Frau Holle (Lehnert)
Frau Holle.
Eine Mutter hatte zwei Töchter, davon hieß die eine Liese, und wiewohl sie faul, ungeschickt und schmutzig war, so war sie dennoch der Liebling der Mutter, welche sie so sehr verzärtelte, daß sie keinen Finger ins Wasser stecken durfte. Die andere hieß Gretchen, und wiewohl diese fleißig, reinlich, ordentlich und gefällig war, so konnte ihre Mutter sie doch wenig leiden. Darum wurden alle schweren Arbeiten ihr aufgelegt, und während die faule Liese noch im Bette lag, mußte Gretchen schon die Stube auskehren, einheitzen und das Frühstück besorgen.
Einmal, als Gretchen so an den Brunnen ging, um Wasser in die Küche zu holen, fiel sie hinein, und ertrank. Da war ihr, als wenn jemand einschläft. Als sie aber erwachte, so befand sie sich im Reiche der Frau Holle, welches zwischen dem Himmel und den Wolken ist. Hier stand sie auf einer schönen Wiese, wo viel tausend Blumen blühten, und Schmetterlinge flogen, und die Sonne viel heller schien, als bei uns auf der Erde.
Gretchen ging die Wiese entlang, und kam in den Obst- und Küchengarten der Frau Holle. Hier stand nicht weit vom Fußsteige ein Backofen, worin Brot gebacken wurde, und sie hörte die Brote zischen:
Wer kommt, uns zu holen!
Sonst brennen wir zu Kohlen!
[2] „Gleich werde ich euch herausziehen!“ sagte Gretchen, und trat an den Backofen. Geschickt langte sie die Brote hervor, und legte sie auf ein Brett, welches daneben lag. Dann ging sie weiter, und ihr Weg führte sie zu einem Pflaumenbaume, unter welchem viele Früchte unaufgelesen im Grase umherlagen. Diese aber riefen:
Werden wir nicht aufgenommen,
So müssen wir umkommen!
„Gleich werde ich euch auflesen!“ sagte Gretchen, sammelte die Pflaumen in ein Körbchen, das sie unter dem Baume stehen sah, und ging weiter. Da kam sie in den Blumengarten der Frau Holle, und sah zwei schöne Nelken auf dem Beete am Wege stehen, die ließen betrübt ihre Köpfchen hangen, denn sie hatten lange keinen Regen gehabt, und klagten:
Wer kommt, uns zu sprengen!
Sonst wird uns die Sonne versengen!
„Gleich werde ich euch begießen!“ rief Gretchen, und nahm eine kleine Gießkanne, welche dabei stand, damit lief sie an den Bach, und besprengte die welkgewordenen Nelken.
Hierauf ging sie weiter, und sah mitten unter Rosengebüsch und schattigen Linden ein freundliches Haus stehen, welches die Wohnung der Frau Holle war. Da die Thüre offen stand, dachte sie: Du mußt doch einmal hineingehen, und sehen, ob da Einer wohnt? Sie trat auf den Hausflur, und rief, ob jemand da wäre? Da sie aber niemanden sah, auch keine Antwort erhielt, so ging sie weiter vorwärts in die Küche. Auch hier war kein lebendiges Wesen zu sehen oder zu hören. Mit klopfendem Herzen ging sie in die Wohnstube, auch die war leer; dann in die Schlafstube – nirgend eine Seele! Daraus schloß sie, daß die Hausfrau ausgegangen seyn müßte, und zwar gleich früh [3] Morgens: denn Stube und Kammer waren noch nicht gekehrt, das Bett nicht gemacht, der Tisch nicht abgewischt. Da dachte Gretchen: Du willst aufräumen! Sie machte das Bett, kehrte die Stube aus, stäubte den Tisch ab, und wusch das Geschirr.
Als sie fertig war, fand sie ein Strickzeug. Das nahm sie in die Hand, und setzte sich damit mäuschenstill in eine Ecke der Kammer neben dem Bette. Mittlerweile kam die Frau Holle nach Hause, und wunderte sich des Todes, daß das ganze Haus in Ordnung gebracht, das Geschirr gewaschen, und die Stuben gekehrt waren. Sie sah aber niemand, bis sie auch in die Kammer trat, und da, neben dem gemachten Bette, das schüchterne Gretchen mit ihrem Strickzeuge sitzen sah.
„Wer bist Du, Kind? Hast Du mir etwa das Haus so schön in Ordnung gebracht?“ fragte Frau Holle. Weil sie nun dabei ganz freundlich aussah, auch sonst ein zutrauliches Wesen hatte, außer daß ihr ein großer Zahn aus dem Munde vorstand, so faßte sich Gretchen ein Herz, und erzählte ihr Alles, wie sie in den Brunnen gefallen und ertrunken, dann aber wieder zu sich selbst gekommen sey, und sich in diesem fremden Garten befunden habe. Sie bat dabei die Frau Holle, sie freundlich in ihr Haus aufzunehmen, sie wolle ihr gut thun, und artig und fleißig seyn.
