Mentone

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Autor: Woldemar Kaden
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Titel: Mentone
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 113, 115
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[113]

Mentone.
Nach einem Gemälde von C. Wuttke.

[115] Mentone. (Zu dem Bilde S. 113.) Unter den Genesungsorten der köstlichen Riviera hat Mentone seinen Kolumbus verhältnißmäßig spät gefunden. Es war der französische Arzt Bennet de Malherbe, der in den fünfziger Jahren Klima und Landschaft von diesem Theil der Riviera in so poesievoller und verlockender Weise darstellte, daß sofort eine Völkerwanderung von Engländern nach Mentone begann. Diese erzählten Wunder von dem schönen Fleck Erde, und nun zogen auch die Deutschen dahin. Mancher, der früher seine kranken Lungen nach Montreux oder Meran geflüchtet, kam jetzt nach Mentone, und die Entwicklung des Ortes begann. Mentone ist aber französisch, und so wird es von Deutschen gegenwärtig weniger besucht, nur England ist ihm treu geblieben, und mit Fug und Recht nennt man den Ort eine englische Kolonie. Auch zwei Stunden im Umkreise, auf allen Höhen, in allen Thälern, auf allen Promenaden der Stadt hört man nichts als Englisch sprechen. Kein noch so unscheinbares Motivchen ohne mehrere malende englische Junggräulein und Frauen; kein einziger Hotelgarten ohne einen wohlabgesteckten Lawn-Tennisplatz, und die Gasthöfe dutzendweise mit englischen oder England schmeichelnden Namen: Iles Britanniques, Albion, Londres, Westminster, Prince de Galles, Viktoria, Anglais, Grande-Bretagne, Britannia und wie sie sonst noch heißen mögen!

Dafür kann aber die gute Mutter Natur nichts, sie will alle erfreuen durch die Landschaft, die sie hier um die blaue Fluth her aufgebaut, und aus der Vogelschau dürfen wir diese uns wohl anblicken.

Das Meer bildet von der Punta St. Hospice bei Villefranche an bis zum Kap St. Ampeglio, wo Bordighera, die Palmenstadt, liegt, eine in weitem Bogen verlaufende sanfte Küsteneinbiegung. Der Rand dieser Küste erfährt jedoch wiederum verschiedene Gliederungen durch hervorspringende Landspitzen, mittels deren neue kleinere Golfe gebildet werden. Zwischen Kap St. Hospice und Kap d’Aglio liegt der reizende Busen von Eza, zwischen d’Aglio und Kap Martin der Busen von Monaco, zwischen Kap Martin und Kap della Murtola der mentonesische Busen, und dann folgt der von Ventimiglia, wo die französische Herrlichkeit ein Ende hat.

Der Golf von Mentone erfährt ungefähr in der Mitte eine stark ausgeprägte Unterbrechung durch einen bis ganz dicht ans Meer herantretenden Ausläufer der den Norden abschließenden Berge; er theilt den Golf in eine Westbucht und eine Ostbucht, von denen jede ihre klimatischen Eigenthümlichkeiten und Vorzüge haben soll, über welche Mentoneser Doktoren und Gasthofbesitzer noch heute im Streite liegen. Die alten Mentoneser wählten klugerweise die goldene Mitte und bauten im 8. Jahrhundert ihr Städtlein staffelsörmig den Bergrücken hinan, dessen Spitze vor Zeiten ein Schloß krönte. Jetzt liegt hier der herrliche weithinschauende Camposanto, der Friedhof. Er ist es, der uns, wenn wir vom Westen herüberwandern, mit seinen dunklen Cypressen zuerst ins Auge fällt und unsere Seele, bei aller Pracht des Meeres und des Himmels, beim Prangen der südländischen Rosen, beim üppigen Duft der Orangenbäume, mit einem „Memento mori“ begrüßt. Sentimentale Seelen brechen in den geseufzten Wunsch aus: „Ach, dort muß es sich süß ruhen!“

Ein Achselzucken sei dem lebenslustigeren Wanderer erlaubt: er öffnet lieber die lebendigen Augen, um die Herrlichkeiten, die rings um ihn her sich aufthun mit den Blicken zu fassen. Woldemar Kaden.