Frauenleben in der Kalifenstadt

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Textdaten
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Autor: W. Gentz
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Titel: Frauenleben in der Kalifenstadt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 651–654
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Frauenleben in Kairo
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Frauenleben in der Kalifenstadt.[1]


Unvergeßlich bleibt mir der erste Morgen, der mir in der heutigen Capitale des alten Pharaonenlandes, im märchenhaften Kairo, aufging; unvergeßlich die ernsten, feierlichen Männerstimmen, die mich weckten, jener eigenthümliche Gesang, mit dem die Muezzin von den unzähligen, wie Pfeilspitzen in den Himmel strebenden Minarets der Kalifenstadt die Gläubigen zum Gebete laden; unvergeßlich vor Allem der Eindruck, welchen mir das bunte Gewühl auf den engen Straßen machte, das unaufhörliche Gedränge von Eseln und Pferden und langen Zügen beladener Kameele, durch die sich unter beständigem Eifern, Schreien und Schimpfen von Seiten der Thier- und Wagenlenker der Fußgänger nur mühsam windet. Aber gar bald wird man dieses ewigen Tobens und Lärmens müde und sehnt sich nach einem Augenblicke der Ruhe. In solchen Momenten flüchtete ich hinaus in die Allee riesiger Sykomoren, die nach den üppigen Gärten von Schubrah führt, welche die Harems Halim Paschas bergen. Der weiche, zarte Morgenduft schwebte noch über den grünen Feldern, die sich wie Teppiche zwischen den Landhäusern der Reichen an beiden Seiten der Straße ausbreiten. Schwärme von Pelikanen und Flamingos eilten hoch in den Lüften dem nahen Nile zu, während Ibisse und blendendweiße reiherartige Vögel auf den Feldern, wie bei uns die Störche, inmitten des weidenden Viehs umherstolzirten, zwischen den Reihen an Pfähle gebundener Büffel, Kühe, Ziegen, Pferde, Schafe, Esel, Dromedare, Kameele, Maulthiere, die das Grünfutter in bewundernswerther systematischer Ordnungsmäßigkeit abweiden – eine wahre Ausschüttung der Arche Noah’s. Die Allee war heute belebter, als gewöhnlich. Schaaren zu Fuß und zu Wagen, Männer und Frauen, Alt und Jung waren auf dem Wege zu den Begräbnißstätten, die, wie die Bäder, vorzugsweise und häufig von den Frauen besucht werden, und heute mochte ein besonderes Fest noch größere Massen, als gewöhnlich, zu den Stätten des ewigen Friedens rufen.

Plötzlich machen zwei junge Barbariner in weißseidenen aufgeschürzten Hemden, kurzen Hosen, mit nackten braunen Armen, lange [652] Peitschen schwingend, im größten Schnelllauf eine freie Bahn. Zwei Vorreiter sprengen im Galopp sechs vierspännigen Carossen vorauf, an deren Seiten berittene und bewaffnete Eunuchen einhertraben. In den Wagen sieht man unter reicher weißer, mit Gold durchwirkter Umhüllung nur dann und wann beim schnellen Vorüberrollen Brillantgeflimmer von Ringen an rosigen Fingern oder ein wetteiferndes Sprühen schwarzer Augensterne. Wir haben die Frauen aus dem Harem Halim Paschas erblickt. Das bescheidene Harem eines Bei folgt langsameren Schrittes auf abyssinischen Eseln, die mit hohen Sätteln versehen und mit bunten Teppichen behangen sind.

Am häufigsten begegnet man indeß derartigen Frauenzügen zu Fuß. Ihnen voraus bewegt sich gravitätisch der dicke, würdige Eunuch mit langem Rohrstabe, um die Neugierigen von beiden Seiten der seiner Obhut übergebenen Heerde fern zu halten.

In achtungswerthem Anstandsgefühl meidet es der Morgenländer, den Blick auf vorübergehende, wenn auch tief verschleierte Frauen zu richten. Der harmlose Europäer kennt solche feinen moralischen Scrupel nicht; erhält sein Rücken indeß keine Verwarnung durch des Eunuchen kernfesten Stab, dann darf er darin keine Billigung seiner Keckheit, sondern nur die Anerkennung ausgedrückt finden, deren sich zu seinem Heil die europäischen Consuln erfreuen. Aber trotz der moralisch gebotenen Verhüllung lautet ein arabisches Sprüchwort: „Nur die Häßliche verbirgt sich,“ und hierauf läßt sich die Hoffnung bauen, daß der kecken Neugierde gegenüber einmal dennoch einer Schönen der Schleier entfallen werde.