Da sprach die Frau Holle: „Ei, ein so fleißiges und geschicktes Mädchen, als Du bist, kann ich wohl gebrauchen!“ und gab ihr zu essen und zu trinken, schöner, als sie es zu Hause gehabt hatte. Sie stellte ihr ein weiches Bettchen in die Kammer, und hielt sie, als ihr eigen Kind. Gretchen aber war fleißig in Stub’ und Kammer, in Küch’ und Keller, auf Hof und Boden, im Feld’ und im Garten, und wenn sie nicht zuweilen Heimweh nach Hause gehabt hätte, so würde ihr gar nichts gefehlt haben. [4] Einmal aber, als die Mutter Holle gegen Mittag nach Hause kam, früher, als Gretchen sie vermuthet hatte, fand sie dieselbe mit Thränen in den Augen. Da fragte die Frau Holle, was ihr denn fehlte, und ob sie es nicht gut bei ihr hätte. Gretchen antwortete, daß sie es sich niemals besser wünschen könnte, und daß sie sich vollkommen glücklich fühlen würde, wenn sie nicht zuweilen ein zu großes Verlangen nach Hause zu ihren Aeltern hätte, daß ihr das ganze Herz in Wehmuth zerflösse.
Da sagte die Frau Holle: „Du sollst wieder zu Deinen Aeltern, mein gutes Kind! Aber es würde unbillig seyn, wenn ich Dich ohne Lohn entließe, da Du mir so treulich geholfen, und lange Zeit ehrlich und fleißig gedient hast. Komm mit mir in den Garten!“
Hier stand ein schöner Baum, dessen Blüthen waren Goldblätter, und seine Knospen Perlen. Unter diesen mußte sich Gretchen stellen, indeß die Frau Holle ihn schüttelte. Da fielen Goldblätter und Perlen auf Gretchens Kleid, daß es glänzte, wie der Himmel mit tausend Sternen. Kaum war dies geschehen, so fiel Gretchen in einen tiefen Schlaf, und als sie daraus erwachte, so war sie wieder in ihres Vaters Garten, und stand dicht neben dem Brunnen, wo sie in das Wasser gefallen war. Da sie niemanden in dem Garten sah, so ging sie nach der Gartenthüre, die nach dem Hause ihrer Aeltern führte, und trat auf den Hof. Auch hier war kein Mensch zu sehen, denn es war gerade Mittag, und sie saßen Alle bei Tische und aßen. Aber der Haushahn stand auf dem Zaun, und als der Gretchen kommen sah, erkannte er sie, schlug freudig seine Flügel zusammen, und krähete:
Kikeriki,
Unser fleißiges Gretchen ist wieder hie!
Das wiederholte er wohl drei Mal mit lautem Geschrei, [5] so daß der Vater drinnen es hörte, vom Tische aufsprang, und sagte: „Kommt hinaus, und laßt uns sehen, was draußen mit dem Hahn ist, der kräht ja, als wenn er Wunder was zu verkündigen hätte!“
Als sie nun auf den Hof kamen, siehe, da war es Gretchen, welche weinend vor Freude ihrem Vater entgegenflog, und ihn umarmte, und so Alle vom Kleinen bis zum Großen. Da sahen sie Alle verwundernd an, vornehmlich die Mutter und Gretchens Schwester, und fragten, woher sie das schöne, gold- und perlenbesetzte Kleid erhalten hätte. – Nun erzählte Gretchen die ganze Geschichte, wie es ihr gegangen wäre, vom Anfang bis zu Ende.
Das erweckte Liesens Neid, und sie sagte zu ihrer Mutter, ein so schönes Kleid müßte sie auch haben, es möchte kosten, was es wolle. Da gab ihr die Mutter den Rath, sie sollte nur auch in den Garten gehen, und sich mit Fleiß in den Brunnen stürzen; dann würde sie ebenfalls in der Frau Holle Reich kommen, wo sie sich dann ein solches Kleid verdienen könnte. Das ließ sich Jungfer Lieschen gefallen, und stürzte sich mit Fleiß in den Brunnen. Da verlor sie ihre Sinne, und als sie wieder zu sich kam, da war sie richtig in dem Reiche der Frau Holle, gerade so, wie es mit ihrer Schwester geschehen war. Auch ihr zischten aus dem Backofen die Brote entgegen:
Wer kommt, uns zu holen!
Sonst brennen wir zu Kohlen!
Die faule Liese aber sagte: „Ich werde mich hüten, daß ich meine Hände in den Backofen stecke! Da könnte ich mir die Finger verbrennen!“ und ging weiter.
Als sie an den Pflaumenbaum kam, unter welchem die heruntergefallenen Früchte im Grase lagen, mochten diese noch so viel rufen:
[6]Werden wir nicht aufgenommen,
So müssen wir umkommen! –
Die faule Liese kehrte sich nicht daran, sondern sprach: „Liegt ihr nur, bis ihr verfault, ich werde mir um euretwillen keinen krummen Rücken machen!“ – und ließ sie liegen.
