Feuerkugeln und Meteorsteine

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Textdaten
<<< >>>
Autor: Dr. H. J. Klein
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Feuerkugeln und Meteorsteine
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 178–179
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[178]

Feuerkugeln und Meteorsteine.

Von Dr. H. J. Klein.


Das plötzliche Auftreten feuriger Meteore am Himmel, der Donner, welcher ihrer Explosion folgt, und das prasselnde Herabstürzen von Stein- oder Eisenmassen sind Erscheinungen, die zu allen Zeiten und bei den verschiedensten Völkern erwähnt werden. Allein in besonders großartiger, ja furchtbarer Weise treten sie doch nur verhältnismäßig selten auf und in dieser Beziehung ist jener Fall, von dem Mitte Februar die Zeitungen aus Madrid meldeten, gewiß ein bemerkenswerter. Den vorliegenden Nachrichten zufolge, erschien das Meteor wie ein Komet, zog rasch über den Himmel und zersprang mit einem Donner, welcher die Fenster erklirren und Häuser erzittern machte. Ja, die ersten Nachrichten besagten sogar das Furchtbare, es seien durch die Explosion Häuser umgestürzt worden. So schlimm war es nun freilich nicht, aber daß in einzelnen Fällen Feuermeteore thatsächlich Verwüstungen an Gebäuden angerichtet und den Tod von Menschen verursacht haben, daran ist nicht zu zweifeln. In den berühmten Fuldaer Annalen, einer wichtigen Quelle für die ältere deutsche Geschichte, wird berichtet, daß sich im Jahre 823 in Sachsen ein überaus furchtbarer Meteorsteinfall ereignet habe, wodurch Menschen und Vieh erschlagen und Dörfer vom Feuer verzehrt worden seien.

Zu Spangenberg bei Friedeburg a. d. Saale fielen am 10. Oktober 1304 feurige Steine zahlreich wie Hagelschloßen vom Himmel, erregten Brand und fügten dem Landvolk viel Schaden zu. Der merkwürdigste, direkt beobachtete Fall eines Meteorsteins aus früheren Jahrhunderten ist jener bei Ensisheim in Elsaß am 7. November 1492. Es stürzte dort ein nahezu dreieckiger Stein von 130 Kilogramm Gewicht zwischen 11 und 12 Uhr mittags herab unter so furchtbarem Donner, daß man denselben bis nach Frankreich und zur Donau hin hörte. Das Meteor verursachte glücklicherweise keinen Schaden und König Maximilian I., der kurz darauf nach Ensisheim kam und den Stein besah, ohne darüber ins klare zu kommen, ließ ihn an einer Kette in der Kirche des Ortes aufhängen, wo er noch hängt. Später (1503) bezeichnete der König in seinem Aufruf an die Christenheit wider die Türken den Steinfall als eine Mahnung Gottes, daß die Menschheit von ihren Sünden ablassen und sich bekehren solle. Sebastian Brandt besang den Steinfall in einem größeren Gedicht und sagte darin am Schlusse:

„Rechtlich sprich ich, das er bedüt
Ein bsunder plag derselben lüt.“

Er hat darin nicht recht behalten, und auch über den Ursprung des Steines blieben die Gelehrten uneinig und zuletzt wurde er mit folgender Ueberschrift versehen:

„De hoc lapide multi multa, omnes aliquid, nemo satis.“
(Ueber diesen Stein sagen viele vielerlei, alle etwas, niemand genügendes.)

Am 4. September 1511, fast gleichzeitig mit einer totalen Sonnenfinsternis, ereignete sich wiederum ein gewaltiger Meteorsteinfall, diesmal in Oberitalien. Man sah eine geschweifte Feuerkugel, dann ein tiefschwarzes Gewölk, welches Blitze aussandte, denen furchtbare Donnerschläge folgten. Zahlreiche Steine, wie es heißt über 1200, stürzten dabei aus der Luft, die meisten sehr klein, aber auch einige große von 260 und 120 Pfund Gewicht. Sie erschlugen Menschen und Tiere, selbst Fische in den Flüssen. Das Ereignis erregte in ganz Italien Schrecken.

