Ferdinand Raimund (Die Gartenlaube 1890/15)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Ferdinand Groß
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ferdinand Raimund
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 471–472
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[471]
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Ferdinand Raimund.

Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß unter allgemeiner Zustimmung in einer Großstadt ein Denkmal für einen heimischen Dramatiker errichtet wird, den man fast gar nicht mehr spielt und der nur noch die Erinnerung an eine theatralische Glanzzeit bedeutet. Diese Erscheinung tritt in der Grundsteinlegung zum Denkmale Ferdinand Raimunds zu Tage, die am 1. Juni d. J., dem hundertsten Geburtstage des Dichters, zu Wien stattfand. Zwar fehlen noch die nöthigen Geldmittel, ein Wettbewerb der Bildhauer steht erst bevor, und so bedeutet jene Grundsteinlegung nur eine sinnbildliche Handlung: Raimund ergreift Besitz von seinem Platze vor dem „Deutschen Volkstheater“. Aber schon darin liegt eine schwerwiegende Bedeutung, denn es wird anerkannt, daß Raimund eine der stolzen Säulen des Wiener Theaterwesens war, daß er es verdient hat, eine Ehrung in Stein und Erz zu erfahren, und daß das jetzt lebende Geschlecht ihm tief verpflichtet ist für sein Schaffen und Wirken als Volksdichter. Niemand bestreitet Raimunds Bedeutung als Reformator unserer heimischen Bühne, aber man feiert ihn nur wie einen Begriff, nicht wie einen leibhaftigen Dramatiker, der seine Stücke für das wirkliche Theater geschrieben hat.

Hie und da bringt eine Wiener Bühne eine von Raimunds dramatischen Arbeiten, und bei Gelegenheit der Grundsteinlegung ist die eine und die andere derselben vor die Rampen gekommen; aber ein lebendiges Glied in der Bethätigung unserer Schauspielhäuser ist Raimund schon längst nicht – unsere Schauspieler wissen nicht mehr recht, wie man Raimund darstellt, wir anderen kaum, wie man ihn genießt. Ein umgestalteter Geschmack, eine neue Zeit mit neuem Streben und neuen Forderungen, sie haben uns ihm entfremdet, und wir blicken zu ihm empor wie zu einem ehrwürdigen Ahnherrn, dessen hoher Werth uns nicht darüber zu täuschen vermag, daß er eine andere Sprache redet als wir.

Trotz alledem ist es eine ehrliche, aufrichtige Pietät, von welcher die Wiener gegen Raimund erfüllt sind, eine Pietät, zu der sie vollauf Grund und Ursache haben, weil Raimund ein für allemal siegreich festgestellt hat, welch reiche poetische Quellen aus dem Wesen des Oesterreichers sich hervorlocken lassen, weil er den Mitlebenden wie den Enkeln einen Schacht aufgedeckt hat, in welchem Edelgestein von werthvollster Art und in kaum übersehbarer Menge eingebettet liegt. Und nicht nur Dankbarkeit stimmt uns anerkennungsvoll für Raimunds Andenken, sondern auch die wehmüthig bedauernde Erkenntniß , daß die Nachfolger Raimunds nicht in wünschenswerther Weise an ihn angeknüpft haben, daß man so lange nur seine Schwächen ins Auge faßte, bis man verlernt hatte, sich für seine hellen Vorzüge zu erwärmen. Heute hat man sich eines besseren besonnen, heute gilt auf theatralischem wie auf jedem anderen künstlerischen Gebiete der Grundsatz, aus den verschiedensten Stilgattungen das Vorzüglichste herauszusuchen und zu verwenden. Wir finden in manchen Seiten von Raimunds Dichtung ein nachahmenswertes Muster, aber da Raimund nicht eigentlich Schule gemacht hat und seine Stücke gerade in ihren bezeichnendsten Wendungen einem überwundenen Geschmacke entsprechen, ist der blutwarme Zusammenhang des bedeutenden Dichters mit der Gegenwart unserer Bühne so ziemlich verloren gegangen.