Als sie an das Nelkenbeet kam, riefen ihr die verdorrenden Blumen entgegen:
Wer kommt, uns zu sprengen!
Sonst wird uns die Sonne versengen! –
Sie aber sagte höhnisch: „Das wäre mir gerade recht, daß ich mir die Kleider naß machte!“ und ging vorbei. Als sie an das Haus der Frau Holle kam, ging sie ganz dreist durch Hausflur, Küche, Stube und Kammer, und da sie niemand darin fand, so legte sie sich auf das Bett der Frau Holle, um sich auszuruhen.
Als diese nun nach Hause kam, verwunderte sie sich, ein fremdes Mädchen auf ihrem Bette liegen zu sehen, und fragte sie, wer sie wäre? Da sagte sie, sie wäre in den Brunnen gefallen, und als sie wieder zu sich gekommen, so hätte sie sich in diesem fremden Garten befunden. Sie möchte ihr doch sagen, bei wem sie wäre? Da antwortete ihr die Alte, daß sie die Mutter Holle wäre, die den Reif auf die Erde streute, und die Schneeflocken fallen ließe.
„Kann ich wohl bei Euch bleiben?“ fragte hierauf das faule Lieschen; und als es ihr die Frau Holle unter der Bedingung erlaubte, daß sie gut und fleißig wäre, so gelobte sie Alles. Aber sie hielt ihr Wort schlecht. Denn wie sie es zu Hause angefangen hatte, so setzte sie es hier fort. Des Morgens wollte sie nicht aus dem Bette; zu jeder Arbeit mußte sie getrieben werden; die Stube fegte sie nur halb rein; die Betten schüttelte sie nicht auf; das Geschirr, das [7] sie scheuerte, blieb blind und schmutzig; einen Topf über den andern warf sie entzwei, und bei Allem, was sie that, verunreinigte sie dermaßen ihre Kleider, daß man sich vor ihr ekeln mußte. Dazu war sie noch naseweis, und als einmal die Frau Holle sie wegen ihrer großen Unordentlichkeit und Faulheit ausschalt, sagte sie ganz trotzig, sie möchte sie nur zu ihrer Mutter zurückschicken, wenn sie es ihr nicht recht machte.
„Lieber heute, als morgen!“ antwortete ihr Frau Holle. „Mache nur, daß Du fortkommst: denn ich habe von Dir mehr Schaden als Vortheil, und mehr Verdruß als Freude gehabt.“
Da sprach die verzogene Liese: „Ich bitte mir aber zuvor meinen Lohn dafür aus, daß ich so lange bei Euch gedient, und das Haus in Ordnung gehalten habe.“
„Den sollst Du haben!“ erwiederte die Frau Holle. „Komm nur mit in den Garten!“ – Da freute sich Lieschen, und meinte, daß nun der Gold- und Perlenregen auf sie fallen würde.
Als sie nun in den Garten gekommen waren, befahl ihr die Frau Holle, daß sie sich unter einen Baum stellen sollte, den sie ihr anzeigte. Als sie dies gethan hatte, schüttelte sie den Baum; aber keine Goldblätter oder Perlen fielen herab, sondern – Pech und Koth; der setzte sich so fest und dick um ihr Kleid, wie ein Mantel, und nachdem dies geschehen war, fiel sie in einen tiefen Schlaf. Als sie erwachte, befand sie sich richtig wieder in ihres Vaters Garten, dicht neben dem Brunnen, in welchen sie sich mit Fleiß gestürzt hatte. Sie sah sich nach allen Seiten um; da sie aber keinen Menschen erblickte, so nahm sie ihren Weg nach dem Hause ihrer Aeltern. Durch die Gartenthüre trat sie jetzt auf den Hof; aber auch hier sah sie niemand, denn sie saßen Alle in der Stube, und aßen Mittagbrot.
[8] Der Hahn aber, als er sie kommen sah, erhob ein großes Geschrei, wie die Hähne zu thun pflegen, wenn sie eine Eule oder sonst etwas Ungewöhnliches erblicken, flog auf den Zaun, schlug die Flügel zusammen, und krähete so laut, daß die ganze Nachbarschaft es hörte:
Kikeriki,
Unsere faule Liese ist wieder hie!
Und das that er wohl drei Mal hinter einander, so daß der Vater und die Mutter und das Gesinde das Krähen hörten, und herausstürzten, weil sie gleich vermutheten, daß Lieschen zurückgekommen seyn würde. So war es auch! Aber wie erschrak und erstaunte die Mutter, als sie ihr Töchterchen erblickte, welches kein Kleid von Gold und Perlen, sondern einen stinkenden Pechmantel um sich hatte. Der Hahn aber krähete immer fort:
Kikeriki,
Unsere schmutzige Liese ist wieder hie!
so daß sie in der ganzen Gegend zum Gespötte wurde.