Daß übrigens in der ägyptischen Frauenwelt moralische oder religiöse Scrupel stark im Schwange sind und zu nachhaltiger Geltung kommen, darüber konnte mir mein Freund, der bekannte Berliner Architekt Karl v. Diebitsch, den ich zu meiner Freude in Kairo vorfand, erbauliche Mittheilungen machen. Diebitsch, bekannt als Restaurator und geistvoller Fortbildner arabischer Architektur, neuerdings vielbesprochen wegen seines in Paris ausgestellten herrlichen arabischen Kiosk, von dem die Leipziger Illustrirte Zeitung jüngst eine Abbildung lieferte, war vom Vicekönig Ismael Pascha zur Ausführung größerer Bauten nach Kairo berufen und hatte neben anderen Gebäuden auch für einen reichen europäischen Bankier einen orientalischen Prachtbau durchgeführt, dessen Geschichte interessant genug ist, um als Beitrag zur Sittenschilderung modern-orientalischen Lebens hier erwähnt zu werden. Der Bankier, mosaischen Ursprungs, aber christlicher Convertit, welcher in sieben Jahren sein Vermögen von eintausend auf eine Million Pfund Sterling gebracht hatte, mußte wohl auch in der Frömmigkeit einen besonders hohen Grad erreicht haben; da seine Mittel es ihm erlaubten, glaubte er sich den Luxus einer eigenen christlichen Capelle in dem neuen Prachtbau gestatten zu können. Aber die Ungunst der Verhältnisse gewährte ihm den Genuß nicht, in der prächtig geschmückten Capelle seine Andacht zu verrichten. Er fiel beim Vicekönig in Ungnade und mußte mit seinen Millionen nach Paris übersiedeln, während sein schöner Palast an Nubar Pascha, den Minister der öffentlichen Bauten, vermiethet ward. Dieser, obwohl armenischer Christ, fand es sehr bedenklich, eine christliche Capelle im Hause zu haben, und ließ sie daher zumauern. Seine Gemahlin indeß, die Tochter eines reichen christlichen Juweliers aus Constantinopel, hielt noch strenger auf die Dehors; sie beklagte sich bei Herrn von Diebitsch, daß sie durch die Fensterkreuze – die Form des Kreuzes – bei den dominirenden Muhamedanern in den Verdacht kommen könne, mit ihrem Christenthum prunken zu wollen. Kurze Zeit darauf kaufte Mohammed Bey, ein Moslim, das Haus, und Herr v. Diebitsch mußte einen Theil des Gebäudes zum Harem umbauen. Da entstand plötzlich die heftigste Opposition unter den Frauen Mohammed Bey’s; sie wollten durchaus nicht in ein von einem Christen erbautes Haus hineinziehen, ja, selbst in dem Mausoleum, welches mein Freund für den Bey errichten sollte, wollten die gläubigen Frauen sich nicht einmal begraben lassen. Sie mietheten Leute, welche beim Beginn des Baues die Arbeiter mit Steinen von der Begräbnißstätte verjagen mußten. Nach diesen Symptomen erscheint in der That das von uns als unterdrückt bemitleidete schöne Geschlecht des Morgenlandes dem Fortschritt weniger zugethan, als man erwarten sollte.

