits unter Ferdinand VII. im stehenden Heere gedient hatten. Diese, größten Theils aus andern Reichen der spanischen Monarchie, bildeten [69] seinen Generalstab. Sie wurden von den Provinzialen als Castilianer bezeichnet. Der Infant hingegen zog sichtbar bei allen Gelegenheiten die Basken und Navarresen vor, zeichnete sie überall aus und schien sich unter ihnen zu gefallen. Als seine Maison militaire gebildet wurde, ernannte er Villarreal, einen Alavesen, zu seinem ersten General-Adjutanten; Elio, einen Navarresen und von großem Einflusse in seinem Lande, zu seinem Militair-Secretair, und wählte vier Ordonnanz-Offiziere aus den Stabs-Offizieren Navarra’s und der drei baskischen Provinzen. In den Bureaux des großen Generalstabs wurde das undisciplinirte Wesen der Provinzialen laut getadelt, und in den Salons des Infanten über Moreno und seine Anhänger manche bittere Bemerkung gemacht. Dieß war der kleine Anfang jener unseligen Spaltung und Zwietracht, welche kurz darauf alle militairischen Operationen lähmte und stets zunehmend, namenlose Intriguen, die Entfernung und Absetzung der tüchtigsten Generale, Mord und Verrath, endlich den schmählichen Untergang der königlichen Sache herbeiführte. Wäre der Sieg von Oriamendi benützt worden, ohne Schwerdtstreich hätte Madrid sich dem Könige ergeben. So aber, dem [70] eigenen Glücke mißtrauend, blieb man beinahe zwei Monate in gänzlicher Unthätigkeit unter dem eiteln Vorwande, daß Munitionen fehlten und man organisiren müsse, und ließ dadurch innerem Zwist und Hader freies Spiel. Die Uneinigkeit zwischen den Anhängern des Infanten und denen Moreno’s drohte in Feindseligkeiten auszubrechen. Beide Partheien intriguirten vom Hauptquartiere aus, durch ihre Anhänger im königlichen Hoflager zu Estella, und in der nächsten Umgebung des Monarchen befanden sich Vertraute der beiden Gegner, deren Augenmerk war, jeden hingebenden Moment des Königs zu erlauschen, um zu Gunsten der Ihrigen den Widersachern tödtliche Schläge beizubringen. Die Seele aller dieser Umtriebe war eine kränkliche, halb geheimnißvolle Erscheinung, ein Mann ohne offiziellem Charakter, den man nie am Hoflager des Königs oder in seinem Cabinete, nie in den Salons des Infanten oder den Bureaux des Generalstabs, am allerwenigsten auf Märschen sah. Herr von Corpas war das Prototyp jenes geheimnißvollen Einflusses und der dunklen Gewalt, wodurch in der Stille die größten Staaten minirt werden. So mußten seit Philipp II. alle jene berüchtigten Camarilla-Chefs [71] ausgesehen haben, die sich zwischen König, Minister und Adel stellten, da das Volk für nichts gezählt wurde; absetzten und erhoben, belohnten und hinrichten ließen, ohne daß man sie je bei irgend einem Vorderthore eingehen sah, ohne daß irgend ein Hofkalender ihre Namen enthielt, die man erst nach ihrem Tode oder Verschwinden erfuhr. Denn in Ungnade fielen diese Leute erst in den letzten Zeiten. Noch vor fünfzig Jahren war die Camarilla des Königs von Spanien wie das Land der Lotophagen; einmal darin, kam man nie wieder heraus. Herr von Corpas, ein geborner Granadenser, ward sehr jung Consul zu Faro in Algarbien; doch mußte er von diesem Platze schlechter Streiche halber abberufen werden. Er wurde Minister-Resident in Hamburg. Auch diesen Posten verlor er bald, ohne je von demselben Besitz ergriffen zu haben. Bald ward er in alle Geheimnisse und Ränke der Ferdinand VII. umgebenden Camarilla eingeweiht. In ihre geheimen Sitzungen einzudringen, galt dazumal für sehr schwer; sie wurden meist Abends in einem Hinter-Cabinet gehalten, welches an die Privatgemächer Ferdinand VII. stieß. Die zur Theilnahme designirten Personen wurden nach Einwilligung des Königs auf Vorschlag seines [72] Günstlings Ugarte[1] von demselben eingeladen. Manchmal, wenn irgend eine Person in Privat-Audienz [73] Ferdinand VII. durch sarkastische Bemerkungen oder scabröse Anecdoten unterhalten und ihm gefallen, sagte [74] er ihr wohl am Schlusse, an bestimmtem Tage in die Camarilla zu kommen, und unterließ dann gewöhnlich, seinen Günstling Ugarte hievon in Kenntniß zu setzen. Dieser, der sich Alles erlaubt wußte, nahm sich zuweilen gleiche Freiheiten heraus. Wenn Alle versammelt waren, erschien Ferdinand VII. meist im leichtesten Négligé, eine Cigarre im Munde, sprach mit Diesem und Jenem über die wichtigsten Staats-Angelegenheiten und bedeutendsten Personen, hörte Anklagen, die immer geheim blieben, aber desto sicherer trafen, und von dieser Camarilla aus wurde Spanien regiert. Ein Mal den Eintritt erlangt, konnte man immer kommen, bis man in Ungnade fiel. Ueber Herrn von Corpas’s