Fabeln von Gellert
Diese Fabeln sind die Erstlinge der Gellert’schen Muse, und, die letzte ausgenommen, ehemals in den Belustigungen des Verstandes und Witzes, die in den vierziger Jahren bei Breitkopf in Leipzig erschienen, gestanden. Gellert hat sie in die Sammlung seiner Fabeln und Erzählungen nicht aufgenommen, jedoch sie in einem eignen Heft’chen aufbewahrt, und an einigen Stellen merklich verändert, ohne sie für den Druck zu bestimmen. Mir ist durch einen literarischen Freund, der durch besondern Zufall in den Besitz des Manuscripts kam, eine Abschrift davon mitgetheilt worden, die ich mit so größerem Vergnügen in mein Taschenbuch einrücke, da Gellert immer noch, und zwar mit Recht, viele und große Verehrer hat, und ich erwarten darf, daß mir die Aufnahme um so weniger verargt werden wird, als auch diese Fabeln, wenn sie gleich nicht den poetischen Werth seiner übrigen haben und durch die [60] schwerfälligen Alexandrinen eintönig sind, dennoch durch eine eigenthümliche Simplicität und Naivetät, und nicht minder durch den Ernst eines reinen sittlichen Gefühls ansprechen.
Die Wahrheit und die Lüge.
Man forschte seit viel tausend Jahren,
Warum die Wahrheit nackend geht,
Und nie hat man’s genau erfahren,
Weil nichts davon in Büchern steht;
Der Welt auch dieß Geheimniß auf.
An einem alten Königshofe
War einst die Wahrheit angestellt,
Drauf ward im Dienst als Ehrenzofe
Doch konnten sie sich nicht versteh’n,
Wenn Diese bleibt, muß Jene geh’n.
Einst rangen sie im offnen Streite,
Doch war der Kampf lang ungewiß,
Der Wahrheit das Gewand entriß.
Sie blieb am Hof, und seit der Zeit,
Trägt sie daselbst der Wahrheit Kleid.
Die Wahrheit aber floh von hinnen,
Sie kann nicht Achtung mehr gewinnen,
Und bleibt den Meisten unbekannt.
Dafür nun sieht fast Jedermann
Die Lüge für die Wahrheit an.
Das junge Wiesel.
Ein Wiesel, das am Tag die Falle stehen sah,
Kam, wann es dunkel war, niemals der Falle nah.
„Ich kenne die Gefahr, mich wirst du nicht bethören,
Mein Vater starb durch dich, dieß soll mich Vorsicht lehren.
Wer den Betrug erkennt, dem schadet kein Betrug.
Den Eyern geh’ ich nach, und habe das Vergnügen
Bei solcher leckern Kost die Hausfrau zu betrügen.“
So spricht das Wiesel froh, in blinder Sicherheit,
Denn als es einst in’s Ey sich einbiß, blieb, o Schrecken!
Das Wiesel mit dem Kopf selbst in der Schaale stecken,
Und zog ihn nicht heraus in Angst und großer Noth.
Da kam die Hausfrau an, und schlug das Wiesel todt.
Die Muschel und der Krebs.[1]
Einst sah ein junger Krebs aus seiner Höhl’ am Strande
Der muntern Muschel zu, die auf dem Ufersande
Des nahen Stroms ihr Haus jetzt auseinander bog,
Jetzt als ein leichtes Spiel geschwind zusammen zog.
Mich Tag für Tag in Angst und ohne Ruhe quälen;
Bald stößt ein Nachbar mich von meinem Lager aus,
Bald schreckt mich Menschenhand, Du hast ein eignes Haus,
Du kannst es, wie du willst, jetzt öffnen, jetzt verschließen.
Vergönntest du mir doch nur eine kurze Zeit
Den Aufenthalt bei dir, das Glück der Sicherheit!
Ach, wolltest du mich nur in deine Wohnung nehmen,
So würd’ ich doch einmal vergessen, mich zu grämen.“
Und bin ich wie du sagst, weit glücklicher, als du,
So gräme dich nicht mehr, ich diene mit Vergnügen.
Versuch’ es, kannst du dich an meine Seite schmiegen,
So mach’ ich gern dir Platz.“ Der Krebs gehorcht im Nu,
Doch, ach, der Krebs erstickt, und mitten im Ersticken
Muß sterbend er zugleich die Freundin auch erdrücken.