Der Grund solcher religiösen oder fanatischen Richtung, die bei den Frauen des Orients sehr verbreitet ist, liegt unzweifelhaft in der Gesammtheit der orientalischen Institutionen, welche sich gegenseitig bedingen und halten und von denen man nicht die eine oder andere umbilden kann, ohne, wie das Ganze, so mit diesem die gesicherte Stellung der einzelnen zu gefährden. Diese innere Zusammengehörigkeit wird durch die Religionsanschauung sanctionirt, welche den Heiligenschein gerade über diejenigen Gestaltungen ergießt, die dem Europäer verdientermaßen am anstößigsten sind. Hierzu gehören vor Allem die Eunuchen, die ich geneigt bin, als besondere Träger und Repräsentanten des muhammedanischen Fanatismus anzusehen. Als Schutzpatrone ihrer weiblichen Pflegebefohlenen genießen sie eine besondere Achtung, welche sie durch gravitätisches Exterieur, durch moralisch-religiöse Haltung, durch eifriges Besuchen der Moscheen und treues Beobachten der Ritualien zur wahren Ehrfurcht zu steigern wissen, die ihnen auch zum Theil als Sühne für das ihnen zugefügte Unrecht erwiesen werden mag. Sie treten in würdiger Gestalt auf, und wie bei uns Bischöfen und Priestern, nahen sich ihnen viele der Vorübergehenden zum ehrfurchtsvollen Handkuß. Ihre Stellung ist namentlich in reichen Häusern oft sehr glänzend.

Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, jedem Eunuchen, dem ich begegnete, die unbescheidene Bitte auszusprechen, mir zu einer Zeichnung zu sitzen. Immer aber wurde mein Gesuch mit Entrüstung zurückgewiesen, während doch andere Muselmänner keineswegs so difficil für die Gewährung meiner Bitte waren. Nur einmal gelang es mir, ein nachgiebiges Individuum dieser Species zu treffen; seine charakteristischen Züge schmücken den Führer des Frauenzuges auf dem Genrebild, welches diese Mittheilungen illustrirt. Zuerst wurde meine Bitte von ihm rundweg abgeschlagen, dann aber gestattet, wenn ich das Portrait in fünf Minuten auf der Stelle machen könnte und einen Fiorino (Gulden) opfern wollte. Der in kürzester Frist glücklich vollendete Umriß erregte die heitern Scherze der Umstehenden, allein der Eunuch erblaßte vor Schreck, als er seine wohlgetroffenen Züge in schwacher Bleistiftzeichnung, nicht in tiefem Schwarz, durchgeführt erblickte. Ein Silhouettenschneider in Schwarz würde seinem Wünsche besser entsprochen haben.

Eine unbezwingliche Eitelkeit, namentlich ihre Liebhaberei für Schmuck und Tand, macht die Eunuchen in hohem Maße habgierig und bestechlich. Auch „ihr Magen kann ungerechtes Gut vertragen“. Als Beleg führe ich eine Historiette an, die auch in anderer Hinsicht als Beispiel orientalischen Lebens gelten kann.

Eines Paschas Frau verliebt sich in einen jungen und schönen Wasserträger und besticht den Eunuchen, damit er in Abwesenheit des Gatten ihr den Geliebten zuführe. Aber die Aussicht des sichern hohen Lohnes macht den Eunuchen zum Verräther der treulosen Herrin. Zur bezeichneten Stunde überrascht der Pascha das zärtliche Paar; der junge Wasserträger wird bleich und zitternd aus seinem Versteck hervorgezogen und muß auf dem Divan Platz nehmen, während das treulose Weib genöthigt wird, dem vor Entsetzen halb ohnmächtigen Geliebten die Kaffeeschale, einen Schibuk und Wasser zu reichen, um Hände und Füße zu waschen. Aber die festliche Bewirthung nimmt ein schreckliches Ende. Der hintergangene Gatte ergreift die Treulose bei den Haaren und ein mächtiger Säbelhieb läßt ihr bleiches Haupt zu den Füßen des Geliebten rollen. „Du wolltest mein Weib, jetzt gehört es Dir!“ Dem vor Todesangst schlotternden Wasserträger wird der in einen Sack gesteckte Leichnam aufgebürdet, er muß ihn davontragen, um ihn den verschwiegenen Fluthen des Stromes zu übergeben. Allein einem Polizeibeamten erscheinen Träger und Bürde verdächtig, und die amtliche öffentliche Untersuchung constatirt die angegebenen Thatsachen, die in den mannigfachsten Verzerrungen lange noch Phantasie und Interesse der Bevölkerung Kairos beschäftigten. Es ist ein psychologisches Factum, daß der schauerliche Reiz solcher blutig verlaufenden Haremsgeschichten erhitzte Gemüther oft gerade zu kecken Frevelthaten stachelt.