ersten Eintritt ist mir Folgendes erzählt worden: Er hüllte sich in einen großen Mantel und setzte einen dreieckigen Hut auf, nach Art der betagten Herren, [75] die den Zutritt hatten. An einem Hinterthor des Pallastes lauschte der noch junge Candidat des Eintrittes einiger derselben und folgte unbemerkt, den gebückten Gang des Alters nachahmend, an der Wache vorbei, bis in das Sitzungs-Cabinet. Dort machte er Urgarte’n eine tiefe Verbeugung mit würdiger und erfreuter Miene. Dieser dachte der König habe es so befohlen. Als Ferdinand VII. eintrat und Herrn von Corpas gewahrte, der sich ihm näherte die königliche Hand zu küssen, nahm er an, Ugarte habe ihm bedeutet zu kommen. So ließen es beide geschehen, und Herr von Corpas besuchte fortwährend die geheimen Sitzungen, bald ein thätiges und gewandtes Mitglied. Bei der bekannten Sorglosigkeit Ferdinand VII. währte es lange bis diese strafbare List herauskam, und da war Herr von Corpas Ugarte’n schon so nothwendig geworden, daß er ihn nicht mehr entbehren konnte. Zur Constitutions-Epoche entfloh er nach Frankreich und nahm den (1836 ermordeten) General Quesada mit. Er wußte sich so in Gunst zu erhalten, daß, nach Wiederherstellung der alten Ordnung der Dinge, er 1825 durch den Einfluß seines alten Gönners Ugarte zum Gesandten [76] in der Schweiz ernannt ward. Nach dem Sturze Zea Bermudez’s verlor er seinen Posten durch den Herzog von Ynfantado. Als er nach Madrid zurückkam, wollte Ferdinand VII. ihn nicht sehen und verwies ihn nach Sevilla, wo er bis zum Tode dieses Königs blieb. Er verband sich daselbst mit einigen bekannten Carlisten und versuchte Andalusien für deren Sache zu gewinnen. Als es mißlang, flüchtete er nach Portugall und später nach Frankreich. Seit einiger Zeit auf dem Kriegsschauplatze angelangt, lebte er in Tolosa. Herr von Corpas war beinahe nie in directer Verbindung mit dem Könige, der ihm persönlich abgeneigt war und seine schlechten Streiche am besten kannte. Vergeblich waren die wiederholten Versuche seiner Anhänger, ihm das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten zuzuwenden. Bei dem ersten Gerüchte von der Möglichkeit dieser Ernennung hatten die Hauptagenten Carl’s V. im Auslande sogleich geschrieben, sie würden in diesem Falle ihre Stellen niederlegen. Am heftigsten drückten sich der Marquis von Labradór in Paris und der Graf Alcudia in Wien aus. – Herr von Corpas vermochte Alles, nur nicht sich in das Conseil des Königs zu [77] bringen. Er war ein Mann von eminenten Geistesgaben, ungeheurem Gedächtniß, führte eine vortreffliche Feder, sprach mehrere Sprachen mit Gewandtheit, und war stets der feinsten Ränke voll, die er aus einzelnen Fäden spann und ihren Erfolg mit großer Sicherheit einleitete. Er übte entscheidenden Einfluß auf drei damals sehr bedeutende Männer. – Einer von ihnen ist todt, den beiden Andern dürfte es vielleicht nicht angenehm sein, hier genannt zu werden.
Vielen mag die Erscheinung einer solchen geheimen Triebfeder, eines Intriguanten von Métier, etwas comödienhaft und gesucht, wohl auch mittelalterlich erscheinen. Sie paßt gewiß nicht auf das übrige Europa, doch ist Spanien, mit seinen guten und bösen Seiten, seit Philipp II. das Land des Stillstandes gewesen. Die politischen Stürme die das Nachbarland heimsuchten, hatten sich in den Pyrenäen gebrochen. Spanien hat keine jener Uebergangsperioden erlebt, welche zwischen großen Bewegungen und ruhigen Zuständen gewöhnlich Statt finden. Deßhalb steht hier sich alles schroff gegenüber: religiöser Fanatismus und freigeisterischer Unglaube, absoluter Royalismus und republikanischer Freiheitsschwindel. Der Hauptfehler [78] der auswärtigen Regierungen und der beurtheilenden Publizisten bestand in der Tendenz, den Charakter der eigenen Nation als Basis ihres Urtheils über Spanien anzunehmen. Auf dieser Unkenntniß beruhte die Mißbilligung aller exceptionellen Handlungen, die weder in Lob noch Tadel mit denen anderer Nationen verglichen werden dürfen. So ist meine innigste Überzeugung, daß zur Zeit, von der die Rede ist, unter den beiden sich so feindlich entgegenstehenden Partheien kein einziger Verräther, auch nur in Gedanken, sich befand, obwohl man dieses Wort sehr oft hören mußte. Hätte man alle diese Leute dem Feinde gegenüber stets beschäftigt, würde die Zeit zum Intriguiren ihnen gefehlt haben. So aber gingen kostbare Momente verloren; die Feinde erholten sich von ihrer Bestürzung, der Sieg von Oriamendi blieb ohne Folgen, und als man sich endlich entschloß, eine größere Operation zu unternehmen, trug diese im ersten Entstehen den Saamen ihres Verderbens.
