Freiwillige Krankenpflege auf dem Schlachtfelde

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Autor: Alexander Pagenstecher
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Titel: Freiwillige Krankenpflege auf dem Schlachtfelde
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 672–676
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Freiwillige Krankenpflege auf dem Schlachtfelde.
Von Prof. A. Pagenstecher in Heidelberg.
Schlechte Nachrichten vom Schlachtfelde. – Von der Mitwirkung des freiwilligen Sanitätswesens und seiner Unentbehrlichkeit. – Ausrüstung einer Heidelberger Hülfsmannschaft. – Ihr Zug nach dem Schlachtfelde von Gravelotte. – Grobe Abweisung durch Johanniter. – Die Sehnsucht der Verwundeten, nach Hause zu kommen. – Einiges über die markzehrende Arbeit eines Spitalarztes. – Würtembergische und baierische Einladung von Verwundeten. – Lauter Concurrenten. – Nochmals die Johanniter. – Schlußwort.

Wenn ich heute Einiges über das freiwillige Sanitätswesen berichten will, wie es sich in den jüngsten Tagen der Gefahr, des Kampfes und Sieges darstellte, so soll das nur ein Scherflein zum Nutzen der Zukunft sein, und ich weiß wohl, daß ein endliches Urtheil über Manches, was jetzt von den Einzelnen mit scharfem Für und Wider besprochen wird, nur nach den Erfahrungen Vieler zu bemessen ist.

Für die ganze heimische Thätigkeit, welche sich in dieser Beziehung fast über Nacht so kolossal zu entfalten hatte, war es von unberechenbarem Vortheile, daß durch den Frauenverein wenigstens die Grundzüge einer realen Organisation gegeben und die ersten Mittel und Kräfte geboten waren. Wie wäre es sonst selbst der wärmsten patriotischen Hingebung möglich gewesen, fast gleichzeitig mit der Mobilmachung der Armee alles Nothwendige herzustellen, über fünfzigtausend Betten, viele Tausend Pfleger und Pflegerinnen, die ungeheuersten Vorräthe für Verwundete und Kranke bereit zu halten?

Konnte man in solcher Weise sich ohne Bedenken das Zeugniß

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Erste Hülfe im Sanitätsdienst nach Ankunft eines Verwundetenzugs.
Nach der Natur aufgenommen von H. Leutemann.

[674] wohl erfüllter Pflicht geben, so mußte man mit um so größerem Bedenken und um so größerem Kummer die Nachrichten entgegennehmen, welche von den Schlachtfeldern und aus deren Umgebung kamen. Als der Schlacht von Weißenburg die von Wörth folgte, zogen fast täglich Züge von Hülfsmannschaften durch Heidelberg, und so gingen auch solche von Heidelberg, theils unter Theilnahme der ausgezeichnetsten Männer der Hochschule, in jene Gegend. Sie fanden die Verhältnisse in der Nähe des Schlachtfeldes recht ungünstig. Während die Armee mit ihren geordneten Hülfsmitteln weiterzog, blieb es übrig, Tausende von Verwundeten aus Dörfern und einzelnen Häusern eines weiten Kreises des hügeligen Landes in schlechten Leiterwagen auf wenigem Stroh zur Eisenbahnstation Sulz zu verbringen. Dort gab es nur für Wenige ein Unterkommen und bei der durch das einspurige Geleise nur langsamen Abfuhr lagen die unglücklichen hungernd, zerschossen, sterbend auf faulender Streu in strömendem Regen tagelang rings um den Bahnhof, ein Jammerbild, welches nicht vergessen kann, wer es sah.

Wer von dort wiederkehrte, brachte die Ueberzeugung mit, die Mitwirkung des freiwilligen Sanitätsdienstes bis zur fechtenden Armee hin sei unentbehrlich; die Arbeit in den Tagen nach der Schlacht übersteige bei den entsetzlich mörderischen Waffen die Kräfte eines militärärztlichen Personals; dieses, in der Regel mit der Truppe abziehend, hinterlasse die Verwundeten, wo sie denn im Augenblick des Abmarsches liegen, und in welchem Zustande es auch sei, ohne nur die Möglichkeit zu haben, weitere Sorge für Behandlung, Pflege und Beförderung zu tragen.