Eine elegante Equipage rollt vorüber, in der eine verschleierte Dame in türkischer Kleidung sitzt; sie nickt mir zu, sie winkt mir mit der Hand. „Wie,“ fragt erstaunt mein Begleiter, „Sie haben schon Haremsbekanntschaften trotz Ihrer kurzen Anwesenheit?“ Ich bin selbst einen Augenblick im höchsten Grade überrascht, aber die hinten auf der Equipage stehenden Söhne des Sudan lösen mir schnell das Räthsel. Ich erkenne in ihnen die Diener der in der geographischen Welt bekannten holländischen Reisenden Fräulein Alexine Tinne, deren Bekanntschaft ich seit einigen Wochen gemacht habe und zu deren interessanter Behausung und Umgebung mich der freundliche Leser begleiten möge. Fräulein Tinne hat

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Frauenpromenade in Kairo.
Originalzeichnung von W. Gentz. Holzschnitt von Breidenbach u. Co. in Düsseldorf.

[654] große Reisen im geographischen Interesse in das tiefe Innere Afrika’s unternommen und ist aus den gefahrvollen Gebieten des Gazellenflusses allein mit dem Herrn von Heuglin zurückgekehrt, während ihre andere Begleitung, Dr. Steudner, die Mutter, die Tante, der Arzt und zwei Kammermädchen der Reisenden, die Beute des mörderischen Klimas geworden sind. Fräulein Alexine Tinne ward auf ihren Expeditionen im tiefen Sudan – wegen ihres imponirenden und glanzvollen Auftretens – für eine Tochter des Sultans gehalten und hatte eben deshalb Gelegenheit gehabt, viele Anschauungen zu gewinnen, die Männern nicht leicht geboten werden; ihre freundlichen und geistreichen Mittheilungen erstreckten sich vornehmlich auf die Lebensverhältnisse der muhammedanischen Frauenwelt, die wegen ihrer Abgeschlossenheit, wie jedes Mysterium, stets einen so außerordentlichen Reiz auf die Phantasie der Menschen ausgeübt hat und Dichtern und Malern zum beliebten Vorwurf geworden ist.

In Alt-Kairo, etwa eine halbe Meile von der neuen Stadt, bewohnt die junge Dame, in der die phantasiereiche Bevölkerung wegen ihres Reichthums und der reichlich gespendeten Almosen wohl eine Sultanstochter vermuthen konnte, ein labyrinthisches, ruinenartiges Haus, in welches sich leicht eine märchenhafte Geschichte aus Harun al Raschid’s Tagen hineinphantasiren ließe. In den ersten Vorhof gelangt man durch dunkle, kellerartige Gänge, in denen sich zugleich Esel- und Pferdeställe befinden; von dem Hof, welchen drei mächtige Palmenbäume schmücken, führen freistehende, steinerne, sehr defecte Treppen auf die Plattform der Hinterhäuser. In den zerbrochenen Fenstern springen allerhand Affen herum, nubische, zur Gazellenjagd abgerichtete Windhunde kommen uns kläffend entgegen, kleine Sclavenknaben und -Mädchen, die wenig bekannten sudanischen Racen angehören, lagern auf dem Boden und sonnen sich. Ein alter, weißbärtiger arabischer Diener führt uns durch einen zweiten Hof in ein großes, parterre gelegenes Zimmer, welches in seinen Einrichtungen vollständig einem Bivouac gleicht.

