Französische Hafenstädte. I. Toulon

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Französische Hafenstädte. I. Toulon
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 45–46
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[45]
Französische Hafenstädte.
I. Toulon.

Toulon.

Marseille, Toulon, Brest, Boulogne und sonstige Seestädte Frankreichs – die Lungen des Landes – gewinnen unter den jetzigen Verhältnissen des Krieges sowohl, als des friedlichen Verkehrs mehr Interesse, als selbst das glänzend-elende Herz des Kaiserreichs. Es wird daher Niemandem unwillkommen sein, einige dieser Orte beiläufig mit zu besuchen, zumal wenn man die Reise bequem und wohlfeil haben kann.

Ohne Umstände versetzen wir uns in das lustige, warme Frankreich am mittelländischen Meere, wo das bunte, glänzende, weite Marseille seine Arme allen Schiffen der Erde öffnet und stets neugierig ist, die Kriegs- und Handelsnachrichten von den Häfen des mittellandischen Meeres und des englischen Indiens zu vernehmen und blitzschnell an electrischen Drähten durch alle Welt zu zucken. Nicht weit davon streckt und schlängelt sich das Plymouth Frankreichs, Toulon, das Herz der französischen Kriegsmacht für das mittelländische Meer, von großer Wichtigkeit im jetzigen Kriege, historisch berühmt von vorchristlicher Römerzeit her, später durch Angriffe afrikanischer Seeräuber und als Schwerpunkt der jetzigen französischen Herrschaft in Nordafrika. Seine Kraft und Wichtigkeit als Kriegshafen verdankt Toulon Ludwig XIV., dem sogenannten großen Fürsten und Eroberer. Da der Hafen durchaus ein künstlicher ist, läßt sich denken, welch’ ungeheuere Summen dessen Ausgrabung und Befestigung verschlangen. Die Zerstörung eines Theiles dieser Werke und Vernichtung der darin liegenden Flotte durch die englische Flotte unter Sidney Smith im Jahre 1793, wobei sich Napoleon zum ersten Male als militärisches Genie im Großen hervorthat, bilden ein merkwürdiges Factum.

Die Republikaner hatten die äußeren Forts und Höhen bereits genommen und ließen unter dem Commando Napoleon’s unbarmherzig [46] und unaufhörlich Bomben und Granaten auf die Stadt herabregnen, welche im Interesse der Bourbonen und der alten Autorität von England bereits vier Monate besetzt und vertheidigt worden war. Da öffnete sich am 16. December plötzlich die Erde hinter den Olivengärten von Klein-Gibraltar (Name eines Forts), und warf in sechsunddreißig Stunden über 8000 Bomben und Granaten auf die Engländer, die am folgenden Tage unter Dugomier und Muiron entweder vertrieben oder in den Forts bis auf den letzten Mann in Stücke gehauen wurden. Der Erfinder dieser Attacke und Schöpfer der bis zu ihrer Vollendung unsichtbar gebliebenen Batterien hinter den Olivengärten war ein junger Artillerie-Lieutenant von 23 Jahren, Namens Bonaparte, der große Sohn der Revolution, der bekanntlich hernach seine eigene Mutter verschlang, wovon er den Magenkrebs bekam, der ihn nicht verschlang, sondern langsam vernichtete, so daß er mehrere Jahre lang sterbend und verlassen auf Helena umherging. Während eines Monates hatte er damals Batterien von 200 Kanonen gegen die Engländer und gleichsam vor deren Augen geschaffen und zwar so dicht vor den Forts, die sie inne hatten, daß sie und Toulon sich nur zwei Tage gegen deren plötzlich eröffnetes, wirksames Spiel halten konnten.

Die Stadt Toulon mit 40,000 Einwohnern ist ein Oval, dessen eine längere Krümmung sich am Meere hinzieht, während die andere schön und majestätisch nord- und landwärts aufsteigt bis zu einer hohen Bergkette, die Stadt und Festung als ein malerischer Hintergrund einschließen. Das Malerische hat freilich nichts Anmuthiges, denn die Berge steigen starr und steinern, ohne Baum und Blumen und grünes Leben nach dem Meere herab. Die Festungswerke sind ungemein stark. Doppelte ungeheure Wälle umgeben die Stadt, außerdem ein tiefer, breiter Graben. Die Redouten auf den Wällen im Norden, Osten und Westen sollen bombenfest sein. Unter den Forts ist La Malgne auf einer Halbinsel südwestlich das größte und merkwürdigste, da es eine in unerschütterlichste Wirklichkeit verwandelte Befestigungs-Wissenschaft sein soll. Jetzt wird eben daran gearbeitet, dieses Fort mit der Stadt selbst zu verbinden. Letztere zerfällt, wie die meisten aller Städte, in zwei ganz charakteristische Theile, eine enge, alte, schmutzige und eine neue, breite, luftige, heitere Stadt. Die größte Schönheit ist la Rue de Lafayette, die beiden Stadttheile durchschneidende, mit Bäumen bepflanzte, stets von Verkehr, Menschen und Soldaten überfüllte Hauptstraße. Sie läuft in den Hafen hinaus, wo sie in einen großen offenen Platz (Place d’Armes) mündet. Letzterer gewährt mit seinen Bäumen der vornehmen Welt kühlenden Schatten und eine architektonisch schöne Ansicht des Admiralitäts-Hauses, welches die eine ganze Seite einnimmt. Der Kaufmanns-Hafen unweit davon mit dem Rathhause und zwei kolossale Statuen von Puget (die als Meisterwerke ersten Ranges gepriesen werden) gilt demnächst als die größte Merkwürdigkeit für friedliche Leute. Militärische Personen finden natürlich in den Arsenalen, Kasernen u. s. w. die größte Augenweide, für Wasserbaukunst haben die bombenfesten Bollwerke des Hafens, der 30 Linienschiffe, eben so viele Fregatten und noch eine Menge kleinerer Schiffe beherbergen kann, ein großes Interesse. Das Arsenal gilt als eins der schönsten in Europa. Es bedeckt 87 Morgen Landes und hat musterhafte trockene Docks und Plätze für Bau und Reparatur von Schiffen. Voriges Jahr arbeiteten hier täglich etwa 6000 Menschen an Rüstung der Flotte, außerdem 3500 Verbrecher, die früh aus ihren Galeeren heraus- und Abends wieder hineingetrieben wurden. Die Galeeren bestehen hier aus alten Kriegsschiffen, die vollständig in Arbeits-, Zucht- und Marterhaus verwandelt wurden. Seit 1682, wo die Bagno-Straf-Anstalt gegründet ward, haben hier Hunderttausende geseufzt und gelitten und zwar für Thaten und Gesinnungen, die zu verschiedenen Zeiten als große politische Tugenden gefeiert wurden. Zuchthaus, Guillotine, Bagno sind der Mode unterworfen, wie der Schnitt des Rockes.

Eine große Wohlthat in der Stadt ist das gute, klare, frische Wasser, welches aus den Gebirgen herunter geleitet wird und an einigen öffentlichen Plätzen in schönen Fontainen aufspringt. Diese verschönern eigentlich den heitern neuesten Stadttheil im Nordosten der Stadt. Ein anderer Anbau im Westen, genannt Navarin, ist berüchtigt als schmutziger Sammelplatz der Genueser, die in Toulon eben denselben Rang einnehmen, wie die Irländer in London. Die mercantile Wichtigkeit Toulons und seine Industrie steigen zusehends seit der Eroberung von Algier. Der Austausch zwischen Algier und Frankreich über Toulon wächst in demselben Grade, als in Nordafrika Civilisation und Culturbedürfnisse zunehmen.