Wir haben uns damals bemüht, die Einsetzung eines „Sanitätsetappenwesens“ zu veranlassen. Die Spitzen hätten sich bei den Hauptquartieren zu befinden, die Etappen auf den Eisenbahnknotenpunkten und an den wichtigeren Hospitalplätzen. Die Aufgabe wäre einerseits die Entlastung der Militärärzte durch Anziehen freiwilliger Kräfte für den Fall der Schlacht, Marschroutennachweis, Vertheilung, Controle und Zurücksendung oder Ablösung für dieselben, andererseits Rücksendung der Verwundeten, Leitung der Einladung, Bestimmung der Anhalte zu Erfrischung und Verband, Stellung der Begleitmannschaften aus rückkehrenden Hülfsmännern. Telegraphischer Verkehr hätte die Stationen über die Bedürfnisse an der Spitze und die Kräfte an der Basis zu unterrichten.

Bei der großen Zahl von Personen, welche eifrig zu dienen wünschten, wäre es möglich gewesen, nach den ersten übeln Erfahrungen in wenigen Tagen diese Einrichtung herzustellen. Es scheint auch, als wenn die Anregung, welche an hoher Stelle vollstes Verständniß und hülfreiche Aufnahme fand, einigen Erfolg gehabt habe, wenn sie auch nicht die volle Einsetzung eines solchen Institutes bewirkte. Es war eben die Leitung der freiwilligen Krankenpflege den Händen der Johanniter- und Maltesergenossenschaft übertragen. Ich habe viel Gelegenheit gehabt zu sehen, daß diese Genossenschaft theils durch Beibringung von Wartepersonal und Hülfsmitteln, theils in den einzelnen Mitgliedern durch persönliche Hingebung unendlich viel Gutes stiftete; aber es war von Anfang an klar, daß dieselbe trotz der Erfahrungen von 1866 der Gesammtaufgabe der freiwilligen Krankenpflege beim Heere vollständig nicht gewachsen war. Wir werden darauf zurückkommen.

Es war zweckdienlich, sich selbst umzusehen, und als die Botschaft von der Schlacht vor Metz, von der von Mars la Tour ankam, eilte ich, eine Stunde nach Eingang der telegraphischen Ermächtigung des großherzoglichen Kriegsministeriums, mit einer starken Heidelberger Abtheilung zum Kampfplatze. Fünfzehn Mann standen unter Professor W., siebzehn unter mir selbst. Die Schicksale solcher Colonnen entscheiden über ihren Nutzen. So darf ich den Lesern eine Skizze unseres Zuges geben, kleine Erlebnisse inmitten der riesenhaften Ereignisse, deren die Geschichte in vielen Jahrhunderten nicht vergessen wird. –

Wir fuhren am 18. August Nachmittags ab. Jeder hatte den Ranzen voll von Binden, Tüchern, Compressen, Charpie, Heftpflaster, Oel und Carbolsäure zum Verbande; Gypsbinden und loser Gyps sorglich in Blechkapseln gepackt; die Feldflaschen, den Brodbeutel, welcher auch beim Verbinden sehr bequem ist, wohl gefüllt. Das Ganze meiner Abtheilung führte zwei Tragbahren, einige Laternen, eine Kiste mit Reserveverbandzeug; ich selbst noch ein compendiöses Amputationsbesteck, Kugelzange, mehrere Katheter, einige Arzneien und Chloroform. Wenn es sein mußte, konnten wir Alles selbst tragen. Wachstuchkappen mit Cocarde vom rothen Kreuz im weißen Felde gaben uns das Ansehen der Zusammengehörigkeit. Für gewöhnliche Verhältnisse bestritt der Einzelne seine Ausgaben, für außergewöhnliche und allgemeine Unkosten gab der Verein eine Summe mit. Wir waren gemischt aus vielen Völkern der Erde. Neben Deutschen verschiedener Provinzen hatte ich unter mir Schweizer, Nordamerikaner, Russen, einen Chilenen, den Japanesen Kinsai Akahossi, welcher bei uns Medicin studirte.