Raimund fühlte noch bei Lebzeiten, daß er bei Seite gedrängt wurde. Johann Nestroy (1802 bis 1862), eine Art von örtlichem Aristophanes, ein Bühnenschriftsteller und Schauspieler von bitterscharfer Art, voll herben Spottes, voll rücksichtslosen Hohnes, geistreich bis in die Fingerspitzen, aber ein arger Cyniker, dem nichts geheiligt war, eroberte rasch die Gunst der Wiener, die bei aller Gutmüthigkeit immer einen ausgesprochenen Hang für Ironie, ja für Selbstironie bewiesen haben. Als Raimund gegen Ende seines Lebens von einem Fachgenossen befragt wurde, warum er kein neues Stück für das Leopoldstädter Theater schreibe, gab er zur Antwort: „’s wär’ schad’, wenn ich noch etwas schreiben möchte. Ich dringe nicht mehr durch; jetzt ist der Nestroy obenan! Ich hab’ seine letzten Stücke gesehen. Ja, ’s ist wahr, so viel Spaß hab ich nicht wie er, aber – ich möcht’ doch solche Stücke nicht geschrieben haben! Aber sie machen jetzt Furore, meine Stücke haben neben ihnen keinen Platz mehr, und ich selber – ich auch nicht neben dem Nestroy. Na, machen wir halt Platz!“

Grellere Gegensätze als Raimund und Nestroy lassen sich allerdings kaum erträumen.

Jener beschwört Schutzgeister, die im gegebenen Augenblicke den Menschen retten, befreien, erlösen, die seine Geschicke lenken und wenden – Nestroy glaubt höchstens an die bösen Geister, die in des Erdensohnes Brust wohnen, er schlägt aller Schwärmerei, aller Begeisterung ein Schnippchen; für die Ideale hat er ein hämisches Lächeln, man hört eine scharfe Geißel durch die Luft sausen, wenn er sich vernehmen läßt: „Ich soll etwas für die Nachwelt thun? Was hat die Nachwelt für mich gethan?“

Die Kränkung darüber, daß er sichtlich an Geltung verlor, soll mit dazu beigetragen haben, Raimund in den Tod zu treiben. Bekanntlich hat Raimund in der Blüthe des Mannesalters als Selbstmörder geendet.

Geboren am 1. Juni 1790 in Wien, starb er am 5. September 1836 in Pottenstein, einem romantisch gelegenen Dorfe Niederösterreichs. Nachdem er genöthigt worden war, die Lehrlingszeit als Zuckerbäcker durchzumachen, konnte er seiner Lust am Theater nicht länger widerstehen und ging mit achtzehn Jahren frohgemuth unter die wandernden Komödianten. Anfänglich errang er keine Erfolge; ein Sprachfehler, den er nach und nach durch eiserne Beharrlichkeit überwand, bereitete ihm erhebliche Schwierigkeiten; auch wurde er nicht richtig beschäftigt, sondern in Rollenfächer hineingezwängt, für welche er nicht geeignet war. Von 1817 an gehörte er der Leopoldstädter Bühne in Wien an, und hier fand er Gelegenheit, als Charakterkomiker Triumphe zu feiern. Er glänzte in jener halb rührenden, halb komischen Art, welche sich zu einer Wiener Eigenthümlichkeit herausgebildet hat und noch jetzt von einigen Künstlern gepflegt wird. Der große Tragöde Heinrich Anschütz erzählt in seinen Lebenserinnerungen:

„Ich verdanke Raimund eine Reihe unvergeßlicher Erinnerungen. Raimund war der wahre Humorist. Ueber ihn konnte man in demselben Athemzuge lachen und weinen. Noch erinnere ich mich, wie ich mit Ludwig Devrient einer Vorstellung von ‚Bauer als Millionär‘ beiwohnte. Devrient war ganz Auge und Ohr, und bei der Darstellung der Scene, wo das ‚hohe Alter‘ eintritt, war mein Nachbar so ergriffen, daß er in die Worte ausbrach: ‚Der Mann ist so wahr, daß ein so miserabler Mensch wie ich ordentlich mitfriert und leidet‘ …“

Die Zeitgenossen wußten ihn als Darsteller zu schätzen. Seine schriftstellerische Thätigkeit begann 1823 mit der Märchenposse „Der Barometermacher auf der Zauberinsel“. Von da an war er eifrig als Dramatiker thätig. Er schrieb noch „Der Diamant des Geisterkönigs“, „Das Mädchen aus der Feenwelt, oder: Der Bauer als Millionär“, „Moisasurs Zauberfluch“, „Die gefesselte Phantasie“, „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“, „Die unheilbringende Krone“ und „Der Verschwender“ (1833).

