Fünf Löwen und ihr Bändiger
Unter die halb wahnsinnigen Ausbrüche des englischen Aergers darüber, daß die deutschen Großmächte sich, unbekümmert um das Maulaufreißen des britischen Löwen, erkühnt hatten, den Elbherzogthümern zu helfen, unter diese ärgerlichen Ausbrüche gehörte auch der vor einigen Wochen in einer englischen Zeitung stehende, dahin lautend, daß jetzt kein Engländer mehr sicher in Deutschland reisen könne, ohne den Pöbelhaftigkeiten des von seinem Nationalhaß gegen die Engländer vollständig beherrschten deutschen Volkes ausgesetzt zu sein. Daran war zugleich die naive Aufforderung geknüpft, die Engländer möchten ihr Geld fortan lieber in England verreisen, worauf dann die Deutschen sehr bald durch die ihnen bevorstehende Aushungerung sich zu freundlicheren Gesinnungen bekehrt sehen würden.
Leider hatte das würdige Blatt vergessen hinzuzufügen, wie es diejenigen Engländer halten sollten, welche nicht sowohl bei uns reisen, um Geld zu verthun, als vielmehr, um es zu verdienen. Wäre diese Lücke nicht vorhanden und hätte die Zeitung ihren Racheschrei überhaupt eher gebracht, wer weiß, ob man dann in Hamburg, Berlin, Breslau, Leipzig und anderen deutschen Städten das schauerliche Vergnügen würde gehabt haben, Herrn Thomas Batty mit seinen fünf Löwen zu sehen. Indessen, unser Geld ist ja auch kein Blech, und darum handelt Herr Batty als vernünftiger Familienvater und steckt es ein.
Den vielen Lesern der Gartenlaube, welche Batty noch nicht gesehen haben, der vorher nur in London Vorstellungen gegeben und in Deutschland erst im September vorigen Jahres in Hamburg sich zu produciren begonnen hatte, bin ich wohl eine kurze Schilderung seines Auftretens im Käfig schuldig, da das beigegebene Bild natürlich nur eine Scene, nicht aber den ganzen Verlauf des Ballspiels darstellen kann und überhaupt das Ganze so weit von allem in dieser Art in Deutschland Gesehenen abweicht, daß man sich schwerlich eine richtige Vorstellung davon machen kann.
Nachdem die eigentlichen Mitglieder des Circus, die Reiter und Reiterinnen, ihre „Arbeiten“ beendigt und die Clowns ihre Späße ausgegeben und zur ferneren Verwendung wieder an sich genommen haben, wird von dem dienenden Personal ein an den vier Ecken gerundeter großer Wagen mitten in den Kreis gefahren. Die ihn rings verdeckenden hölzernen Läden werden weggenommen, und er erscheint jetzt als ein auf Rädern ruhender umfänglicher Käfig, bewohnt von fünf Löwen, welche, aus ihrer Ruhe gestört und geblendet von dem plötzlichen grellen Licht, sich gähnend strecken und dehnen. Sehr einig sind sie dabei nicht, und ein Vorspiel findet gewöhnlich gleich in so fern statt, als sie vorläufig unter sich eine kleine Hauerei im eigentlichen Sinne des Worts aufführen, indem sie gegenseitig mit Tatzenhieben auf einander losfahren. Große, langgemähnte Thiere wie die Schulbücherlöwen, sind es allerdings nicht; denn nur das eine der zwei männlichen zeigt die beginnende Mähne, und keins ist ganz ausgewachsen. Dafür sind sie aber um so lebhafter, und von der Faulheit eines alten Löwen ist keine Spur zu finden. Schon während des erwähnten Vorspiels werden Sägespähne in den Käfig geworfen, um das Ausgleiten des Löwenbändigers zu vermeiden, sodann wird der kleine Vorkäfig, durch welchen derselbe eintritt, angeschraubt, und nun erscheint Batty selbst.
Ein schwarzer knapper Rock mit Goldborde, knappe Beinkleider und eben solche, aber bis über’s Knie reichende Stiefeln sind seine Bekleidung. Man sieht sofort, daß diese sehr zweckmäßig gewählt ist. In der Hand trägt er die bedeutungsvolle Peitsche aus Nilpferdhaut, gemeinhin die Nilpeitsche genannt. Sie birgt den Zauber der Thierbändigung, und zehnmal eher wird der Thierbändiger auf die Wirkung seines Blicks verzichten, als auf die jenes Zauberrüthchens.