Ein Dienst im Unverstand bringt doppelt Unheil oft,
Dem, der den Dienst vollbringt, und dem, der Vortheil hofft.
Die Gans.
„In Städten wird aus mir doch etwas noch gemacht,
Sprach eine junge Gans, die man zu Markt gebracht,
Im Dorfe wußte man nur grausam mich zu reifen,
Hier sucht mich manche Hand liebkosend anzugreifen;
Weil ich so weiß, als Schnee, am ganzen Leibe bin;
Man streichelt meine Brust, greift unter meine Schwingen,
Das muß die Art wohl seyn, mir Huldigung zu bringen.
Ein allerliebstes Thier, ein Phönix muß ich seyn;
Bei dummen Leuten kann man nie zu Ehren kommen,
Nur in der Stadt wird noch Verdienst in Schutz genommen.“
Die Gans wird eingekauft und in den Stall gethan,
Auch wohnet neben ihr ein kalekutscher Hahn.
Weil man solch einem Herrn mich an die Seite setzet.
Im Dorfe lief ich mir die müden Füße wund,
Hier steckt man mir sogar das Essen in den Mund,
Hegt auf dem Schooße mich, und gibt mir Milch zu trinken;
Was denk’ ich mir davon? das muß wohl Liebe seyn.“
„Ach, schrie die Magd, dein Fett, dein Fett nur nimmt uns ein.
Doch muß ich diesen Spaß auch meiner Fräulein sagen,
Denn hätte sie kein Geld, wer würde nach ihr fragen?“
Wie gewonnen, so zerronnen.
Die karge Klaudia, die nur dem Wucher lebte,
Und einzig ihren Schatz zu mehren sich bestrebte,
Die sträflichen Gewinn hohnlachend sich erwarb,
Als mancher arme Mann in Noth und Hunger starb,
Weil Gicht und Magenkrampf ihr große Schmerzen schufen.
Der Arzt erschien, doch sie, noch sicher in Gefahr,
Und weil sie selbst im Tod dem Spiel gewogen war,
Fiel ihm in’s Wort und sprach: „Sie müssen bei mir bleiben,
Sie spielten ziemlich hoch, der Arzt verlor sein Geld,
Und wollte weiter geh’n. Doch die Verschmitzte hält
Ihn bittend auf: „Sie seh’n, ich muß mein Ende fühlen,
Wir wollen um den Werth der Leichenkosten spielen.“
Was du dem Einen nimmst, wirfst du dem Andern zu.
Der unbesorgte Mann muß gegen sie verlieren,
Und für den ganzen Werth des Leichenprunks quittiren.
„Nun, rief sie, sterb’ ich gern, mein Haus ist wohl bestellt,
Das ich von Ihnen zog, recht wohl versorgt zu wissen,
So soll’s die Armuth einst durch ein Legat genießen.“
Drei Tage lebt sie noch, und bringet diese Frist
Mit stetem Lesen zu, weil sie im Schuldbuch liest.
Das blutige Procent in Noth gestürzter Leute.
Sie starb. Ihr Zimmer wird mit Trauer angefüllt,
Und standesmäßig bald in schwarzes Tuch gehüllt,
Um das die kluge Frau den Eigner einst gepfändet,
Die Lichter fackelten erhellend um den Sarg,
Als sich, ich weiß nicht wie, ein Funk’ im Tuche barg,
In kurzem um sich griff, und eine Flamm’ erregte,
Die Leiche, Schuldbuch, Haus und Hof in Asche legte.
Und was im Leben sie mit Sünd’ erkargt, war hin.
Dank sey der Feuersbrunst, die so viel wackre Leute,
Von Schuld und Wechselbrief in Einer Nacht befreite.
Der Spieler.
Jüngst kam zur Unterwelt auf Charons leichtem Kahn
Ein Meister in dem Spiel mit andern Seelen an.
Schnell ging der Ruf an ihn, sich vor dem Gott der Höllen,
Dem Richter dieses Reichs, zur Rechenschaft zu stellen.
Mein Leben taugt nicht viel, wie du erfahren wirst.
Ich habe nichts gethan, als Karten abgezogen,
Und manchen Ehrenmann durch falsches Spiel betrogen.
Mein Glück blieb wandelbar, bald hatt’ ich nichts, bald viel,
Im Spielen starb ich auch, selbst mitten im Verlieren,
Im Aerger und im Fluch muß mich der Schlag berühren.