Unterwegs schon hatten wir Gelegenheit, uns bei drei begegnenden Zügen mit Verwundeten nützlich zu machen. Sie kamen von Metz und wir verbanden sie und erquickten sie mit Wein. In Remilly rieth man uns, die Richtung gegen das Schlachtfeld vom 16. August jenseits der Mosel zu nehmen und nach einigen Stunden rührigen Mitwirkens im Operiren, Verbinden und Tragen erhielten wir von dem sehr gefälligen Etappen-Commandanten zwei Leiterwagen nach Pont à Mousson und achtzehn Portionen Mundvorrath, den wir noch durch französischen Zwieback, der in ungeheuren Massen am Bahnhofe lag, verstärkten.

In Pont à Mousson traf uns die Nachricht von dem entscheidenden Sieg der deutschen Waffen bei Rézonville oder Gravelotte. Aber das Entsetzen über die schrecklichen Verluste, in zwei Tagen wohl über dreißigtausend Mann, hatte sich auch schon bis hierher verbreitet. „Sie werden sehr willkommen sein, eilen Sie,“ sagten die Officiere. Wir zählten jeden Verwundeten, der uns begegnete, für einen Gewinn; war er doch nicht todt, konnte man doch hoffen, ihn zu retten, zu versorgen, ihm zu vergelten, was er für uns gelitten.

Wir verließen am 20. August in der Frühe die Stadt, nachdem sich meine Leute militärisch pünktlich versammelt, und wir uns einen Feldkessel, einiges Geschirr, gute große Brode gekauft und Wein eingefüllt hatten. Heu erhielten wir nur mit Mühe, und Hafer erst unterwegs gegen Quittung von einem campirenden Divisionsmagazine. Wir fuhren, was die Pferde leisten konnten, die Mosel hinab nach Novéant und Ars sur Moselle. Viehtreiber, Munitionswagen, Dragoner und selbst die gestrengen Armeegensd’armen ließen das rothe Kreuz außer der Reihe vor. Sehr viele Verwundete, theils von Gorze her, theils von Ars, begegneten uns, oft zu Fuß. Einigen wurde mit Verband und Erfrischung geholfen. Wir näherten uns mehr dem Terrain vom 18. August, wo wohl noch am meisten Hülfe nöthig war.

In Ars traf ich gleich am Eingang des Ortes den mir befreundeten Stabsarzt Dr. S., der dort sein Lazareth eingerichtet hatte. An ihn gab ich Chloroform, Gypsbinden und anderes Verbandzeug ab. Seine Bitte, meine Leute möchten sich doch um die Erfrischung der zahlreich durchziehenden Verwundeten bemühen, scheiterte zunächst an grober Abweisung eines Johanniters, welcher meinte, daß der Arzt hier gar nichts zu befehlen habe. Es ist dies die eine Stelle, wo ich Mitglieder dieses Ordens herb tadeln muß. Sonst war nur die Klage, daß der Mangel eines geordneten Betriebes es meist unmöglich erscheinen ließ, von den Herren eine Auskunft zu erhalten, wo und mit was man nützen könne, während doch überall Elend herrschte, daß sie sich, während jeder, selbst der höchste Officier uns nach allen Kräften hülfreich war, ausweichend und ablehnend verhielten. Hier traf die Herren der Vorwurf, daß sie den Posten, in dem sie saßen, durchaus nicht ausfüllten. Die Verwundeten, die vom Ehrenfelde von Gravelotte herabfuhren, starben nahezu Hungers, während die Johanniter mit den höheren Officieren unbefangen plauderten. Und doch war im Gasthause Suppe, Braten, Gemüse, Wein noch in Menge fertig und zu mäßigen Preisen zu haben.

