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Frau Currier

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Textdaten
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Autor: Friedrich Münch
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Titel: Frau Currier
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 431–432
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Blätter und Blüthen
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[431] Frau Currier. Friedrich Münch in Missouri, ein in Amerika sehr geachteter und geistreicher Landsmann, dessen literarische Thätigkeit überall große Anerkennung gefunden hat, schreibt uns: Vom Osten her wird täglich die Klage lauter, daß das orthodoxe Christenthum in Verfall gerathe, die Kirchen leerer werden, ganze Kirchengemeinden sich auflösen und ihre Prediger das Weite suchen müssen, während andere Prediger auf den Ausweg verfallen, mehr durch geistreiche Reden über Zustände und Vorgänge, die Tages- und Partei-Politik nicht ausgeschlossen, ihr Publicum zu unterhalten, als es durch dogmatische Predigten zu langweilen. Hat das seinen Grund darin, daß die veraltete kirchliche Scholastik doch endlich der frischeren Lebensansicht und der unaufhaltsam eindringenden wissenschaftlichen Bildung weichen muß? Oder erklärt sich die Sache durch eine ganz neue geistige und geisterhafte (spiritualistische) Bewegung, von welcher hier noch die Rede sein muß? [432] Es wird uns nämlich im nüchternsten Ernste angekündigt, daß dem ganzen hiesigen Kirchenwesen ein naher und gewaltiger Umsturz bevorstehe, ja, daß von dieser neuen Welt ein ganz neues Licht über die übrige Welt ausgehen werde, angekündigt bereits durch einzelne Erscheinungen seit Jahrtausenden, aber klarer erkannt und zum segensreichen Eigenthum der um die Wahrheit so lange betrogenen Menschheit erst in dieser Zeit gemacht.

Auch in Deutschland hat man von den hiesigen spiritualistischen Manifestationen nicht nur gehört, sondern man stellt – wie berichtet wird – dort neuerdings die gleichen Versuche und mit dem gleichen Erfolge an, mehr jedoch als hier sich dabei der Oeffentlichkeit entziehend. Hier wird die Sache nicht nur in zahlreichen Schriften, sondern auch in ihr ausdrücklich gewidmeten öffentlichen Blättern verhandelt, und Wißbegierige können in den Cirkeln, deren es unzählige giebt, Zutritt erhalten. Neuerdings tragen Redner und Rednerinnen die neue Lehre in begeisterten Vorträgen von Ort zu Ort. Auch in den Hallen der Gesetzgebung von Missouri hielt eine solche Rednerin im letzten Winter drei Vorträge des interessantesten Inhalts.

Da Schreiber dieses den Vorträgen der Frau Currier (dies ist der Name der Rednerin) beiwohnte, so achtet er es dem Zwecke dieser Mittheilung gemäß, etwas ausführlicher darüber zu reden. Ich muß bekennen, daß, was von allem Amerikanerthum und dessen mannigfaltigsten Erscheinungen bisher mir vor Augen und zu Ohren gekommen ist, diese Vorträge das Vollkommenste waren und unwillkürlich den Gedanken bei mir hervorriefen: eine Nation, welche solche Frauen hervorbringt und ausbildet, was auch immer sonst an ihr zu tadeln sein mag, steht doch hoch, sehr hoch und hat ohne Zweifel eine bedeutende Zukunft. Die Dame scheint vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahr alt zu sein, hat ein gefälliges und würdevolles Aeußere, in welchem edelste weibliche Sitte und Bescheidenheit sich abspiegelt, erhebt sich aber auf der Rednerbühne zu einer Bedeutung, welche im bloßen Umgange Niemand ahnen würde; sie leistet das Höchste, wozu menschliche Beredsamkeit fähig zu sein scheint. Sie betritt die Rednerbühne und setzt sich für eine Minute mit gebücktem Haupte nieder, als erwarte sie den Anhauch der Begeisterung von oben. Dann erhebt sie sich mit vollster Unbefangenheit, richtet ihr lebensvolles Auge auf die Zuhörermenge und beginnt – mit entsprechender Handbewegung – den Fluß einer Rede, die im gemessensten Vortrage etwa eine Stunde währt, in der auch nicht ein einziges Mal angestoßen, oder nach dem rechten Worte gesucht, oder ein unglücklich begonnener Satz verbessert, oder derselbe Gedanke wiederholt wird; Alles in zwar einfacher, doch so vortrefflicher Sprache, daß man über die schöne Rundung sowohl als über die treffenden Ausdrücke beständig staunt, und doch bemerkt man im Augenblick, daß dies keine memorirte Rede ist, sondern daß Alles frisch gedacht und gefühlt aus dem Innern hervorquillt.