Mit diesen Stücken wurzelte er wohl noch im Zauberer-, Geister- und Feenwesen, welches damals die Wiener Bühnen beherrschte, aber trotz der Zugeständnisse, welche er nothgedrungen den herrschenden Neigungen machen mußte, schwang er sich hoch empor über das Durchschnittsmaß der übrigen Dramatiker, welche ihn umgaben; er kleidete in das mit possenhaften Schellen behangene Zaubergewand gesunde, sittliche Lehren, weise Ermahnungen. In erster Linie handelte es sich ihm darum, zu erhärten, daß Geld und Gut allein nicht glücklich machen, wenn Herzensfriede und Seelenruhe mangeln, ja, daß in den meisten Fällen der Reichthum Unglück und Verderben mit sich führe.

Dieses Thema zu behandeln, wird er nicht müde, es begegnet uns in den verschiedensten Formen, unter den verschiedensten Verhältnissen. Raimund sieht das Theater als den Schauplatz für erzieherische Strebungen an. Im „Verschwender“ legt er Nachdruck auf den Rathschlag, der Mensch möge im Glücke nicht übermüthig werden. In „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ wendet er sich mit Heftigkeit gegen die Welthasser, die an ihren Mitmenschen durchaus nur Schlechtes entdecken wollen, und daß Raimund dies thut, dünkt uns um so auffälliger, als im übrigen durch sein Wesen ein tief melancholischer, ein entsagender Zug geht, eine wehmüthige Klage über die Nichtigkeit und Flüchtigkeit alles Irdischen. Raimund war ein Weltweiser, der manchmal in den bunten Flitterstaat des Hanswursts schlüpfte und seine Weisheit hinter Phantasterei und hinter Fabuliren verbarg und, um es mit dem Publikum nicht zu verderben, den einen zuliebe einen Purzelbaum schlug, der anderen wegen die lustigen Schemen aus „Tausend und einer Nacht“ heraufbeschwor, ehe er einen seiner Erfahrungssätze verkündete oder seiner Entrüstung über die niedrigen Leidenschaften der Menschen Worte lieh.

Wollen wir bis ans Ende seines Lebenslaufes dessen wichtigste Begebenheiten hervorheben, so müssen wir sagen, daß er auch außerhalb Oesterreichs als Darsteller in hohem Maße gefeiert wurde. In München, Hamburg, Berlin etc. fand er reichsten Beifall. Im Jahre 1834 kaufte er sich zwischen Pernitz und Guttenstein in Niederösterreich an; zwei Jahre später wurde er dort von seinem Hofhunde in die Hand gebissen. Der Hund mußte als wuthverdächtig erschossen werden, und Raimund, von schrecklichen Befürchtungen geplagt, schoß sich eine Kugel vor den Kopf.