Gleich beim Eintreten von dem Aufbrüllen der Bestien begrüßt, fährt er wie der Blitz unter sie, mit geschwungner Peitsche sie hierhin und dorthin treibend, und Auge wie Ohr des Zuschauers sind jetzt vollauf beschäftigt. Zwar läßt der von den fünf Bestien umgebene Mann nur einzelne Ausrufe hören, desto lauter und zorniger ertönt aber das jedesmalige Gebrüll der Löwen, sobald ihnen ihr Meister zu nahe tritt. Jetzt sind sie alle, außer einer Löwin, in dem einen Winkel des Käfigs zusammengedrängt. Diese aber liegt in der entgegengesetzten Ecke. Batty streckt sich zu ihr hin und macht sich’s auf ihr bequem; er stampft mit dem Fuß auf den Boden, und mißmuthig, aber doch folgsam kommt endlich der eine Löwe heran und legt sich zu den Füßen Batty’s und seinen Kopf auf dessen Schooß. Eine kurze Liebkosung ist sein Lohn.
Aber schnell verändert sich die Scene. Aufspringend jagt Batty die Ungeheuer abermals im Käfig herum, ringsum von ihren Tatzenhieben bedroht. Flüchtend vor der immer drohenden Peitsche, drängen sie sich über einander, gegenseitig auf einander losfahrend und hauend. Jetzt liegt die Löwin abermals allein, in der andern Ecke. Schnell wirft sich Batty zu ihr hin, legt ihre Tatzen um seinen Hals, sich ganz in ihre Gewalt gebend. Alles bleibt ruhig. Er erhebt sich halb, öffnet der Löwin den Rachen und, seinen Kopf ganz in denselben steckend, kreuzt er die Arme auf dem Rücken und verbleibt in dieser Lage lange genug, um sich ein halbes Dutzend Köpfe abbeißen zu lassen. Die Löwin läßt ihm aber sogar den einen, und nachdem er sich über denselben wieder die Verfügung gewahrt, klappt er den Rachen der Bestie zu, mit einem Tone, als würde ein in Schweinsleder gebundener großer Foliant zusammengeschlagen.
Abermals springt Alles empor, und ein weiterer Abschnitt der Produktion entwickelt sich. Batty stellt sich allein an das eine Ende des Käfigs, die Bestien sind am andern versammelt. Er stampft mit dem Fuß, und plötzlich stürzt die eine Löwin auf ihn los. Statt aber ihn niederzureißen, springt sie blos an das Gitter über ihm an und schnellt sich in bogenförmigem Satze auf den Boden zurück. Auch einer der Löwen, dem nöthigenfalls von außen mit einer Stange zugeredet wird, springt in derselben Weise auf seinen Meister an, und dies wiederholt sich mehrere Male.
Von Neuem beginnt nun als Zwischenact das Zusammentreiben der Bestien, bis sie zur folgenden Scene richtig gruppirt sind. Jetzt ist es der gemähnte Löwe, welcher die eine Seite allein einnimmt. Während die anderen wüthend durcheinander brüllen und von rückwärts mit den Tatzen nach ihrem Herrn hauen, bemüht sich dieser, den Löwen zum Aufrichten am Gitter zu bringen. Der bei seinem Alter schon nicht mehr recht dienstwillige Löwe will erst seinen Herrn nicht verstehen, wenn dieser, sich bückend und mit ausgebreiteten Armen schnell erhebend, ihm auseinandersetzt, worum es sich handelt. Zähnefletschend erhebt er sich endlich auf die Hinterbeine, und nun wendet sich Batty zur anderen Gruppe, und eine andere der Bestien wird gleichfalls zum Aufrichten am Gitter genöthigt. Eine dritte liegt vor ihm, und sie zum Schemel seiner Füße nehmend, tritt er in drohender Haltung dieser aufgeregten und brüllenden Gruppe gegenüber. Dies ist die Scene unsers Bildes.
Die Vorstellung nähert sich nunmehr ihrem Ende. Indem die Thiere nochmals vor der Peitsche ihres Meisters, brüllend und nach ihm hauend, durcheinander flüchten, empfängt derselbe von außen ein geladenes Gewehr. In hochgehobener Rechte dasselbe haltend, tritt er mitten unter die wüthende Gruppe und feuert es ab. Zornig brüllen die Löwen dem Schusse nach; ihr Meister aber tritt zurück, macht sich nöthigenfalls mit der Peitsche Bahn und verläßt den Käfig, wobei es vorkommt, daß, nachdem er eben hinaus ist, eine der Bestien noch an das Gitter ihm nachspringt. Gewaltiger Beifall folgt natürlich jedesmal dem Schluß der Vorstellung.
