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Festgedicht (Die Gartenlaube 1888/17)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Ernst von Wildenbruch
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Titel: Festgedicht
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 284
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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 Festgedicht

zur Einweihung des Deutschen Buchhändlerhauses in Leipzig
 am 29. April 1888

Und die Erde – also steht’s geschrieben –
Glich der Wüste, sie war öd und leer;
Denn die Herrschaft war der Nacht geblieben,
Finsterniß regierte dumpf und schwer.

Dasein war, doch keine Daseinswonne,
Leben seiner selber unbewußt,
Bis der Flammenkuß des Gottessonne
Seele weckte in der Erde Brust.

Da gebar die Seele den Gedanken,
Der Gedanke wurde Leiblichkeit –
Und der erste Mensch betrat die Schranken,
Die gewaltigen, von Raum und Zeit.

Einsam in der weiten Welt verloren,
Hilflos flehend that er auf den Mund;
Sieh, da ward’ ein neuer Ton geboren,
Wie ihn nie vernahm der Erden Rund.

Stark wie Sturmwind, der den Wald durchrauschet,
Süß wie Quelle am verborgnen Ort,
Und der Ton, dem rings die Erde lauschet,
Dieser wunderbare, war das Wort. –

Und zur Sprache ward das Wort – umfangen
Hält den Menschen sie mit Leid und Lust;
Lieb’ und Haß, sein Hoffen und sein Bangen,
Er vertraut es ihrer Freundesbrust.

Von des sterbenden Geschlechtes Grabe
Schritt zur Wiege sie des nächsten fort;
Spätem Enkel brachte sie zur Gabe
Seines Ahnen längst verklungnes Wort.

Kampf zerbrach der Menschheit alte Bande,
Volk entriß dem Volke seinen Platz,
Und das flücht’ge trug vom Heimathlande
Seine Sprache fort als letzten Schatz.

In der Halle, wo der Sieger thronte,
Stimmte den Triumphgesang sie an;
Da wo trauernd der Besiegte wohnte,
Ihr vom Mund die Klage tröstend rann.

Und da schlug die wunderbare Stunde,
Schöpfungskräftig ward des Menschen Hand;
Für die Sprache, die er trug im Munde,
Schrift und Zeichen sich der Mensch erfand.

Was der Hauch des Augenblicks gegeben,
Wurde köstlich dauernder Besitz;
Gluth am Herd, des Hauses warmes Leben
Ward der zückende Gedankenblitz.

Da erhob von aller Welten Enden
Sich der Jünger ungezählte Schar,
Um die Schrift zur Schönheit zu vollenden,
Die noch jung und ungefüge war.

Und sie zogen wandernd in die Ferne,
Keine Mühsal brach die frohe Kraft,
Daß der Eine von dem Andern lerne
Edlen Könnens höchste Meisterschaft;

Trugen mit sich in die fremden Lande
Ihres eignen Volkes Geist und Sinn,
Brachten heim vom fern entleg’nen Strande
Fremden Volkes Sprache als Gewinn;

Da vernahm ein Volk des andern Rede
Und die Völker lernten sich verstehn.
Was der Kampf zerrissen und die Fehde,
Ließ die Schrift zusammen wieder gehn.

Aber sieh, die Schriftgelehrten kamen,
Sprachen: „Uns gehört die Schrift allein,“
Prägten auf die Wahrheit ihren Namen:
„Keine Wahrheit soll daneben sein.“

Da erhob sich aus der Nacht der Zeiten
Gottes Geist und sprach zu einem Mann:
„Stehe auf, Du sollst die Schrift verbreiten,
Daß ein Jeder sie besitzen kann.

Denn ich bin die Sprache, die für jeden,
Für den Armen und den Reichen spricht –
Gutenberg, Du laß’ die Stummen reden;
Es will dunkel werden, zünde Licht!“

Und da schlug die Stunde aller Stunden:
Deutsche Hand zerbrach die Finsterniß,
Und im Erze ward die Kraft gefunden,
Die das Wort aus Schreibers Willkür riß.

Vor dem Morgen, der zu allen Thoren
Jauchzend einbrach, wichen Nacht und Fluch
Und es war die neue Welt geboren,
Und die neue Welt sie hieß „das Buch“. –

Hoffnung war es, die die Saaten streute,
Kraft und Muth behüteten das Feld –
Wir, die Nachgebornen, ernten heute
Früchte, die die Väter uns bestellt.

Und in unsres Herzens Tiefe regen
Kindheitslehren sich mit süßem Laut,
Die uns sagen, daß des Vaters Segen
Kind und Kindeskindern Häuser baut.

Hier im Haus, das uns das Buch gegründet,
Seid gegrüßt mit Herzen, Mund und Hand!
Hier zum Altar, den der Geist entzündet,
Trage jeder seinen Opferbrand!

Jeder beuge sich dem Wort und leiste
Huld’gung ihm, das uns zusammenhält:
„Wer dem Buche dient, der dient dem Geiste;
Wer dem Geiste dient, der dient der Welt.“

 Ernst v. Wildenbruch.