Am Tage nach der Affaire von Galdácano verließ der Infant Durango und verlegte sein Hauptquartier nach Azcoitia, wo wir acht Tage blieben. Dieses freundliche Städtchen liegt am Eingange eines [79] reizenden Thales, in dessen Mitte sich das prachtvolle Kloster mit der Kirche von Loyola erhebt. Am anderen Ende des Thales sieht man Aspeitia. Schroffe Felsen umgeben es von zwei Seiten, dunkle Marmormassen, aus denen die Säulen für Loyola gehauen worden. Die Heerstraße durchzieht es in seiner ganzen Länge, von lieblichen Gärten und grünen Matten begränzt. Die Einwohner gelten für den schönsten Schlag der drei Provinzen. Nie habe ich in der That eine größere Menge hübscher Frauen gesehen. Am Sonntage nach der Kirche, wenn sie sich zu Hunderten auf dem Platze versammelten, oder unter den kühlen Arkaden einhergingen, war oft unter so vielen nicht eine häßliche Gestalt. Schlanke Taillen, kleine Füße, und unter der schwarzen Mantille so regelmäßige Züge, dunkle, feurige Augen von langen Wimpern beschattet! Wir gefielen uns sehr wohl in Azcoitia. Ich bewohnte das Haus des Marquis de Narros, von dessen liebenswürdiger Familie ich auf das herzlichste aufgenommen ward. Der Pallast des Herzogs von Granada de Ega war für den Infanten hergerichtet und mit allem reichlich versehen. Ein großer Speisesaal mit Gallerie, von der das Thal wie ein [80] Panorama sich ausbreitete, versammelte uns täglich zu einem vortrefflichen Diner. Der Infant, der sehr liebenswürdig sein konnte, hatte sich gänzlich der im Felde so lästigen spanischen Etiquette entschlagen. Er sah täglich an seinem Tische seine Maison militaire, und die höheren Offiziere, die mit Meldungen im Hauptquartier eintrafen. – Mit den jungen Herren seiner Umgebung war er, selbst im Dienste, sehr nachsichtig und oft gern bereit, an unseren Scherzen und Vergnügungen Theil zu nehmen. Er ist – für einen spanischen Prinzen eine wahre Seltenheit – wissenschaftlich vielseitig gebildet, spricht mehrere Sprachen mit Gewandtheit und cultivirt Musik und Malerei nicht ohne Erfolg. Bei den bescheidensten Manieren, die ich besonders Gelegenheit nahm zu beobachten, wenn ich ihm fremde Offiziere vorzustellen hatte, gab er doch immer, auch mitten in der eifrigsten Controverse, Beweise eines sehr feinen Gefühles für Anstand und Decorum. Nie durfte in seiner Gegenwart ein leichtfertiges Wort über Religion oder Frauen ausgesprochen werden; eher litt er den bittersten politischen oder militairischen Tadel über wichtige Ereignisse und hohe Personen, nur den König ausgenommen, [81] von dem er, selbst zur Zeit, als er sich am Meisten über ihn hätte beklagen können, nur in den Ausdrücken hoher Ehrfurcht sprach. – Wenn manchmal Jemand aus seiner Umgebung sich durch die hingebende Freundlichkeit des Prinzen zu mehr Familiarität berechtigt glaubte, wußte er ihn schnell und treffend zurecht zu setzen. Einst discutirte er ziemlich heftig mit einem Häuptling, der sich so weit vergaß, dem Infanten eine Wette über den streitigen Punkt mit der nonchalanten Redensart: „Vamos, que apostamos?“ (Allons, was wetten wir?) vorzuschlagen; worauf der Prinz lächelnd erwiederte: „Man hat mich zu discutiren, nicht aber zu wetten gelehrt.“
In Azcoitia lebten wir vortrefflich; Billards, Salons, kurz es fehlte an nichts, und wir waren so ruhig und vergnügt, als wären wir auf hundert Meilen vom Kriegsschauplatze oder des Erfolges gewiß. Täglich ward spazieren geritten und ich hatte Gelegenheit, jenes erwähnte berühmte Kloster in allen Details zu sehen. Es ist durch Carl II., den letzten König aus dem Hause Habsburg, erbaut worden. Sein Wappen, in weißem Marmor und Gold, prangt über dem Eingangs-Portal. Das Klostergebäude wölbt [82] sich in kühnen Bogen über dem Geburthause des heiligen Ignatius, das ärmlich aus Backsteinen und Holz zusammengefügt, durch die gewaltigen Quadern des Conventualhauses wie ehrfurchtsvoll umgeben und vor den Unbilden des rauhen Wetters geschützt wird. Das Haus des Heiligen ist mit seinen Gemächern ganz in dem Zustande gelassen, wie er es bewohnte. Die Zelle des großen Stifters nimmt sich sehr klein und eng aus, im Vergleiche zu den hohen Sälen, langen Gängen, breiten Treppen und den vielen herrlichen Räumen, die von diesem Centralpunkte auslaufen, als wollten sie in ihrer Größe auf ihren geringen Ursprung deuten. Es liegt ein tiefer Sinn in dieser Verehrung der armen Klause des Meisters durch die mächtig gewordenen Schüler. Wie viele Lehren wurden hier gegeben, die auf Tausende von Meilen, an allen europäischen Höfen oder auf der anderen Seite des Weltmeeres Wurzeln faßten und Früchte trugen. Als ich diese Hallen betrat, war es mir, als sei ich lebend von der Geschichte der letzten Jahrhunderte umgeben, und eine heilige Scheu erfaßte mich.