Und was bildet den Inhalt dieser Reden? Ein schlagender Gedanke reiht sich an den andern, alle entsprossen der reinsten und edelsten Humanität. Sie stellt die ewige Wahrheit den Satzungen des Pfaffenthums, die natürliche Freiheit der tausendjährigen Knechtung, das menschenwürdige Handeln der Rohheit gegenüber, greift mit sicherer Hand da und dort in die Geschichte, mustert die gesellschaftlichen Zustände der civilisirten Nationen unserer Zeit und hält den hingerissenen Zuhörern ein Ideal vor, nicht wie der Fanatiker es aus den Wolken greift, sondern wie Alles sein kann und wird, sobald die Menschen vernünftig sein wollen. Was mehr gehört denn zum Wohle der gesammten Menschheit, als allgemeines Wohlwollen, Wahrheitsliebe und Selbstachtung, womit alle die Auswüchse beseitigt wären, welche jetzt das Dasein der Millionen verkümmern? Die Natur will uns wohl mit ihren Gaben und ihren unwandelbaren Gesetzen, – folgen die Menschen einfach ihrem Rufe!

Sie schließt mit einem nachhaltigen Gedanken und verläßt, etwas erschöpft, wie es scheint, aber in natürlichst einfacher Haltung den Rednerstuhl. Nichts Theatralisches ist in dem ganzen Vortrage, der vielmehr den Eindruck der tiefsten, auf klarstem Denken beruhenden Ueberzeugung, ja den Eindruck eines Prophetenwortes macht.

Die Dame kam nach dem Westen als Abgesandte eines spiritualistischen Cirkels in Massachusetts. Doch – so schien es – wollte sie nur den Weg bahnen für die neue Lehre und erwähnte derselben nur kurz im letzten Vortrage in dieser Weise: „Wie fast alle wahrhaft Weisen, wurde auch der große Nazarener von dem vornehmen Pöbel verfolgt und von der Menge nicht verstanden. Was er von seiner Verbindung mit dem Vater im Himmel sagt – eine Verbindung, die für uns Alle dieselbe sein sollte –, begreifen die Menschen noch heute nicht; er lehrt, daß wir von Schutzengeln umgeben sind, und erzählt wird, daß die Geister der bedeutendsten Männer seines Volkes, längst dahingeschieden, mit ihm zusammentrafen (? D. R.), man glaubt es entweder nicht, oder erklärt das ganz Natürliche für ein unbegreifliches Wunder; ebenso muß die von ihm ausgegangene Heilkraft ein Wunder sein und doch war nichts natürlicher; ist doch aller Wunderglaube eine kindische Thorheit. Bereits aber ist in diesem Lande die so lange verborgen gewesene, nur von einzelnen Begabteren (Swedenborg u. A.) geahnte Wahrheit deutlich an das Licht getreten. (? D. R.) Höchst unvollkommene Kundgebungen zogen zuerst die Aufmerksamkeit Einzelner auf sich; leider bemächtigte sich auch – und bemächtigt sich theilweise noch immer da und dort – der Betrug und Schwindel der Sache, wie ja auch mit dem Christenthume und allem an sich Vortrefflichen gemeine Schwindelei getrieben wird und von Anfang getrieben wurde. Aber von Enthüllungen untergeordneter Art kam es bald zu immer bedeutungsvolleren, bis es nunmehr gelungen ist, einen vollständigen Verkehr mit der Geisterwelt zu vermitteln (? D. R.), so daß uns, die wir die Wahrheit erkannt haben, ja sie täglich vor Augen haben können, das ganze Menschenleben mit seiner herrlichen Zukunft in so tröstlichem Lichte erscheint, wie es vordem nicht erkannt werden konnte, und daß in Zukunft an die Stelle des Wahns, der niedrigen Leidenschaft und der Rohheit ein Leben in Reinheit, in allseitigem Wohlwollen, in Hoffnung und edler Freude hingebracht treten muß. Das tausendjährige Dunkel ist bereits im Verschwinden und das neue Licht bricht mit Macht sich Bahn, so daß binnen kurzer Frist nicht nur dieses ganze Land davon erhellt sein wird, sondern seine Strahlen selbst bis in die fernsten Winkel der Erde dringen werden. (?? D. R.)

Dies waren nicht genau die Schlußworte der Rednerin, deren ich mich nicht vollständig erinnere, aber die Gedanken, mit welchen sie endigte, ohne über sich selbst ein Wort zu sagen, ja ohne irgend eine nicht durchaus zur Sache gehörige Bemerkung. Der Eindruck auf die gedrängte Zuhörerschaft war überwältigender, als ich irgend etwas der Art jemals gesehen habe. „Mehr Licht!“ schien das innigste Verlangen Aller zu sein. Da waren Gläubige von allen Secten, Deutsche, vertraut mit den neuesten Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung, Alte und Junge, Männer und Frauen, Alle gleich ergriffen.




So weit Herr Fr. Münch, dessen Darstellung wir mit einigen Fragezeichen zu ergänzen uns erlaubten. Es wird damit indeß nur bewiesen, daß die Frau Currier, die ihre Vorträge mit großer Geschicklichkeit producirt hat, noch in einem Mysticismus befangen ist, der in Deutschland wenigstens weit hinter uns liegt.
Die Redaction.