Im Jahre 1660 wurde zu Mailand im Kloster S. Maria della Pace ein Franziskanermönch von einem kleinen durch das Dach des Klosters fallenden Meteorstein getötet. Man fand an dem Schenkel des Unglücklichen eine schwarze, bis auf den Knochen reichende Wunde und im Grunde derselben ein rundliches, scharfrandiges, beim Zerbrechen schwefelig riechendes Steinchen.

Außer den angeführten giebt es noch zahlreiche andere Beispiele von Feuermeteoren, welche Stein- oder auch Eisenmassen herabsandten, aber im Zeitalter der Aufklärung, im vorigen Jahrhundert begann man, an der Wahrheit der alten Berichte zu zweifeln, und zuletzt behauptete sogar die Pariser Akademie der Wissenschaften, es [179] sei ein albernes Märchen, daß jemals Steine vom Himmel gefallen wären. Es traf sich indessen, daß gerade in Frankreich sich der nächste beobachtete Meteorsteinfall ereignete, und zwar am 13. September 1768 zu Lucé im Sarthe-Departement. Dort erschien gegen Abend plötzlich eine schwarze Wolke, es erfolgte ein Kanonenschlag und unter Lärm, „wie das Brüllen eines Ochsen“, fiel ein 7½ Pfund schwerer Stein auf den Rasen. Als man ihn aufhob, war er so heiß, daß er nicht berührt werden konnte. Er zeigte eine matte schwarze Kruste, unter derselben aschgraue Farbe und zahlreiche metallische Punkte von Eisen. Als über das Ereignis nach Paris berichtet worden war, sandte die Akademie drei ihrer Mitglieder ab, die an Ort und Stelle die Sache untersuchten und zu dem Ergebnisse kamen, es sei nicht wahr, daß der Stein vom Himmel gefallen wäre, sondern er habe unter dem Rasen gelegen, sei vom Blitze getroffen, angeschmolzen und herausgeschleudert worden. Damit war die Sache erledigt. Allein 22 Jahre später, am 24. Juli 1790, wurde, wiederum in Frankreich, zu Juillac und Barbotan eine Feuerkugel gesehen, welche mit furchtbarem Donner explodierte und zahlreiche Steine zur Erde schleuderte. Der Bürgermeister nahm über den Vorfall ein Protokoll auf und sandte dasselbe nach Paris. Dort wußte man indessen besser als die Augenzeugen, was an der Sache war, und erklärte den Vorgang für unmöglich. Kurz darauf begann indessen ein einfacher deutscher Professor, Florenz Friedrich Chladni, der Sache vorurteilsfrei nachzuforschen, indem er aus der großen Göttinger Bibliothek alle Nachrichten sammelte, welche über Feuermeteore und Meteorite sich vorfanden. Dadurch kam er zu der Ueberzeugung, daß es sich nicht um ein Hirngespinst handle, sondern daß die Sache ihre Richtigkeit habe, und 1794 sprach er in einer Schrift seine Ueberzeugung aus, daß thatsächlich von Zeit zu Zeit Steine vom Himmel gefallen seien, ja, daß eine große 1600 Pfund schwere Eisenmasse, die auf dem Gipfel eines Berges in Sibirien gefunden worden war, nichts anders als ein früher vom Himmel gefallener Meteorit sei.