Der Prior von Loyola, Don Manuel Gil, einer der ausgezeichnetsten Männer Spaniens, war [83] mit dem Infanten auf vertrautem Fuße. Er erkannte klar die Zustände, wodurch die königliche Sache gelähmt ward, und betrauerte die innere Zwietracht, welche ihr Verderben drohte. In Bossuet’s Sinne, „l’ange de bon conseil,“ waren seine Rathschläge milde und versöhnend. Weit entfernt von jenem blinden fanatischen Eifer, welcher der spanischen Geistlichkeit vorgeworfen wird, oder von der ränkesüchtigen Politik, die vielgelesenen Schriftstellern zufolge seinen Orden bezeichnen soll, war es der Oelzweig und nicht der Lorbeerkranz, den er in Carl’s V. Hand sehen wollte. „Marti pacifero“ sollten die Ovationen in der pyrenäischen Halbinsel gebracht werden. Leider wurde er zu selten befragt und sein Rath zu wenig befolgt. Ungerufen gab er ihn nie, zeigte sich nur einigemal am Hoflager und widmete seine Zeit der Erziehung von sechszig Jünglingen aus den ersten Familien der drei Provinzen, die für Heer und Staatsdienst in seinem Kloster ausgebildet wurden. Einige gelehrte und ausgezeichnete Männer seines Ordens standen ihm hierbei zur Seite. Er hatte sie dazu berufen, den einen aus Belgien, den andern aus Südamerika, einen dritten aus Rom. – Seit Carl’s II. Tod ist das Kloster [84] von Loyola unausgebaut geblieben. Carl V. gelobte es zu vollenden, wenn er den Thron seiner Väter bestiege. Die jetzige Regierung hat es vor Kurzem aufgehoben.
Es scheint mir hier am Orte zu sein, einige Worte über die spanische Geistlichkeit zu sagen. Man wird im Verlauf dieser Erinnerungen finden, daß ich glaube, öfters das Einmischen der ultra-apostolischen Partei in Staatsangelegenheiten und Intriguen als schädlich bezeichnen und tadeln zu müssen. Doch darf dieß ja nicht auf die ganze spanische Geistlichkeit ausgedehnt werden, sondern gilt nur allein von einigen am Hoflager, in der Umgebung des Königs und in den verschiedenen Provinzial-Junten befindlichen fanatischen und intriguanten Mönchen. Der spanische Clerus im Allgemeinen ist die treueste, festeste, sicherste Stütze König Carl’s und seiner Sache gewesen. Er hat geholfen das Volk zu den Waffen rufen, hat Vertrauen in unsere Siege, Glauben an unsere Zukunft den Anfangs noch schüchternen Anhängern der Legitimität eingeprägt. Die Existenz des Clerus, so innig an den Triumph der königlichen Sache geknüpft, gab auch dem letzten Dorf-Caplan hinreißende Beredsamkeit, wenn von der Kanzel herab [85] er den Kreuzzug zur Vertheidigung des Altars und Throns predigte, und am Altar die Waffen der ausziehenden Freiwilligen einsegnete. – Wem ist es je eingefallen, den großen Antheil zu leugnen, den der spanische Clerus an den Siegen gegen Napoleon gehabt? Dieselben feurigen Reden und furchtbaren Verwünschungen, die damals gegen die Franzosen ausgestoßen wurden, galten nun den Christinos. Laut in allen Kirchen carlistischer Districte, und leise in den Beichtstühlen der vom Feinde besetzten Plätze, wurden göttliche Strafgerichte auf unsere Feinde herabgerufen; diese als Atheisten, Gotteslästerer und Heiden der Execration aller zukünftigen Geschlechter Preis gegeben. – Wie viele ehrwürdige Geistliche habe ich als Feld-Capläne gekannt, die im Feuer unter den ersten, zu den eben Niedersinkenden sich beugten und ihnen den letzten Trost einsprachen. Wie viele sind verwundet, getödtet, vom Feinde gefangen, grausam niedergemacht worden. Jeder Carlist weiß sich auf den Fray Guillermo in Andoain zu erinnern, der stets in der Kutte ins Feuer ging, auf den Generalstabs Caplan Pater Ramon, der bei Oriamendi in den Arm geschossen wurde, auf den alten Feld-Vicar [86] der ersten Division von Catalonien, Fray Ignacio, der beim Rückzug aus dem Thal von Aran (December 1838) vom Feinde in Esterri ergriffen, sogleich in Stücke gehauen ward. Am Tage eines Gefechtes waren diese frommen Väter rührend zu sehen, wenn sie vor ihren Bataillons die Gebete abhielten, für den Sieg und für die, welche am Abende nicht mehr sein würden, während vor der feindlichen Linie die Branntwein-Cantinen aufmarschirt wurden.