Wodurch übt dieser Mensch solche Gewalt über die wilden Bestien? so fragt gewiß mancher unserer Leser. Darauf ist die einfache Antwort: Durch seinen persönlichen Muth und – seine Peitsche. Keines allein, aber beide zusammen bewirken ineinandergreifend das wunderbar Scheinende. Selbstverständlich ist dabei ein gewisses Verständniß des Thiercharakters vorausgesetzt, ein feines [430] Erkennen der Grenze, bis zu welcher bei jedem einzelnen Thiere gegangen werden darf.
Daß man einen bestimmten Blick dazu haben muß, ist allerdings eine sehr gangbare Redensart geworden, die, selbst in unsern Tagen aus scheinbar authentischer Quelle wieder aufgefrischt, jedenfalls noch lange gelten wird. „Bei dem Thierbändiger muß das Weiße des Augapfels über der Pupille sichtbar sein,“ so lautet die Phrase. Nun, wenn ein Löwe sonst keinen Respect vor seinem Herrn und dessen Muth hat, aus dem Weiß von dessen Augapfel macht er sich ganz gewiß sehr wenig. Wer solchen Vorstellungen aufmerksam beigewohnt hat, muß dies sofort begreifen. Oder kann Batty vielleicht durch Schielen seine fünf Löwen zugleich ansehen? Oder hat er, wenn er ihnen, wie dies oft geschieht, den Rücken kehrt, einen Blick von hinten mit Weiß über der Pupille? Ich wenigstens habe von beiden Kunststücken noch nichts wahrgenommen.
Daß Muth eine Hauptsache bei dergleichen Unternehmungen ist, braucht nicht weiter erörtert zu werden: er ist selbstverständlich unerläßlich. Deswegen hat noch nicht Jeder, welcher sich zu einem vielleicht schon dressirten Löwen begieht und einige friedliche Spielereien mit ihm ausführt, den hier gemeinten Muth. Zu einem Auftreten, wie das Batty’s, gehört er aber unbedingt. Dieser Muth muß indeß von einer tüchtigen Peitsche gehörig unterstützt werden, wenn er anerkannt werden soll. Es giebt allerdings unter diesen Bestien einzelne, welche, besonders wenn sie beim Einfangen nicht mehr ganz jung waren, schlechterdings nicht zu dressiren sind, solche muß eben der Thierbändiger einfach wieder verkaufen oder blos als Menageriethiere zeigen. In der Regel läßt sich aber mit jungen Thieren der Art schon viel anfangen. Die jugendliche Lebhaftigkeit und die noch nicht entwickelte Kraft, verbunden mit der dem Löwen innewohnenden Intelligenz, machen das Anlernen junger Thiere nicht zu schwer. Das Hauptgeschick dabei ist, wie ich dies schon früher erwähnt habe, den einzelnen Thieren ihre Neigungen und Angewohnheiten abzusehen und diese zum Kunststück auszubilden, sodann aber auch die genau wiederholte Aufeinanderfolge der einzelnen „Arbeiten“.
Batty hat zudem das Glück, in der einen Löwin ein so gutwilliges Thier zu besitzen, wie man unter zwanzig kaum eins finden wird. Mit ihr führt er auch die Hauptstücke aus. Da sie, was freilich nicht ausposaunt wird, ganz blind ist, so vermehrt dies jedenfalls ihre Brauchbarkeit zu der passiven Rolle sehr, welche sie hauptsächlich spielt. Sie ist daher so zu sagen die Hauptactrice und wird dies, selbst wenn sie alt wird, wohl auch bleiben, während es bei den übrigen Thieren immer fraglich ist, wie lange sie sich die ihnen zugemuthete Rolle gefallen lassen. Die männlichen Löwen insbesondere dürften, sobald sie sich erst den Löwinnen gegenüber als Männer fühlen, nicht nur unter sich, sondern auch gegen Herrn Batty noch anders auftreten, sofern ihnen die jetzige Rolle dann noch zugemuthet wird, denn vor seiner Frau läßt sich auch ein Löwe nicht gern blamiren. Indessen bis dahin wird sich wohl ihr Herr zur Ruhe gesetzt haben.