Seltsame Waffen und Sättel liegen in den Winkeln umher, überall sieht man aufgebrochene Kisten und Koffer; ausgestopfte Vogelbälge, Geweihe aller Arten Antilopen hängen an den Wänden. Fräulein Tinne, von unserm Besuch benachrichtigt, erscheint; ein dunkles Tuch umschließt ihre schönen blonden Haare; über einem schwarzen Unterkleide trägt sie ein grau-seidenes schillerndes Uebergewand arabischen Schnittes; ihre Füße stecken in gelb-ledernen arabischen Stiefeln. Ihre große schöne Gestalt mit den prononcirten Zügen, dem milden Ausdruck, dem freien und feinen Benehmen macht einen imposanten und zugleich gewinnenden Eindruck, aber die Anstrengungen ihrer Reisen, die Trauer über liebe Anverwandte und Freunde, die ein herbes Geschick von ihrer Seite dahin gerafft, haben ihrem Antlitz den Charakter des Leidens aufgeprägt. Sie führt uns in ihren Salon, das Hauptlocal eines alten Harem. Von drei Seiten fällt das Licht durch die großen Fenster, wird aber in seiner Wirkung durch das feine in Holz geschnitzte Gitterwerk gedämpft, welches den Frauen wohl erlaubt, hinauszublicken, aber nicht gestattet, von außen gesehen zu werden. Von Mobilien enthält das Gemach nur Divans, die von Dattelholzstäben verfertigt an den Wänden herumlaufen, während in der Mitte ein paar sehr originell geformte sudanische Sessel stehen. So stellt sich das Innere eines Harems in seinem Hauptlocal dar.

Zu den Personen des Harems zählen außer der Herrin oder den Herrinnen auch die Sclavinnen und Dienerinnen, deren Anzahl bald größer, bald geringer nach dem Reichthum des Herrn bemessen ist; sie gehören den verschiedensten Nationen an und mögen daher dem socialen Leben einen recht bunten Charakter verleihen. Eine ganz seltsame Menschenmenagerie, wie sie wohl zuweilen, doch gewiß nur selten in ägyptischen Harems gefunden werden mag, lernte ich in den weiblichen Personen kennen, mit denen Fräulein Tinne sich wie eine orientalische Dame umgeben hatte. Diese Wesen sind nicht von Fräulein Tinne gekauft, sondern ihr freiwillig gefolgt, besonders aus denjenigen Gegenden, wo die Dame auf ihren Reisen am längsten ihr Lager aufgeschlagen hatte, also auch am längsten durch ihre Wohlthaten die Herzen gewinnen und an sich fesseln konnte. Eines dieser Lager ist auf der Karte von Baker angegeben, dem berühmten Entdecker des Albert Nyanza, des zweiten großen Beckens, aus dem der Nil neben dem von Speke entdeckten Victoria Nyanza seine Wassermassen über so unermeßliche Flächen ausgießt. Die naiven jugendlichen Schönheiten entblößten mir Arm und Brust, um mich die auf ihnen tättowirten Scorpionen, Schlangen und Krokodile bewundern zu lassen, und enthüllten mir dadurch den primitivesten Zustand der schmückenden bildenden Kunst. Ein zartes Galla-Mädchen, der schönsten Race des Sudans angehörig, trug ihr Köpfchen so stolz, wie eine Bronzestatue der Königin Candace. Das arme Kind war in Suez todtkrank geworden, weil das Klima Aegyptens dem exotischen Gewächs schon zu kalt geworden war. – Diese Personen, welche Fräulein Tinne um sich gesammelt hatte, boten mir eine herrliche Gelegenheit für Bereicherung meiner ethnographischen Studienmappe. Sie präsentirten sich mir zum Zeichnen in allen gewünschten Positionen, ohne sich zu rühren, ohne zu wanken. Einst hatte ich die kleine Kammerzofe von Fräulein Tinne gezeichnet, war dann aber auf ein Viertelstündchen hinausgegangen; da traf ich bei meiner Rückkehr das kleine niedliche Kind geduldig noch in derselben Position ausharren, in der ich es verlassen; ich hatte vergessen, ihm das„chalass“, „es ist fertig“ zuzurufen.

Es ist gewiß schwer, den Schleier der orientalischen Schönheiten zu heben, gleichwohl habe ich eine ganze Mappe voll orientalischer weiblicher Studienköpfe gesammelt; wie überall thut ja auch hier das Geld Wunderdinge. Die Vermittelung übernehmen ältere Frauen, die in die Harems gehen, dort kaufen und verkaufen und Gelegenheit zu Intriguen suchen und finden. Die Durchführung derselben ist leichter, als man wohl wähnt. Wenn die Eunuchen die Damen in’s Bad führen, so bleiben sie selbst bis zur Rückkehr derselben vor der Thür sitzen und rauchen eine Pfeife nach der andern. Die Rückkehr verzögert sich indeß oft sehr lange; denn im Bade wird geschwatzt, geraucht, Kaffee getrunken, Toilette gemacht. Zieht nun eine der Damen im Bade ein anderes Costüm, etwa das eines Fellahweibes, an, so kann sie ruhig an ihrem bewachenden Cerberus vorübergehen; er erkennt sie nicht. Sie kehrt dann zurück, schlüpft in die eigenen Kleider und läßt sich von dem getreuen Wächter nach Hause zurückbegleiten.