Am zweiten Tage unseres Aufenthaltes in Azcoitia traf die Nachricht ein, daß während Espartéro nach Bilbao zurückgedrängt worden, Garcia und Zaratiegui mit der navarresischen Division den General Sarsfield bei Pamplona geschlagen hatten. In der Umgebung Don Sebastian’s war man darüber sehr erfreut und ließ die Navarresen hoch leben.
Abends wurden dem Infanten die Listen von mehr als 150 Deserteurs vorgelegt, die sich in den letzten vierzehn Tagen bei den königlichen Vorposten gemeldet; darunter viele Fremde von der Algier-Legion. Dieses Corps, anfänglich 6000 Mann stark, war wie eine willenlose Heerde von der französischen [87] Regierung der spanischen verkauft worden. Eines Morgens wurden sie alle bei Oran eingeschifft und an der catalonischen Küste bei Taragona ans Land gesetzt. Ihr Führer, General Bernelle, zog jedem Soldaten einen Theil der ihm zustehenden Gratification ab, und bildete mit diesem Gelde drei Escadrons. Diese ganze Truppe bestand aus dem unglaublichsten Gesindel aller Nationen; es waren die leibhaften Lansquenets unserer Zeit. Sämmtlich Deserteurs und meist Leute, die nie mehr in ihr Vaterland zurückkehren durften, gab es auch manche unter ihnen, die irgend ein schweres Vergehen, wohl auch schauderhaftes Verbrechen auf dem Gewissen hatten. Das Leben eines jeden Einzelnen war ein eigener Roman, in dem es an interessanten Abenteuern, Flibustierstreichen und dramatischen Scenen nicht fehlte. Wo seit 20 Jahren in der alten und neuen Welt eine kriegerische Kugel pfiff, waren ihrer bestimmt mehrere. Algier, die belgische Revolution, Dom Pedro und Dom Miguel, die brasilianischen Fremden-Regimenter, die Republiken im Centrum von Amerika, die holländischen Colonien, die polnischen Insurgenten, die italienischen Unruhen, Mehemet Ali und der griechische Freiheitskrieg, die französischen [88] Truppen im Senegal und die der englischen Compagnie in Ostindien, ja sogar Abdel Kader, – dieß alles hatte seine Repräsentanten in der Fremden-Legion, und ein Historiograph derselben würde, durch tausend grauenhafte Skizzen, aus dem Leben dieser Leute gegriffen, die Einbildungskraft aller neueren Romanciers weit hinter sich gelassen haben. Die meisten von ihnen waren Deutsche, und sonderbarer Weise unter diesen die Rheinländer und Schwaben überwiegend. Noch besinne ich mich eines hagern Burschen von Oehringen, der, noch in christinischen Diensten, in Catalonien todtgeschossen werden sollte, weil er in einer Kirche einen silbernen Christus vom Kreuz riß und stahl. Er betheuerte mir später, es sei ihm dabei unheimlich zu Muthe gewesen, doch habe er dies unterdrückt, da der Christus von massivem Silber schwer gewogen hätte. – Die Deutschen waren leicht kenntlich an ihren blonden Haaren und aufgeschossenem Wuchse. Meist mürrisch, ewige Raisonneurs, waren sie unmäßig im Essen und vorzüglich im Trinken, und sangen auf Märschen stets leichtfertige Lieder, wobei sie nicht ermangelten den Spaniern weiß zu machen, dies seyen ihre National Hymnen. Dabei waren sie sehr brauchbare, unermüdliche Soldaten, und hatten [89] ihre Waffen stets in bester Ordnung. Dieses Bild paßt jedoch nur auf die sogenannten Argelinos (Algier spanisch Argel)[2] oder Algierer Fremden-Legion, deren Typus nun wohl größten Theils von der Welt verschwunden ist, da Afrika und Spanien ihr das Garaus gegeben.