Chladnis Behauptung erregte fast überall Widerspruch, ja ein Fanatiker erklärte den harmlosen deutschen Gelehrten deshalb öffentlich für einen Feind der moralischen Weltordnung. Am heftigsten war der Widerspruch von seiten der Pariser Gelehrten, und als kurz darauf zu Siena in Italien ein Steinregen stattfand, den man absolut nicht leugnen konnte, wurde in allem Ernste behauptet, die Steine seien vom Vesuv ausgeworfen worden, obgleich dieser Vulkan 150 Meilen von Siena entfernt ist. Die Frage war indessen jetzt auf die Tagesordnung gesetzt und wurde von verschiedenen Seiten behandelt, wobei auch die Ansicht auftauchte, jene Meteorite könnten von den Vulkanen des Mondes ausgeworfen sein. Da ereignete sich am 26. April 1803 abermals ein Meteoritenfall, und zwar wiederum in Frankreich, nahe bei dem Orte l’Aigle im Orne-Departement. Es fielen 2000 bis 3000 meist kleine Steine, die sämtlich heiß, jedoch nicht rotglühend waren, als sie den Boden erreichten. Das außerordentliche Aufsehen, welches dieses Ereignis in ganz Frankreich erregte, veranlaßte die Pariser Akademie, eines ihrer Mitglieder an Ort und Stelle zu senden, um die Sache gründlich zu prüfen. Als Resultat ergab sich, daß dem Steinfalle das Auftreten einer geschweiften Feuerkugel vorausgegangen sei, deren Zerplatzen in einem Umkreise von 30 Meilen vernommen wurde, worauf zahlreiche Steine aus der Luft fielen. Die Thatsache des Steinfalls war also endlich in einer auch für die Akademie zu Paris genügend erscheinenden Weise dokumentiert, man hatte jetzt die Steine in der Hand und wußte, daß sie aus den Wolken herabgefallen waren; allein nun entstand die Frage: wie sind sie aus dem Himmel gekommen? Chladni hatte behauptet, die Meteoriten stammten aus dem Weltraum, woselbst sie sich in unbekannten Bahnen bewegten, bis sie in die Nähe der Erde kamen. Von dieser angezogen, stürzen sie herab, wobei durch den Widerstand der Luft Erhitzung bis zur Glut und oberflächliche Schmelzung sowie eine Zertrümmerung des Meteoriten stattfindet. Im großen und ganzen hat sich diese Erklärung in allen folgenden Erscheinungen und Untersuchungen von Meteoriten bewahrheitet. Die Zahl der Feuerkugeln, welche alljährlich erscheinen, ist nicht gering, aber selbst solche, welche mit ungeheurem Donner zu explodieren scheinen, liefern nur in sehr wenigen Fällen Meteoriten, Stein- oder Eisenmassen. Von dem großen Meteor in Madrid sind nur wenige und verhältnismäßig kleine Bruchstücke gefunden worden. Der Grund mag zum Teil wohl darin liegen, daß das Auffinden solcher Bruchstücke sehr vom Zufall abhängt, außerdem ist aber auch zu bemerken, daß der furchtbare Donner eines Feuermeteors nicht immer von einer Explosion, einer Zertrümmerung desselben verursacht wird. Eine Kanonenkugel, die mit 600 Meter Geschwindigkeit die Luft durchschneidet, erzeugt ein pfeifendes Geräusch, würde sie dagegen mit einer Geschwindigkeit von 60 000 Metern in der Sekunde fliegen, so würde sie donnern und glühend werden, d. h. Blitze auszusenden scheinen. Die Meteoriten besitzen solche Anfangsgeschwindigkeiten und durch Hemmung derselben in der Luft müssen sie sich bis auf mehrere tausend Grad erhitzen, wodurch Teilchen derselben verdampft werden, die den Rauch sowie den Schweif des Meteors bilden.