Gerade in solchen Augenblicken einer außeretatmäßigen Noth könnten Herren von hohem Namen, denen außer eigner Wohlhabenheit große Mittel der öffentlichen Freigebigkeit zur Verfügung stehen, und denen eine ganz unbeschränkte, controlelose Verwaltung nachgesehen wird, Ungemeines nützen, in die Lücken der Staatsverwaltung eintreten, und wenn sie das nicht thun, nachdem sie doch in die Ehren der Stellung eingetreten sind, trifft sie mit Recht schwere Verantwortung. Am Ausgange des Städtchens, wo unsere Wagen standen, improvisirte sich denn unsere Speisungsstätte auch ohne Johanniter. Mit größter Begierde wurden von den Verwundeten zwanzig bis dreißig Commißbrode, welche unsere Fuhrleute für die Pferde aufbewahrt hatten und die sehr gut waren, Schiffszwieback und Speck angenommen. Unsere Bohnensuppe wanderte in das [675] kleine Lazareth, in welchem selbst Officiere keinen Bissen hatten und dringend flehten, sie aus dem verfl– Neste zu erlösen.

Wir fuhren von hier den Waldweg westlich von Ars, an welchem der äußerste rechte Flügel der preußischen Armee in der Schlacht vom 18. gekämpft hatte, hinauf. An friedlichen Bivouacs vorbei kamen wir nach Gravelotte hinein gerade vor das Hauptquartier des Generals v. Steinmetz. Officiere bewillkommneten uns, und der Commandant des Hauptquartiers, Major v. Str., rieth uns freundlichst, da der General um fünf Uhr ausrücken werde, sofort in dieses Quartier einzurücken, was wir auch befolgten.

Die drei Stuben des Parterre und die große Scheune lagen voll Schwerverwundeter. Da Johanniter sich nicht finden ließen, beredete ich mich mit den Militärärzten, unter denen ich wenigstens einen alten Bekannten fand und neue gewann, und wir räumten dann, so viel wir konnten, von den Verwundeten der nächsten Nähe noch in bereitstehende Wagen.

Es ist immer das größte Verlangen der Verwundeten, wegzukommen, und es ist dem, soviel irgend möglich, zu entsprechen. Auf den Soldaten im Felde übt die Nähe der Leidenden einen ungünstigen Einfluß, die Bequemlichkeiten sind stets äußerst gering und was davon, von Personen und Mitteln zur Hülfe vorhanden ist, muß möglichst bald wieder für den neuen Bedarf frei gemacht werden. Diese Nothwendigkeit erstreckt sich von der Armee weit rückwärts bis über die Hospitäler im westlichen Deutschland. Diese müssen immer entleeren, um eine Stätte denen bieten zu können, die für den Augenblick oder überhaupt nicht weiter gesandt werden dürfen. Wohl ist der Transport auf Leiterwagen sehr anstrengend, wenn man aber reichlich Stroh auflegen kann, so geht’s schon, selbst mit nicht eingegypsten Schußfracturen der untern Glieder. Die freie Luft ist bei leidlichem Wetter weit besser als die üble Atmosphäre überfüllter Bauernstuben, in denen es auch selten etwas Besseres als eine Schütte Stroh giebt. Nach Hause, nach Deutschland, da glaubt sich so ein armer Kerl schon gerettet.

Die Uebrigen wurden trotz eingebrochener Nacht bei Laternenschein verbunden, Kugeln ausgeschnitten, Knochenstücke, Tuch- und Lederlappen aus den Wunden entfernt. Wohl die wenigsten jetzt beschäftigten Wundärzte mochten vor den Kriegen in Schleswig und Böhmen eine Kugel ausgeschnitten haben, höchstens einmal Schrote oder Posten eines unglücklichen Jägers. Jetzt war das tägliches Brod. Wunderbar, wie die Kugeln auf dem Knochen ihre Gestalt ändern, wie sie selbst Knöpfe, Portemonnaiebügel, Geldstücke zugerichtet haben. Wer auf eine Sammlung bedacht gewesen wäre! aber die Leute behalten diese Andenken gar gerne selbst.

