Erwin von Steinbach

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Textdaten
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Autor: August Schnezler
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Titel: Erwin von Steinbach
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 164–167
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Quelle: Commons, Google
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[164]
Erwin von Steinbach.[1]

Wer mag der stille Knabe seyn?
Er flieht die Spiele der Genossen
Und bleibt am liebsten ganz allein
Tief im Gebirge, waldumschlossen;

5
Am Quellenufer hingestreckt,

Wo niemand seine Träume weckt,

[165]

Von Fels und Bäumen rings umgeben;
Dort ist ihm wohl, dort ist sein Leben.

Er baut aus Kieseln, Rinden, Gras,

10
Sich kleine Kirchen und Kapellen

Mit Kunstgefühl und sicherm Maaß.
Die wundervollsten Bilder schwellen
Sein glühend Herz; wohin er schaut,
Sieht Alles er so schön gebaut!

15
Den dunkeln Hain, die kühle Grotte,

Weiht er zu Tempeln seinem Gotte.

Der Buchen Wölbung zieht ihn an,
Die Tannen, so darüber steigen,
Der Epheu, der sich rankt hinan,

20
Der Himmel zwischen grünen Zweigen;

Die Felsen, buschig oder schroff,
Die Blumen, – Alles gibt ihm Stoff,
Da zeichnet er auf Schieferplättchen
Die Formen bis aufs kleinste Blättchen. –

25
Einst lag, am schwülen Sommertag

Er in des Forstes kühler Tiefe,
Da wars ihm, wie er träumend lag,
Als ob man ihn beim Namen riefe;
Und sieh! vor einer Felsenwand

30
Ein Greis mit Silberlocken stand;

Die Sonne war schon tief gesunken,
Der ganze Wald voll grüner Funken.

Der Alte ruft: „Steh’ auf, mein Sohn!
Wagst du, mit mir hinabzusteigen,

35
Will ich zu deines Fleißes Lohn

Dir wunderbare Dinge zeigen:
Du kennst das obre Bauwerk nur,
Doch nicht das innre der Natur,
Nicht die Paläste, deren Quadern

40
Entströmen tausend Lebensadern.“


Keck folgt der Knabe dem Geheiß,
Die Wißbegier läßt ihn nicht zagen,

[166]

Und plötzlich theilt sich, wo der Greis
Mit seinem Stabe hingeschlagen,

45
Mit einem Riß die Felsenwand,

Und Beide gehen Hand in Hand
Durch weitverschlungne Gänge schweigend,
Viel hundert Stufen niedersteigend.

Da zeigen Wunder überall

50
Sich dem erstaunten Blick des Knaben:

Er sieht, wie Pfeiler von Kristall
Und von Granit geformt sich haben;
Nach innerem Gesetz, genau,
Entwickelt jeden Erdenbau,

55
Die Säulen, Wölbungen und Bogen

Von fester Meisterhand gezogen.

Kein leeres Bild der Fantasie,
Nur einem eitlen Zwecke fröhnend,
Nein, jede Form voll Harmonie

60
Mit anderen zusammentönend.

So muß auch ein Gebild aus Stein
Zuvor im Geist vollendet seyn,
Bevor der Meister es kann wagen,
Ins Wirkliche zu übertragen.

65
Noch einmal spaltet eine Wand

Sich vor des Greisen Zauberstabe –
Auf einem grünen Anger stand
In hellem Sonnenlicht der Knabe;
Und hoch hinauf ins dunkle Blau

70
Wölbt sich vor ihm ein Riesenbau,

Sich in zwei Pyramiden endend,
Mit tausendfacher Zierde blendend.

Es war ein Bau, der sehnsuchtsvoll
Die Arme nach dem Himmel streckte

75
Und seiner Glocken Klang erscholl,

Daß er die tiefste Sehnsucht weckte;

[167]

Es war ein steingewordner Baum,
Mit ungeheuerm Schattenraum,
Ein Schiff, deß Masten nimmer wanken,

80
Durchwirkt mit Laub und Rosenranken.


Die beiden Wandrer treten ein,
Vom heiligsten Gefühl durchflossen.
Ein bunter Farbendämmerschein
Hat durch die Hallen sich ergossen;

85
Die Heilgenbilder rings umher

Getauchet in ein Rosenmeer,
Von Regenbogenglanz umwoben,
Der Dulder an dem Kreuze droben.

Der fromme Knabe sinkt aufs Knie,

90
Von Himmelsahnungen durchzücket,

Und spricht: „Nein, ruhen will ich nie,
Bis einst ein solcher Dom mir glücket!“
Der Alte ruft; „Leb’ wohl, Erwin!
Was hier dir nur im Bild erschien,

95
Wirst du bald wieder neu gebären,

Und ewig dich dadurch verklären.“ –

Und an der alten Stelle sieht
Der Knabe sich im Walde wieder;
Durchs heimlich flüsternde Gebiet

100
Ziehn wieder Nachtigallenlieder;

Und Erwin trägt nun selig fort
Den Traum mit sich von Ort zu Ort,
Besucht viel Meister in der Ferne,
Daß er die ganze Baukunst lerne. –

105
Es hebt der Riesen-Dom sich jetzt

Längst über unsers Erwin Grabe;
Solch Denkmal hat der Mann gesetzt
Dem, was im Traume sah der Knabe.
Beglückt, o Straßburg, dessen Ruhm

110
Stets blüht in diesem Heiligthum!

Heil, Steinbach, dir, aus dessen Schooße
Hervorgegangen ist der Große!

A. Schzlr.

  1. Siehe die Anmerkungen, S. 169.