Die englische Hülfs-Legion hingegen bestand aus feigem und zum Kriegsdienste in jedem Bezug ganz untauglichem Volke, dem Abschaum der Straßen Londons; sie wußten ihre Waffen kaum zu gebrauchen und waren nur im Zustande der Trunkenheit ins Feuer zu führen. Einst hatte man in San Sebastian, bei Austheilung rückständiger Löhnung, die Berechnung so ungeschickt gemacht, daß ungefähr 300 Mann leer ausgingen, die augenblicklich zu uns desertirten. Man war im Hauptquartier in größter Verlegenheit, was man mit diesen [90] Leuten anfangen solle, bis endlich man dem Kammerherrn des Infanten Don Sebastian, Obersten Merry, das Commando übergab, der, von englischen Eltern, mit ihnen zu sprechen wußte. Doch schon nach acht Tagen bat dieser flehentlich, man möge ihn lieber in den sichersten Tod schicken, als länger an der Spitze seiner halben Landsleute lassen. Unter seiner langen Reihe von Recriminationen und Beschwerden sind mir folgende als besonders charakteristisch aufgefallen. Es war ein Preis von einem Piaster auf jedes dem Feinde abgenommene Gewehr gesetzt. Nach einem kleinen Engagement brachten dem Obersten Merry viele seiner Engländer Gewehre, was ihm im ersten Augenblick weiter nicht auffiel, da doch jeder sein eignes Gewehr zugleich mit vorwies. Am andern Morgen beim Ausrücken fand sich jedoch, daß durch gemeinschaftliches Abkommen jeder dieser neuen Industriels das Gewehr eines Cameraden – der vor der Thüre des Obersten des Ausgangs harrte – verkauft hatte, worauf über Nacht der Piaster von den beiden Contrahenten in bester Eintracht vertrunken ward. Beim Einrücken in ein gut gesinntes carlistisches Dorf reichten sie sich einst zum Fenster hinaus die [91] Hausgeräthe ihrer Wirthe, und zwangen dann die Nachbarn sie ihnen abzukaufen. Vergebens versicherte Merry er habe über 300 Peitschenhiebe per Mann seiner halben Truppe austheilen lassen. Die wurden mit stoischem Gleichmuth ertragen, und der Unfug von vorn angefangen. – Man entwaffnete diese saubre Truppe und schaffte sie unter Escorte über die Grenze.
Was die Argelinos jedoch anbetrifft, so schlugen sie sich vortrefflich und sparten ihre Munition mit dem kalten, berechnenden Muthe jener Menschen, die nichts zu hoffen und alles zu befürchten haben. Die fremden Truppen waren bekanntlich durch das Decret von Durango von jeder Convention ausgeschlossen. Ueber diese Maßregel ist besonders in der englischen Presse und dem Parlamente wüthend perorirt worden. Sie mag allerdings mit den gewöhnlichen Begriffen von Menschlichkeit nicht in Einklang zu bringen sein; doch hatte das Jahr 1836 eine so große Masse arbeitsscheuen und herrenlosen Gelichters aller Nationen in die feindlichen Reihen geführt, daß zu befürchten stand, alle Regierungen würden auf diese Weise sich der unruhigen Hefe ihres Pöbels entledigen wollen. Das Decret von Durango hat diesen Werbungen ein Ende gemacht. [92] Die wenigen Krüppel, welche ihre Heimath erreicht, und namentlich in London das Hôtel des spanischen Bothschafters belagerten, ihren rückständigen Sold zu fordern, sind ein Beweis für die Zweckmäßigkeit dieser Ausschließung. Ich will hiermit nicht sagen, daß so viele Gefangene wirklich wären fusillirt worden, sondern nur, daß das Decret von Durango, einmal bekannt geworden, diesem Volke die Lust benahm, in christinische Dienste zu treten. Was die practische Anwendung des Decrets anbetrifft, so war sie nie von so großen, allgemeinen Folgen, als man, liberalen Blättern zufolge, gern glauben möchte; aber es imponirte. – Die französische Hülfslegion wurde meist auf den Schlachtfeldern von Huesca und Barbastro, die englische wohl großentheils durch Unmäßigkeit zu Grunde gerichtet. –
Am 29. März, als dem Geburttage des Königs, ward vor Loyola Revue über die mobile Colonne gehalten, und am 31. das Hauptquartier nach Tolosa verlegt. Dort blieb es einen Monat, während welchem ein Austausch von Gefangenen mit Espartéro vorgenommen ward. Als die freigewordenen Offiziere, 65 an der Zahl, dem Infanten präsentirt wurden, erkannte ich mit Freuden unter ihnen einen Landsmann, [93] Bernhard von Plessen, ehemaligen königlich preußischen Lieutenant im 24. Linien-Infanterie-Regiment. Er war beim Ueberfall von Luchana gefangen und nach Bilbao geschleppt worden, und hatte mehr noch als seine spanischen Leidensgefährten das Unglaubliche gelitten. Seiner rothen Haare und fremden Aussprache wegen, als Ausländer gleich kenntlich, war er stets dem Spott und den gröblichsten Mißhandlungen ausgesetzt. Herr von Plessen trug einen preußischen Militair-Mantel mit Ermel, die in Spanien nicht gebräuchlich sind. Nachdem man ihm alle übrige Kleidung abgenommen, wickelte er sich in seinen Mantel und steckte die Arme in die Ermel. Da fanden seine Gefangenwärter, dieß gebe ihm ein mönchisches Ansehen, und unter dem Geschrei, daß Mönche keinen Bart tragen dürften, rissen sie an demselben und spieen ihm in’s Gesicht, ihn in christlicher Duldsamkeit zu üben. – In einen Käfig hinter Gitter gesperrt, kamen die Bewohner aus den untersten Volksklassen, ihn zu sehen. Meist war es nur rohe Neugierde; „doch,“ setzte er mit einer Art komischer Beschämung hinzu: „es kamen auch viele Freudendirnen, durch das Gitter nach mir herüber zu [94] sehen; diese guten Geschöpfe waren stets von meinem Elend gerührt und ließen oft kleine Münze zu mir hereinfallen, die ich dankbar annahm und mir dafür von Zeit zu Zeit warme Suppe und auch einmal ein Hemde anschaffen konnte.“ Wem fällt dabei nicht Schiller’s: „gutherzig sind sie alle“ in Cabale und Liebe ein!
