Frühlingsaussichten

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Autor: C. Falkenhorst
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Titel: Frühlingsaussichten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 114–115
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Frühlingsaussichten.


Die Menschen beschäftigen sich gern mit dem Wetter, eilen in Gedanken Wind und Wolken voraus und gefallen sich in Wetterprophezeiungen. Der eine hält sich dabei an die alten Lostage: die Siebenschläfer, die Lichtmeß etc. sind seine Leitsterne; der andere wartet auf Falbs kritische Tage – nur die wenigsten geben sich die Mühe, den allerdings etwas umständlichen und einen gewissen Grad von Kenntnissen voraussetzenden Apparat der meteorologischen Wissenschaft zu Rathe zu ziehen. Freilich, auch die Wissenschaft kann irren und im Wettervoraussagen irrt sie sogar häufig, aber ihre Grundsätze sind im allgemeinen zuverlässig, und so weist sie unter allen Systemen der Wetterprophezeiungen die meisten Treffer auf. Sie hat von den Räthseln des Wetters recht viele gelöst, und eine ihrer schönen Errungenschaften in der neuesten Zeit betrifft die Aufdeckung der geheimen Beziehungen, die zwischen dem Winter und dem Frühling bestehen. Auf Grund derselben sind wir unter Umständen wohl in der Lage, den allgemeinen Charakter des nächsten Frühlings aus dem Verlaus des Winters vorauszusagen. Nach dem harten heurigen Winter sehnen wir uns sicher nach der Zeit, da milde Frühlingslüfte zu wehen pflegen. Versuchen wir zu erforschen, wie sich der Frühling 1893 gestalten wird!

In alten Zeiten feierten unsere Vorfahren den Einzug des Frühlings in Deutschland u. a. durch ein Spiel, in welchem ein Ringkampf zwischen zwei vermummten Gestalten aufgeführt wurde. Die in Pelz, Stroh und Moos gehüllte Maske stellte den Winter dar; eine lichte weißgekleidete und buntbebänderte oder laubgeschmückte Gestalt pflegte als Darstellung des Sommers den Sieg davonzutragen und den Winter seiner Verhüllung zu berauben. Die Wissenschaft unserer Zeit hat gezeigt, daß dieses allegorische Spiel trefflich das Wesen des Frühlings charakterisiert. Ja, auch nach den Lehren der Meteorologie ist der schöne Lenz ein Kampf, den zwei Mächtige auf unseren Gefilden miteinander ausfechten, und diese Mächtigen sind das große Festland Asiens und der Atlantische Ocean.

Ueber dem asiatischen Festland und dem europäischen Rußland befindet sich im Winter ein Gebiet hohen Luftdruckes, welches seine Arme bis in das Herz von Europa ausstreckt; zu gleicher Zeit lagert über dem [115] Atlantischen Ocean ein Gebiet niedrigen Luftdrucks, und so kommt es, daß im Winter in Mitteleuropa Festlandwinde vorherrschen, die uns starke Kälte und klare Tage bringen.

Im Sommer ist die Luftdruckvertheilung gerade entgegengesetzt; unter dem Einfluß der höher steigenden Sonne erwärmt sich das Land rascher als das Meer; ein Luftdruckmaximum liegt alsdann über dem Atlantischen Oecean, ein Minimum ist in Asien zu finden. Nun wird Mitteleuropa von den Winden des Oceans getroffen, und die Zeit, in welcher diese Luftströmungen bei uns die Oberhand gewinnen, bedeutet des Frühlings Einzug.

Man sollte meinen, daß der Frühling, dem scheinbaren Aufsteigen der Sonne am Himmel entsprechend, von Süd nach Nord fortschreiten sollte; denn je mehr wir uns von der Winterzeit entfernen, desto länger werden die Tage, desto mehr Licht und Wärme empfangen die Länder von der Sonne, und die südlicher gelegenen sind dabei im Vorsprung im Vergleich zu den nördlicheren. Die Erfahrung lehrt aber, daß der Frühling in Deutschland nicht von Süd nach Nord, sondern mehr von West nach Ost fortschreitet. Schon die Beobachtung des aufsprießenden Pflanzenlebens lehrt uns das. Reisen wir durch Deutschland Ende April oder Anfang Mai in der Richtung von Nordost nach Südwest, von Königsberg nach Basel, so ziehen wir sozusagen in den Frühling hinein. Die Roßkastanie sei für uns das Wahrzeichen! Im äußersten Norden schwellen erst ihre glänzenden Knospen, dort erwacht erst das Leben; im mittleren Deutschland sind um dieselbe Zeit bereits die ersten Blätter entfaltet und am Oberrhein spenden die Blätter bereits reichlichen Schatten. Ein Wahrzeichen des vollen Frühlings ist auch das Blühen des Flieders (Syringa vulgaris). In dem wärmsten Theile Deutschlands, in den Thälern des Oberrheins, duftet der Flieder schon in der zweiten Hälfte des April, in Nordwest- und Mitteldeutschland in der ersten Hälfte des Mai, während die nordöstlichen Gebiete, Ost- und Westpreußen, Posen, Pommern, Mecklenburg und Schleswig-Holstein erst in der zweiten Hälfte des Mai mit diesem Blüthenflor sich schmücken.

