Frau Rosa Sucher
[66] Frau Rosa Sucher. (Zu dem Bilde S. 53.) Zu den künstlerischen Erscheinungen, die seit Jahren während der Bayreuther Festspielzeit die Bewunderung einer aus allen Welttheilen zusammenströmenden Wagnergemeinde an sich ketten, zählt Frau Rosa Sucher. Wer sie vor Monden gelegentlich der letzten Festspielperiode als Venus im „Tannhäuser“ gesehen, wer ihre Isolde kennengelernt hat, der kam sicher unter dem Eindruck ihrer in der Darstellung wie im Gesang gleich ausgezeichneten Leistungen zu der festen Überzeugung: so und nicht anders müssen diese Gestalten ihrem Schöpfer vor Augen geschwebt haben.
Und ihre Brunhild in Wagners „Nibelungentrilogie“ vergißt wohl gleichfalls keiner, dem einmal das Glück zu theil geworden ist, ihr in dieser Rolle zu begegnen. Sie verkörpert so herrlich die Heldenjungfrau, sie prägt so klar den Walkürencharakter aus, ohne jemals die Grenzen des Schönen zu verletzen, und schmettert so hell den Hojotohoruf in die Welt, schwingt so kraftvoll den Speer: ein herzerfreuender Anblick, bei dem man sofort begreift, warum gerade Brunhild der Liebling Wotans geworden ist. – Und einer solchen Darstellung entspricht auch der Gesang. Mag sie nun den Geschwistern Siegmund und Sieglinde den Tod ankündigen oder dem zürnenden Allvater ins Auge sehen und zerschmettert zusammenbrechen unter der Last seines Strafgerichtes, mag sie zujauchzen dem hehren Helden Siegfried oder sich aufbäumen in wildem, verzweiflungsvollem Schmerz über den an ihr verübten Verrath; mag sie ahnend verweilen bei der Lösung ihres Lebensräthsels oder ins Flammenmeer sich stürzen, um im Tode dem anzugehören, der einst sie aus dem Feuerschlaf furchtfrei geweckt. In allen diesen Scenen hält sie Auge und Ohr in einer Spannung, die sich nicht beschreiben, nur empfinden läßt. Den dramatischen Accent meisterlich beherrschend, fesselt sie gleichzeitig durch den Wohllaut und die ausgeglichene Schönheit ihres Stimmmaterials.
So erblickt sie denn auch in den Wagnerschen Frauengestalten das Ideal ihrer Kunst; ihnen von der Bühne herab zu vollem dramatischen Leben zu verhelfen, gilt ihr als höchste Aufgabe. Trotzalledem widmet sie auch den Werken der älteren Meister warmen Antheil. Wie versteht sie es z. B., Glucks „Armide“ mit allem Zauber der Erscheinung, mit vollendeter Gesangstechnik zu vermitteln! Warum auch sollte sie, die mit allem ausgerüstet ist, was Mozart, Weber, Beethoven, Gluck von einer dramatischen Künstlerin verlangen, ihr Pfund vergraben und einer Einseitigkeit zuneigen, bei der sich nur ein Theil ihres reichen Talentes entfalten könnte?
Mit der Größe ihrer natürlichen Begabung verbindet sie meisterhaften Fleiß und echte Begeisterung für ihren Beruf, ihr außerordentlich rollenreiches Repertoire giebt darüber den bündigsten Aufschluß.
Geboren zu Vellburg (Oberpfalz) als die Tochter des dortigen Chorregenten Hasselbeck, fand sie frühzeitig Gelegenheit, ihr Gesangstalent leuchten zu lassen; in München erfuhr es nach des Vaters Tod seit 1871 gründlichere Ausbildung, die ihr das Auftreten auf der Bühne ermöglichte.
Frau Rosa Sucher ist seit einigen Jahren eine der gefeiertsten Zierden der Berliner Hofoper; die Leipziger Bühne, der sie als Fräulein Hasselbeck jahrelang unter der Direktion Förster-Neumann angehörte, sollte auch ihr, wie so mancher andern Kraft, zur Wiege des Ruhmes werden. Als Gattin Jos. Suchers, des geistvollen Dirigenten, Komponisten und glühenden Wagnerverehrers wurde sie mehr und mehr vertraut mit den Geheimnissen des Wagnerschen Musikdramas. Nach mehrjährigem Wirken an der Hamburger Oper folgte sie einem ehrenvollen Ruf nach Berlin. Möge sie noch lange als auserwählte Priesterin des dramatischen Gesangs zum Entzücken der Kunstfreunde ihres Amtes walten!
Bernhard Vogel.