Einige Tage nach unserer Ankunft in Tolosa sagte mir der Infant, ein protestantischer Deutscher von der Fremdenlegion wolle sich taufen lassen und habe ihn zum Pathen gebeten. Dieß traf oft bei diesem lüderlichen Gesindel ein, die sich auch wohl mehrmals taufen ließen, da sie wußten, Geld als Pathengeschenk zu erhalten. Ich sprach den Neophiten, er war aus Meiningen; von dort desertirt, hatte er abwechselnd in holländischen, belgischen, französischen, pedristisch-portugiesischen und christinischen Diensten gestanden und war nun Sergeant. – Auf dem Marsch durch Catalonien im Juni desselben Jahres ging er seinem Herrn, dem Obersten von Rahden, verloren, ward gefangen genommen, entwischte, und im December 1838 sah ich ihn am obern Segre, im wildesten Theile Cataloniens, als Bataillons-Chirurg des Obersten [95] Castells, obgleich er nie früher die geringste Notion von seiner neuen Kunst gehabt hatte. Bei mir war er durch ein paar Wochen ein sehr schlechter und unsauberer Koch gewesen. – Dießmal hielt ich es für Pflicht, den General-Capitain Grafen de España auf diesen Unfug aufmerksam zu machen, der auch sogleich seine Entfernung befahl; doch bat Oberst Castells ihn beibehalten zu dürfen, da er von den Soldaten sehr geliebt werde und das ganze Bataillon großes Vertrauen in seine Geschicklichkeit setze. So blieb er denn. Man kann sich vorstellen, wie die übrigen Feldscheerer waren. –
Während unseres, übrigens weder unterhaltenden noch erfolgreichen Aufenthaltes in Tolosa war ich das erste Mal Zeuge eines spanischen offiziellen Handkusses (besamanos). Wer die beiden Höfe der Halbinsel besucht hat, kennt diese Ceremonie. Der Souverain oder Infant, der sie abhält, steht in der Mitte des Saales wie eine Bildsäule, und die courfähigen Personen defiliren prozessionsweise einzeln an ihm vorbei, machen eine Knieverbeugung und küssen die, einem Reliquienkästchen in katholischen Kirchen gleich, dargebotene Hand; meist geschieht dieß, ohne daß dem Küssenden [96] irgend eine Anrede wird, als höchstens: „Como vas?“ – Dießmal war es der Infant, der am Geburttage seiner Mutter im Saale zu Tolosa diese Festlichkeit abhielt, die ihn sehr langweilte, auf die aber die Spanier viel Gewicht legen. Jeder hatte sich auf das Beste herausgeputzt. Der Graf von Madeira trug eine alte portugiesische Generals-Uniform, obgleich er längst in spanischen Diensten war; Elio zog seine alte Garde-Lieutenants-Uniform an, an deren Aufschlägen durch die Nonnen von Vergara gestickte, Brigadiers-Arabesken (Entorchados) prangten; ich steckte in einer rothen malteser Uniform.
Die Besamanos-Tage spielen am spanischen Hofe eine große Rolle, und stehen in jedem spanischen Kalender sorgfältig in ihren beiden Abstufungen (große und kleine) verzeichnet. Ueber den grenzenlosen Luxus, der an diesen Tagen noch bis kurz vor der französischen Revolution entfaltet wurde, werden fabelhafte Dinge erzählt. Eine Geschichte schien mir besonders treffend: Ferdinand VI. liebte sehr Kleiderpracht, und legte so viel Gewicht darauf, daß Stoff, Farbe und Verzierung des Kleides, das er an Galla-Tagen tragen sollte, einer wichtigen Staats-Angelegenheit gleich, [97] geheim gehalten wurden, mehr Ueberraschung zu verursachen. Sein noch jetzt in Spanien berühmter Günstling, der Marquis de la Enseñada (zugleich Finanz-, Marine- und Minister über Indien), der hierin mit seinem Herrn gleichen Geschmack hatte, wußte einst mit schwerem Gelde sich das Muster der Stickerei des königlichen Kleides voraus zu verschaffen. Ferdinand VI. sollte sie in flacher vielfärbiger Seide tragen; – Enseñada ließ sie in färbigem Juwelen nachahmen. Als er nun am großen Tage in diesem glänzenden Costüm seinem königlichen Herrn nahte, verzog sich das Antlitz des Gebieters in finstre Falten, die nichts Gutes bedeuteten. – „Enseñada, welcher Luxus!“ redete ihn der König an, worauf der schlaue Günstling, ein Knie beugend, schnell erwiederte: „Herr, an der Tracht der Diener erkennt man die Pracht des Gebieters.“ Ein freundliches Lächeln des besänftigten Königs zeigte Enseñada, daß der Sturm vorüber sei.