Was die Herkunft der Meteoriten anbelangt, so ist nach den neuesten Untersuchungen nicht mehr daran zu zweifeln, daß diese Körper aus dem fernen Weltraum stammen, also unserm Sonnensystem nicht als Glieder angehört haben. Man darf aber nicht wähnen, sie trieben sich im Weltraum in Gestalt von Feuerkugeln umher, sondern dort sind sie nur als dunkle, durch und durch erkaltete Massen denkbar, die erst in unserer Atmosphäre glühend werden und aufleuchten. Wenn aber die Meteoriten aus fernen Fixsternsystemen zu uns gelangen, so müssen wir schließen, daß sie sich Millionen Jahre lang auf ihrer Reise befunden haben, ehe sie endlich ihre dauernde Ruhestätte auf der Erde fanden. Sie bringen uns jetzt Kunde und Proben von Gesteinen und Metallen, welche sich in den fernsten Räumen des Universums befinden, und gewähren damit ein Interesse, welches kein anderer Naturkörper in gleicher Weise besitzt. In der That ist es höchst merkwürdig, in den Meteoriten Gesteinsarten und Mineralien zu begegnen, welche bei uns auf der Erde vorkommen: Quarz, Olivin, Augit, ferner nickelhaltigem Eisen, Magnetkies, Chromeisenerz u. s. w. Mit Hilfe des Spektroskops hat man in einigen Eisenmeteoriten Kobalt, Kupfer, Calcium, Natrium, Kalium und andere einfache Substanzen gefunden, auch sind einzelne Meteoriten reich an Gasen, vor allem an Wasserstoffgas. Zuletzt hat man in einigen Meteorsteinen, aber auch in Meteoreisen, kleine schwarze Diamanten entdeckt, sowie Kohle, welche auf das frühere Vorhandensein einer organischen Substanz hindeutet. Letztere Wahrnehmung ist von außerordentlicher Wichtigkeit, denn bis jetzt kennen wir organische Gebilde, also Lebewesen, direkt nur auf unserer Erde und der Nachweis verkohlter Reste derselben in Körpern, die aus dem fernsten Weltraum stammen, ist etwas Unerwartetes. Im ganzen kennt man jetzt 4 oder 5 Meteoriten, die kohlehaltig sind. Am merkwürdigsten ist derjenige, welcher am 14. Mai 1864 in der Nähe des Dorfes Orgueil in Frankreich niederfiel. Von diesem Meteoriten hat man ungefähr 20 Stücke gefunden, die meisten davon sind mit einer schwarzen Schmelzrinde umgeben, welche andeutet, daß der Meteorit ursprünglich, also vor seiner Explosion, schon aus mehreren Stücken bestand, die gemeinsam in unsere Atmosphäre traten. Die chemische Untersuchung ergab mit zweifelloser Sicherheit, daß in diesen Meteoriten Wasser und eine organische Materie, eine Art Huminsubstanz, enthalten war. Es ist schwer begreiflich, wie solche organische Materie auf einem Meteoriten entstehen konnte. Wir wissen, daß Organismen zu ihrer Existenz Wasser, eine Atmosphäre aus Sauerstoff, Kohlensäure und Stickstoff, sowie eine Temperatur zwischen 0° und 100° Wärme bedürfen. Diese Bedingungen sind aber auf den Meteoriten, wie wir diese kennen, nicht erfüllt, und wenn trotzdem auf diesen kleinen Steinen Spuren von organisierter Materie gefunden werden, so folgt daraus, daß diese Meteorsteine Trümmer eines großen Weltkörpers sein müssen. Wir werden auf diesem Wege zu der Ansicht geleitet, die Meteoriten als die Fragmente eines Planeten zu betrachten, der durch irgend eine Katastrophe vor unzählbaren Jahrtausenden zerschmettert worden ist, wobei seine einzelnen Stücke in den Weltraum hinausgeschleudert wurden. Unserem Sonnensystem aber kann dieser Planet nicht angehört haben, sondern er war Zubehör des fernen Fixsternreiches. Vielleicht haben auch viele Vorgänge dieser Art stattgefunden, ja, man muß dieses eigentlich annehmen, weil sonst es unbegreiflich wäre, daß trotz der Unermeßlichkeit des Weltraums so zahlreiche Meteoriten auf die Erde stürzen. So ist denn auch der Meteorit, welcher jüngst Madrid in Schrecken versetzt hat, ein Abkömmling aus fernen Himmelsräumen, mit einer Katastrophe hat er vor uralter Zeit seine Laufbahn begonnen und mit einer Explosion sie jetzt für immer geendigt.