In Gravelotte war entsetzlicher Wassermangel, selbst zum Verbinden manchmal kein Tropfen. Dabei gab es außerordentlich viel zu thun. Erst noch im eigenen Hause, dann in der Nachbarschaft, wo besonders die Schulstube etwa zwanzig schwer Verwundete barg. Man konnte dort kaum einen Mann verbinden, ohne auf einen andern zu treten. Dazwischen noch friedlich Katheder und Wandtafeln. Ich fand dort einen Mann, dem ein Granatstück das Bein im Oberschenkel ganz abgerissen hatte, nur oberflächlich verbunden. Ich übergab ihn den Militärärzten, aber er überlebte die nöthige Operation nur kurze Zeit. Eine nicht ganz leichte Operation, welche ich selbst machte (die Urethrotomie aus freier Hand wegen Schußverletzung), hatte guten Erfolg. Ich erwähne das nur, um dem liebenswürdigen und vortrefflichen Stabsarzt Dr. Vogelsang, mit welchem ich damals zusammenwirkte und den nun auch schon die fremde Erde deckt, nachzurufen. Die Kriegschirurgie ist eben eine entsetzlich anstrengende, markzehrende Arbeit.

Sonst nimmt wohl hülfreich das Messer mit kühnem Schnitte langjähriges Leid weg; man überlegt für einen Fall tagelang, man hat alle Hülfe, jedes Instrumentchen, das stille Krankenzimmer, die beste Pflege und Nahrung; hier liegen Hunderte, eben in frischester Jugendkraft, jeder ein Held, jetzt ein vernichtetes, verkrüppeltes Dasein. Kaum hat der Arzt Zeit zum Entschlusse, seine Arbeit nähert sich der einer Maschine in erschreckender Weise, dabei kein Lager, kein Wasser, kein Ersatz für ein Instrument, das zerbricht oder sich im Stroh versteckt, kaum Speise, keine freundliche Hand zur Pflege. Doch nein, wenn auch sparsam, waren schon bis hier hinauf Pflegerinnen gedrungen und außer uns auch Berliner Hülfsmannschaften, welche allerdings alsbald wieder abmarschiren zu müssen glaubten. Drei französische Aerzte, deren Aeußeres uns wenig gefiel, verwiesen wir zu ihren gefangenen und verwundeten Landsleuten, da sie doch unsere Soldaten nicht zu verstehen vermochten.

So gut ich selbst mit den Militärärzten stand, sah ich nur zu bald ein, daß wir ihnen in einer Sache im Wege waren. Unser Quartier erregte Neid, und sie hätten es gern bezogen, in dem Vertrauen, weil das Haus zum Theil noch mit ganz schwer Verwundeten belegt war, vor außerärztlichen Ansprüchen behütet zu sein. Dabei konnte unser augenblicklich sehr erwünschtes Eingreifen plötzlich ein Ende nehmen; die Verwundeten verringerten sich durch Abfuhr von Stunde zu Stunde, während das militärärztliche Personal, da der größte Theil der Armee bei Metz blieb, sich mehr und mehr heranzog. Johanniter, uns eine längere Beschäftigung zuzutheilen oder uns zu einem anderen Orte zu weisen, waren auch jetzt nicht zu finden. So kam ich denn mit den Aerzten überein, Verwundete nach Courcelles zu begleiten, und machte mich mit diesen und meinen Leuten noch am nämlichen Tage auf den Weg. Nach andauernder Fahrt übernachteten wir in Corny und kamen an Metz vorbei Nachmittags nach Courcelles.

Wir fuhren zunächst zum Bahnhofe, bekamen aber weder beim Etappencommando noch im Johanniterhospital eine befriedigende Auskunft. Obwohl man auf die Nacht große Transporte erwartete und uns sehr gut brauchen konnte, wollte sich Niemand unser annehmen, und das Personal des Spitals schlug uns bestimmt und wenig höflich die Erlaubniß ab, unser Verbandzeug und unsere Bahren bis zum Gebrauche dort, wo sie gerade am Platze waren, abzustellen. In einem Speicher über einem Stalle fanden wir endlich ein nothdürftiges Nachtquartier.

Vor fünf Uhr weckte uns das bekannte Rollen der langen Reihe von Wagen mit Verwundeten. Wir eilten zum Bahnhofe, und alle Hände konnten sich nützlich machen. Man nahm das Stroh von den Wagen, lagerte die Leute in langen Reihen darauf, verband, operirte und trug in die Waggons. Es gab Wein und Butterbrod an dem Buffet des überaus engen Bahngebäudes. Es fing an zu regnen, und da die niedrigen Hütten nur für einen kleinen Theil der Ankommenden reichten, war es doppelt nöthig, daß reichliche Hülfe thätig war. Neben uns arbeiteten Darmstädter, und die Militärärzte waren sehr dankbar für den Zuwachs an Kräften. Von den Johannitern leitete unterdessen Graf … unermüdlich die Ausladung von Liebesgaben, Graf St. schien hauptsächlich die Führung der Schwestern zu haben.