Ich habe meine Zeit nicht löblich hingebracht,
Doch der hats größre Schuld, der dieses Spiel erdacht,
Hier griff er in den Rock und suchte seine Karten,
Und fand sie unversehrt, und mischte flink und frisch,
Lud selbst den Minos ein, und bat um Stuhl und Tisch.
„Gut, sagte Minos drauf, hier sollst du ewig mischen,
So steht denn seine Hand nicht Augenblicke still,
Stets kommt ein Geisterheer, das scheinbar setzen will;
Doch wenn der Spieler kaum versucht ein Blatt zu ziehen,
So ist die Müh’ umsonst, denn alle Geister fliehen.
Liebt Niemand hier das Spiel? Was ist doch eine Welt,
Wo kein Kaffeehaus ist? Ach, Brüder, bleibt auf Erden,
Da kann ein braver Mann mit Ruhm ein Spieler werden.“
Montan und Lalage.
Montan und Lalagen trieb Lieb’ und Noth aufs Meer;
So zärtlich liebte sich kein Paar auf Erden mehr;
Es war Ein Geist und Sinn; oft schwuren sie, ihr Leben,
Zur Probe ihrer Treu, mit Freuden hinzugeben.
Genug, es kommt ein Sturm, der ihre Ruhe stört;
Die Wellen fangen an gleich Bergen sich zu thürmen,
Als wollten sie die Welt und nicht ein Schiff bestürmen.
Montan und Lalage, durch die Gefahr bedroht,
Doch wollen sie umarmt hinsinken in’s Verderben,
Und Eines an der Brust des Andern gerne sterben.
Indessen wächst der Sturm, es steigt und fällt das Schiff,
Und spießt zuletzt sich fest auf einem[2] Felsenriff.
Muß noch ein schmales Bret das arme Paar erhalten.
Nun ruht der wilde Sturm. Sie schwimmen durch das Meer,
Doch für ein kleines Bret war diese Last zu schwer.
„Ach, schrie Montan bestürzt, das Bret wird untersinken,
O Probe voller Angst! Wer opfert sich der See?
Das Leben liebt Montan, doch liebts auch Lalage.
Allein für Beide nicht ist Rettung zu vermuthen,
Wenn Eines leben soll, muß Eines in die Fluthen.
„Ich, rief nun Lalage, will dich vom Tod befrei’n.
Doch, daß du weißt, wer dich gerettet vom Verderben,
So stoße mich in’s Meer.“ – Montan, nicht selbst zu sterben,
Stößt, ach, das zärtlichste, das treuste Herz hinab!
Die See fühlt deinen Werth, und läßt es dir gelingen,
Und weiß auch ohne Bret dich an den Strand zu bringen.
Hier trifft die Herrliche den schwurvergeßnen Mann.
Er kniet vor ihr, er fleht. „O, spricht sie, geh, Montan!
Das Leben dir geschenkt, du mir den Tod bereitet.
Verlaß auf ewig mich, weil mich ein Herz betrübt,
Das in der Ruhe zwar, doch in Gefahr nicht liebt.
Sey stets beglückt, Montan! Dich werd’ ich niemals hassen,
Die Freunde.
Zwei Freunde wandelten durch einen dichten Wald.
Der Eine sprach: „Hier ist der Bären Aufenthalt.“
Der Andre sprach: „Hier sind von rohen Diebeshorden
Oft Reisende beraubt, und oft getödtet worden.“
Als Freunde waren wir vereint bis diesen Tag.
Wir bleibens künftig auch, und werden in Gefahren
uns durch verbundne Kraft in jeder Noth bewahren.“
Kaum war dieß Wort gesagt, da zog ein großer Bär
Der Eine flüchtete sich gleich auf eine Eiche,
Der Andre aber fiel, und lag wie eine Leiche
Am Boden hingestreckt, weil er einmal gehört,
Daß nie ein Bär vom Fleisch erschlagner Menschen zehrt.
Der Bär beroch ihn rings und leckt’ ihn an dem Boden,
Und lief zuletzt davon, weil er als todt ihn nahm.
Jetzt sprang der Freund vom Baum, und als er nahe kam,
Rief er: „Was hat der Bär dir in das Ohr gesprochen,
„Er hat, sprach Jener, mich gewarnt: Nimm dich in Acht,
Vor Freunden, die die Noth dir sogleich untreu macht.“