Daß er zur Schwermuth hinneigte, geht aus seinen Stücken zur Genüge hervor; wenn er in „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ gegen die Hypochonder Front machte, so darf man annehmen, daß er sich auf solche Art von seinen eigenen überaus trüben Stimmungen dichterisch befreien wollte. Der melancholische Grundzug seines Innenlebens gelangt nirgends so deutlich zum Ausdrucke wie in den berühmt und volksthümlich gewordenen Liedern „So leb’ denn wohl, du stilles Haus“ aus „Der [472] Alpenkönig und der Menschenfeind“, „Ein’ Aschen! Ein’ Aschen“ und „Brüderlein fein, Brüderlein fein“ aus „Der Bauer als Millionär“, endlich in dem Hobel-Couplet aus dem „Verschwender“. Wenn Raimund unablässig mit übernatürlichen Mitteln arbeitet und seine Leute nicht selbst ihres Glückes Schmiede sein läßt, sondern Feen und ähnliche Gestalten zu gütigen oder bösartigen Lenkern ihrer Geschicke macht, so ist er in solchem Zusammenhange mit kindlichen Vorstellungen nicht er selbst, und er ist es auch nicht, wo er die hochtrabenden, in fast unfreiwilligen Jamben sich bewegenden Reden der zauberisch begabten Förderer und Feinde des Menschen mit geradezu läppischen Lokalscherzen vermengt. Er hat sich dagegen offenbar auf sich besonnen, wenn er die weiche, im Halbdunkel waltende Entsagungsstimmung, das schmerzliche Sichabfinden mit den Schattenseiten des Lebens zum Gegenstande von Gesängen macht, die man nicht so leicht vergißt, wenn man sie einmal gehört hat. Valentin, des „Verschwenders“ Flottwell ehemaliger Diener, der den verarmten Gebieter gutwillig bei sich aufnimmt, begleitet das Hantiren in seiner Tischlerwerkstätte mit einem solchen Liede, das für Raimund bezeichnender ist als die Handlung seiner Stücke oder der Charakter seiner Figuren:

„Da streiten sich die Leut’ herum
Oft um den Werth des Glücks,
Der eine heißt den andern dumm,
Am End’ weiß keiner nix.
Das ist der allerärmste Mann,
Der andre viel zu reich,
Das Schicksal setzt den Hobel an
Und hobelt s’ beide gleich.

Die Jugend will halt stets mit G’walt
In allem glücklich sein,
Doch wird man nur ein bissel alt,
Da find’t man sich schon d’rein.
Oft zankt mein Weib mit mir, o Graus!
Das bringt mich nicht in Wuth,
Da klopf’ ich meinen Hobel aus
Und denk’, Du brummst mir gut.

Zeigt sich der Tob einst mit Verlaub
Und zupft mich: Brüderl kumm,
Da stell’ ich mich im Anfang taub
Und schau’ mich gar nicht um.
Doch sagt er: Lieber Valentin,
Mach’ kein Umständ’, geh’!
Da leg’ ich meinen Hobel hin
Und sag’ der Welt Adje!“ [1]

Ferdinand Raimund.

In den Liedern Raimunds wohnen rührende Einfachheit und Schlichtheit, gesundes Empfinden, eine für den täglichen Gebrauch zurechtgelegte Philosophie, welche den Hörer mit echt poetischer Kraft gefangen nehmen. Durch eine Wolkenschicht von hergebrachtem Märchen-Firlefanz und Vorstadt-Scherz bricht sich mit hehrer Gewalt die mächtige dichterische Empfindung Bahn. Braucht man doch nur daran zu erinnern, wie in „Der Bauer als Millionär“ die „Jugend“ von dem Bauer Wurzel sich verabschiedet und das „Hohe Alter“ ihn für sich in Beschlag nimmt, wie jene verschwindet, dieses aber es sich heimisch macht und Wurzel sichtbar zum Greise wird – die Weltlitteratur hat nur wenige dramatische Scenen aufzuweisen. die sich an packendem Eindrucke damit messen können.

Wenn Wien nunmehr den ersten Schritt gethan hat, Ferdinand Raimund ein Denkmal zu setzen, so erfüllt es eine Pflicht. Mag unser Gaumen für die Kost, welche Raimund bietet, verdorben sein, mag sie uns nur noch ausnahmsweise munden – wir müssen doch zugestehen, daß derjenige, der uns Stücke gab wie „Der Bauer als Millionär“, „Der Verschwender“, „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“, einer der drei großen Dramatiker war, welche Oesterreich bisher besessen hat. Die beiden anderen heißen Franz Grillparzer und Ludwig Anzengruber. Ferd. Groß.     



  1. Dies ist die Fassung des vielgesungenen Liedes nach Raimunds eigener Niederschrift, welche Raimunds sämmtlichen Werken, herausgegeben von Glossy und Sauer (Wien, Verlag von Carl Konegen) zu Grunde liegt. In derselben Ausgabe findet sich auch das Bildniß Raimunds in Radierung nach einem Gemälde Lampis, welchem unser Holzschnitt nachgebildet ist.