Französische Wissenschaft

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Textdaten
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Autor: Dr. Karl W. Grün
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Titel: Französische Wissenschaft
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 19, 20
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[19] Französische Wissenschaft. „Wer wird uns von den falschen französischen Gelehrten befreien? Jedes Jahr, gegen Neujahr, werden wir von illustrirten Büchern, welche die Bildung der Jugend zum Zweck haben, überfluthet. Einige, man kann es nicht leugnen, stammen von verdienstvollen Männern her. Die meisten aber enthalten, unter dem Vorwande der Wissenschaft, nichts als Halbwahrheiten, Irrthümer und Dummheiten. H. Figuier, einer der stärksten Producenten dieser schlechten Waare, ist schon lange wegen seines unbegreiflichen Leichtsinns bekannt. Dennoch ist es ihm gelungen, in seinem letzten Werke ‚Die Menschenracen‘ seine gewöhnlichen Fehler zu überbieten, und wer dieses Buch ohne die nöthige Vorbildung liest, kann überzeugt sein, daß er über einen der interessantesten Punkte des Wissens nur falsche und unvollständige Kenntnisse erlangen wird.“

Diesen Mahnruf erläßt die „Discussion“, Organ der demokratischen Partei Belgiens, in ihrer Nummer vom 10. December 1871. Durch diese wackere Zeitung aufmerksam gemacht, nahmen wir das Buch zur Hand und fanden die angeführte Aeußerung nicht allein gerechtfertigt, sondern noch viel zu glimpflich. Wir lassen hier einige Zitate folgen. Der deutsche Leser bedarf keiner sonstigen Commentare.

„Die Familie der Slaven enthält die Russen, die Finnen (!), die Bulgaren, die Serben, die Bosniaken, die Ungarn (!), die Croaten etc.“ Diese Entdeckung wird die Finnen und Ungarn in nicht geringes Erstaunen versetzen.

„Die Franken stammen aus der Vermischung der Gallier mit den alten Bewohnern des Landes, den Iberern. Später gesellten sich Römer und Griechen hinzu und noch später Alanen, Gothen, Burgunden und Sueven.“

Die germanischen Franken sind dem Herrn Figuier total unbekannt. Sie haben nicht existirt. Sein Buch spricht nicht von der Eroberung Galliens durch die Merovinger. Wie könnte auch ein gutgesinnter Franzose zugeben, daß sein Vaterland jemals unter das Joch der nordischen Barbaren gerathen wäre? Die Franken waren also mit Iberern gemischte Gallier, und um dies zu beweisen, führt man uns, Seite 24, eine Zeichnung vor, welche gallische und fränkische Druiden darstellt. Das Schönste kommt erst. Herr Figuier vergleicht die modernen Deutschen und Franzosen. Er sagt:

„Die Völker der teutonischen Familie besitzen im höchsten Grade die Kennzeichen der weißen Race. … Da die Deutschen im Osten und im [20] Süden sich viel mit den Völkern des Südens vermischt haben, so bieten sie nicht ausschließlich den teutonischen Typus.“ Darauf giebt Herr Figuier eine schmeichelhafte Beschreibung der Eigenschaften der Germanen. Man glaubt, dieses Portrait beziehe sich auf die Deutschen auch im Norden und im Westen.

„Nein,“ sagt der Autor, „bei diesen Letzteren ist aus der Gutmüthigkeit eine unverhohlene Grausamkeit (férocité) geworden, aus der Naivetät eine gräßliche Falschheit (duplicité noire), aus der Sanftmuth eine herrische und brutale Gewaltthätigkeit. … Die preußische Barbarei ist auf der Höhe der Vandalen des zweiten Jahrhunderts angekommen.“ – Der Grund hiervon? Herr Figuier giebt uns die Antwort: „Die Deutschen im Norden sind Finnen, mit Slaven gemischt. Sie haben fast nichts von der germanischen Race.“

Was haben wir nun von den Franzosen zu denken?

„Vom intellectuellen Standpunkt kennzeichnet sich der Franzose durch eine Schnelligkeit und eine Thätigkeit des Begriffsvermögens, welche außerordentlich zu nennen sind. Er versteht schnell und gut. Eine Nuance von Gefühl gesellt sich zu dieser intellectuellen Thätigkeit. Zu diesen Eigenschaften des Geistes und des Herzens füge man noch eine starke Dosis Vernunft, ein richtiges Urtheil (!) und eine wahre Leidenschaft für Ordnung (!!) und Methode, so hat man den Typus des Franzosen.“ Durch alle diese Eigenschaften erklärt H. Figuier eine Masse Vortheile Frankreichs und namentlich „die ausgezeichnete Organisation des öffentlichen Unterrichts!“(!)

Ist es zu verwundern, wenn H. Figuier am Schlusse sagt: „wenn im Jahre 1870 die Vereinigung von bedauernswürdigen, fatalen Umständen das Vaterland gezwungen hat, sich dem Willen eines Volkes zu fügen, welches sich noch jetzt über seinen Sieg wundert, so hat der alte Ruf der Tapferkeit und Intelligenz des französischen Soldaten nicht im mindesten unter dieser unvorhergesehenen Niederlage gelitten. Die Stunde der Wiedervergeltung gegen die nordischen Barbaren wird früh oder spät schlagen!“

     So viel zur Belustigung der Leser der Gartenlaube.

     Lüttich, im December 1871.

Dr. Karl W. Grün.