Erwin von Steinbach
Wer mag der stille Knabe seyn?
Er flieht die Spiele der Genossen
Und bleibt am liebsten ganz allein
Tief im Gebirge, waldumschlossen;
Wo niemand seine Träume weckt,
Von Fels und Bäumen rings umgeben;
Dort ist ihm wohl, dort ist sein Leben.
Er baut aus Kieseln, Rinden, Gras,
Mit Kunstgefühl und sicherm Maaß.
Die wundervollsten Bilder schwellen
Sein glühend Herz; wohin er schaut,
Sieht Alles er so schön gebaut!
Weiht er zu Tempeln seinem Gotte.
Der Buchen Wölbung zieht ihn an,
Die Tannen, so darüber steigen,
Der Epheu, der sich rankt hinan,
Die Felsen, buschig oder schroff,
Die Blumen, – Alles gibt ihm Stoff,
Da zeichnet er auf Schieferplättchen
Die Formen bis aufs kleinste Blättchen. –
Er in des Forstes kühler Tiefe,
Da wars ihm, wie er träumend lag,
Als ob man ihn beim Namen riefe;
Und sieh! vor einer Felsenwand
Die Sonne war schon tief gesunken,
Der ganze Wald voll grüner Funken.
Der Alte ruft: „Steh’ auf, mein Sohn!
Wagst du, mit mir hinabzusteigen,
Dir wunderbare Dinge zeigen:
Du kennst das obre Bauwerk nur,
Doch nicht das innre der Natur,
Nicht die Paläste, deren Quadern
Keck folgt der Knabe dem Geheiß,
Die Wißbegier läßt ihn nicht zagen,
Und plötzlich theilt sich, wo der Greis
Mit seinem Stabe hingeschlagen,
Und Beide gehen Hand in Hand
Durch weitverschlungne Gänge schweigend,
Viel hundert Stufen niedersteigend.
Da zeigen Wunder überall
Er sieht, wie Pfeiler von Kristall
Und von Granit geformt sich haben;
Nach innerem Gesetz, genau,
Entwickelt jeden Erdenbau,
Von fester Meisterhand gezogen.
Kein leeres Bild der Fantasie,
Nur einem eitlen Zwecke fröhnend,
Nein, jede Form voll Harmonie
So muß auch ein Gebild aus Stein
Zuvor im Geist vollendet seyn,
Bevor der Meister es kann wagen,
Ins Wirkliche zu übertragen.
Sich vor des Greisen Zauberstabe –
Auf einem grünen Anger stand
In hellem Sonnenlicht der Knabe;
Und hoch hinauf ins dunkle Blau
Sich in zwei Pyramiden endend,
Mit tausendfacher Zierde blendend.
Es war ein Bau, der sehnsuchtsvoll
Die Arme nach dem Himmel streckte
Daß er die tiefste Sehnsucht weckte;
Es war ein steingewordner Baum,
Mit ungeheuerm Schattenraum,
Ein Schiff, deß Masten nimmer wanken,
Die beiden Wandrer treten ein,
Vom heiligsten Gefühl durchflossen.
Ein bunter Farbendämmerschein
Hat durch die Hallen sich ergossen;
Getauchet in ein Rosenmeer,
Von Regenbogenglanz umwoben,
Der Dulder an dem Kreuze droben.
Der fromme Knabe sinkt aufs Knie,
Und spricht: „Nein, ruhen will ich nie,
Bis einst ein solcher Dom mir glücket!“
Der Alte ruft; „Leb’ wohl, Erwin!
Was hier dir nur im Bild erschien,
Und ewig dich dadurch verklären.“ –
Und an der alten Stelle sieht
Der Knabe sich im Walde wieder;
Durchs heimlich flüsternde Gebiet
Und Erwin trägt nun selig fort
Den Traum mit sich von Ort zu Ort,
Besucht viel Meister in der Ferne,
Daß er die ganze Baukunst lerne. –
Längst über unsers Erwin Grabe;
Solch Denkmal hat der Mann gesetzt
Dem, was im Traume sah der Knabe.
Beglückt, o Straßburg, dessen Ruhm
Heil, Steinbach, dir, aus dessen Schooße
Hervorgegangen ist der Große!
- ↑ Siehe die Anmerkungen, S. 169.