Als die Einladung beendet war, kam den Meisten von uns das Gefühl, es sei wenig gerathen, länger hier zu bleiben. Man kümmerte sich nicht darum, wo wir unser Haupt hinlegen, noch mit was für Speise wir die angestrengten Kräfte ersetzen sollten. Es lag auf mir die Sorge für achtzehn zum Theil noch sehr junge Leute, die bereits unwohl zu werden begannen. In der That wurden mehrere von der Ruhr, und nach der Heimkehr Einer vom Typhus befallen, und ich schiebe davon die Schuld hauptsächlich auf Courcelles. Es schien unsicher, ob man bei der Herstellung der Bahn zwischen Ars und Nancy weiter Verwundete hierher senden werde, und auch hier erschienen neue Hülfsmannschaften. Ich wollte es, da wir auch zu Hause nützen konnten, nicht verantworten, länger auf’s Gerathewohl hier zu bleiben, und ich erlangte, daß man uns am Abend in einem Güterwagen zunächst mit nach Remilly nahm.

Dort wurde gerade der würtembergische Sanitätszug unter Professor Bruns eingeladen, welcher in sehr guter Weise hergestellt war, indem man aus den bekannten langen würtembergischen Wagen die Sitze entfernt und an den Langwänden auf den Boden Bahren gestellt und darüber eine zweite Reihe in Gurten aufgehangen hatte. Zwischengeschobene offene Güterwagen erlaubten die Einladung, und man konnte die Bahren dann durch mehrere Wagen durchtragen. Die Fama erzählt, daß die Sanitätswagen auch noch den Vortheil boten, unzeitgemäße Minister zu stürzen.

Eine andere Einrichtung hatte Baiern getroffen, indem in kleine Güterwagen vier oder fünf Betten gestellt waren, deren Füße zuweilen auf angeschraubten Federn ruhten. Es wird nicht leicht sein, die besonderen Wagen für den ganzen Bedarf herzustellen. In den meisten Fällen werden für die Leute, welche nicht sitzen können, Strohmatratzen ausreichen. Man kann deren in ungemein kurzer Zeit, wenn man aller Orten Auftrag giebt, die nöthige Zahl herstellen, kann ihrer fünfzig in einem Wagen, also zweitausend in einem Zuge transportiren, wo es dann wegen leer zurückgehender Züge nie an Wagen zu deren Vertheilung fehlt, [676] man kann sie mit oder ohne Bahre beim Ein- und Ausladen und mit der Bahre beim Transporte der schwerst Verletzten in’s Spital benutzen, und man kann mit ihnen ein Spital sofort und überall improvisiren.

Wir trafen in regnerischer Nacht in Remilly ein, und es war Glück, daß wir in Villa Roland, in welcher Johanniter mit ihrem Personal eingezogen waren, ein Obdach fanden. Die Herren halfen uns auch bestens, daß wir vom Bahnhofe etwas Stroh geliehen bekamen. Uebrigens konnten wir auch hier leicht merken, daß man uns für überflüssig ansah und als Concurrenten um die wenigen Bequemlichkeiten betrachtete, welche das überfüllte und ausgesogene Oertchen noch bot. Klarer wurde das in der Frühe am Bahnhofe; es wimmelte jetzt so von männlichen und weiblichen Hülfsleuten aller Art, daß mir auf jeden Verwundeten mindestens eine solche Person zu kommen schien. Ich ließ also noch einige Zeit beim Verbinden und Einladen helfen, gab das Meiste von Arzneien und Verband, was wir noch hatten, ab und benutzte dann die freundlichst von Generallieutenant von Tiedemann gewährte Erlaubniß, in einem Extrazug nach Saarbrücken mitzufahren. Wir speisten dort an einem gedeckten Tisch, sahen die Zerstörungen durch Brand und Geschützkugeln, kamen Abends bis Neunkirchen und anderen Tages, genau eine Woche nach unserer Abfahrt, nach Heidelberg zurück.