Es ist auch Fräulein Tinne’s Meinung, daß die orientalischen Frauen weit davon entfernt sind, vor ihren Herren und Gebietern zu zittern. Vergleicht man unbefangen den Zustand der Frauen im Morgenland mit denen des Abendlandes, so werden sich unzweifelhaft auf beiden Seiten verschieden vertheilt Licht und Schatten finden, aber es ist nicht unmöglich, daß die Bilanz – Alles in Allem gerechnet – keine erhebliche Differenz aufweist. Die orientalischen Damen theilen ganz die ehrenvolle Stellung ihrer Männer; ihr Leben, ihr Vermögen, ihre Wohnung sind heilig und sicher, selbst wenn der Ehemann politischen Gefahren unterliegt; sie genießen dieselbe Erziehung und Bildung wie die Männer und werden verheirathet ebenso selbstständig oder selbstständiger als die occidentalischen Frauen. Ihr Vermögen wird nicht Eigenthum des Mannes; im Gegentheil geht ein Theil des Vermögens ihrer Männer als Aussteuer, welche nicht die Eltern geben, in ihren Besitz über, und so wird die Frau materiell in eine vollständig unabhängige Lage gebracht. Sie disponirt durchaus frei über ihr Vermögen, haftet auch nicht für die Schulden ihres Mannes. Nach dem Tode desselben bleibt sie in ihrem Besitz, ja erhält selbst noch einen bedeutenden Theil seiner Hinterlassenschaft und genießt auch als Wittwe eine höchst achtungsvolle Behandlung. Das Alles sind Thatsachen, welche die Frauen des Orients in vielen Punkten ebenso gut oder vielleicht besser situirt erscheinen lassen, als die des Occidents. Aus eigenen Beobachtungen und zuverlässigen Mittheilungen weiß ich, daß sie sich entschieden nicht für unglücklich halten und keinen Neid wegen der freieren Stellung ihrer abendländischen Schwestern hegen.

Von der Terrasse des Fräulein Tinne genießt man eine herrliche Aussicht auf die Nilinsel Rhoda, die mit ihren herrlichen Gärten voll tropischer Vegetation sich wie ein kleines Paradies darstellt. Dort befindet sich das Harem Mustapha Pascha’s, und das bewaffnete Auge erblickt hin und wieder prächtig gekleidete Damen, die unter den herrlichen Cypressen dahinwandeln, gefolgt von Dienerinnen und Kindern und geführt von dem dickwangigen Führer, dessen ungeschlachte Formen die Anmuth der Frauen und die Liebenswürdigkeit der Kindesnatur nur um so reizender hervortreten lassen. Auch ich war mehrmals Zeuge solcher Damenpromenaden, und die meine Schilderung begleitende Zeichnung verdankt einer dieser interessanten Scenen ihre Entstehung.

W. Gentz.




  1. Das Morgenland hat von Neuem eine Invasion in’s Abendland unternommen, wenn auch diesmal nur zu „moralischen Eroberungen“. Das bisher unerhörte Ereigniß, daß sich der Beherrscher aller Gläubigen zu einem friedlichen Besuche nach den ungläubigen Hauptstädten des Occidents begeben, hat den Blick mehr denn je dem Orient zugewandt, für den jene Kaiserfahrt wohl nicht ohne wichtige Folgen bleiben dürfte; wir meinen daher unsern Lesern besonders Interessantes und Zeitgemäßes darzubieten, wenn wir ihnen in der obenstehenden Skizze, die zugleich eine meisterhafte Zeichnung von der Hand ihres Verfassers schmückt, eine Schilderung jenes abgeschlossenen Frauenlebens vorführen, in welchem der Islam seinen wesentlichsten Stützpunkt und der Orient sein bezeichnendstes Merkmal findet.
    D. Red.