Klarer noch zeigt uns das Thermometer das Vorrücken der Wärme von West nach Ost. Der Winter gilt als gebrochen, wenn die Durchschnittstemperatur der Tage nicht mehr über 0 Grad sinkt, denn alsdann tritt das beständige Thauwetter ein.

Jahrelange Beobachtungen haben nun ergeben, daß im Westen Deutschlands das Thauwetter viel früher als im Osten eintritt, ohne daß die südlichere oder nördlichere Lage eines Ortes dabei ausschlaggebend wäre. So haben das südliche Basel und das im Norden gelegene Hamburg die Durchschnittstemperatur von 0 Grad in der Regel um dieselbe Zeit, etwa um den 1. Februar, obwohl sie nahezu um 7 Breitengrade voneinander entfernt sind. Danzig hat bei normalem Verlauf der Jahreszeiten diese Temperatur erst 11/2 Monat später, und im Memel pflegt das Eis erst in der letzten Woche des März aufzuthauen.

Der Frühling zeigt aber nicht immer den programmmäßigen Verlauf; bald tritt er früher ein, bald verspätet er sich, bald ist er freundlich, warm, bald unwirthlich und kühl. Unser Klima ist eben wetterwendisch, und seine Schwankungen werden vor allem durch die Vertheilung der Luftströmungen auf dem Festlande und dem Meere verursacht; außerdem aber kommen noch andere Erscheinungen zur Geltung, die nicht in der Ferne schweben, sondern an unserm Grund und Boden haften. Einen ungemein großen Einfluß auf das Klima und auch auf die Gestaltung des Frühlings hat der Winterschnee. Es ist noch nicht lange her, daß die Klimatologen die Bedeutung der Schneedecke für die Entstehung der Klimate der Erde erkannten; abgesehen von einigen vorübergehenden Versuchen in früheren Zeiten wurden erst seit dem Jahre 1886 durch Lang in München systematische Beobachtungen der Schneedecke für Bayern organisiert; aber auch aus den allgemeinen, noch lückenhaften Aufzeichnungen früherer Zeiten konnten die Klimatologen, namentlich Woeikoff und Hann, wichtige Schlüsse ziehen.

Auf Grund dieser Arbeiten können wir hervorheben, daß die Schneedecke die Erwärmung der Luft durch die Sonnenstrahlen hindert. Die Luft wird erst warm, wenn der Boden erwärmt worden ist, der Schnee aber wirft einen großen Theil der Sonnenstrahlen zurück und erwärmt sich niemals über 0 Grad; hat er diese Temperatnr erreicht, so beginnt er zu schmelzen und verbraucht dabei ungeheure Mengen Wärme. Mit der Wärme, die genügt, um 1 Kilogramm Schnee von 0 Grad in Wasser von gleichfalls 0 Grad Temperatur zu verwandeln, könnte man die Temperatur von 791/4 Kilogramm Wasser um 1 Grad erhöhen, oder 1 Kilogramm Wasser geradezu heiß machen. So verschluckt die Schneedecke, die sich im Winter angesammelt hat, sowohl die Wärme, welche die Sonne spendet, als die der oceanischen Winde, und man kann wohl behaupten daß, je höher und ausgebreiteter die Schneedecke ist, die Erwärmung der Luft, der Einzug des Frühlings um so später erfolgen wird. Natürlich hat die Schneedecke nur dann größere Bedeutung, wenn sie sich über größere Gebiete der Erde, über ganze Länder erstreckt.

In der That ist auch durch Beobachtungen festgestellt worden, daß auf sehr kalte, aber schneearme Winter sehr warme Frühlingsmonate folgen können, während schneereiche Winter, in denen sich die Schneedecke gut ausbilden konnte, einen kalten Frühling nach sich ziehen. Woeikoff stellte derartige Untersuchungen für Rußland an. Wir heben aus ihnen nur zwei Beispiele hervor:

Der Frühling des Jahres 1848 war der wärmste des Jahrhunderts in Rußland; ihm aber war ein so schneearmer Winter vorangegangen, daß die Erinnerung an ihn sich jahrzehntelang im Landvolke erhielt, und dabei war dieser Winter kalt gewesen. In einer Beobachtungsreihe von 140 Jahren war der Frühling, namentlich der Mai, von 1867 der kälteste in Rußland gewesen. Der Winter 1866 bis 1867 war aber ungewöhnlich schneereich. Genauere Messungen der Schneedecke liegen aus jener Zeit nicht vor, aber die Ueberschwemmungen, die in jenem Jahre stattfanden, lassen auf die Menge des gefallenen Schnees schließen. Damals hatte die Wassehöhe der Wolga bei Astrachan ihren höchsten bekannt gewordenen Stand erreicht, und das Hochwasser war so stark und andauernd, daß der Spiegel des Kaspischeu Meeres sich um 2 Fuß hob.

Wir hatten in diesem Jahre einen strengen Winter und er war auch nicht arm an Schneefällen, die andauernde Kälte des Januar begünstigte die Bildung der Schneedecke, aber Ende Januar trat ein andauerndes Thauwetter ein, und dieses räumte unter dem Schnee so gehörig auf, daß es Hoffnungen auf einen milden Frühling wecken kann. C. Falkenhorst.