Meine nun gesammelten Erfahrungen konnten die Vorstellungen, die ich mir nach fremden Berichten gebildet hatte, im Wesentlichen nur bestätigen. Es sind alle nöthigen Hülfsmittel vorhanden, welche im freiwilligen Sanitätsdienst die militärärztliche Thätigkeit und die militärische Pflege ergänzen können; aber die Art ihrer Verwendung hat sehr zu wünschen übrig gelassen und wird das stets thun, wenn nicht eine bestimmte Ordnung herrscht. Diese ist nicht denkbar ohne ein Sanitäts-Etappenwesen, welches zwar an kleinen Orten von dem gewöhnlichen militärischen Commando mit besorgt werden kann, an den wichtigeren aber besondere eifrige und einsichtige Personen verlangt, in deren Thätigkeit nicht eine Concurrenz der Pflichten eintritt. Die Johanniter und Malteserritter würden die betreffenden Stellen in den meisten Punkten ausfüllen können; aber auf unserem Zuge habe ich nirgends gesehen, daß sie das eingerichtet hätten, was dazu zunächst nothwendig ist, Sanitätsbehörden an Bahnhöfen und an den Plätzen, wohin nach der Schlacht die Verwundeten zunächst kommen, in welcher Jeder die nöthige Auskunft und Anweisung erhalten kann. Ich weiß nicht, ob es nur im Gebiete der dritten Armee geschah, daß die Hülfscolonnen so ganz auf eigene Hand ihren Weg gehen mußten und so an allen möglichen Hindernissen scheiterten, um, wenn es ihnen selbst, zum Theil durch persönliche Beziehungen, besonders glücklich ging, doch das Gefühl mitzunehmen, das, was sie hatten thun können, entspreche nicht den eigenen Opfern, vielleicht nicht einmal der Mühe und den Kosten, die dem Staate und der Armee durch ihre Beförderung und Verproviantirung erwachsen waren.

Anderen ging es ganz schlecht; ein ausgerüsteter Zug von Karlsruhe und Heidelberg fuhr, um Verwundete zu holen, nach Remilly und Courcelles, wo man ihm ungern ein paar Mann abgab, und kam unverrichteter Sache mit allem Material zurück, während zugleich Tausende von Sedan gegen Nancy gingen und dort die Hülfe, die Matratzen, die Erfrischungen, das Verbandzeug dringend begehrten. Wie leicht wäre eine Depesche gewesen: „Alle Hülfsmannschaften sind über Nancy zu leiten,“ wenn nur Jemand dagewesen wäre, der sich mit dem Hinterlande darüber in Beziehung zu setzen die tägliche Pflicht gehabt hätte. Und das fast zwei Monate nach der Kriegserklärung!

Außer dem Mangel an genügender oberer Leitung hat sich im Kleinen eine Art von Concurrenz zwischen dem von den Rittern beigeführten Personal und anderen freiwilligen Hülfsmannschaften ausgebildet, welche zum Theil eine Fortsetzung von dem Kriege ist, welcher mehr oder weniger versteckt überall da entsteht, wo specifische Genossenschaften die Krankenpflege übernehmen. Hier trat sie noch etwas stärker auf, wo es sich nicht allein darum handelte, die mühsame Pflege einander streitig zu machen, mit dem zum großen Theile idealen, darin liegenden Gewinn, sondern auch häufig um reale Dinge, entweder sehr nothwendige Erfordernisse der Existenz, als ein Bett, ein Stück Brod und selbst Wasser, oder gewisse außerordentliche Genüsse aus Liebesgaben, deren Werth bei sonstigen Entbehrungen sehr steigt, als eine Flasche Portwein, ein Glas Cognac, eine Tafel Chocolade, eine feine Cigarre. Indem die Herren Ritter häufig mehr im Besitz dieser Vortheile erachtet werden mögen, als sie es sind, jedenfalls aber stets am besten daran sind und ihr Personal einen gewissen Egoismus ausgebildet, allen Besitz hartnäckig zu vertheidigen sich gewöhnt hat, sind sie nicht allein in Kriegszustand mit den „Schlachtenbummlern“ gerathen, die sie selbst durch den Mangel an geordneter Verwendung groß gezogen, sondern noch viel mehr mit den Militärärzten, namentlich den niederen, als deren Gehülfen und Lieferanten sie sich zu betrachten gehabt hätten, und deren bittere Klagen kein Ende finden. Das könnte nicht so allgemein sein, wenn nicht viel Wahres daran wäre, und kann nicht ausgeglichen erscheinen, wenn an einzelnen Stellen, so von mir selbst und mehr vom Professor Billroth, das beste Zeugniß gegeben werden kann.