Nach unserem minder prachtvollen Besamanos und einem Tedeum in der Cathedrale, folgte ein großes Diner, worauf Alles in Galla durch die Straßen von Tolosa zu Fuß spazieren ging und sich Visiten abstattete. Ein Besuch an einem Hofgalla-Tage gilt als [98] eine besondere Höflichkeit. – Noch ist mir erinnerlich, daß ein kürzlich angekommener preußischer Offizier, Herr von Rappard, in der Uniform des zweiten Garde-Landwehr-Uhlanen-Regiments viel Aufsehen machte. Sein Federhut war nächst dem des Infanten der einzige, da Alles stets Boïnas trug, der Infant allein, an Galla-Tagen, einen reich betreßten Hut.
Nachdem ein ganzer Monat unter allerlei Lappalien, Streitigkeiten und Debatten vorübergegangen, ward endlich der große Entschluß gefaßt, der als Hauptschlag in das Herz der Monarchie die Beendigung dieses langwierigen Krieges herbeiführen sollte.
- ↑ Ueber diesen, in der letzten spanischen Geschichte bekannten, Günstling und Camarilla-Chef habe ich von einer zu jener Zeit nicht unbedeutenden Person folgende Notizen erhalten, die ich als nicht uninteressant ohne Zugabe hierher schreiben zu müssen glaube: Don Antonio de Ugarte y Larrazabal war in seiner frühesten Jugend page de bolsa oder Portefeuille-Träger eines Ministers, eine Art huissier de la chambre, und hierauf Tanzmeister spanischer National-Tänze (maëstro de bolero) in Madrid; später etablirte er ein Geschäfts-Comptoir, und wußte schon vor 1808 mit dem damaligen Russischen Gesandten, Baron Stroganoff, Verbindungen anzuknüpfen. Als der Krieg mit Frankreich ausbrach, war er einer der exaltirtesten Anhänger der Freiheit seines Vaterlandes. Sein reger, offener Kopf wußte auch hier seine früheren russischen Bekanntschaften zu benützen. Durch Vermittlung des Herrn Zea Bermudez, eines ehemaligen Kaufmanns aus Malaga und zur Zeit Associé des Hauses Colubi und Comp. in St. Petersburg, knüpfte Ugarte Verständnisse mit Rußland zu Gunsten der spanischen Sache an, begab sich nach Cadix, und setzte es bei der Regentschaft durch, daß Zea zum spanischen Consul in St. Petersburg ernannt ward. So geschah es, daß durch die ununterbrochene Wirksamkeit dieser zwei schlauen und thätigen Männer bereits 1810 höchst wichtige und für Spanien ersprießliche Unterhandlungen mit Rußland angeknüpft wurden. Das Ende des Krieges fand ihn als den Mann des russischen Cabinets in Madrid. Ferdinand VII., der diesen ränkevollen, verschmitzten Mann wohl leiden und brauchen konnte, zog ihn an sich und verwendete ihn vielfach. Demungeachtet blieb er in stetem Verständniß mit dem damaligen russischen Bothschafter Herrn von Tatistscheff. – Durch den Justizminister Lorenzo de Torres endlich gestürzt und verbannt, kam er 1820 während der Revolution der Isle de Léon wieder in Freiheit, und begab sich sogleich ins Geheim nach Madrid, wo er im Einvernehmen mit Ferdinand VII. und mit Aufopferung seines bedeutenden Vermögens an der Contre-Revolution arbeitete. – Nach Umsturz der Constitution kam er bei seinem Könige mehr als je zu Gnaden und Ehren, und erhielt auch vielfachen Ersatz für seine Opfer. Durch seinen Einfluß ward nach Rückkehr des Königs aus Cadix das Ministerium des Marquis von Casa-Irujo gebildet; auch an der Formation der Cabinete des Grafen von Ofalia und des Herrn Zea Bermudez war er nicht ohne bedeutende Mitwirkung. Durch diesen seinen ehemaligen nun mächtig gewordenen Günstling von der Person des Königs verdrängt, ward er als Gesandter nach Turin und später nach Florenz geschickt. Es ist bekannt, daß bis 1830 jeder Spanier auch den glänzendsten Bothschafter-Posten als Ungnade und Exil betrachtete, um so mehr der allmächtige Günstling. Nach Zea’s Sturze, 1829, erhielt Ugarte die Erlaubniß nach Spanien zurückzukehren, wo er ein Jahr darauf starb, ohne seinen König wieder gesehen zu haben.
- ↑ Das Wort Argelino war in der letzten Zeit unter den Spaniern ein halbes Schimpfwort geworden, das sich beinahe auf alle Fremden, die bei ihnen dienten, ausdehnte; – wie früher das Wort Gabacho, das doch zuerst nur von den Bewohnern der Pyrenäen galt und später auf alle Franzosen ausgedehnt ward, die sich in Spanien niederließen.