Als ich Batty in seiner Wohnung aufsuchte, um meine Bitte, daß er mir zu dem Bilde sitzen möge, vorzubringen, fand ich – es war kurz vor Beginn der Circusvorstellung – den Mann, der dem Publicum sich blos in Gesellschaft wilder Bestien zeigt, ganz gemüthlich neben seiner höchst netten Frau und seinem reizenden Kinde beim Abendessen sitzen. Er blieb auch, als ich mein Gesuch durch die Wirthin verdolmetschen ließ, vernünftigerweise sitzen, beschied mich aber abschläglich, da er wegen seiner am folgenden Tage stattfindenden Abreise bereits im Einpacken begriffen war. Der geneigte Leser wolle also die möglicherweise nicht ganz erschöpfende Aehnlichkeit nachsichtig beurtheilen. Sie wird ja wohl auch nicht die Hauptsache des Bildes ausmachen.
Von der Lebensgeschichte des berühmten Löwenbändigers und wie er zu seinem gefährlichen Handwerke gekommen ist, habe ich trotz aller Bemühungen leider nichts Authentisches erfahren können. Zwar ist unlängst in Berlin eine Broschüre unter dem Titel: „Thomas Batty der Löwenbändiger, kurze Lebensbeschreibung nebst Mittheilung über das Einfangen und Zähmen der fünf dressirten Löwen“, erschienen, in welcher Verschiedenes über die Jugendschicksale und Abenteuer des merkwürdigen Mannes mitgetheilt wird. Jedenfalls beruht ein Theil des darin Erzählten auf Wahrheit, da ich aber nicht weiß, von welchen Stellen der Schrift dies gilt, so wage ich nicht Einzelheiten daraus mitzutheilen. Dergleichen Dinge, wie z. B. daß Batty in Hamburg von dem einen Löwen mit der Tatze einmal wirklich getroffen wurde, passiren jedem Thierbändiger und sind ja ohnedies für die Zeitungs-Feuilletons ein eifrig gesuchtes Futter. Nur schade, daß sie regelmäßig übertrieben werden. Nach einem andern neuen Schriftchen, für dessen Inhalt ich aber ebenso wenig einstehen möchte, hat Thomas Batty, ein geborener Irländer, früher gar nicht daran gedacht, als Schausteller von Löwen umherzureisen; er war vielmehr nur passionirter Löwenjäger und durchstreifte mit zwei Dienern das westliche Afrika. In Freetown mit seiner todten und lebendigen Beute eintreffend, erhielt er von einem Speculanten, Namens Staal, den Antrag, diesem die Hälfte seiner Löwen zu verkaufen, die zu Kunststücken abgerichtet und in den größeren afrikanischen Städten, Marokko, Arib, Fez, Tanger, gezeigt werden sollten. Nach sechs Monaten sollte der damit gewonnene Erlös getheilt werden. Batty ging auf den Vorschlag ein. Als er nach länger als einem halben Jahre Herrn Staal in Oran wieder traf, überzeugte er sich, daß es viel einträglicher und minder beschwerlich sei, Löwen abzurichten, als zu schießen, und wurde von Stelle an aus dem Löwenjäger der Löwenbändiger.
Batty scheint übrigens bereits seine Nebenbuhler zu haben. Von der Thierbändigerfamilie Kreuzberg tritt schon jetzt der Eine mit acht Löwen auf; ich kann aber nicht aus eigener Anschauung über seine Leistungen berichten. Man sieht indeß, daß es bereits auf ein Ueberbieten abgesehen ist. Der Thierbändiger Herrmann, welcher einer neulichen Abbildung nach mit vier Löwen „arbeitet“, dürfte sich daher jetzt nothgedrungen noch einige zulegen. Den Preis wird jedenfalls derjenige davontragen, dem es zuerst gelingt (das Zuerst schöpft auch hier das Fett ab), Löwen, Tiger, Leoparden und Bären (alle in mehreren Exemplaren) zu vereinigen und ähnliche Scenen, wie Batty, aufzuführen. Möglich ist’s vielleicht, aber wahrscheinlich nicht. Sollte man diesen Gipfelpunkt einmal erreichen, so wird mir Herr Keil gewiß erlauben, auch davon den Lesern der Gartenlaube ein Bild vorzuführen.