Die wichtigsten Personen sind auch im freiwilligen Sanitätsdienste die Aerzte, sie müssen den Mittelpunkt der Thätigkeit bilden. Sollen sie in ihrem Thun abhängen von Gunst und Gnade, so gehen sie davon. Die freiwilligen Aerzte haben sich, so lange Militärärzte an der Stelle sind, diesen anzuschließen und durch sie ihre Verwendung zu finden. Es ist sehr nützlich, wenn sie die nöthigen Hülfsmannschaften mit sich bringen, sonst sind ihnen solche zuzuweisen, sei es von den Leuten der Johanniter, sei es aus anderen freiwilligen Corps. Hülfsmannschaften ohne verantwortliche Führer sind nirgends zuzulassen. Geht die Truppe mit ihren Aerzten ab, so sind die freiwilligen Aerzte und ihre Hülfsleute, soweit nöthig, ohne militärärztliche Leitung an den Nothspitälern und den Einladeorten zurückzuhalten, im Nothfalle zu ersetzen und je nachdem zu Hause oder vorwärts zu dirigiren. Man muß ihnen stets das Gefühl wach halten, daß sie ein nützliches Glied sind, und sie unterstützen und für sie sorgen. Das Alles muß in scharfem Dienste geschäftsmäßig von bestimmt dazu eingesetzten, findbaren Personen betrieben werden, nicht von solchen, die das Schlachtfeld bereiten oder überall gute Freunde haben, nach denen sie sich persönlich umsehen müssen.

Nur wenn eine ebenso geordnete Thätigkeit sich rückwärts gegen die Reservespitäler entfaltet, in welchen so viel Hingebung und so große finanzielle Opfer der Nation niedergelegt sind, wird es nicht vorkommen, daß eine Stadt jammert, weil man ihr keine Verwundeten sendet, während eine andere rathlos die Anzeige empfängt, daß sie in einer Stunde zweihundert erhalten werde, während sie kein Bett frei hat; daß wir wohl einen fünftägigen, einen zehntägigen und einen fünfzehntägigen Rapport über die Bestände machen müssen, aber nie erfahren, ob wir unsere Betten noch vermehren sollen, ob wir sie verringern dürfen.

In einer Zeit, in welcher der Patriotismus die Empfindung abstumpft gegen die Noth, die aus so vielen Quellen fließt, sind ferner nicht allein die Mittel des Staates, sondern auch die der freiwilligen Gabe auf das Gewissenhafteste zu verwenden. Was aus Unordnung unnütz daliegt, schadet noch mehr durch den schlechten Eindruck als durch den directen Verlust.

Das Sanitätsetappenwesen muß im Centrum des Staates und bei den Hauptquartieren durch Personen vertreten sein, denen man einen bedeutenden Einfluß einräumt. Sie müssen auf den Zwischenstationen über bestimmt instruirte Personen gebieten, welche an den Orten selbst gewählt werden können und in Verbindung mit den Militär- und Civilbehörden stehen. Es darf nicht Princip sein, diese Stellen ausschließlich einem Orden zu übertragen oder alle Mitglieder des Ordens als von vornherein nach Herz und Kopf dafür geeignet zu achten. Die wirklich tüchtigen Mitglieder dieses Ordens leiden in der That dadurch am meisten. Solche mögen gern ihre Stelle finden, sie werden sich am wenigsten gegen andere Helfer abschließen und das, was ihnen ihr persönlicher Einfluß und der Glanz ihres Namens möglich macht, für das heilige Werk ausnutzen, welches auch nur ein weiteres Band für das gesammte Deutschland und für Arm und Reich sein soll!